Der Vormarsch der Öko-Krieger
Der radikale Kampf gegen den Klimawandel verfehlt sein eigentliches Ziel. Statt Klimaschutz zur Ersatzreligion zu machen, sollten wir uns auf den Umgang mit den Veränderungen fokussieren.
Auf den Punkt gebracht
- Welt in der Krise. Schon vor über zwanzig Jahren wurden die ersten Warnungen vor dem Klimawandel laut. Seither wurde der Tonfall immer schärfer.
- Zukunftsgedanken. Besonders die jüngeren Generationen fordern einen stärkeren Einsatz der Politik im Kampf gegen die globale Erwärmung und ihre Folgen.
- Opium für die Masse. Demonstrationen und Protestaktionen schaffen ein Gemeinschaftsgefühl, werden aber auch zunehmend radikal – und quasi-religiös.
- Streit statt Streik. Statt die Klimadiskussion dogmatisch anzugehen, braucht es eine faktenbasierte und kompromissbereite Debatte ohne Scheuklappen.
1992 fand zum ersten Mal der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Zehntausende Aktivisten, Bürokraten und Politiker ließen sich in Kerosin verbrennenden, Treibhausgase ausstoßenden Flugzeugen nach Rio de Janeiro transportieren, um sich Gedanken über steigende Emissionen und Ressourcenverschwendung zu machen.
Inzwischen ist der Wunsch, die Welt zu retten, allgegenwärtig. Nichts wird in der westlichen Wohlstandsgesellschaft häufiger beworben als öko, bio und grün. Jeder Türstopper ist glutenfrei und fair gehandelt, jede Espressomaschine klimaneutral. Es gibt praktisch keinen Brotaufstrich, keinen Immobilienfond und keine Fußcreme mehr, die nicht irgendwie nachhaltig daherkäme. In jedem Werbeblock wünschen sich Menschen nichts sehnlicher als ihren gentechnikfreien Mango Lassi aus der Region zu trinken oder mit dem Elektroauto ganz lässig zur Ladestation zu fahren, um das Klima zu retten. Und dazwischen taucht George Clooney auf und trinkt einen Kapselkaffee aus 80 Prozent recyceltem Aluminium.
Klimaschutz als Religionsersatz
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Als studierter Physiker bin ich weder ein Leugner des menschlichen Einflusses auf den Klimawandel, noch glaube ich, dass der Klimawandel kein ernstes Problem darstellt. Und ich glaube erst recht nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken sollten, um möglichst bequem weitermachen zu können.
Doch gerade deswegen frage ich mich, ob die Dauerbeschallung von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Weltrettung die Welt wirklich zu einem besseren Ort machen wird. Daher habe ich mich entschlossen, darüber ein Buch zu schreiben: „Lichtblick statt Blackout – Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen.“
Zahlen & Fakten
Die Fridays for Future-Bewegung
- Alles begann am 20. August 2018: Die damals 15-jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg verweigerte für drei Wochen den Unterrichtsbesuch und hielt stattdessen den „Skolstrejk för klimatet“, Schulstreik fürs Klima, vor dem schwedischen Regierungsgebäude in Stockholm.
- Noch im selben Jahr breiteten sich die Fridays for Future-Proteste in Europa aus, 2019 wurde die Bewegung global und erstreckte sich von Mexiko bis Japan.
- Der 15. März 2019 wurde zum Tag des ersten globalen Klimastreiks. In Deutschland nahmen daran rund 300.000 Menschen teil, weltweit fanden insgesamt circa 2.000 Protestaktionen mit rund 1 Million Teilnehmern statt.
- Einer Studie zufolge waren in Berlin und Bremen 51,5 Prozent der Streik-Teilnehmer zwischen 14-19 Jahren alt, 71,8 Prozent waren Schüler oder Studenten. Unter den Schülern lag der Mädchen- und Frauenanteil bei 64,6 Prozent.
- Am 23. September 2022 findet der zehnte globale Klimastreik statt.
Unter anderem geht es darin auch um ein Phänomen, auf das der Biologe Josef H. Reichholf schon 2002 hingewiesen hat: „Der Ökologismus hat sich vor einem Dritteljahrhundert der Ökologie bemächtigt und sich zu einem religionsartigen Lebensmodell entwickelt, das aus immer mehr Dogmen besteht, die nichts mehr damit zu tun haben, Umweltprobleme auf Basis einer wissenschaftlichen Analyse zu lösen.“
Könnte das der Grund sein, warum der Klimaschutz zu einer dermaßen erfolgreichen Bewegung geworden ist? Immerhin macht er den Menschen ein ideologisches Angebot, das weit über eine realpolitische Lösung hinausgeht. Etwas, womit sich eine zunehmend atheistische Gesellschaft vollständig identifizieren kann. Und dieses Angebot lautet: „Wir sind kurz vor dem Untergang, aber Du selbst kannst dazu beitragen, die Katastrophe im letzten Augenblick abzuwenden.“
Im Kern ist diese Botschaft ein quasi-religiöses Heilsversprechen. Kein Wunder, dass es auf viele Menschen eine Faszination ausübt.
Rituale statt Ratio
Noch einmal: Natürlich hat der Appell, das Klima zu schützen, eine gänzlich unreligiöse, wissenschaftliche Faktenbasis. Die Berichte des Weltklimarates zeigen, dass zukünftige Klimaveränderungen ökologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Schäden zur Folge haben werden. Von einem Weltuntergang biblischen Ausmaßes allerdings ist in keinem Fachartikel auch nur im Ansatz die Rede. In keinem IPCC-Bericht des Weltklimarat wird je das Wort „Apokalypse“ oder „Klimakatastrophe“ verwendet.
Die Berichte beschreiben in recht sachlichem Ton unterschiedliche Szenarien, die natürlich dazu auffordern, zu handeln. Aber die alles andere als das Ende der Welt verkünden. Brian O‘Neill, Direktor des Joint Global Change Research Institute und einer der IPCC-Leitautoren des Weltklimarates, sagt ganz unmissverständlich: „Es gibt kein Mad-Max Szenario in unseren Abschätzungen.“
Zahlen & Fakten
Eine Aussage, die man vermutlich auf Klimademos nie zu hören bekommt. Stattdessen erinnert die Rhetorik vieler Klimaaktivisten mehr an eine Religionsgemeinschaft als an eine wissenschaftliche Bewegung: Man droht mit einem wissenschaftlich nie erwähnten Weltuntergangsszenario, arbeitet mit Schuldgefühlen und verspricht gleichzeitig Erlösung durch Buße und Verzicht. Flugscham, weniger Fleisch essen, Gemüsenetze benutzen, bei geringeren Temperaturen waschen.
Das hilft zwar nicht unbedingt dem Klima, aber vielleicht ja der eigenen Seele. Es sind rituelle Handlungen. Selbstgeißelung durch veganes Essen und Mülltrennen als moderne Form des Rosenkranzbetens. Personen wie Greta Thunberg werden zu Propheten stilisiert, man pilgert zu Klimademos und zelebriert jährlich wiederkehrende Feiertage wie den Earth Overshoot Day.
Pro und Contra, aber kein Dazwischen
Genau das ist das eigentlich Tragische an der Sache. Der zunehmende parareligiöse Aspekt der Umweltbewegung sorgte zwar dafür, dass der Klimawandel zu einem Massenthema wurde und ins allgemeine Bewusstsein unserer Gesellschaft eindrang, zum anderen verhindert gerade dieses parareligiöse Element eine sachlich-rationale Auseinandersetzung.
Wenn Maßnahmen und Forderungen – selbst wenn sie auf seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren – spirituell aufgeladen werden, läuft man Gefahr, Wissenschaftler unkritisch zu Wahrheitsverkündern zu stilisieren und sich gegen jede Art von sachlicher Kritik zu immunisieren.
Glaubenssysteme basieren auf dem Zweifelsverzicht.
Das ist eine gefährliche Entwicklung. Denn im Gegensatz zu wissenschaftlichen Systemen, die auf der ständigen Suche nach dem Zweifel aufbauen, basieren Glaubenssysteme auf dem Zweifelsverzicht. Auch wenn viele Anhänger durchaus gute Absichten haben mögen, ist es dennoch wichtig, immer wieder ihre zentralen Thesen auf eventuelle Widersprüche und ihre zugrunde liegende Weltanschauung abzuklopfen. Spirituell-theologische Argumente sind nicht per se falsch, aber man darf sie nicht mit naturwissenschaftlichen verwechseln.
So nett, so engagiert und so sympathisch viele Klimaaktivisten daherkommen, so sehr ignoriert man gemeinhin die teilweise autoritären und intoleranten Züge dieser Bewegung. Sachliche Kritik wird oft als persönlicher Angriff dargestellt, es gelten absolute Wahrheiten, über die so gut wie nicht mehr diskutiert werden darf, Menschen werden in Leugner und Wissende eingeteilt, Zweifler von außen werden als unmoralisch, ewiggestrig und rücksichtslos diskreditiert. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.
Von Klimaaktivisten zu Öko-Kriegern
Doch die Geschichte zeigt: Die größten Fehler der Menschheit entstanden nicht, weil Menschen zweifelten. Sondern, weil sie sich absolut sicher waren, das Richtige zu tun.
Inzwischen hat sich laut Polizei und Sicherheitsbehörden die Klimabewegung in mehrere Strömungen aufgeteilt, einige davon haben sich radikalisiert. Gewaltanwendung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch werden in diesen Kreisen zunehmend als legitime und notwendige Mittel angesehen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Der populäre Klimaaktivist Tadzio Müller spricht davon, dass Teile der Bewegung zu einer „grünen RAF“ werden, der international einflussreiche schwedische Aktivist Andreas Malm denkt offen über „intelligente Sabotageakte“ auf fossile Infrastrukturen nach.
Die Sympathie einiger Öko-Krieger gegenüber totalitären Gesellschaftsordnungen ist bedenklich. Wer überzeugt ist, die Welt retten zu müssen, macht keine Kompromisse. Und so mutiert Stück für Stück der sinnvolle Gedanke, unseren Planeten zu schützen, zu einer radikalen Weltanschauung, die um jeden beliebigen Preis die Welt komplett umbauen möchte. Den Menschen, sein Verhalten, die Gesellschaftsordnung, das Wertesystem. Einfach alles.
Landläufig nennt man so etwas Utopie. Utopisten sind beseelt davon, dass es für die Gesellschaft einen perfekten, vollkommenen Endzustand gibt. Und dass alles dafür getan werden muss, um diesen zu erreichen. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Hände weg von der Utopie
Utopien haben nicht die Funktion, messbare Resultate zu liefern oder schrittweise Verbesserungen hervorzubringen. Utopische Projekte genügen sich dadurch, dass sie unerreichbare Ziele setzen, an die viele Menschen dennoch glauben. Weltfrieden, kostenlose Energie, das Ende von Gier, der Mensch im Gleichgewicht mit der Natur.
Utopien sind nicht deswegen problematisch, weil sie keine ehrbaren Ziele haben, sondern weil sie von einem unrealistischen Menschenbild ausgehen. Die Sozialisten zum Beispiel sind überzeugt, dass Menschen eigentlich kein Interesse daran haben, reicher zu werden als andere. Die Kommunisten dachten ernsthaft, die Leute sind dann am glücklichsten, wenn sie ausschließlich der Gemeinschaft dienen und selbst überhaupt nichts besitzen. Radikale Klimaaktivisten sind überzeugt, dass den Menschen die zukünftige Globaltemperatur wichtiger sein muss als ihre persönlichen Vorlieben.
Aber Menschen sind nicht so. Einige natürlich schon. Aber nicht das Gros. Das ist der Grund, weshalb Utopien über kurz oder lang immer in kollektiven Zwangsmaßnahmen enden, in denen das Volk „auf Linie“ gebracht werden muss. Verschlechtert sich dadurch der Zustand einer Gesellschaft, wird das immer als nötiger Kollateralschaden abgetan. Fidel Castro wird das Zitat zugeschrieben „Wer zum Glück in der Welt beitragen möchte, darf keine Rücksicht auf seine nähere Umgebung nehmen“.
Utopien spiegeln das Verlangen der Menschen nach gerechteren Herrschafts- und Machtverhältnissen wider. Die einen streben darin nach mehr Einfluss, die anderen wollen sich einer höheren Ordnung unterwerfen. Wahrscheinlich sind Utopien deswegen so mächtig. Doch bisher ist noch jede gesellschaftliche Utopie an der Realität gescheitert. Und sie wird immer scheitern. Was die Menschen nicht davon abhält, es trotzdem immer wieder zu versuchen.
Conclusio
Immer mehr Menschen sind vom Ehrgeiz ergriffen, die Welt zu retten. Das Ziel des Klimaschutzes ist hehr – und der Ruf nach mehr Verantwortungsübernahme in der Politik richtig –, doch zu viele Menschen tappen in eine Denkfalle, wenn es darum geht, unsere ökologischen Probleme anzugehen. Denn Klimaschutz, der sich das Motto „alles oder nichts“ auf die Fahnen schreibt, kann im Grunde nur scheitern. Je kompromissloser der Lösungsansatz, desto stärker religiös mutet er an – und macht es schwieriger, am einmal gefundenen Glauben zu rütteln (oder rütteln zu lassen). Eine Anpassung an die Klimaveränderungen wäre zielführender, als der utopische Versuch, sie zu verhindern.