Der Markt weiß mehr als der Staat 

Vor fünfzig Jahren bekam Friedrich A. Hayek den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften – als bisher einziger Österreicher. Seine Thesen sind heute genauso aktuell wie damals.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Professor Friedrich A. Hayek, 84, bei der Verleihung des ersten International Free Enterprise Award der Organisation Aims of Industry.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Professor Friedrich A. Hayek, 84, bei der Verleihung des ersten International Free Enterprise Award der Organisation Aims of Industry. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Rechtsstaat. Nach Hayeks Verständnis darf das rechtliche und institutionelle Regelwerk eines Staates niemanden bevorzugen oder benachteiligen.
  • Wirtschaft. Der Rechtsstaat setzt den Rahmen für die Wirtschaftsordnung, innerhalb dessen die Bürger frei ihren Geschäften nachgehen können.
  • Markt. Die spontane Ordnung des Marktes ist staatlicher Planung überlegen, weil niemand allwissend ist oder alle Folgen menschlichen Handelns vorhersehen kann.
  • Gesellschaft. Ökonomen und Sozialphilosophen sollen das bestgeeignete Regelwerk für eine liberale Marktwirtschaft finden und es an neue Bedingungen anpassen.

Es gibt viele gute Gründe, sich an die Ideen Friedrich A. Hayeks zu erinnern: Einige sind der Numerik geschuldet – etwa sein 125. Geburtstag. Vor 80 Jahren erschien Hayeks wichtigstes Werk, The Road to Serfdom („Der Weg zur Knechtschaft“), und vor 50 Jahren erhielt er den Nobelpreis. Noch wichtiger jedoch erscheint eine solche Rückbesinnung angesichts der um sich greifenden Überzeugung, die von Hayek gepriesene liberale Marktwirtschaft sei nicht mehr geeignet, Lösungen für die multiplen Krisen der Gegenwart zu finden. 

Hayek gilt den einen als Vorkämpfer für eine freiheitliche Ordnung, den anderen als Apologet des Neoliberalismus und aller Übel, die dieser Denkschule zugeschrieben werden. Unbestritten ist seine Stellung als eine prägende Figur für das politische Denken des 20. Jahrhunderts. Was aber können seine Einsichten heute noch bieten? 

Die heute praktizierte Form der Demokratie ist zunehmend ein Synonym für den Prozess des Stimmenkaufs und für das Schmieren und Belohnen von unlauteren Sonderinteressen.

Friedrich August Hayek (1980) 

Hayek selbst hat oft über das Los des (liberalen) Ökonomen geklagt, weil dieser, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt, die Hoffnung des Publikums auf Wunderkuren, mit denen der Wohlstand zu sichern und zu vermehren und Krisen schmerzlos zu bekämpfen seien, enttäuschen muss. Dieser „Wunderglaube“ ist, wie aktuelle Diskussionen immer wieder zeigen, weit verbreitet. 

Ob Inflation, ausufernde Budgetdefizite oder Wirtschaftskrisen, Transformation der Wirtschaft angesichts einer drohenden Klimakatastrophe oder Bekämpfung von (tatsächlicher oder vermeintlicher) Armut: Reihum scheint die Überzeugung zu herrschen, für all das gebe es einen Knopf, den die verantwortlichen Politiker bloß drücken müssten, und schon wären sämtliche Kalamitäten schmerzlos beseitigt. 

Wissensteilung ... 

In dieser Sichtweise ist es stets der Staat, von dem der rettende Eingriff erhofft wird. Der Staat soll das in der Wirtschaft scheinbar herrschende Chaos durch Planung bändigen und die Ungewissheit über die Ergebnisse von Marktprozessen durch die Herbeiführung bestimmter wünschenswerter Endzustände beseitigen. Wie verheißungsvoll wäre doch eine solche vom Staat durchgeplante Wirtschaft, die Unternehmer vor unliebsamer Konkurrenz schützt und Arbeitsplätze garantiert! 

All diesen Planfantasien erteilt Hayek eine Absage, indem er zeigt, wieso Planwirtschaft (und auch weniger umfassende Wirtschaftsplanung) nicht funktionieren und sich nicht nur als ökonomisch ineffizient, sondern auch als politisch gefährlich erweisen kann. 

Er führt dafür zwei Argumente ins Treffen: Da wäre zunächst das Problem der „Wissensteilung“. Für einen durchführbaren und ökonomisch erfolgreichen Plan benötigte eine Planbehörde umfassendes Wissen – etwa über die Bedürfnisse der Konsumenten, die Produktionsmöglichkeiten, die Kosten der Herstellung. Diese Informationen sind aber nicht zentral abrufbar, sondern „verstreut“ bei den einzelnen Konsumenten und Produzenten. Es gibt keinen Weg, sie so zusammenzuführen, dass sie für einen wirtschaftlichen Gesamtplan zur Verfügung stünden. 

... und unbeabsichtigte Folgen 

Die zweite Schwierigkeit besteht in den „unbeabsichtigten Folgen“ staatlichen Handelns. Wer einen Gesamtplan durchsetzen will, der handelt wie der von Adam Smith (den Hayek sehr schätzte) so genannte Man of System, der die Individuen in der Gesellschaft wie die Figuren eines Schachspiels behandelt. Er will sie nach seinem Gutdünken verschieben – muss aber entdecken, dass die Figuren ein Eigenleben haben und selbstbestimmt andere als die vorgesehenen Züge machen. Das könnte man als das der Wirtschaftspolitik notorisch lästige Problem der „unbotmäßigen“ Individuen bezeichnen. 

Die ungenügende Verfügbarkeit des Wissens und die mangelnde Kontrolle über das Handeln der betroffenen Akteure stehen also laut Hayek der Verwirklichung eines umfassenden Gesamtplans der Wirtschaft im Weg; oft auch schon dem Erfolg gelinderer Eingriffe des Staates. Als Alternative propagiert Hayek das System einer liberalen Marktwirtschaft. 

Innovative Lösungen können nur durch einen Prozess aus Versuch und Irrtum gefunden werden.

Wie kann man nun aber das Problem des verstreuten Wissens und eigenbestimmt handelnder Individuen lösen? Das geschieht durch das, wie Hayek es nennt, „Wunder des Preissystems“. Die durch das Zusammenwirken der Individuen auf dem Markt, durch Angebot und Nachfrage bestimmten Preise schaffen eine Ordnung, die nicht auf Planung von oben beruht, sondern sich „spontan“ ergibt. 

Versuch und Irrtum 

Diese Ordnung ist, wiederum nach Hayek, das „Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs“. In die so zustande kommenden Preise pflegen alle Individuen durch ihre Handlungen das nur ihnen zugängliche Wissen ein: die Konsumenten, indem sie ein Gut nachfragen, die Firmen, indem sie es anbieten. Die Summe dieses Wissens bildet den Preis als Knappheitsindikator. 

Besser als eine Zentralplanung es je könnte, zeigen die Preise, wie knapp verschiedene Güter sind. Gleichzeitig bilden diese Preise in einer Wettbewerbswirtschaft Anreize, die Individuen dazu bewegen, die Knappheit zu verringern. Ein hoher Preis motiviert Konsumenten, sparsamer mit einem Gut umzugehen, während er den Produzenten einen Grund liefert, es vermehrt auf den Markt zu bringen. 

Komplementär wirkt der „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“: Erst dieser bewegt Produzenten dazu, innovative Lösungen und kreative Anpassungen zu suchen. Das heißt freilich, dass solche Lösungen – zum Beispiel angepasste Technologien – nicht staatlich vorgeschrieben, sondern erst durch einen Prozess von Versuch und Irrtum gefunden werden können. Diese Überlegenheit von Wettbewerb und Preissystem ist für Hayek das ökonomische Argument für eine liberale Marktwirtschaft. 

Verleihung. König Carl Gustaf von Schweden (re.) überreicht Hajek in Stockholm den Nobelpreis für Ökonomie.
Verleihung. König Carl Gustaf von Schweden (re.) überreicht Hajek in Stockholm den Nobelpreis für Ökonomie. © Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

Das politische Argument hat Hayek in seinem meistgelesenen Werk The Road to Serfdom skizziert. Demnach schafft ein liberales Wirtschafts- und Gesellschaftssystem für die Individuen die Möglichkeit, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens eine Vielzahl verschiedener Ziele zu verfolgen. Im Gegensatz dazu kann ein planwirtschaftliches System diese Freiheit nicht gewähren, weil letztlich alle Aktivitäten einer vorweg bestimmten Zielhierarchie untergeordnet werden müssen. Wenn diese Zielhierarchie gegenüber widerstrebenden Individuen durchgesetzt wird, geht mit der wirtschaftlichen schließlich auch die politische Freiheit verloren. 

Ein neuer Liberalismus 

Daher Hayeks Botschaft an die „Sozialisten in allen Parteien“: ohne wirtschaftliche keine politische Freiheit. Die historische Evidenz scheint diese These zu bestätigen, ein Land mit demokratischer Planwirtschaft gab es tatsächlich noch nie. 

In der Planwirtschaft geht mit der wirtschaftlichen auch die politische Freiheit verloren.

Heißt das nun, dass Hayek eine völlig entfesselte Wirtschaft im staatsfreien Raum fordert? Eben nicht. Diese überkommene Form des Liberalismus hat der Ökonom stets zurückgewiesen. Ihm ging es darum, einen „neuen Liberalismus“ zu schaffen, in dem die Rolle des Staates zwar beschränkt, aber dennoch unentbehrlich ist. 

In Hayeks Sicht muss der Staat ein rechtliches und institutionelles Regelwerk – eine „Wettbewerbsordnung“ – vorgeben. Dieser Rahmen hat den Anforderungen seines Rechtsstaatsideals (der „Herrschaft des Gesetzes“) zu entsprechen, indem der Staat Zwangsgewalt nur ausüben darf, wenn er nach allgemeinen abstrakten Regeln vorgeht, die niemanden bevorzugen oder benachteiligen. 

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Zahlen & Fakten

Ein Leben für die Freiheit

Friedrich August von Hayek wurde am 8. Mai 1899 Wien geboren. Der Ökonom und Sozialphilosoph war neben Ludwig von Mises einer der bedeutendsten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. 1974 erhielt er zusammen mit Gunnar Myrdal den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Hayek starb am 23. März 1992 Freiburg im Breisgau.
Sie finden die wichtigsten Punkte zu seiner Biografie im Austria Forum.

Reagonomics. Die Wirtschaftspolitik von US- Präsident Ronald Reagan (Amtszeit: 1981–1989) war von Hayek inspiriert.

Damit gibt Hayek einen groben Rahmen vor. Das für eine liberale Marktwirtschaft bestgeeignete Regelwerk zu finden und es kreativ neuen Bedingungen anzupassen, wäre die Aufgabe (liberaler) Ökonomen und Sozialphilosophen. Erst in einem solchen Regelwerk können sich die spontanen Kräfte von Markt und Wettbewerb bestmöglich entfalten. Hayek lässt durchaus einen Freiraum für staatliche Wirtschaftspolitik zu. Zum Beispiel befürwortet er eine Mindestversorgung für jene Menschen, die kein ausreichendes Erwerbseinkommen erzielen können. Insgesamt sieht Hayek den Staat metaphorisch in der Funktion eines Gärtners, freilich eines englischen und keines französischen Gartens. 

Letztlich verlangt Hayeks Liberalismus der Gesellschaft einen Glaubensakt ab. Anstatt sich den Entscheidungen eines als weise und gütig gedachten Staates anzuvertrauen, müssen sich die Menschen dem Wirken unpersönlicher Prozesse, einer „spontanen Ordnung“ unterwerfen und dieser den Anspruch auf „soziale Gerechtigkeit“ opfern. 

Niemand ist unfehlbar 

Solche spontan gewachsenen Ordnungen, denen wir nicht nur das Markt- und Preissystem, sondern auch die Regelwerke der Moral und der Sprache verdanken, stellt Hayek als gleichberechtigte Werte neben die natürlichen (unsere Instinkte) und die künstlichen (planmäßig geschaffenen). Er ist sich allerdings auch bewusst, wie sehr diese Verzichtshaltung unseren an Kleingruppen orientierten Werten zuwiderläuft und wie gefährdet daher jede liberale Ordnung ständig sein muss. 

Gerade wer sich einem liberalen Weltbild verpflichtet fühlt, wird selbst eine Leitfigur wie Friedrich A. Hayek nicht als unfehlbare Autorität anerkennen. Doch die Ideen des großen Ökonomen sollten dazu dienen, das Nachdenken über liberale Ordnungen anzuregen, mit denen die Herausforderungen der Zukunft bewältigt werden können. 

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Conclusio

Planwirtschaft. Jede Form der staatlich gelenkten Wirtschaft, so Friedrich August Hayek, scheitert am Problem des verstreuten Wissens sowie an den Folgen der unvorhersehbaren Reaktionen von Individuen. 
Freiheit. Planwirtschaft ist nicht nur ökonomisch ineffizient, sondern führt auch zu politischer Unfreiheit. Die auf wirtschaftlicher Freiheit beruhende spontane Ordnung der Marktwirtschaft kann Schwierigkeiten besser lösen. 
Staat. Dem Staat verbleibt die Aufgabe, ein Regelwerk für die Marktwirtschaft zu schaffen. Herausforderungen lassen sich mit einem liberalen Wirtschaftssystem besser bewältigen als mit planwirtschaftlichen Methoden. 

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