No Chips, No Fun

Es kann sein, dass die Wartezeiten für Industrieroboter, Autos, Smartphones, Waschmaschinen etc. noch länger werden. Was fehlt? Mikrochips. Der Chip-Mangel ist leider nicht so leicht zu beheben, denn er hat strukturelle Gründe.

Eine behandschuhte Hand hält winzige elektronische Stecker in die Kamera. Es handelt sich um Sensoren. Das Bild ist Teil eines Beitrags über den Mangel an Mikrochips.
Sensoren in einem Werk von Bosch auf einem Wafer. Jegliche Industrieprozesse beruhen auf der Leistungsfähigkeit von Mikrochips. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Verlagert. In den letzten Jahrzehnten haben Unternehmen die Produktion von Mikrochips nach Asien ausgelagert. Bei der Herstellung ist Taiwan Weltmarktführer.
  • Rückholaktionen. Große Summen aus staatlichen Budgets werden nun aufgewendet, um wieder in den USA und Europa zu produzieren. Auch China will aufholen.
  • Know-how. Die USA sind beim Design führend, die Europäer bei den Fertigungsmaschinen. Beides sind Schlüsseltechnologien aus dem Forschungssektor.
  • Risiko Krieg. Sollte Taiwan seine exklusive Marktstellung verlieren, verlöre es auch seinen Schutz vor einem chinesischen Angriffskrieg.

Sie sind viel kleiner als ein Finger­nagel, doch ohne sie läuft in der modernen digitalisierten Wirtschaft fast gar nichts mehr: Die Rede ist von Halbleitern, auch bekannt als Mikrochips. Rund 1.400 Halbleiter stecken in einem Auto, Smartphones würden ohne Chips nicht funktionieren, selbst in den meisten Haushaltsgeräten finden sich die winzigen Bauteile. Im Wirtschaftsaufschwung nach der Corona-Pandemie wurden Halbleiter zu einem knappen Gut.

Computer und Geopolitik

Weil die globalen Lieferketten noch immer gestört sind, herrscht derzeit weltweit Mangel an Mikrochips. Dazu kommt, dass zwischen den USA und China um die Chipproduktion ein Wirtschaftskrieg entbrannt ist. Im Oktober beschloss die US-Regierung ein Gesetz, das zwar relativ wenig mediale Beachtung fand, in seiner Bedeutung aber kaum zu unterschätzen ist.

Der „CHIPS and Science Act“ besagt, dass „keine US-Technologie mehr bei der Produktion von Halbleitern unter einer Strukturbreite von 16 Nanometern verwendet werden darf“. Das hat zur Folge, dass viele Fabriken in China überhaupt nicht mehr beliefert werden. Die neuen Gesetze kommen einem Chip-Embargo gleich. Hinzu kam, dass amerikanische Staatsbürger, die aktuell in China für Halb­leiterunternehmen tätig waren, quasi über Nacht das Land verlassen mussten.

Globale Arbeitsteilung

Die Aufregung um den Chips Act war unter den amerikanischen Mitarbeitern dementsprechend groß. Ziel der Gesetze ist es, Peking langfristig aus dem Rennen um die kleinsten Chips zu werfen. Die Kommunistische Partei Chinas soll von neuester Technologie abgeschnitten werden. „Der US-Bann ist nicht der Untergang der chinesischen Halbleiter­industrie, aber es ist ein sehr großer Rückschlag für die Branche“, urteilte Jan-Hinnerk Mohr von der Beratungsfirma Boston Consulting Group.

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Zahlen & Fakten

Halbleiter werden oft als das Erdöl des 21. Jahrhunderts bezeichnet – wobei auch für die Herstellung von Chips Erdöl benötigt wird. Tatsache ist jedenfalls, dass Halbleiter für die Wirtschaft (und Kriegsführung) heute von ähnlicher Bedeutung sind wie Rohstoffe. 

Im Ranking der weltweit meistgehandelten Produkte liegen Chips nach Rohöl, Kraftfahrzeugen und raffiniertem Öl bereits auf Platz vier. Die Lieferketten der Halb­leiterindustrie sind höchst komplex. Chris Miller, Autor des Buches Chip War – The Fight for the World’s Most Critical Technology, sagt, dass es nur eine Handvoll Menschen weltweit gibt, die die gesamten Lieferketten für Halbleiter überblicken.

Blick in eine Werkhalle mit Reinraum mit weißen Maschinen und Menschen in weißer Schutzkleidung. Das Bild zeigt eine Fabrik, in der Mikrochips hergestellt werden.
Unternehmen wie Global­Foundries in Dresden gehören zu den wenigen Produzenten von Mikrochips in Europa. © Getty Images

Entworfen werden die Halbleiter zunächst von Unternehmen wie Nvidia, Qualcomm oder AMD – alle drei mit Sitz in Kalifornien. Hoch spezialisierte Fer­tigungsbetriebe (sogenannte Foundries) stellen dann basierend auf Silizium mit lithografischen Verfahren hauchdünne Wafer her. Zu diesen Foundries gehört etwa der Riesenkonzern Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC). TSMC hat bei der Produktion einen Marktanteil von rund 53 Prozent weltweit.

An zweiter Stelle kommt Samsung aus Südkorea mit 17 Prozent. Die Wafer müssen getestet und auf Schaltflächen montiert werden, bevor sie in die Massenproduktion gehen. Jeder dieser Arbeitsschritte erfordert eine enorme Spezialisierung der beteiligten Unternehmen. Nirgendwo zeigt sich die Komplexität globaler Lieferketten so deutlich wie bei Mikrochips. Als es im Zuge der chinesischen Lockdowns zu Störungen kam, verzögerte sich die Auslieferung zahlreicher Produkte – von Autos bis zur PlayStation 5.

Die schrumpfenden Halbleiter

Halbleiter werden immer kleiner. Das ist Moore’s Law, zurückgehend auf Gordon Moore, der diese Gesetzmäßigkeit 1961 formulierte: Etwa alle zwanzig Monate verdoppelt sich die Komplexität integrierter Schaltkreise. Weltmarktführer TSMC produziert seit Ende 2022 Halbleiter in der Größe von drei Nanometern im industriellen Maßstab und hat angekündigt, in den Werken in Taiwan auch Zwei-Nanometer-Chips zu produzieren. Im iPhone 14 stecken derzeit Chips, basierend auf Fünf-Nanometer-Prozessen.

Kurzum: Je kleiner die Halbleiter, desto ausgefeilter das Produkt. Ohne eine konstante Verbesserung der Chiptechnologie kann die digitale Revolution nicht fortgesetzt werden. Chips der ­neuesten Generation zum Beispiel finden Einsatz in der Technologie, die Peking für seinen Überwachungsapparat dringend benötigt, aber ebenso in Waffensystemen, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Ohne fremde Hilfe ist China derzeit nur in der Lage, Halbleiter in der Größe von 90 Nanometern herzustellen. Das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin geht davon aus, dass es Peking nicht vor 2024 gelingen wird, Vier-Nanometer-Chips autark zu produzieren. Mit entsprechenden Vorlagen und Importen schafft es der leistungsfähigste Produzent aus China, SMIC, sieben Nanometer zu produzieren.

Chinas Realitätsverlust

In den chinesischen Medien fand der Bannstrahl aus den USA bisher relativ wenig Nachhall. Grund dafür war wohl der 20. Parteitag, der gleichzeitig stattfand und in chinesischen Medien abgefeiert wurde. Die Global Times, eine Art Sprachrohr der KPCh, wies lediglich darauf hin, dass das neue Gesetz amerikanische Firmen Jobs und Gewinne kosten werde. Caixin aber berichtete kurz darauf in seiner Titel­story, dass vor allem der Abzug von wichtigen Mitarbeitern die chinesische Halbleiterindustrie hart treffen werde. Und tatsächlich verließ rund ein Dutzend hoch spezialisierter Führungskräfte das Land.

Der Nachschub an ausländischen Fachkräften stockt ohnehin. Aufgrund der rigiden Zero-­Covid-Politik Pekings haben zahlreiche Ausländer in den vergangenen zwei Jahren das Land verlassen. Neue kommen kaum nach, da China mittlerweile als „Härteposten“ gilt.

Die USA sitzen also, was Halbleiter betrifft, am längeren Hebel, und China ist derzeit weit abgeschlagen. Die Sanktionen dienen dazu, diesen Abstand nicht kleiner werden zu lassen. Peking aber hält seinerseits einen anderen Trumpf in der Hand: Es verfügt über die nötigen Rohstoffe, die seltenen Erden, die zur Produktion von Smartphones, aber auch zur Erzeugung von Halbleitern benötigt werden. Zudem sind die Kobaltminen im Kongo mittlerweile in chinesischer Hand. Xi Jinping könnte sich also mit einem Embargo für Seltenerdmetalle und Metalle revanchieren.

Die Sache mit Taiwan

Und dann gibt es noch einen Ele­fanten im Raum – nämlich Taiwan. Die Insel an der Südostküste Chinas ist der wichtigste Halbleiterproduzent der Welt und stellt rund 60 Prozent des globalen Bedarfs her. In manchen Bereichen ist die Abhängigkeit aber noch größer: So liegt der globale Marktanteil von Branchenprimus TSMC im Bereich der Fünf-Nanometer-Chips bei 90 Prozent. Kaum ein Technologieunternehmen kommt heute mehr ohne die Chips der Taiwaner aus. Tesla, Apple, Nvidia – sie alle sind Kunden von TSMC. Aber auch die europäische Autoindustrie ist ohne die Chips aus Taiwan nicht produktionsfähig.

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Zahlen & Fakten

Peking betrachtet das demokratische Taiwan als abtrünnige Provinz. Taiwanische Politiker bezeichnen die lokale Halbleiterproduktion gerne als „Silizium-Schild“. Gerade weil China derart abhängig von Mikrochips aus Taiwan ist, würde es niemals eine militärische Invasion wagen, lautet die Hoffnung. Tatsächlich entspannte sich die Krise im Sommer vorerst wieder nach einem gewaltigen Säbelrasseln, das die chinesische Marine und Luftwaffe in Form von Manövern in der Meerenge vor Taiwan veranstaltet hatten.

Mögliche Risiken

Für die Weltwirtschaft wäre eine militärische Invasion Chinas in Taiwan eine ungleich größere Katastrophe als der Ukraine-Krieg. Halbleiterfabriken könnten zerstört werden, wichtige Experten das Land verlassen. Essenzielle Lieferketten wären unterbrochen, Auto-, Smartphone- und zahlreiche andere Produktionen stünden still. Die hoch spezialisierten Werke in Taiwan zu ersetzen würde Monate, wahrscheinlich eher Jahre, in Anspruch nehmen.

Blick in eine Produktionshalle mit vielen Bildschirmen an denen Menschen stehend in bunten Schutzanzügen arbeiten.
Produktion von Schaltkreisen in Nantong, China. Die chinesische Mikroelektronikindustrie ist bislang aber von den Chip-Lieferungen aus Taiwan abhängig. © Getty Images

Noch aber kann man davon ausgehen, dass die Auswirkungen einer militärischen Invasion für das Festland mindestens so dramatisch wären wie für den Rest der Welt. Und auch die Volksrepublik bezieht einen Großteil ihrer Halbleiter von der Insel, mehr als 35 Prozent des Bedarfs. Sollten die Pläne der Vereinigten Staaten funktionieren, würde Taiwans Rolle an der globalen Chipproduktion langsam abnehmen – und damit auch die Wirkung des „Silizium-Schilds“. 

Der Chip-Krieg

Der Chips Act könnte Peking dazu bringen, die eigene Halbleiterindustrie konkurrenzfähig zu machen. Davon ist China derzeit wie gesagt noch weit entfernt. Doch der Notwendigkeit, schnell zu den USA aufzuschließen, ist man sich wohl bewusst.

Schon 2015 rief man die „Made in China 2025“-Kampagne ins Leben, mit der die Abhängigkeit von ausländischen Halbleitern drastisch reduziert werden soll. Dabei helfen sollen Subventionen und Steuernachlässe im Ausmaß von umgerechnet 200 Milliarden US-Dollar. Es ist das größte Subventionspaket der vergangenen fünf Jahre. Chinesische Unternehmen sollen so dazu angehalten werden, Chips aus eigener Produktion zu kaufen.   

Gleichzeitig hat Peking angekündigt, den Konflikt vor die Welthandelsorganisation (WTO) zu bringen. Eine Schlichtung dürfte aber mehrere Jahre in Anspruch nehmen, und China ist selbst bekannt dafür, immer wieder WTO-Regeln zu unterlaufen. Der „Chip-Krieg“ wird bis dahin wohl weitergehen. 

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Conclusio

Die Verfügbarkeit von Mikrochips, die für die moderne Wirtschaft unerlässlich sind, hat sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer Frage geopolitischer Macht ausgeweitet. Taiwan dominiert derzeit den globalen Markt für die Produktion: Rund 60 Prozent aller weltweiten Mikrochips stammen von dort. Einer der größten Nachfrager von Mikrochips ist China, das über einen fast exklusiven Zugang zu wichtigen Rohstoffen für Mikrochips verfügt, aber bisher nicht in der Lage ist, selbst hoch leistungsfähige Mikrochips herzustellen. Denn in China fehlen Fachkräfte und die nötige Technologie. Das Land investiert daher Milliardenbeträge, um aufzuholen. Die Sanktionen der USA gegen China kommen der Produktion in Europa und in den USA zugute. Dennoch bleibt der Mangel an Chips bestehen und damit ihre geopolitische Brisanz.

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