Eine Energiewende, auf Öl gebaut
Öl hat die Golfstaaten reich gemacht. Doch diese Quelle des Reichtums schwindet mit der Nachfrage nach Öl und Gas. Die Ölstaaten investieren das Geld jetzt in Photovoltaik und Wasserstoff. Für das Öl haben sie neue Abnehmer – vor allem in China.
Auf den Punkt gebracht
- Alte Energie. Während in Europa die Nachfrage nach Öl sinkt, wird die Nachfrage nach Gas in den nächsten Jahrzehnten stabil bleiben.
- Neue Wege. Die langsame Abkehr von Öl ist durch den Klimawandel erzwungen. An Öl mangelt es den Golfstaaten nicht.
- Neue Energie. Die Golfstaaten wollen weiterhin der Energielieferant der Welt sein. Sie bauen massiv Photovoltaik und Wasserstoff aus.
- Neue Partner. Die ölfördernden Staaten stützen ihre Transformation durch neue Partnerschaften, etwa mit China und Israel.
Russlands Überfall auf die Ukraine mag den Eindruck erwecken, Öl und Gas wären knappe Güter. Das Gegenteil ist der Fall: Von beidem gab es weltweit noch nie so viele bekannte Reserven wie heute, und auch der Verbrauch wird noch lange Zeit steigen.
Das Zeitalter des Erdöls wird nicht aus Mangel an Öl zu Ende gehen, denn die Nachfrage wird schneller versiegen als die Quellen. Und damit geht auch die Ära des schwarzen Goldes, dem die Golfstaaten ihren Reichtum verdanken, langsam zu Ende. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet in einer Analyse vom Februar 2020, dass die weltweite Nachfrage nach Öl innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte ihren Höhepunkt erreichen wird. Den Golfstaaten beschert das ein ernsthaftes Haushaltsproblem: Beim derzeitigen finanzpolitischen Kurs könnte der Reichtum der Region schon in fünfzehn Jahren aufgebraucht sein. Die Doppelkrise der Golfstaaten, die sowohl von der Pandemie selbst als auch von deren Auswirkungen auf die globalen Ölpreise betroffen sind, verstärkt den Handlungsdruck.
Abkehr vom Erdöl
Erdöl ist das Blut, das durch die Adern der Moderne fließt. Nicht nur die Mobilität ist – noch – von Öl abhängig, der Rohstoff wird zu Polstermöbeln, Fensterrahmen, Fußbodenbelägen, Kleidung, Verpackungen, Kunststoffen, Waschmitteln, Düngemitteln, Kosmetika oder Medikamenten verarbeitet. In einer Couch stecken durchschnittlich sechzig Liter Erdöl, in einem Pressspanregal mehr als sieben Liter. Sogar unsere Bücher „baden“ im Öl ihrer Billy Regale.
Dennoch bemühen sich die sechs erdölexportierenden Länder des Golf-Kooperationsrates (Gulf Cooperation Council/GCC) – Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – seit Jahrzehnten, von Öl- und Gaserträgen unabhängiger zu werden. Aus gutem Grund.
Der IWF nennt zwei Schlüsselfaktoren für die langfristige Entwicklung des Erdölmarkts: die erhöhte Verfügbarkeit aufgrund neuer Fördertechnologien und die zunehmende Abkehr von Erdöl aufgrund regulatorischer Maßnahmen gegen den Klimawandel.
Öl: Konkurrenz aus den USA
Schieferöl, das mittels hydraulischem Fracking gewonnen wird, hat sich in den USA zur zweitgünstigsten Ölquelle der Welt entwickelt. Die Vereinigten Staaten sind deshalb seit 2017 der größte Ölproduzent der Welt und werden in Kürze Netto-Ölexporteur. Andere Länder wie China werden voraussichtlich ihrem Beispiel folgen.
Die Technologie hat auch die Produktivität konventioneller Ölbohrungen gesteigert und die Ölförderung billiger gemacht. Dadurch sind zwar die nachgewiesenen Reserven in den GCC-Ländern in den letzten zehn Jahren trotz hoher Fördermengen nach oben revidiert worden, gleichzeitig jedoch hat sich das weltweite Ölangebot erheblich vergrößert: Der Markt wird leistungsfähiger und preiselastischer. Befürchtungen, die Ölvorräte könnten zu Ende gehen, sind Geschichte. Die Bemühungen vieler Länder, den Ölverbrauch wegen des Klimawandels zu senken, wurden bisher vom weltweiten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum überdeckt.
Die weltweite Nachfrage nach Erdgas wird sich zwar verlangsamen, aber noch jahrzehntelang steigen.
Der IWF rechnet jedoch damit, dass schnellere Innovationen und stärkere regulatorische Impulse für den Umweltschutz die Abkehr vom Öl beschleunigen werden: Die weltweite Nachfrage könnte in den nächsten zwei Jahrzehnten ihren Höhepunkt erreichen und danach allmählich zurückgehen. Die weltweite Nachfrage nach Erdgas hingegen werde sich voraussichtlich zwar verlangsamen, aber noch jahrzehntelang steigen.
Nachfrage nach Öl und Gas bestimmt den Wohlstand
In den meisten Golfstaaten stellen Öl und Gas mindestens ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP), mehr als 65 Prozent der Gesamtexporte und mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen. Die Öl- und Gasproduktion machte zuletzt 47 Prozent der Wirtschaftsleistung Kuwaits aus, mehr als 30 Prozent jener von Katar und Oman und immerhin noch mehr als ein Viertel des BIP von Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate. Bahrain war das einzige GCC-Land, in dem Öl und Gas vor der Pandemie weniger als 15 Prozent zum BIP beitrugen.
Das Öl- und Gasgeschäft trägt mit Gewinnsteuern, Lizenzgebühren und Dividenden der nationalen Ölgesellschaften den Löwenanteil an den Staatseinnahmen der GCC-Länder. Die Staatshaushalte sind von Öl und Gas abhängig – auch deshalb, weil die Golfstaaten von ihren Bürgern keine direkten Steuern wie Einkommens- oder Grundsteuern einheben.
Zahlen & Fakten
Von der globalen Finanzkrise 2008 bis zum Krieg gegen die Ukraine sind die Ölpreise und die durchschnittlichen jährlichen Öleinnahmen der GCC-Region zurückgegangen, während die laufenden Ausgaben bis zum Ölpreisschock von 2014 weitgehend unvermindert weiter anstiegen. Die staatlichen Sparquoten sanken, und die Vermögensbildung verlangsamte sich. In der Zwischenzeit haben sich die Haushaltssalden gegenüber der Zeit vor der Pandemie verbessert, die Steigerung der Öl- und Gaspreise infolge des Krieges in der Ukraine dürften die Staatseinnahmen jetzt wieder sprudeln lassen. Dennoch sind Reformen unausweichlich.
Pandemie als Treiber des Umdenkens
Die Regierungen in der Region teilen den Ölreichtum mit ihren Bürgern in Form sehr niedriger Energiepreise und eines überaus attraktiven öffentlichen Sektors. Großzügige öffentliche Leistungen, gut bezahlte Arbeitsplätze sowie andere Vorteile machen die Beschäftigung in der Privatwirtschaft vergleichsweise weniger attraktiv. Das bremst die wirtschaftliche Dynamik und behindert das Streben der Volkswirtschaften nach mehr Unabhängigkeit vom Erdöl.
Die Doppelkrise in der Pandemie führte zu erhöhten staatlichen Kreditaufnahmen für das Gesundheitswesen während die Kapitalinvestitionen erheblich zurückgingen. Die Lockdowns störten die Geschäfte außerhalb des Ölgeschäfts wie Tourismus, Gastgewerbe, Transport und Einzelhandel und ließen die Arbeitslosigkeit ansteigen, was sich wiederum negativ auf den privaten Konsum auswirkte.
Gleichzeitig hat die Krise aber auch der Umgestaltung der Volkswirtschaften Auftrieb gegeben. Die externen Schocks haben gezeigt, was passiert, wenn man nicht handelt, und die Anreize für eine wirtschaftliche Diversifizierung verstärkt. Oberstes Ziel ist die Erhöhung des Anteils der Privatwirtschaft am BIP. Das bedeutet vorerst keine Abkehr von Öl und Gas, sondern die Entwicklung neuer, zusätzlicher Wirtschaftszweige, um die Abhängigkeit von Öl- und Gaserträgen zu verringern.
Ja, es geht auch ohne russisches Gas
Die richtige Balance von Anreizen ist auch eine budgetäre Herausforderung. Einerseits will man mit dem Verzicht auf Einkommenssteuern ein günstiges Umfeld für die Privatwirtschaft und Investitionen aus dem Ausland schaffen, andererseits würde der vollständige Ersatz des Erdölgeschäfts durch andere Wirtschaftszweige zu erheblichen Einbußen im Staatshaushalt führen: Von jedem Dollar an Einnahmen aus Öl und Gas fließen durchschnittlich 80 Cent in den Staatshaushalt der GCC-Länder. Von einem Dollar BIP aus anderen Wirtschaftszweigen bleiben hingegen derzeit nur rund zehn Cent an Staatseinnahmen.
Öl für Asien: Krisenfeste Abnehmer
Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien haben als erste Staaten der Region erfolgreich ihre Bemühungen verstärkt, mehr Auslandsdirektinvestitionen anzuziehen, indem sie die Beschränkungen für ausländisches Eigentum gelockert und die Mitspracherechte von Investoren gestärkt haben. Die GCC-Länder und die EU waren aufgrund ihrer engen historischen Beziehungen und außenpolitischen Interessen lange Zeit eng verbunden. Noch im Jahr 2018 waren die GCC-Staaten der sechstgrößte Exportmarkt der EU, während die EU der zweitgrößte Handelspartner des GCC war. 2020 wurde China wichtigster Handelspartner des GCC, nachdem im Jahr davor mehrere bilaterale Abkommen unterzeichnet worden waren.
Künftig könnten bis zu 90 Prozent der Ölexporte aus dem Nahen Osten nach Asien gehen.
Die GCC-Länder haben ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Asien massiv ausgebaut. Die Regionen ergänzen einander gleich mehrfach: China und Indien sind die am schnellsten wachsenden ölverbrauchenden Nationen der Welt, während der GCC über die größten nachgewiesenen Öl- und Gasvorkommen verfügt – eine stabile Basis für eine langfristige Zusammenarbeit. Beide Regionen verzeichnen ein starkes Wirtschaftswachstum und bieten einander viele Investitionsmöglichkeiten.
Deshalb sind die Handelsbeziehungen zwischen den GCC- und den Staaten Asiens in den letzten Jahren erheblich gewachsen und haben den Handel zwischen dem GCC und den USA und Europa weitgehend ersetzt. Asien ist zum wichtigsten Handelspartner der Golfstaaten geworden und macht fast 60 Prozent von deren Außenhandel aus. Die Nachfrage nach Öl verlagert sich vom Westen weg: Künftig könnten bis zu 90 Prozent der Ölexporte aus dem Nahen Osten nach Asien gehen.
Öl, Gas, Atomkraft – weltweite Energie-Partnerschaften
Neben Rohstoffen und Industrieerzeugnissen haben auch die Investitionsströme für Infrastrukturprojekte zwischen dem GCC und Asien an Dynamik gewonnen. Beispiele dafür sind Kooperationen der China Petroleum & Chemical Corporation (Sinopec) mit Saudi Aramco betreffend die Errichtung eines integrierten Raffinerie- und Petrochemiekomplexes, das Kernkraftwerks-Megaprojekt von Korea Electric Power in den Vereinigten Arabischen Emiraten und die Kooperation mit dem chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei Technologies, der am Golf Kommunikationsnetze aufbaut.
Im Gegenzug investieren GCC-Unternehmen in Asien, darunter Saudi Telecom, Etisalat und Qatar Telecom mit Projekten im malaysischen und indonesischen Telekom-Bereich. Der US-Halbleiter-Hersteller GlobalFoundries, der vom Staatsfonds der VAE Mubadala Investment Co. kontrolliert wird, baut um vier Milliarden Dollar eine Chipfabrik in Singapur, und Unternehmen aus Kuwait und Saudi-Arabien investieren in Raffinerieprojekte in China, Indonesien, Vietnam und Indien.
Zahlen & Fakten
Natürlich besteht auch seitens der EU größtes Interesse, von den ehrgeizigen Liberalisierungsprozessen der GCC-Länder zu profitieren. So nahm etwa das Projekt „EU-GCC Dialogue on Economic Diversification“ im April 2018 seine Arbeit auf, um die Beziehung zwischen der EU und dem Golf-Kooperationsrat zu stärken. In welchen Bereichen die notorisch bürokratische Herangehensweise der Europäer im Wettbewerb mit dem dynamischen Pragmatismus Asiens bestehen kann, wird sich zeigen.
Nachfrage nach Energie bleibt
Saudi-Arabien will bis spätestens 2050 der weltweit größte Exporteur von Wasserstoff werden. Das Land bietet genug Platz für Windparks und Solarkraftwerke, an Wind und Sonne herrscht ohnehin kein Mangel. Also baut man um 4,3 Milliarden Euro die größte Wasserstofffabrik der Welt. Man hofft, in zehn Jahren Wasserstoff zu einem Preis produzieren zu können, der mit dem von fossilen Treibstoffen konkurrieren kann.
Mit Wasserstoff können die Golfstaaten ihre bedeutende Rolle als Energielieferanten festigen.
Nicht nur Saudi Aramco setzt auf erneuerbare Energien, auch Oman und vor allem die VAE planen ehrgeizige Projekte. Der nach dem Herrscher Muhammad bin Raschid Al Maktum benannte Solarpark 50 Kilometer südlich von Dubai ist bereits teilweise in Betrieb und soll im Endausbau nicht nur der weltweit größte Solarpark werden, sondern auch jener mit den niedrigsten Stromgestehungskosten.
Deutschland hat im März umfangreiche Kooperationsvereinbarungen mit den VAE über eine Zusammenarbeit in Produktion und Transport von Wasserstoff geschlossen, berichtet das deutsche „Handelsblatt“: Mit dabei seien Unternehmen wie RWE, Steag, Uniper, Siemens Energy, Lufthansa und Hydrogenious. Die Vereinbarungen betreffen die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette – von der Herstellung über den Transport bis zur Anwendung.
Blauer Wasserstoff, der Klimakiller
Mit der Erzeugung von Wasserstoff könnten die Länder des Golf-Kooperationsrates ihre bedeutende Rolle als Energielieferanten nicht nur bewahren, sondern weiter festigen. Auch die Abraham-Abkommen, die Verträge von Bahrain und den VAE zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel könnten der Golfregion beim Umbau ihrer Volkswirtschaften von Nutzen sein: Sie fördern Investitionen, Handel und Wissenschaft und stärken die geopolitische Position der ganzen Region.
Sonne statt Öl: Kooperation mit Israel
An einem konkreten Projekt zeigt sich die Win-win-Situation besonders deutlich: Masdar Clean Energy, ein Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wird in der jordanischen Wüste ein riesiges Solarkraftwerk bauen, das Strom von Jordanien nach Israel liefert. Bis zum Jahr 2030 soll Israel zwei Prozent seines gesamten Stromverbrauchs von dort beziehen. Im Gegenzug wird Israel doppelt so viel Süßwasser an Jordanien liefern wie bisher. Drei Länder, alle gewinnen.
Die im Augenblick weltweit hohen Ölpreise werden keine unmittelbare Auswirkung auf die Zukunftspläne der Staaten des Golf-Kooperationsrates haben. Die höheren Einnahmen stopfen zunächst einmal die Löcher der jeweiligen Staatsfonds. Ob und wie die einzelnen Länder die Gewinne bei einem anhaltenden Aufwärtstrend in andere Projekte investieren, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation.
Conclusio
Trotz des Reichtums der Golfregion ist es eine enorme wirtschaftliche und politische Herausforderung, die Volkswirtschaften aus ihrer Abhängigkeit vom Öl- und Gasgeschäft zu führen und gleichzeitig die Staatshaushalte generationengerecht zu stabilisieren. Aber der Golf-Kooperationsrat hat den Handlungsbedarf erkannt und erste Schritte in die richtige Richtung gesetzt: Die Transformation kann gelingen – zumal die größten Ölreserven der Welt die Basis dafür bilden. Diese werden noch länger wichtig bleiben und vor allem den Handel mit Asien stärken. Besonders ambitioniert – und von Interesse für den Westen – sind die Initiativen im Bereich der erneuerbaren Energien. Mit Wasserstoff und Solarkraft haben die öl- und gasexportierenden Länder vom Golf die Chance, ihre Position als Energielieferanten sogar noch zu festigen.