Blauer Wasserstoff, der Klimakiller

Ist Wasserstoff aus Erdgas gut für das Klima, wenn man das entstehende CO2 speichert? Leider nein, das zeigt eine Studie. Ein Interview mit ihrem Autor, dem Biogeochemiker Robert Howarth.

Blauer Wasserstoff: Foto eines brennenden unterseeischen Erdgasfeldes.
Brand bei der Erdgasgewinnung in Thailand. Das bei der Nutzung von Erdgas austretende Methan ist der klimaschädlichste Aspekt des blauen Wasserstoffs. © Getty Images

Kann man wirklich klimaneutral Wasserstoff aus Erdgas gewinnen, wenn man das dabei entstehende CO2 unterirdisch speichert? Der Biogeochemiker und Ökologe Robert Howarth von der Cornell University hat im letzten Jahr gemeinsam mit dem Energietechnik-Ingenieur Mark Z. Jacobson von der Stanford University diese These widerlegt: In ihrer Studie „How green is blue Hydrogen?“ kommen sie zu dem Ergebnis, dass der so genannte blaue Wasserstoff letztlich einen um 20 Prozent größeren Treibhausgas-Fußabdruck hinterlässt, als würde man das Erdgas oder sogar Kohle direkt verbrennen. Einer der Gründe ist das Erdgas selbst, das Methan.

Wenn man das bei der Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas entstehende Kohlenstoffdioxid abscheidet und speichert, also so genanntes Carbon Capture and Storage (CCS) nutzt, müsste das doch weniger schädlich sein, als würde man das Erdgas an Ort und Stelle verbrennen. Sie kommen in Ihrer Studie aber zu einem ganz anderen Schluss. Sie sagen, der Treibhausgas-Fußabdruck von diesem blauen Wasserstoff sei sogar um zwanzig Prozent größer. Wie geht das denn?

Robert Howarth: Es liegt zum einen daran, dass die Dampfreformierung von Methan, das ist der Hauptbestandteil von Erdgas, an deren Ende das Methan zu Wasserstoff und Kohlendioxid umgewandelt ist, sehr viel Energie braucht. Diese Energie für den extrem hohen Druck und die hohe Hitze stammt aus der Verbrennung von Erdgas. Das Erdgas ist also nicht nur das Ausgangsmaterial für den Prozess, sondern auch seine Energiequelle. Somit wird gleich zweimal CO2 produziert: Einmal als Nebenprodukt der Wasserstoff-Herstellung selbst und einmal durch die Prozess-Energie. Es kommen aber noch ein drittes Mal CO2-Emissionen hinzu, denn auch die CO2-Abscheidung braucht Energie und setzt CO2 frei. Am Ende haben wir zunächst geringfügig weniger CO2-Emissionen als ohne Abscheidung und Speicherung. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Der andere Teil der Geschichte ist, dass wir überhaupt Erdgas als Ausgangsmaterial einsetzen. Man kann Erdgas nicht nutzen, ohne dass enorme Mengen Methan freigesetzt werden. Ob an den Bohrlöchern, den Pipelines oder den Lagerstätten: Weltweit entweichen rund 3,5 Prozent des Erdgases ungenutzt in die Atmosphäre. Methan ist als Treibhausgas mehr als 100-mal so stark wie Kohlendioxid. Berücksichtigt man also auch diese Emissionen, sind die Gesamtemissionen von blauem Wasserstoff wesentlich größer, als wenn man Erdgas direkt nutzt. Um die gleiche Energiemenge zu erhalten, müsste man einfach Erdgas, Kohle oder Öl verbrennen, das würde weniger Emissionen verursachen.

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Und wenn man für blauen Wasserstoff die CCS-Technologien verbessern würde und es gelänge, die Leckage von Methan zu reduzieren?

Wir haben für unsere Berechnung Sensitivitätsanalysen durchgeführt, um die Annahmen zu testen. Wir haben zum Beispiel angenommen, dass 90 Prozent des CO2 erfolgreich abgeschieden und gespeichert werden kann, obwohl die maximale Rate der weltweit zwei Anlagen, die kommerziell blauen Wasserstoff herstellen, bei 85 Prozent liegt. Wir sind von einer Methan-Leckagerate von nur 1,5 Prozent ausgegangen und haben den ganzen Prozess auf einhundert Jahre gestreckt. Dennoch schneidet der blaue Wasserstoff schlechter ab, als die Verbrennung von Erdgas. In der Realität würde der blaue Wasserstoff also noch schlechter abschneiden. Das liegt auch daran, dass die Öl- und Gasindustrie bisher keine Erfahrung mit der langfristigen Abscheidung von CO2 hat. Man weiß nicht, ob man es langfristig an den Förderstellen im Untergrund speichern kann. Das Verfahren ist ja auch eigentlich dazu entwickelt worden, die Ölförderung zu verbessern und nicht, um CO2 zu speichern. Was in den Untergrund injiziert wird, steigt meist sofort wieder auf. Diesen Umstand haben wir bei unseren Berechnungen aber noch Außen vor gelassen und so getan, als würde CCS bereits langfristig funktionieren. So haben wir auch nicht die Emissionen einbezogen, die ein Transport zu geeigneten Lagerstätten brauchen würde.

Sie haben die Reduktion von Methan-Emissionen einmal als einen besonders effektiven Weg beschrieben, die Erderwärmung zu begrenzen. Könnte blauer Wasserstoff eine positive Rolle für das Klima spielen, wenn es gelänge, auch Methan abzuscheiden?

Es besteht wenig Aussicht, den Anteil der Emissionen von Methan auf unter zwei Prozent zu senken, was für das Klima immer noch problematisch ist, weil Leckagen oder besser gesagt, das Entweichen von Methan, bei der Erdgasnutzung unvermeidlich sind. Damit haben Sie überall im System Methanquellen. Nehmen wir an, es gelingt, bei den Bohrungen weniger entweichen zu lassen als jetzt: Das Erdgas muss immer noch auf den Markt und zwar über ein Hochdruck-Pipelinesystem. Damit sind unausweichlich Methan-Emissionen verbunden, denn solche Pipelines müssen gewartet werden. Da man nicht an einer Pipeline schweißen kann, die mit Erdgas gefüllt ist, müssen Sie sie zuerst leeren. Überall auf der Welt wird Methan also in die Atmosphäre entlassen, sobald eine Pipeline gewartet wird. Technologien es abzuscheiden und wieder zu lagern, gibt es bisher nicht.

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Zahlen & Fakten

Wasserstoff: Foto einer Produktionsanlage in Spanien.
Puertollano, Spanien: Hier entsteht Europas größte Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff. © Getty Images

Schwarzer, grauer, blauer, grüner Wasserstoff: Eine Typologie des H2

  • Schwarzer und grauer Wasserstoff: Bei schwarzem Wasserstoff ist Kohle das Ausgangsmaterial (und der Brennstoff für den Prozess); bei grauem Wasserstoff ist es Erdgas. 96 Prozent des in Nordamerika und Europa hergestellten kommerziellen Wasserstoffs stammen aus Erdgas. Werden fossile Quellen genutzt, gelangen je Tonne Wasserstoff mindestens zehn Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Die gängigsten Verfahren, um aus Kohle oder Gas Wasserstoff zu machen sind Kohlevergasung und Dampfreformierung.
  • Blauer Wasserstoff: Auch dieser nutzt eine fossile Quelle, Erdgas, als Ausgangsmaterial und Brennstoff für den Prozess. Blauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung herstellt. Das Verfahren wird mit Carbon Capture and Storage (CCS) kombiniert: Das heißt, das Kohlenstoffdioxid, CO2, wird abgeschieden und wieder in die Förderstätten verpresst.
  • Grüner Wasserstoff: Dieser Wasserstoff wird durch Wasserspaltung gewonnen. Das Ausgangsmaterial ist Wasser, das mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Der Strom für den Prozess stammt aus Quellen, die erneuerbare Energie liefern, etwa Photovoltaik oder Windkraft.
  • Biowasserstoff: Dieser Wasserstoff hat bisher keine eigene Farbbezeichnung bekommen. Als Ausgangsmaterial dient Biomasse. Deren Kohlehydrate werden wie bei schwarzem und grauem Wasserstoff mittels Dampfreformierung unter anderem zu Methan und schließlich zu Wasserstoff umgewandelt. Auch mittels Fermentation lässt sich Wasserstoff aus Biomasse erzeugen.

Könnte blauer Wasserstoff eine Art Brückentechnologie für grünen Wasserstoff sein, eine Art Übergangslösung zugunsten des Klimas?

Die Frage, ob blauer Wasserstoff eine Übergangsrolle spielen könnte, führt unweigerlich zur Frage, welche Rolle Wasserstoff überhaupt für die Energieversorgung der Zukunft spielen sollte. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wirklich grüner Wasserstoff ein Wasserstoff ist, der durch Elektrolyse von Wasser unter Einsatz von ausschließlich erneuerbarer Energie gewonnen wird. Diese Verfahren sind teuer, insofern ist der Wunsch nach Brückentechnologien verständlich. Die Emissionen von blauem Wasserstoff sind allerdings zu hoch, um diese Rolle zu spielen. Könnte dann grüner Wasserstoff helfen, fossile Energieträger allmählich zu ersetzen? Nehmen wir das Erdgas: Man kann dem Erdgas in den bestehenden Pipelines maximal 30 Prozent Wasserstoff beimischen, weil Wasserstoff korrosiv ist. Diese Form der Übergangslösung ist also keine Lösung: Es ist immer noch Erdgas, nur mit einer geringeren Energiedichte. Da man die Endgeräte aus diesem Grund auch austauschen müsste, damit sie das Gemisch verarbeiten können, handelt es sich auch nicht um eine kurzfristige Lösung. Ebenso wenig Sinn macht es, grünen Wasserstoff zu verbrennen, um daraus Strom zu gewinnen – man hat ihn ja zuvor erst mittels Elektrolyse, also Strom, erzeugt. Aufgrund seiner geringen Energiedichte fällt er somit auch für die Elektromobilität aus. Batteriebetriebene Elektromotoren haben aufgrund ihrer enormen Wirkungsgrade immer eine bessere Bilanz, auch wenn der Strom aus fossilen Quellen stammt. Wir können flüssigen grünen Wasserstoff auch nicht als Treibstoff für Flugzeuge einsetzen, weil man die entsprechenden Mengen nicht in den Flügeln – wo jetzt das Kerosin lagert – transportieren kann, außerdem gibt es alternative Treibstoffe, die bessere Wirkungsgrade haben. Für das Beheizen von Gebäuden und Warmwasser ist wiederum Erdwärme wesentlich effizienter als Wasserstoff und vollkommen klimaneutral, wenn der Strom für die Wärmepumpen aus erneuerbaren Quellen kommt.

Wasserstoff löst also unser Klimaproblem nicht?

Formulieren wir es so: Es ist noch nicht bewiesen, dass wir Wasserstoff brauchen, um die fossilen Energieträger zu ersetzen oder dass er – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die beste Alternative ist. Eine Ausnahme ist zum Beispiel die Stahlerzeugung. Um die hohen Temperaturen zu erreichen, wird derzeit Kokskohle verbrannt, eine enorme Umweltbelastung. Ein schwedisches Unternehmen hat ein Stahlherstellungsverfahren entwickelt, bei dem Wasserstoff verwendet wird, allerdings nur eine sehr geringe Menge Wasserstoff. Die hohen Temperaturen für die Stahlproduktion werden mit Hilfe von Strom erzeugt, der Wasserstoff ist nur ein chemischer Reaktor, nicht der primäre Brennstoff. Sinnvoll wäre Wasserstoff möglicherweise auch als Speicher für überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen. An solchen Speichertechniken wird derzeit noch geforscht.

Manche Vorschläge, dem Klimawandel zu begegnen, sind mit massiven Eingriffen in die Natur verbunden. Muss man Natur opfern, um das Klima zu retten?

Die Auswirkungen des Klimawandels auf natürliche Ökosysteme sind enorm, und ihr Verlust ist eine der größten Bedrohungen des Klimawandels. Es ist also kein Entweder-Oder. Ich denke, wir müssen unsere Energie zur Gänze auf erneuerbaren Strom umstellen und dies auf die umweltfreundlichste Art und Weise tun. Es wird einige Kollateralschäden geben, aber ich denke, sie sind immer noch weitaus geringer als die Schäden, die wir von fossilen Brennstoffen kennen.

Blauer Wasserstoff: Foto von Robert Howarth, Professor an der Cornell University
Robert Howarth ist Biogeochemiker und Ökologe. Er forscht und lehrt als Professor an der Cornell University. © privat