Warum wir den Panda retten wollen

Wir befinden uns mitten im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte. Wenn wir den Verlust der Artenvielfalt nicht bremsen, verlieren wir unsere eigenen Lebensgrundlagen.

Zeichnung eines Pandas, der vor einer Sanduhr hockt, die fast abgelaufen ist. Der Panda scheint sich aufzulösen. In dem Beitrag zu dem Bild geht es um den Verlust an Tierarten, insbesondere an Wildtieren.
Die Zeit läuft ab: Nur noch vier Prozent der Säugetiere dieser Erde sind Wildtiere. © Marzio Mariani
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Auf den Punkt gebracht

  • Großes Sterben. Derzeit sterben Arten mindestens zehn bis 100 Mal schneller als in den letzten zehn Millionen Jahren.
  • Wir brauchen Natur. Allein 75 Prozent der Kulturpflanzen sind von tierischen Bestäubern abhängig – ohne Insekten keine Lebensmittel.
  • Warum der Panda? Menschen spenden für Spezies, die ihnen nahe sind, etwa Pandas, aber auch Tiger oder Fischotter.
  • Flaggschiff-Spezies. Die Idee dahinter: Mit diesen Spezies werden auch alle anderen gerettet, die in diesem Lebensraum leben.

Sollten wir die Großen Pandas retten? Oder sind die pummeligen Fellknäuel nicht längst überfällig? Ohne uns Menschen, die sie seit den 1960ern mehr oder weniger künstlich am Leben erhalten, wären die schwarz-weißen Bambuszuzler doch nur ein weiteres Relikt der roten Liste, wie Beutelwolf, Wandertaube, Dodo oder Auerochse. Warum bemühen sich Umweltschutzorganisationen wie der WWF also ausgerechnet um die Großen Pandas?

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Die Antwort auf diese Frage führt uns drei Dinge vor Augen: Erstens, wie sehr der Mensch die Erde bereits verändert hat. Zweitens, wie viel Natur bereits verschwunden ist. Und drittens, dass es nie „nur“ darum geht, eine einzelne Art zu retten.

Artensterben im Rekordtempo

Dass eine einzelne Spezies über Leben und Sterben anderer Arten bestimmen kann, ist ein Phänomen des Anthropozäns: Seit Homo sapiens zur dominierenden Art des Planeten aufgestiegen ist – und besonders seit er mit der Industriellen Revolution seine Vorherrschaft einzementiert hat – verdrängt, unterwirft oder frisst der Mensch andere Tiere im Rekordtempo. Schätzungen zufolge schreitet das globale Artensterben derzeit mindestens 10- bis 100-mal schneller voran als in den letzten zehn Millionen Jahren. 

Foto einer Gruppe von Eisbären auf einer Müllhalde. Das Bild soll zeigen, was Aussterben für einzelne Wildtierarten wie Panda und Polarbär bedeutet.
Eisbären in Russland. Weil das Meereis verschwindet, hungern viele Eisbären. Die Bären sind eigentlich Einzelgänger. © Getty Images

Als größte Bedrohung für die Biodiversität gilt die Veränderung der Lebensräume. Damit kann sowohl die völlige Zerstörung eines Habitats gemeint sein, als auch dessen Zerschneidung oder ein Qualitätsverlust, etwa durch Bebauung, nicht nachhaltige Landwirtschaft, Abholzung oder Ähnliches. Bis heute hat der Mensch 75 Prozent der eisfreien Landoberfläche signifikant verändert. Zwei Drittel der Meeresgebiete setzen wir mehrfachen Belastungen aus, die sich teilweise noch gegenseitig verstärken.

Insofern ist es keineswegs erstaunlich, dass sich von den schätzungsweise acht Millionen Spezies auf der Erde derzeit mindestens eine Million in unmittelbar kritischem Zustand befinden. Tendenz: stark steigend, denn unser Hunger nach Land und Ressourcen begräbt fruchtbare Böden immer schneller unter Straßen, Häusern und Einkaufszentren, legt Moore und Bäche für Skipisten und Speicherseen trocken, opfert wichtige Lebensräume dem Anbau von Futtermitteln, Biotreibstoffen oder Palmölplantagen.

Nutztiere statt Wildtiere

Dabei ist die Veränderung der Lebensräume nur einer von mehreren Faktoren, die die Biodiversität unter Druck setzen. Auch die Übernutzung wildlebender Populationen, etwa durch Jagd, Wilderei oder Überfischung, trägt zum Verlust der Artenvielfalt bei, genauso wie die Klimakrise, Umweltverschmutzung und invasive Spezies oder Krankheiten.

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Zahlen & Fakten

Das ist allerdings nur der eine, immerhin noch einigermaßen bekannte Teil des Problems. Wesentlich weniger im öffentlichen Bewusstsein verankert als der rapide Rückgang der Artenzahlen ist die Abnahme ihrer Bestände und Biomasse – oder vereinfacht ausgedrückt: der Gewichtsverlust der Natur. Alleine die untersuchten Wirbeltierbestände sind seit 1970 im Schnitt um 68 Prozent zurückgegangen. Dadurch verarmt die genetische Diversität der Bestände und die Arten sind weniger resilient gegenüber veränderten Umweltbedingungen – was in Zeiten der Klimakrise besonders gefährlich ist und als Vorstufe zum tatsächlichen Aussterben einer Art gesehen werden kann.

Schweine, Kühe und andere Nutztiere stellen 60 Prozent der Biomasse der Säugetiere, der Mensch weitere 36 Prozent.

Während die Zahl der Wildtiere stetig abnimmt, steigt die Zahl der Nutztiere stark an. Heute entfallen etwa bei den Vögeln rund 70 Prozent der Biomasse auf vom Menschen gezüchtetes Geflügel, wie Hühner oder Truthähne, während Wildvögel nur noch 30 Prozent ausmachen. Ein noch drastischeres Bild zeichnet sich bei den Säugetieren ab: Schweine, Kühe und andere Nutztiere stellen 60 Prozent ihrer Biomasse, der Mensch weitere 36 Prozent. Der Rest, magere vier Prozent, verteilt sich auf wildlebende Säugetiere. In Summe „wiegt“ allein die Menschheit im 21. Jahrhundert neunmal so viel wie alle Wale, Pandas, Gnus, Zebras, Elefanten, Mäuse, Ratten, Tiger, Wölfe, Kängurus, Wildschweine, Schnabeltiere, Rehe, Steinböcke, Bisons und so weiter zusammengenommen.

Was hat die Natur je für uns getan?

Biologinnen und Biologen sehen den Rückgang der Tierbestände als Vorstufe zum Aussterben und als Zeichen dafür, wie wenig Platz wir der Natur noch lassen – ein Umstand, der uns immer schneller auf den Kopf zu fallen droht. Momentan mag sich das Artensterben noch sehr weit weg anfühlen und höchstens kuriose Bilder produzieren, wenn etwa Hilfskräfte auf Obstplantagen Blüten mit übergroßen Wattestäbchen bestäuben müssen, weil es nicht mehr genug oder keine geeigneten Insekten dafür gibt.

Weiten sich Artensterben und Biomasseverlust jedoch weiterhin so rasant aus wie bisher, drohen ernsthafte Konsequenzen: Weltweit hängen rund 75 Prozent der Kulturpflanzen von tierischen Bestäubern ab, hauptsächlich von Insekten – eine Menge, die unmöglich durch menschliche Hilfskräfte ersetzt werden und niemals so effektiv sein kann. Ohne tierische Bestäubung wird es also irgendwann keine Zwiebeln, Gurken, Kürbisse, Äpfel oder Birnen mehr geben.

Zwei Rehe und eine kleine Katze stehen im Müll bei einem Maschendrahtzaun und essen aus einer Plastiktüte. Das Bild zeigt die Problematik des Verlusts an Wildtieren. In dem Beitrag geht es darum, warum Arten wie der Panda geschützt werden, aber zugleich Lebensraum von Millionen anderen Tierarten vernichtet wird.
Eine Katze und Rehe in Thailand. © Getty Images

Die Bestäubung von Nutzpflanzen ist nur eines von vielen Beispielen sogenannter Ökosystemdienstleistungen. Der eher sperrige Begriff steht für die Vorteile, die eine intakte Natur dem Menschen bringt, allen voran unsere Nahrung, sauberes Wasser und saubere Luft. Das allein sollte eigentlich schon als Argument für die Bewahrung gesunder Ökosysteme reichen. Doch die Liste ist wesentlich länger: So stammen zum Beispiel 70 Prozent aller Krebsmedikamente aus der Natur oder wurden von ihr inspiriert.

Vier Milliarden Menschen beziehen ihre Arzneien direkt aus der Natur. Gesunde Ökosysteme schützen Böden vor Erosion, mildern Stürme und Sturmfluten ab und beugen Hochwässern und der Übertragung von Zoonosen wie Covid-19 vor, die durch den beschleunigten Lebensraumverlust und die Übernutzung von Wildtieren immer öfter von Tieren auf den Menschen überzuspringen drohen – ganz zu schweigen von ihrer Bedeutung im Kampf gegen die Klimakrise.

Insgesamt beläuft sich der wirtschaftliche Nutzen von Ökosystemdienstleistungen auf rund 170 bis 190 Billionen (ja, mit einem B) US-Dollar pro Jahr. Das entspricht in etwa dem Bruttosozialprodukt der Erde – mal zwei.

Und wo kommt der Panda ins Spiel?

Beim Artenschutz geht es um viel mehr als nur um den Schutz einer einzigen Art. Ikonische Tiere wie Wölfe, Wale oder auch Pandas sind sogenannte Flaggschiff-Spezies. Darunter versteht man Arten, die symbolisch für ganze Ökosysteme stehen. Denn wer eine Spezies effektiv schützen will, muss auch ihren Lebensraum schützen – und schützt damit gleichzeitig andere Tiere und Pflanzen, die darin leben. Die Großen Pandas etwa sind auf die Bambuswälder in den Bergen Zentralchinas angewiesen, ebenso wie eine bunte Palette anderer Arten, wie zum Beispiel Rote Pandas, blaue Zwergschafe, Goldstumpfnasenaffen oder Silberfasane.

Nebenbei tragen die Pandas auch zum Fortbestand der Wälder bei, indem sie die Samen der Pflanzen verbreiten und die Vegetation wachsen lassen. Abgesehen davon sind die Berge des Pandas wichtige Wassereinzugsgebiete des Jangtse und des Gelben Flusses, die das wirtschaftliche Herz Chinas bilden und in denen Hunderte Millionen Menschen leben.

Foto von toten Vögeln, die aufgereiht daliegen.
Einige wenige von Millionen Vögeln, die jährlich bei der Migration sterben, weil sie gegen Glasscheiben fliegen. © Getty Images

Auch beim Schutz der Wale geht es um mehr, als um die großen Meeressäuger: Sie tragen auf ihren langen Wanderungen durch die Ozeane Nährstoffe aus tieferen Wasserschichten in höhere Bereiche und schaffen so eine wichtige Nahrungsgrundlage für Phytoplankton. Die winzigen einzelligen Pflanzen speichern bis zu 40 Prozent des jährlich weltweit ausgestoßenen CO2 und dienen zudem vielen anderen Spezies als Grundnahrungsmittel – die wiederum die Nahrungsgrundlage für Milliarden Menschen bilden.

Vom kleinen Käfer bis zum Großen Panda

Wir brauchen die Flagschiff-Arten also einerseits, um alle anderen Arten rundherum schützen zu können. Wir brauchen sie aber auch, um überhaupt ein Bewusstsein für die Biodiversitätskrise zu schaffen. Pandas, Tiger oder Fischotter sind den meisten Menschen näher als zum Beispiel Würmer oder Insekten (Bienen und Hummeln einmal ausgenommen) – auch wenn sie für die Gesundheit der Ökosysteme ebenso wichtig sind. Denn Naturschutz funktioniert dann am besten, wenn ihn möglichst viele Menschen einfordern und mittragen. Dafür bieten Seeadler, Hamster und Co. wichtige Identifikationsfiguren.

Der Verlust von Biodiversität bedroht die komplexen und inzwischen oft filigranen Zusammenhänge von Strukturen und Prozessen innerhalb der Ökosysteme bereits so stark, dass uns die ersten Ausläufer der Krise bereits erreichen. Die bisherige Reaktion darauf steht in keinerlei Verhältnis zur Dringlichkeit des Problems. Wenn wir selbst überleben wollen, müssen wir retten, was zu retten ist. Vom kleinen Käfer bis zum Großen Panda.

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Conclusio

Das Artensterben schreitet in einem zuvor unbekannten Tempo voran. Um es aufzuhalten, arbeiten Naturschutzorganisationen wie der WWF mit dem Konzept der Flaggschiff-Spezies: Der Große Panda oder Tiger erreichen viele Menschen und können leichter für Biodiversität und Artenvielfalt sensibilisieren. Indem diese Tierarten auch mehr Spendengelder lukrieren können, sind die finanziellen Mittel da, um die Ökosysteme von Panda, Tiger & Co. zu schützen sowie die Lebensräume vieler anderer Tierarten.

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