Taiwan wählt den Schwebezustand
Taiwan will, dass alles einstweilen so bleibt, wie es ist – weder unabhängig sein, noch zu China gehören. Dafür gibt es gute Gründe und die betreffen auch den Westen, sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik.
Es sei eine schwierige Wahl gewesen, sagt die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik und meint dabei nicht nur die Entscheidung für einen Kandidaten, sondern die Tatsache, dass in Taiwan jede politische Willensbekundung einem diplomatischen Drahtseilakt gleichkommt. Und nicht nur das: Auch die Wirtschaft Taiwans ist von China abhängig – ebenso aber von der Nachfrage aus den USA.
Der Podcast
Die technologische Vorherrschaft Taiwans bei den Mikrochips beruht auch darauf, das China 80 Prozent der Mikrochips kauft. Darauf kann Taiwan nicht verzichten.
Nach den Jahren der Pandemie strauchelt auch die Wirtschaft Taiwans und so spielten bei den Wahlen in Taiwan am 13. Januar 2024 vor allem die Immobilienpreise, die Mieten und die Inflation eine große Rolle. Die stetig präsente militärische Drohung Chinas und die Geopolitik seien wenig thematisiert worden, sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik in ihrer Analyse.
Der neue Präsident Taiwans ist der alte Vizepräsident, Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei – DPP, der 40 Prozent der Stimmen erhielt. Hou Yu-ih, Kandidat der Kuomintang-Partei erhielt 33,4 Prozent und der Bürgermeister von Taipeh, Ko wen-je, erhielt als Newcomer der Volkspartei (TPP) 26 Prozent. Das sei ein diplomatisches Votum für den Status quo, meint Weigelin-Schwiedrzik. „Die Wähler möchten weder eine starke Ausrichtung hin zu den USA, noch zu China, sondern eher diesen ambivalenten Zustand aufrechterhalten.“
Vor allem aber wollen die Taiwanesen ihre Demokratie bewahren. Die neu angetretene Volkspartei wurde hauptsächlich von jungen Menschen gewählt, Zweidrittel der 18 bis 25jährigen gaben dem Bürgermeister von Taipeh, Ko wen-je, ihre Stimme.
Sehr viel reisen wird der neue Präsident Taiwans nicht: Nur elf Staaten haben Taiwan anerkannt und unterhalten diplomatische Beziehungen zu dem Land. Für den ganzen Rest der Welt gilt die Ein-China-Politik, und das eine China ist die Volksrepublik.
Über Susanne Weigelin-Schwiedrzik
Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist Sinologin. Von ihrer Professur für Moderne Sinologie an der Universität Heidelberg (1989 bis 2002) wurde sie 2002 an die Universität Wien berufen, wo sie bis 2020 als Professorin am Institut für Ostasienwissenschaften tätig war. Seit 2012 ist sie korrespondierendes Mitglied in der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrer Forschung hat sie sich insbesondere mit der chinesischen Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischer chinesischen Diskursen über historische Ereignisse wie die große Chinesische Hungersnot und die Kulturrevolution auseinandergesetzt. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihr im Brandstätter Verlag das Buch „China und die Neuordnung der Welt“. Weigelin-Schwiedrzik schreibt als Autorin für den Pragmaticus.
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