Teenager als Terroristen
Extremistische Ideologien erreichen selbst die jüngsten und verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft. Teenagerterrorismus ist eine alarmierende Entwicklung.

Noch vor zehn Jahren hätte es wie Science-Fiction geklungen: Ein 15-jähriger Teenager aus Brandenburg und ein 19-jähriger aus Wien treffen sich im Internet. Der 15-Jährige lockt den 19-Jährigen in einen privaten Chat, radikalisiert ihn und drängt ihn zu Anschlägen. Schließlich kommt der 19-Jährige auf die Idee, eines der drei geplanten Konzerte der Popsängerin Taylor Swift im August 2024 in Wien anzugreifen, und rekrutiert einen 17-jährigen Komplizen. Über Wochen planen die beiden den Angriff und stehen kurz vor der Durchführung.
Tatsächlich waren von den etwa 60 dschihadistischen Terrorverdächtigen, die in den letzten elf Monaten in Westeuropa verhaftet wurden, fast zwei Drittel zwischen 13 und 19 Jahre alt. Bei nahezu allen gab es deutliche Hinweise, dass ihre Radikalisierung hauptsächlich oder sogar ausschließlich online stattfand.
Hier gibt es ganz offenbar einen besonderen Einfluss der Heimat, also von Ländern in islamischen Kulturkreisen, die längst die Möglichkeiten der Beeinflussung erkannt haben und „radikale Verlierer“ im Westen dazu auffordern, „loszuschlagen“. Im Fall des geplanten Konzertanschlags spielte ein Berliner Hassprediger eine besondere Rolle, der über TikTok wirkte.
Wir müssen wohl oder übel feststellen: Was vor zehn Jahren noch Ausnahme war, ist heute zur Regel geworden. In Frankreich wurde etwa im November ein 16-jähriger Tschetschene festgenommen, der einen Anschlag plante. Ein 17-Jähriger begab sich am 11. September 2023 im Namen des Islamischen Staats (IS) zum Wiener Hauptbahnhof, um am Bahnhofsgelände auf Passanten einzustechen. Am 22. Juli 2016 ermordete der 18-jährige Deutsch-Iraner David Sonboly im McDonald’s am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen mit Migrationshintergrund – ganz gezielt gewählt. Er plante die Taten sorgfältig, agierte aus rassistischen Gründen und vernetzte sich auf der Spielplattform „Steam“ mit Gleichgesinnten. Einer schlug später in New Mexico in den USA zu.
Ideologie als Droge
Es gibt einige interessante Parallelen zwischen der Radikalisierung von Christiane F. in Wir Kinder vom Bahnhof Zoo in Berlin, 1978 durch Stern-Journalisten herausgebracht, und der heutigen politischen Radikalisierung von Jugendlichen. Auch wenn die genauen Umstände und Ideologien unterschiedlich sind, basieren beide Arten der Radikalisierung auf ähnlichen psychologischen, sozialen und emotionalen Mustern.
Jugendliche, die sich isoliert fühlen, finden oft in extremistischen Gruppen eine neue Identität und Zugehörigkeit.
In Wir Kinder vom Bahnhof Zoo beschreibt Christiane F. ihre Suche nach Zugehörigkeit und Identität, die sie letztlich in die Drogenszene führte. Jugendliche, die sich in ihrer normalen Umgebung nicht verstanden oder integriert fühlen, suchen oft nach Alternativen, in denen sie sich angenommen fühlen. Hier lässt sich die Brücke zur politischen Radikalisierung von heute schlagen: Jugendliche, die sich isoliert oder marginalisiert fühlen, finden oft in extremistischen Gruppen eine neue Identität und Zugehörigkeit. Dies kann in politischen, religiösen oder ideologischen Bewegungen geschehen, die klare Richtlinien und eine starke Gruppendynamik bieten.
Die Drogensucht war für Christiane F. eine Art Flucht vor familiären Problemen, sozialem Druck und innerer Leere. Sie suchte nach einem Ausweg aus einem schwierigen Umfeld, das sie emotional und psychologisch überforderte. Auch heute suchen viele radikalisierte Jugendliche nach einem Weg, um mit persönlichen Krisen umzugehen, sei es durch familiäre Instabilität, Armut, Diskriminierung oder andere Belastungen. Extremistische Ideologien bieten scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme und versprechen eine Form von Kontrolle und Macht in einem ansonsten als chaotisch empfundenen Leben.
Das Phänomen Teenagerterrorismus
Teenagerterrorismus ist ein spezifischer Aspekt des Terrorismus, bei dem junge Menschen, häufig im Teenageralter, radikalisiert werden und entweder direkt an terroristischen Aktivitäten teilnehmen oder als Unterstützer agieren. Schon der Begriff verdeutlicht, dass Radikalisierung und Extremismus auch Jugendliche betreffen, die oft durch Online-Propaganda, soziale Isolation oder Identitätskrisen in die Spirale des Terrors gezogen werden.
Dieses Phänomen ist nicht neu, hat aber durch die Entwicklungen im digitalen Raum, insbesondere die Nutzung sozialer Medien, in den letzten Jahren zugenommen. Jugendliche sind offen für terroristische Gewalt, wenn sie sich ausgegrenzt, orientierungslos oder ungerecht behandelt fühlen. Extremistische Gruppen nutzen psychologische, soziale und digitale Mechanismen, um diese Verwundbarkeit auszunutzen.
Jugendliche sind offen für terroristische Gewalt, wenn sie sich ausgegrenzt, orientierungslos oder ungerecht behandelt fühlen.
Prävention und Aufklärung sind entscheidend, um Jugendliche vor der Radikalisierung zu schützen und Alternativen zu bieten, die ihnen Sinn, Gemeinschaft und Orientierung geben. Extremisten nutzen humorvolle oder scheinbar harmlose Memes, um radikale Ideen subtil einzuführen. Jugendliche, die solche Memes teilen, könnten unbewusst in extremistisches Gedankengut eingeführt werden. Das sieht man gerade an der neuen Welle von Antisemitismus, die gar als neue Jugendkultur gelten kann.
TikTok ist mit seinen kurzen, visuell ansprechenden Videos und seinem Algorithmus, der Inhalte personalisiert und schnell viral machen kann, besonders anfällig für die Verbreitung extremistischer Inhalte. Radikale Inhalte wurden oft in Form von „Trends oder Challenges“ verpackt, bei denen Nutzer Aufgaben erfüllten, die subtile oder offene Gewalt verherrlichten.
Prävention
Mit verstärkten Präventionsmaßnahmen, Aufklärung und Deradikalisierungsprogrammen kann man diesem bedrohlichen Phänomen unserer Zeit entgegenwirken. Jugendliche sollten darin geschult werden, radikale Inhalte zu erkennen und kritisch zu hinterfragen. Schulen könnten Workshops zur digitalen Sicherheit und Medienkompetenz anbieten.
Die Rolle von Plattformen wie TikTok und Spielplattformen wie Steam bei der Radikalisierung und dem Teenagerterrorismus ist ein wachsendes Thema in der Forschung und Sicherheitsdebatte. Diese Plattformen bieten gerade im Islamismus extremistischen Akteuren neue Möglichkeiten, junge Menschen gezielt zu erreichen und zu beeinflussen. Australien will Jugendlichen die Nutzung sozialer Medien nur noch ab einem bestimmten Alter erlauben.
„Wir wissen, dass die sozialen Medien gesellschaftlichen Schaden anrichten und die Kinder von echten Freunden und echten Erfahrungen fernhalten“, sagte Ministerpräsident Anthony Albanese im September 2024. Albanien will das dort besonders beliebte TikTok nun für ein Jahr sperren, nachdem ein Streit zwischen Kindern und Jugendlichen tödlich geendet hatte.
Gibt es bald auch ähnliche Maßnahmen bei uns? Schließlich stellen wir ganz neue Herausforderungen für die Terrorismus- und Extremismusforschung in Theorie und Praxis fest, die uns in den nächsten Jahren stark beschäftigen werden.
VERANSTALTUNGSHINWEIS:
Terror im Namen Gottes
Podiumsdiskussion über religiös motivierte Gewalt
WANN: 25. Januar 2025 um 18:30 Uhr
WO: Skylounge der Universität Wien, Oskar-Morgenstern-Platz 1, 1090 Wien
Der Pragmaticus lädt zusammen mit der Universität Wien zu einer Podiumsdiskussion über religiös motivierte Gewalt und Terror in Europa ein. Die Diskussion findet im Rahmen der Internationalen Konferenz zur interdisziplinären Terrorismus- und Extremismusforschung (ICITES) statt, die sich den aktuellen Herausforderungen von Terrorismus und Extremismus mit dem Fokus auf Europa widmet.
Am Podium diskutieren:
Susanne Schröter, Hochschullehrerin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI)
Nicolas Stockhammer, Leiter des Research Cluster „Counter-Terrorism, CVE (Countering Violent Extremism) and Intelligence“ an der Donau-Uni Krems
Hans-Jakob Schindler, Experte für internationalen Terrorismus und Senior Director des Counter Extremism Project (CEP)
Lisa Christiane Fellhofer, Direktorin der Dokumentationsstelle Politischer Islam
Moderation: Thomas Eppinger, Der Pragmaticus
Wir freuen uns, Sie ab 18:30 Uhr bei einem Aperitif begrüßen zu dürfen, bevor es um 19:15 Uhr mit der Podiumsdiskussion weitergeht. Im Anschluss laden wir Sie zum gegenseitigen Austausch und ein Flying Dinner ein.
Eine Anmeldung ist erforderlich. Die Anzahl der Plätze ist limitiert, es gilt first come first serve. Anmeldungen bitte an [email protected]
Das vollständige Programm der ICITES finden Sie auf der Website der Konferenz. Alle Panels sind offen für Publikum.
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