Hilfe, wir haben die Tiere geschrumpft

Manche Elefanten haben größere Ohren als früher, Mäusen wachsen längere Schwänze, und viele Arten wurden kleiner. Es dürfte eine Anpassung an den Klimawandel sein. 

Ein Pennantsittich, eine rot-blaue Papageienart, dessen Anpassung über die Schnabelgröße funktioniert
Der Schnabel der australischen Pennantsittiche ist über die letzten Jahrzehnte gewachsen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Anpassung. Seit jeher passen sich Tiere an ihre Umweltbedingungen an.
  • Klimawandel. Der globale Temperaturanstieg hat bereits jetzt Auswirkungen auf die Tierwelt.
  • Schrumpfung. Viele Warmblütler werden kleiner, bekommen dafür größere Gliedmaßen oder Anhängsel wie Schwänze oder Schnäbel.
  • Geschwindigkeit. Das alles passiert innerhalb weniger Jahrzehnte – für die Evolution ein sehr kurzer Zeitraum.

Von allen Auswirkungen des Klimawandels auf den Planeten wird die Erderwärmung am häufigsten debattiert. Und das aus gutem Grund – die Temperatur spielt schließlich eine grundlegende Rolle für sämtliche Lebewesen und Ökosysteme.

Wie also wirken sich steigende Temperaturen aus? Die Antwort ist, wie viele Dinge in der Natur, sehr vielschichtig. Sie haben vielleicht schon davon gehört, dass Pflanzen früher im Jahr blühen, weil die Winter kürzer ausfallen und es im Frühling schneller warm wird. Vielleicht haben Sie auch schon von Tieren gehört, die sich in Richtung der Pole bewegen, wenn sich das Klima erwärmt und diese Breitengrade zu besseren Lebensräumen werden. Und wahrscheinlich sind Ihnen auch Geschichten über das massenhafte Sterben von Tieren während extremer Hitzewellen nicht entgangen.

Anpassung: Je wärmer, desto kleiner

Doch es gibt noch andere Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora und Fauna. Wie sich immer klarer zeigt, kann die Erderwärmung auch die Größe und Form von Tieren beeinflussen. Meistens werden die Körper kleiner, während Anhängsel wie Ohren und Schwänze wachsen. Aber warum?

Die Aufrechterhaltung einer stabilen Körpertemperatur ist eine Herausforderung, der sich die Endothermen („warmblütige“ Tiere, deren Körper seine Temperatur selbst regelt) stellen müssen. Um die Energiekosten für diese Aufgabe zu minimieren, müssen Endotherme so an ihre Umwelt angepasst sein, dass sie Wärme abgeben, wenn es heiß ist, und gleichzeitig in der Lage sind, Wärme zu speichern, wenn es kalt ist.

Diese Anpassungen zeigen sich in der Größe und Form von Endothermen. Im 19. Jahrhundert fand der deutsche Wissenschaftler Carl Bergmann heraus, dass Tiere in warmen Breitengraden tendenziell kleiner sind. Dies ist als Bergmannsche Regel bekannt geworden und spiegelt nach allgemeiner Auffassung die Eigenschaft kleinerer Volumina wider, mehr Wärme abzuleiten. Bei einem kleineren Volumen ist es für die Wärme leichter, vom Kern zur Peripherie zu gelangen. Das Gleiche gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall: Bei einem großen Volumen lässt sich die Wärme leichter halten.

Was Allen herausfand

Auf einer ähnlichen Grundlage besagt die Allensche Regel (benannt nach dem US-amerikanischen Wissenschaftler Joel Asaph Allen), dass Tiere in wärmeren Gegenden tendenziell längere Gliedmaßen haben. Diese ermöglichen ein anderes Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen. Einfacher ausgedrückt: Die Oberfläche, über die Wärme verlorengehen kann, ist proportional größer. Umgekehrt verringern kleinere Gliedmaßen den Wärmeverlust, was in kalten Klimazonen von Vorteil ist.

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Zahlen & Fakten

Die Allensche Regel

Viele Tiere geben über ihre Anhängsel und Gliedmaßen Wärme ab. Der US-amerikanische Biologe Joel Asaph Allen leitete daraus die Regel ab, dass Tiere in warmen Regionen tendenziell eher größere Gliedmaßen und größere Anhängsel wie Schnäbel oder Ohren haben. Gut zu sehen ist das hier am Vergleich zwischen dem Polarhasen in Kanada und Grönland und dem Eselshasen, der in Mexiko und den südlichen USA lebt.

Ein weißer Polarhase sitzt im Schnee.
Der Polarhase hat im Vergleich zum Eselshasen viel kleinere Ohren. © Getty Images
Ein Hase mit großen Ohren
Der Eselshase gibt über seine Ohren Wärme ab. © Getty Images

Beispiele für die Bergmannsche und die Allensche Regel gibt es bei vielen Säugetieren und Vögeln. So ist beispielsweise ein Eisbär ganz offensichtlich größer als ein Malaienbär, die kleinste Bärenart, die in Südostasien lebt. Umgekehrt hat ein Polarhase kleinere Ohren als ein Wüstenkaninchen, was wiederum der Allenschen Regel entspricht.

Es gibt auch Belege dafür, dass diese Regeln sogar innerhalb einer Art gelten. So haben zum Beispiel die Australischen Austernfischer, eine Vogelart, die im heißen Norden des Kontinents lebt, kleinere Körper und längere Schnäbel als ihre Artgenossen im gemäßigten Süden Australiens.

Ohren als Klimaanlage

Die Regeln von Bergmann und Allen werden noch verstärkt durch eine aktive Rolle, die manche dieser Körperteile haben. Früh entdeckt wurde das an den riesigen Elefantenohren: Sie können Blutgefäße in der Nähe der Hautoberfläche mit heißem Blut fluten, wobei die Wärme passiv an die Umgebung abgegeben wird und das Tier dadurch abkühlt. Seitdem haben Wissenschaftler immer mehr Beispiele für den Wärmeverlust durch oberflächennahe Blutgefäße gefunden. So können beispielsweise Tukane ihre riesigen Schnäbel nutzen, um überschüssige Körperwärme abzugeben, aber auch die vergleichsweise kleinen Schnäbel von Singspatzen eignen sich für diese Aufgabe.

Ein großer Schnabel hilft also bei der Wärmeableitung. Aber große Anhängsel können auch ein Nachteil sein, wenn es kalt wird. Vielleicht haben Sie im Park schon einmal beobachtet, wie Enten bei kaltem Wetter ihre Schnäbel unter das Gefieder stecken. Sie tun das, um keine wertvolle Körperwärme zu verlieren.

Die Rolle von Ohren und Schnäbeln bei der Wärmeabgabe und -speicherung liefert eine physiologische Grundlage für die Allensche Regel. Und sie untermauert die These, dass wir Veränderungen als Reaktion auf den Klimawandel erwarten dürfen. Aber gibt es sie tatsächlich? Und wenn ja, wovon genau hängt deren Ausmaß ab?

Kleine Tiere, große Gliedmaßen: Anpassung an die Hitze

Die Annahme, dass Tiere auf den Klimawandel mit einer Verringerung der Körpergröße und einer Vergrößerung der Anhänge reagieren, wird seit einem Jahrzehnt diskutiert. Immer mehr empirische Daten stützen die These. Bei der Vermessung von Tieren über Jahrzehnte oder sogar über das gesamte vergangene Jahrhundert hinweg stellten Forscher fest, dass viele Tiere tatsächlich kleiner geworden sind, aber größere Anhänge haben. Beides gilt sowohl für Vögel als auch für Säugetiere.

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Zahlen & Fakten

Die Bergmannsche Regel

Je kleiner das Volumen eines Tieres, desto leichter fällt es ihm, Körperwärme abzugeben. Auf der anderen Seite sind große Tiere besser darin, Wärme im -Körper zu speichern. Aufgrund dieser Erkenntnis formulierte der deutsche Biologe Carl Bergmann die Regel, dass Tiere in warmen Gebieten kleiner sind als solche in kalten. Ein Beispiel aus der Natur: Der in Südostasien beheimatete Malaienbär, auch als Sonnenbär bezeichnet, wird gerade einmal 140 Zentimeter groß, während der Eisbär eine Größe von 250 Zentimetern erreichen kann.

Zwei schwarze Malaienbären auf einem Baum.
Der Malaienbär, der in Südostasien lebt, ist die kleinste Bärenart. © Getty Images
Ein Eisbär im Schnee.
Der Eisbär speichert Wärme durch seine Körpergröße. © Getty Images

Die Schrumpfung der Körpergröße scheint eine recht einheitliche Reaktion zu sein, allerdings mit einigen entscheidenden Unterschieden im Ausmaß. So wurde beispielsweise in Studien an Vögeln in Israel eine durchschnittliche Größenabnahme von 18,3 Prozent festgestellt, während die nordamerikanischen Vögel nur um 2,4 Prozent schrumpften. Bei Papageien in Australien wurde eine Zunahme der Schnabelgröße um vier bis zehn Prozent festgestellt, während einige australische Sperlingsvögel ihre Schnabelgröße überhaupt nicht veränderten.

Der Temperaturanstieg im vergangenen Jahrhundert ist ja erst der Beginn eines viel dramatischeren Prozesses.

Auf den ersten Blick mag es nicht überraschen, dass sich die Schnäbel einiger Arten nicht verändern; Form und Größe der Schnäbel sind schließlich eng mit dem verbunden, was ein Vogel frisst – und das kann den Spielraum für Veränderungen der Schnabelgröße einschränken. Dennoch finden sich Beispiele für die Schrumpfung der Körpergröße und die Vergrößerung der Anhänge bei Tieren mit unterschiedlichen Nahrungsquellen, Futtersuchstrategien und anderen ökologischen Merkmalen.

All das zeigt, welch immensen Druck der Klimawandel auf die Tiere ausübt. Der Temperaturanstieg im vergangenen Jahrhundert ist ja erst der Beginn eines viel dramatischeren Prozesses. Es kommt noch schlimmer, wenn weiterhin nicht genug unternommen wird, um den Klimawandel zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Die Alarmglocken müssten längst in voller Lautstärke schrillen. Tiere hatten viele Generationen Zeit, sich an ihr lokales Klima anzupassen, bis wir Menschen dieses lokale Klima verändert haben. Wird die Geschwindigkeit, mit der sich Größe und Form verändern, ausreichen, um in den künftigen Klimaszenarien zu überleben?

Anpassung an den Klimawandel: Wachstum oder Genetik?

Es gibt noch weitere spannende Fragen: Bedeutet das evolutionäre Gesetz vom Überleben des Stärkeren in dem Zusammenhang, dass die kleinsten Individuen mit den größten Anhängseln die Stärksten sein werden? Sind wir Zeugen genetischer Veränderungen, oder treten Schrumpfung und Formveränderung nur im Wachstumsprozess von Jungtieren auf?

Bei der Suche nach Antworten ist sich die wissenschaftliche Gemeinschaft derzeit nicht einig. Als gesichert gilt: Wenn Jungtiere höheren Temperaturen ausgesetzt sind, kann das ihren Wachstumsverlauf ändern, was (in vielen Fällen) zu kleineren Körpern und größeren Anhängseln führt. So entwickelten beispielsweise Mäuse, die bei 21 Grad Celsius aufgezogen wurden, Schwänze und Ohren, die um fünf bis sieben Prozent größer waren als jene von Artgenossen, die bei fünf Grad aufgezogen wurden. Aber sind die steigenden Temperaturen wirklich die einzige Ursache für Schrumpfung und Anhängselwachstum? Schließlich steigen die Temperaturen im Zuge des Klimawandels zwar in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, aber nicht um die in der oben genannten Studie zugrunde gelegten 16 Grad.

Ungeklärte Widersprüche

Die Anpassungen, die sich im letzten Jahrhundert bei verschiedenen Arten in aller Welt vollzogen haben, deuten darauf hin, dass es um mehr geht als nur um unterschiedliche Wachstumsbedingungen. Bisher war es jedoch schwierig festzustellen, ob und wie unterschiedliche Größen und Formen die Überlebenschancen von Tieren beeinflussen. Beispielsweise zeigen Studien immer wieder, dass größere Individuen einen höheren Fortpflanzungserfolg haben, was im Widerspruch zu dem scheinbar einheitlichen Trend steht, dass die Körpergröße als Reaktion auf den Klimawandel abnimmt.

Man kann nicht einfach die Größe und Form eines Lebewesens messen kann, das vor einem Jahrhundert gelebt hat.

Wie es aussieht, reichen weder entwicklungsbedingte Wachstumsunterschiede noch die Mikroevolution, um das Schrumpfen der Körpergröße und die Formveränderungen bei endothermen Tieren zu erklären. Um dieses Rätsel und die Ursachen für die Veränderungen zu entschlüsseln, sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich.

Der Wert der Museen

Die Untersuchung von Veränderungen der Körpergröße und -form von Tieren ist schwierig, weil man nicht einfach die Größe und Form eines Lebewesens messen kann, das vor einem Jahrhundert gelebt hat; jedenfalls geht das nur bis zu einem gewissen Grad. Museumssammlungen sind von unschätzbarem Wert für die Forschung, doch die Vermessung von Museumsexemplaren setzt das Vorhandensein einer vollständigen Zeitreihe voraus – also die kontinuierliche Darstellung von Individuen einer Art im Laufe der Zeit, ohne größere Lücken in ihrer Sammlung. Wenn es solche Lücken gibt, können wir sie nicht nachträglich beheben, und das behindert die Untersuchung.

Eine weitere ergiebige Datenquelle sind Langzeitstudien, bei denen die Tiere über mehrere Jahrzehnte hinweg gefangen gehalten und kontinuierlich vermessen wurden. Anders als bei Museumsexemplaren können die Forscher hier sicher sein, dass sie dieselbe Population beobachten. Das gibt ihnen mehr Sicherheit bei der Bewertung der Auswirkungen von Körpergröße und -form auf das Verhalten, die Fortpflanzung und das Überleben der Tiere. Solche Versuche sind jedoch vergleichsweise selten und schwer zu finanzieren.

Fehlende Geldmittel sind leider grundsätzlich ein Problem. Unsere Fähigkeit, historische und zukünftige Veränderungen von Größe und Form weiter zu erforschen, wird durch den Rückgang der Mittel für Museen und langfristige Überwachungsprojekte ernsthaft beeinträchtigt. Doch auch wenn ökologische, evolutionsbiologische und naturschutzbezogene Forschung nur selten finanzielle Gewinne abwirft, kann der Wert, den sie schafft, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir diese Projekte finanzieren. Nur so können wir herausfinden, wie es den Tieren auf der Erde mit dem Klimawandel ergehen wird.

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Conclusio

Bereits vor 1900 wurden zwei fundamentale ökogeografische Regeln aufgestellt: Tiere in kälteren Gefilden sind tendenziell größer als solche in warmen Regionen. Dafür haben die in warmen Gegenden lebenden Tiere größere Gliedmaßen und Körperanhängsel. Der Grund für beides ist die Notwendigkeit von Endothermen („Warmblütern“), ihre Körpertemperatur zu regulieren. Große Körper speichern Wärme besser, große Gliedmaßen und Anhängsel geben sie besser ab. Der Klimawandel wird nun aller Voraussicht nach dafür sorgen, dass manche Tiere – wenn sie in ihren Klimazonen bleiben – kleiner werden und größere Gliedmaßen und Anhängsel bekommen. Nachgewiesen wurde das unter anderem bei australischen Papageien. Was viele Forscher erstaunt: die sehr kurzen Zeiträume, in denen die Anpassung stattfand.

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