Alte Politik: Müssen Junge alles ausbaden?
Vor zehn Jahren veröffentlichte ich als 23-Jähriger das Buch „So nicht! Anklage einer verlorenen Generation“. Was hat sich im Verhältnis zwischen Jungen und der Politik seither getan? Über überraschende Veränderungen, bedenkliche Konstanten und konkrete Ideen.
Auf den Punkt gebracht
- Fehlende Stimmen. Der Anteil der jungen Wähler sinkt, weniger als ein Fünftel der Wählerschaft in Österreich ist unter 20.
- Jungpolitiker. Der Altersschnitt im Nationalrat sinkt seit Jahren leicht, jede Partei hat prominente Nachwuchspolitiker.
- Generationenkonflikt. Dass junge Wähler wenig Gehör finden, zeigen das niedrige Pensionsantrittsalter und hohe Einkommensunterschiede zwischen Jung und Alt.
- Mitgestaltung. Größere Bürgerbeteiligung in der Politik – unter anderem per Los – könnte den Jungen mehr Mitsprache ermöglichen.
Wir schreiben das Jahr 2013. Im September finden die österreichischen Nationalratswahlen statt. Der Bundeskanzler heißt Werner Faymann, das Land wird seit sechs Jahren von einer Großen Koalition regiert. Im Wahlkampf werben die Piratenpartei, der Milliardär Frank Stronach und eine Truppe namens Neos um den erstmaligen Einzug ins Parlament. Stillstand in der Innenpolitik ist ein viel kritisierter Missstand.
- Bernhard Binder-Hammer über Vorsorge: Der Staat vergisst die Jungen
- Alexander Hagelüken über die Pension: Länger arbeiten sollte kein Tabuthema sein
- Bernhard Heinzlmaier zur Jugendstudie 2023: Die Jungen sind besser als ihr Ruf
- Monika Köppl-Turyna über Kinder statt Karriere: Frauen fehlen im Job
Das alles ist nur zehn Jahre her und doch wirkt es wie eine Rückblende in ein anderes Zeitalter. Heute haben wir einen Krieg mitten in Europa und sind dabei, eine Jahrhundert-Pandemie aufzuarbeiten. Dass es bereits davor innenpolitisch turbulent geworden war und alles andere als eine leichte Aufgabe ist, die Namen der österreichischen Bundeskanzler seit 2013 chronologisch aufzuzählen, scheint fast schon wieder vergessen.
Beim Verhältnis junger Menschen zur Politik offenbaren sich dagegen vertraute Konstanten. Folgender Satz aus dem erwähnten zehn Jahre alten Buch könnte auch von heute stammen: „Die Politik kämpft mit einem Ansehen als im besten Fall notwendiges Übel. Die Bürger flüchten sich in Zorn, Resignation und Sarkasmus.“ Als junger Mensch hatte nicht nur ich damals das Gefühl, die hohe Politik sei vor allem an ihrem eigenen Wohlergehen interessiert. 86 Prozent meinten laut einer Studie des Instituts für Jugendkulturforschung 2015, dass ihre Generation unter den Fehlern der Politik in Zukunft leiden werde. Laut der Pragmaticus-Jugendstudie 2023 sagen zwei von drei Jugendlichen, dass sie bei der nationalen Politik großen oder sogar sehr großen Handlungsbedarf sehen.
Weniger junge Wähler
Dass in der Liste der wichtigsten Wählergruppen junge Menschen damals wie heute auf den hinteren Plätzen rangieren, ist der Demografie geschuldet. Es gibt einfach zu wenige von ihnen, als dass sie eine Wahl entscheiden könnten. Seit Beginn der 2010er-Jahre rutschte der Anteil der Unter-20-Jährigen in Österreich laut Statistik Austria erstmals unter die 20-Prozent-Marke. Nur noch ein Viertel der Wahlberechtigten ist unter 35 Jahre alt. Anfang der 1980er-Jahren war es noch mehr als ein Drittel, obwohl in der Zwischenzeit das aktive Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt wurde.
Viele alte Menschen bedeuten viel Macht, wenige junge Menschen wenig. So weit, so demokratisch.
Natürlich könnte man diese Entwicklung damit abtun, es sei nun mal das Wesen einer Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet. Viele alte Menschen bedeuten viel Macht, wenige junge Menschen wenig. So weit, so demokratisch. Dabei vergisst man aber ein Problem: Diejenigen, die am längsten von den heutigen Entscheidungen betroffen sein werden, können sie immer weniger beeinflussen. Eine liberale Demokratie ist stets auf Interessenausgleich bedacht. Sie sorgt sich auch um diejenigen, die nicht der Mehrheit angehören. Die gesellschaftliche Überalterung kann deshalb bei der politischen Meinungsbildung nicht unbeachtet bleiben.
Mehr Junge in der Politik
Immerhin gibt es erste Anzeichen, dass junge Menschen stärker bei politischen Entscheidungen involviert sind als noch vor zehn Jahren: Das Durchschnittsalter der Abgeordneten des österreichischen Nationalrats zeigt eine sanfte Tendenz nach unten. Während es 2013 bei 48,89 Jahren lag, war es zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode bei 47,29 Jahren – so niedrig wie noch nie in der Zweiten Republik.
Jugendstudie 2023: Die Ergebnisse
Außerdem sind mittlerweile in fast allen Parteien junge Menschen in den vorderen Reihen tätig. Vor zehn Jahren war das noch die Ausnahme. Die Verjüngung von Entscheidungsträgern löst allein noch kein inhaltliches Problem. Sie kann nur als Signal an die Öffentlichkeit dafür dienen, dass die Perspektive von jungen Menschen besonders bedeutsam ist.
Politik ohne Fokus
Widmen wir uns dem Paradebeispiel für ein langfristig wichtiges Problem: dem Klimawandel. Auch hier gibt es zwischen damals und heute eine auffällige Konstante: Junge Menschen halten ihn für eine der größten politischen Herausforderungen. Mehr als 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung zwischen 16 und 29 Jahren zählen laut der Jugendstudie 2023 den Klimawandel und Umweltverschmutzung zu ihren größten Zukunftssorgen.
Seit einigen Monaten ist eine Aktivistengruppe namens „Letzte Generation“ in den Schlagzeilen, weil sie sich für den guten Zweck auf Straßen festklebt und Kunstwerke in Museen überschüttet. Die Reaktionen aus Politik, Medien und Öffentlichkeit darauf verdeutlichten, dass wir ein Problem haben, das viel grundsätzlicher als der vermeintliche Generationenkonflikt ist: Wir haben verlernt, uns auf die wirklich wichtigen Dinge zu fokussieren.
Zahlen & Fakten
Denn: Worauf konzentriert sich die allgemeine Aufmerksamkeit beim Thema Klimawandel? Sind es Lösungsvorschläge, wie wir unsere Umwelt möglichst effektiv lebenswert erhalten? Oder verzetteln wir uns in Nebensächlichem, wie der Frage, ob es okay ist, sich auf der Straße festzukleben? Ein kurzer Blick in traditionelle wie elektronische Medien genügt, um mit Zweiterem zu antworten.
Häufig wird vom eigentlichen Thema auch mit mühseligen Diskussionen über Semantik abgelenkt: Ist „Letzte Generation“ als Name für so eine Protestgruppe nicht ein wenig übertrieben? Die jungen Menschen von heute haben doch eh alles und sie werden wegen dem Klimawandel doch nicht gleich aussterben.
Die Antwort kann nur lauten: Ja, eh! Aber es ist nur ein Name. Um Aufmerksamkeit zu erlangen, ist Zuspitzung notwendig. Danach sollte eine aufgeklärte Gesellschaft in der Lage sein, sich auf das eigentliche Problem zu fokussieren.
Alte immer länger in Pension
Gleiches gilt bei einem Thema, das in der Generationenfrage zentral ist: das in Österreich im internationalen Vergleich niedrige Pensionsantrittsalter. Dabei werden selten pragmatische Lösungen vorgeschlagen, sondern eher Schuldige gesucht. Die eine Seite meint: Ältere verdienen zu viel, genießen zu viele Privilegien und sind für Arbeitgeber insgesamt mehr Last als Hilfe.
Die andere Seite entgegnet: Viele ältere Arbeitnehmer werden von den Unternehmen aus dem Berufsleben gedrängt und haben somit gar keine Chance, ein höheres Pensionsantrittsalter zu erreichen. Fakt ist, dass in Österreich der Einkommensunterschied zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern im internationalen Vergleich sehr hoch ist, wofür Österreich von der OECD regelmäßig kritisiert wird.
Zahlen & Fakten
Lohnkurve zwischen Generationen abflachen
Ein konkreter Vorschlag, den AMS-Chef Johannes Kopf bereits 2014 vorbrachte: Verschiebung der Beitragslast zur Pensionsversicherung mit fortschreitendem Alter. Soll heißen: Das Einzahlen in die Pensionsversicherung, das momentan nach einem fixen Prozentsatz auf Dienstnehmer und Dienstgeber aufgeteilt ist, verändert sich mit dem Lebensalter: In jungen Jahren zahlt der Dienstgeber den gesamten Anteil. Danach verschiebt sich die Zahllast sukzessive zum Dienstnehmer.
Der Effekt: Ältere Arbeitnehmer werden für den Dienstgeber günstiger, junge teurer. Die Arbeitskosten gleichen sich also an. Zudem bleibt jungen Menschen, die durch Familiengründung und Wohnraumbeschaffung mit hohem finanziellem Aufwand belastet sind, mehr Nettoeinkommen übrig. Später im Erwerbsleben steigen die Einkünfte nicht mehr so stark wie bisher.
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Dies könnte ein wertvoller Schritt zur Veränderung sein, die es im Pensionssystem braucht, nämlich eine maßvolle Erhöhung der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit. Zu dieser beitragen würde auch eine stärkere Förderung von Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen im Alter. Hoffnung, dass diese künftig auch gut angenommen werden, machen die heute 16- bis 29-Jährigen in Österreich, von denen 37,5 Prozent laut Jugendstudie 2023 berufliche Weiterbildung sogar als einen ihrer wichtigsten Zukunftswünsche nennen.
Junge brauchen Mitgestaltung
Ideen zu formulieren ist das eine, sie in einer Demokratie zu einem praxistauglichen Gesetz zu machen das andere. Das kollektive Bewusstsein, dass es sich dabei um einen hochkomplexen Vorgang handelt, fehlt häufig oder wird zumindest nicht ausreichend gepflegt. Als politisch interessierter Bürger bekommt man von Politik und Medien in erster Linie den persönlichen Streit serviert, der sich zwischen den Akteuren ergibt. Die öffentliche Diskussion über Inhalte kommt zu kurz.
Die Baby-Boomer sagen leise Servus
Dazu zwei konkrete Lösungsvorschläge: Erstens, mehr Einbindung des Volks in die Entscheidungswege. „Bürgerteilhabe per Los“, könnte die Zauberformel dafür lauten. Diese gab es in Österreich bereits beim Klimaschutz („Klimarat“) und sollte auf weitere Themen ausgeweitet werden – allerdings mit Bindungswirkung der Vorschläge. Um jüngeren Menschen mehr Chance zur Mitbestimmung zu geben, könnte man sie im Losverfahren stärker berücksichtigen. Der Effekt: Die Menschen können nicht nur selbst ihre Ideen ins politische System einbringen, sondern bekommen einen direkten Einblick, welche Schritte notwendig sind, um aus Ideen praxistaugliche Rechtsnormen zu machen.
Wechsel an der Spitze
Zweitens: Einführen eines zeitlichen Limits für die berufliche Tätigkeit in politischen Spitzen- Funktionen (zum Beispiel maximal zwei Funktionsperioden bei Nationalratsabgeordneten). Der Effekt: Stärkere Durchmischung des politischen Systems mit vielen verschiedenen Lebensperspektiven. Mehr Leute bekommen die Chance, in die Politik zu gehen. Nachdem Politik jener Ort ist, an dem wir uns ausmachen, wie wir in Zukunft leben wollen, sollten möglichst viele von uns einmal mitgeredet haben.
Conclusio
Unsere Demokratie steht vor einem Dilemma: viele politische Entscheidungen wirken noch Jahrzehnte nach. Der Anteil junger Wähler, die persönlich von den Folgen heutiger Politik betroffen sind, schrumpft seit Jahren. Das hat viele Konsequenzen, die vielleicht wichtigste zeigt sich am Arbeitsplatz und beim Pensionsantritt: im europäischen Vergleich gehen die Österreicher früh in Pension. Das hat strukturelle Gründe, die sich politisch ändern ließen: ältere Mitarbeiter verdienen wegen etablierter Gehaltsschemata und früher erworbener Ansprüche mehr als junge und haben höhere Pensionsansprüche – dadurch sind für Arbeitgeber oft weniger attraktiv. Wie ließe sich das ändern? Durch mehr Bürgerbeteiligung könnten die Interessen der Jungen wieder stärker in die Politik einfließen.