Antibiotika: Resistenz auf Rezept
Noch ist die Lage bei Antibiotikaresistenzen in Österreich stabil. Infektiologin Petra Apfalter rät jedoch zu Vorsicht – und erklärt im Interview, wie jeder Einzelne zur Wirksamkeitserhaltung der Medikamente beitragen kann.
Wenn Antibiotika wirkungslos werden, kann das Menschenleben kosten. In vielen Ländern wurden Institutionen zur Überwachung und Bekämpfung solcher Resistenzen eingerichtet – so auch in Österreich: Am Ordensklinikum Linz leitet die Infektiologin Petra Apfalter das Nationale Referenzzentrum für antimikrobielle Resistenz. Jährlich wird dort der AURES-Bericht veröffentlicht, nach dem Österreichs nationale Aktionspläne zur Antiobiotikaresistenz adaptiert werden. Der wichtigste Rat Apfalters: seltener zu Antibiotika greifen.
Frau Apfalter, warum können Antibiotika wirkungslos werden?
Petra Apfalter: Seit es Antibiotika gibt, folgt das Kranksein einem bekannten Schema. Wer mehr als drei Tage Fieber hat, wird ungeduldig. Man will die Sache schnell wieder los sein, geht zum Arzt, um sich ein Antibiotikum verschreiben zu lassen. Fürs Kranksein will sich niemand mehr Zeit nehmen. Und genau das ist das Grundproblem. 75 Prozent aller Erkältungserkrankungen werden von Viren und nicht von Bakterien verursacht. Antibiotika helfen da aber überhaupt nicht.
Wenn Keime zu Killern werden
Meist haben auch Hausärzte für die infektiologische Aufklärung keine Zeit. Ein Medikament, das von Patienten gewünscht ist, nicht zu verschreiben, ist gar nicht so leicht, das zeigt auch die Statistik. Antibiotika sind dabei, ihre Wirkkraft gegen eine Reihe von Krankheitserregern zu verlieren. Sie sind resistent gegen sie geworden. So wie alle europäischen Länder überwachen wir diese Situation sehr genau und geben alle zwei Jahre den österreichischen Resistenzbericht heraus. Auf über 500 Seiten werden Informationen zu den wichtigsten Krankheitserregern gesammelt.
Ein besonderer Fokus liegt auf den nosokomialen Infektionen, also jenen Krankheitserregern, die in den Spitälern entstehen. Dort kommen viele kranke und oft immungeschwächte Menschen zusammen und das sind Voraussetzungen, in denen sich Erreger weiterentwickeln und mitunter antibiotikaresistent werden. Mit anderen Worten: Sie wirken dann einfach nicht mehr. Mitunter entstehen für Infizierte damit lebensgefährliche Situationen, die früher vermeidbar waren.
Fürs Kranksein will sich niemand mehr Zeit nehmen. Und genau das ist das Grundproblem.
Im Juni 2019 präsentierte die WHO einen globalen Plan gegen die Ausbreitung solcher multiresistenten Erreger. Sie sind das „dringlichste Gesundheitsrisiko unserer Zeit und stellen eine Bedrohung für den medizinischen Fortschritt dar“, hat WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus vor Kurzem gesagt. Deshalb gibt es überall auf der Welt Initiativen gegen den nicht gerechtfertigten Verbrauch von Antibiotika. So auch in Österreich.
Wie lässt sich gegensteuern?
Eines der grundlegenden Probleme ist, dass viele gar nicht wissen, was Antibiotika eigentlich sind. Zur Erklärung: Wir leben nicht in einer sterilen Welt. Bakterien sind millionenfach in uns und um uns. Wir könnten ohne sie nicht existieren – und ohne dass wir es spüren, leben wir mit Viren und Bakterien in einer Art Gleichgewicht. Nur einige von ihnen machen krank, sind also „pathogen“, so der medizinische Fachbegriff.
Bei einer Infektion, die sich etwa durch Fieber äußert, ist es meistens nicht klar, welcher Keim genau die Ursache dafür ist. Das müsste in einem Labor ermittelt werden. In den nordischen Ländern wird das tendenziell viel häufiger gemacht. Man kennt dann den Keim und kann, wenn es sich um Bakterien handelt, sehr zielgerichtet mit Antibiotika therapieren.
Beim Infektionsmonitoring hat Österreich Nachholbedarf. Wir begnügen uns damit, Infektionen nicht zuordnen zu können und deshalb sind Ärzte auch eher bereit, sogenannte Breitband-Antibiotika zu verschreiben, die gegen eine ganze Reihe von Erregern wirken. Doch genau dieses breite Wirkspektrum hat dazu geführt, dass diese so wichtige Arzneimittelklasse zunehmend wirkungslos, also resistent, geworden ist. Das heißt, dass diese Bakterien Mittel und Wege gefunden haben, einem medikamentösen Angriff auszuweichen. Diesem evolutionären Prozess sind alle Lebewesen auf der Erde unterworfen.
Was heißt das für jeden von uns konkret?
Wer Antibiotika ohne Bedacht einnimmt, riskiert, dass sie eines Tages – dann nämlich, wenn man sie wirklich bräuchte – nicht mehr wirken. Ein Antibiotikum tötet nicht nur die pathogenen Keime, sondern verändern auch die Zusammensetzung aller anderen Bakterien, aus denen der Mensch besteht. Nach drei Antibiotika-Therapien ist das Mikrobiom eines Menschen, also die Gesamtheit der Keime, die in und um ihn herum sind, vollständig ausgetauscht. Auch das ist nicht folgenlos.
Nach Krebs und Herz-Kreislauf-Versagen sind Infektionen die dritthäufigste Todesursache. Bakterielle Erkrankungen sind schon immer besonders für ältere Menschen eine Gefahr, da deren Immunsystem nicht mehr so schnell und effizient reagieren kann. Wenn es die Körperabwehr nicht schafft, sich gegen die Krankheitserreger zur Wehr zu setzen, kann daraus im schlimmsten Fall ein septischer Schock entstehen. Das bedeutet, dass durch die Infektion körpereigene Regenerationsmechanismen nicht mehr funktionieren und die einzelnen Organe nach und nach versagen. Antibiotika sorgen dafür, dass diese Situation erst gar nicht entsteht.
Insofern ist mein Appell an all jene, die sich krank fühlen, zu Hause zu bleiben, das Bett zu hüten und sich auszukurieren. Vor allem die Hausärzte haben eine große Verantwortung dabei, Antibiotika nicht auf Wunsch zu verschreiben. Und wenn ein Kranker tatsächlich Antibiotika nehmen muss, dann sollte jeder und jede die vorgeschriebene Zeit der Einnahme unbedingt einhalten und nicht vorzeitig abbrechen, nur weil die Symptome verschwunden sind. Denn gerade das führt zur Entwicklung der gefürchteten Resistenzen. Zur Erinnerung: Die pathogenen Keime haben dadurch bessere Voraussetzungen, Strategien zu entwickeln, um die Wirkung zu umgehen.
Was würden Sie sich als Infektiologin zur Verbesserung der Situation wünschen?
Ganz generell sollten Antibiotika viel sorgsamer als bisher eingesetzt werden. Und schön wäre, wenn es viel mehr qualifizierte Labore gäbe, mit denen sich Keime schneller und genauer bestimmen lassen. Auf diese Weise könnten Ärzte und Ärztinnen sehr viel gezielter als bisher aus den unterschiedlichen Antibiotika-Klassen auswählen. Das wiederum würde den Missbrauch von Breitband-Antibiotika reduzieren.
Ein sehr banaler aber extrem wirkungsvoller Rat lautet: „Hände waschen“. Das gilt im Spital genauso wie daheim. Ansteckung erfolgt meist in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Einkaufen. Wer sich nach dem Einkaufen die Hände wäscht, reduziert das Erkrankungsrisiko signifikant – auch dazu gibt es genaue Studien, die diesen Effekt belegen. Was den Resistenzbericht Österreich betrifft, kann ich folgendes sagen: Wir haben seit Jahren eine grundsätzlich stabile Resistenzsituation bei vielen Erregern, beobachten aber im sogenannten gramnegativen Bereich einen Anstieg – etwa bei Erregern von Harnwegsinfektionen oder bei schweren Infektionen im Spital.
Mehr Gesundheitsthemen
Online bis zur Erschöpfung
Immer nur Input und kaum Zeit für Pausen machen Computer und Handy zu einem Risiko für die geistige Gesundheit – und produzieren Dauerstress im Hirn. Wer den Fokus bewahren will, fängt mit Selbstbeobachtung an.