5 Mittel gegen den Montags-Blues

Rund ein Drittel der Österreicher arbeitet in Teilzeit, und viele wollen so früh wie möglich in Pension gehen. Was am Arbeitsmarkt läuft falsch, wenn Erwerbstätigkeit als Strafe empfunden wird?

Das Bild zeigt einen geschlossenen Kindergarten. Im Vordergrund stehen drei Personen: ein Mann in einem Arztkittel, eine Frau in einem Business-Outfit und ein kleines Kind. Das Bild illustriert einen Artikel über 5 Reformschritte für den österreichischen Arbeitsmarkt.
„Das Absurde am österreichischen Arbeitsmarkt ist, dass trotz der belegten Erfolge in anderen Ländern die Politik große Reformen vehement verhindert,“ meint Ökonom Hanno Lorenz. © Getty Images / Gina Müller
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Auf den Punkt gebracht

  • Abwanderung. Österreich droht wegen der laufenden Pensionierungswelle ein massiver Verlust an Arbeitskräften, der die Sozialsysteme stark belastet.
  • Arbeitsmoral. Die Einstellung zur Arbeit hat sich verändert: Frühpensionierungen, Teilzeitarbeit und sinkende Produktivität prägen den Arbeitsmarkt.
  • Reformverweigerung. Anstatt dringend notwendige Reformen umzusetzen, wird politisch gezögert und auf kurzfristige Lösungen gesetzt.
  • Handlungsbedarf. Um das wirtschaftliche Siechtum zu überwinden, braucht es Reformen wie eine Flat Tax, die Anpassung des Pensionsalters und bessere Kinderbetreuung.

Zu Beginn des vergangenen Sommers schickte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Warnung nach Österreich: Sollte die Politik nicht aktiv werden, drohe dem Land ein Exodus an Arbeitskräften. Nicht etwa in die Schweiz oder nach Deutschland würden die Leute abwandern, sondern in den Ruhestand und damit in die Sozialsysteme, so die Prognose der Experten.

Wirklich überraschend kam diese Einschätzung aber ohnehin nicht. Den Titel des Frühpensionierungsweltmeisters trägt Österreich ja bekanntlich mit Stolz und nicht mit Scham.

Das Gerede von der Leistung

„Leistung, Aufstieg, Sicherheit“, lautete ein Wahlslogan der SPÖ in den 1970er-Jahren. „Leistung muss sich lohnen“, trommelt die ÖVP bis heute. Doch in der Realität der Bürger läuft es längst anders. Nicht die eigene Leistung soll für Sicherheit sorgen, sondern die Leistung der anderen. Oder etwas pathetischer: Vater Staat garantiert das arbeitsfreie Dasein. Das bedingungslose Grundeinkommen, die Auszeit auf Kosten der Allgemeinheit für Besserverdiener (besser bekannt unter dem Namen „Bildungskarenz“) oder die staatliche Subventionierung jeder Tätigkeit des täglichen Lebens mittels Boni sind nur einige dieser Auswüchse. Corona gab dieser Grundstimmung noch einmal einen kräftigen Schub.

Ergebnis: Seit 2019 sind die geleisteten Arbeitsstunden der Arbeitnehmer nur in Irland stärker gesunken als in Österreich. Hierzulande wurden 2024 laut OECD durchschnittlich 1.352 Stunden im Jahr gearbeitet, 2019 waren es noch 1.429 Stunden.

Wenn die Menschen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten beschließen, dass sie lieber weniger arbeiten wollen, um gut über die Runden zu kommen, läuft ganz offensichtlich etwas falsch. Das System aus Steuern und Abgaben auf der einen Seite und Sozialleistungen auf der anderen liefert fatale Anreize. Hält die Flucht aus der Arbeitswelt an, steht nicht weiger als die langfristige Finanzierbarkeit der Sozialsysteme auf dem Spiel.

In Österreich halten viele schon die Frühpensionierung mit 60 für eine Zumutung.

Das ist ein speziell österreichisches Problem: Viele Länder haben ihre Sozialsysteme längst angepasst. In Dänemark etwa wurde vor kurzem beschlossen, das Pensionsantrittsalter noch einmal zu erhöhen – auf dann 70 Jahre. In Österreich halten viele schon die Frühpensionierung mit 60 für eine Zumutung. Wir reden lieber über die „Sonntagsangst“ – die innere Unruhe, dass am Folgetag der Arbeitsalltag wieder beginnt – und den „Bare Minimum Monday“ – also die Einstellung, wirklich nur das Allernötigste am Montag umzusetzen – als über die Tatsache, dass uns offenbar die Arbeitsmoral abhandengekommen ist. Leicht zugespitzt könnte man sagen: Das Land leidet permanent am Montags-Blues.

Gejammere statt Reform

Auch die heimische Politik stiehlt sich aus der Verantwortung. Statt Maßnahmen zu setzen, die den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem nachhaltig kurieren, lässt man sich vom allgemeinen Gejammer in die Reformverweigerung treiben und agiert orientierungs- und zukunftslos.

Nüchtern betrachtet leidet der Patient Arbeitsmarkt aufgrund der verweigerten medizinischen Hilfe mittlerweile an mehreren Krankheiten gleichzeitig: Wie erwähnt gehen wir vor lauter Arbeitsleid früher in den Ruhestand als die Bürger fast aller anderen Staaten auf der Welt. Außerdem liegen wir beim Thema Teilzeitarbeit auf Medaillenkurs: Nur in den Niederlanden und in der Schweiz ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten noch höher.

Hinzu kommt ein hohes Maß an Inflexibilität: Wohnort- oder Branchenwechsel, um einen Job zu finden, gilt hierzulande als unzumutbar. Folglich bleibt der arbeitslose Ostösterreicher lieber in Wien, statt in Westösterreich beruflich neu durchzustarten. Dieses Verhalten wird auch rasch von Zuwanderern kopiert. Bei aller berechtigten Kritik an der fehlenden Integration – die Anreize des Sozialstaates werden von Neuankömmlingen schnell verinnerlicht.

Alles nicht so schlimm, könnte man meinen. Aufgrund der besser werdenden Ausbildung der Beschäftigten lassen sich Aufgaben heute schneller und einfacher erledigen als früher und lässt sich der Wohlstand auch mit weniger Arbeitseinsatz sichern – zumindest in der Theorie. Da mag das funktionieren, in der Praxis zeigt sich leider, dass der dafür nötige Produktivitätsschub ausbleibt. In den letzten Jahren sind die Österreicher sogar weniger produktiv geworden.

Mittlerweile liegt die heimische Wirtschaft im Wachkoma. Um das Land wieder fit zu machen, bedarf es keiner Wunderkuren, sondern nur einiger der seit vielen Jahren empfohlenen Behandlungen. Der Patient Arbeitsmarkt kann schnell gesund werden, wenn die Politik ihm die fünf richtigen Rezepte ausstellt:

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Zahlen & Fakten

Fünf Reformschritte

1. Eine Flat Tax einführen

Der richtige Job gibt dem Leben Sinn und Struktur, aber in letzter Konsequenz geht es den allermeisten Beschäftigten wohl auch ums Geld. Leistung muss sich auszahlen. Das ist in Österreich zu oft nicht der Fall. Wer als Durchschnittsverdiener seine Arbeitszeit von 20 auf 40 Wochenstunden erhöht (also um 100 Prozent), bekommt netto nur um 69 Prozent mehr Geld. Den Rest fressen die Steuern und die höheren Sozialabgaben. So groß wie in Österreich ist diese Diskrepanz in kaum einem anderen Land der Welt. Der Staat setzt also negative Arbeitsanreize, die Bürger werden vom System zu Inaktivität verführt. In einer alternden Gesellschaft mit steigenden Belastungen im Sozialsystem ist das geradezu fahrlässig.

Was tun? Das Zauberwort lautet Flat Tax. Wie das geht, lässt sich in Ungarn besichtigen. Dort bekommt ein Durchschnittsverdiener für 100 Prozent mehr Arbeitszeit 100 Prozent mehr Nettolohn.

2. Mit Automatismen brechen

Gehaltserhöhungen sind etwas Großartiges. Manchmal steckt dahinter die Wertschätzung des Arbeitgebers, manchmal ein Karrieresprung, oft aber einfach nur die Systematik des Kollektivvertrags. In vielen Branchen gibt es mit zunehmender Berufserfahrung automatische Gehaltsvorrückungen. Das ist erfreulich für den Arbeitnehmer. Aber nur, solange er einen Job hat. Muss er in fortgeschrittenem Alter eine neue Stelle suchen, wird das sogenannte Senioritätsprinzip zum Mühlstein. Denn Arbeitgeber nehmen lieber einen günstigeren Beschäftigten mit weniger Erfarung als einen teuren älteren Bewerber.

In der Ökonomie ist so eine Situation als Insider-Outsider-Problem bekannt: Die Insider (also Menschen mit Job) profitieren, die Outsider (Ältere auf Jobsuche) sind im Nachteil. Denn Letztere verursachen deutlich höhere Arbeitskosten als junge Bewerber. Selbst wenn Betroffene bereit wären, um weniger Geld zu arbeiten, wird ihnen das vom Kollektivvertrag untersagt. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass dieses Senioritätsprinzip in Österreich besonders ausgeprägt ist. Innerhalb der EU wirkt es nur in den Niederlanden, in Irland und Luxemburg stärker als bei uns.

Was tun? Bis zu einem gewissen Grad ist es sinnvoll, erfahrene Arbeitskräfte besser zu bezahlen als blutjunge Anfänger. Ganz abschaffen sollte man das Senioritätsprinzip also nicht. Aber die Dosis macht bekanntlich das Gift. Der Unterschied zwischen jungen und älteren Beschäftigten muss kleiner werden. Vorbilder finden sich etwa in Skandinavien. Auch dort steigen die Einkommen mit den Berufsjahren, aber mit rund 25 Prozent nur etwa halb so stark wie in Österreich. Nicht der Kollektivvertrag sollte die Vorrückung nach Arbeitsjahren vorschreiben, sondern die Leistung der Mitarbeiter sollte entsprechend honoriert werden.

3. Später in Pension gehen

In den 1970er-Jahren lag die fernere Lebenserwartung österreichischer Männer im Schnitt bei rund 76 Jahren, Frauen wurden damals nicht ganz 80 Jahre alt. Heute liegt diese Lebenserwartung bei 83 beziehungsweise 87 Jahren. Das ist eine großartige Entwicklung, für die wir alle nur dankbar sein können. Das einzige Problem dabei: Die Österreicher verbringen immer mehr Zeit im Ruhestand, weil das durchschnittliche Pensionsantrittsalter von 61 Jahren fast unverändert blieb. Das verursacht enorme Kosten und ist langfristig nicht leistbar, wie viele Studien bescheinigen. Dazu kommt, dass die Zahl der Menschen im Erwerbsalter in Zukunft sinken wird, während die Zahl der Pensionisten steigt. Immer weniger Beschäftigte müssen also immer mehr Pensionisten finanzieren.

Was tun? Das gesetzliche Antrittsalter muss angehoben werden. Nur so steigt auch der faktische Pensionsantritt. Vorbilder sind auch hier die skandinavischen Länder, die bereits vor Jahren auf die steigende Lebenserwartung reagiert haben.

Das Absurde ist, dass trotz der belegten Erfolge in anderen Ländern die Politik große Reformen vehement verhindert.

4. Den Sozialstaat neu denken

Österreich gibt sehr viel Geld aus, um seine Bürger zu unterstützen und gegen alle möglichen Risiken abzusichern. Kaum ein anderes Land der Welt hängt die soziale Sicherheit so hoch wie wir. Doch auch der Sozialstaat kann zu negativen Arbeitsanreizen führen. In manchen Fällen bringt die öffentliche Unterstützung genauso viel Geld ein wie eine 40-Stunden-Woche. Da ist es Menschen schwer zu verübeln, wenn sie lieber zu Hause bleiben.

Was tun? Die Dänen haben es geschafft, einen akzeptierten Mittelweg aus Fördern von Menschen in Notsituationen und gleichzeitig dem Einfordern zur Rückkehr in die Selbsthilfe zu finden. Auch Österreich sollte darauf setzen. Exemplarisch ist hier die Arbeitslosenunterstützung zu nennen. Diese kann in Österreich de facto zeitlich unbegrenzt bezogen werden und ändert sich in der Höhe nicht. In Däne- mark ist dies anders. Hier fällt die Hilfe zunächst höher aus, sinkt aber mit der Zeit ab, um den Anreiz zu schaffen, das System auch wieder zu verlassen. Nach 24 Monaten landet man in der sozialen Grundsicherung. Darüber hinaus könnte man die Sozialsysteme auch so gestalten, dass nur jene den vollen Zugang erhalten, die sich zuvor auch voll eingebracht haben.

5. Arbeit möglich machen

Deutlich mehr als die Hälfte der Studierenden an österreichischen Universitäten und Fachhochschulen sind Frauen. Auf dem Arbeitsmarkt bildet sich diese Entwicklung noch nicht ab. Das liegt teilweise an den gewählten Karrierewegen, oft aber an familiären Betreuungspflichten, die nach wie vor hauptsächlich von Frauen gestemmt werden.

Aber auch wie Familienpolitik in Österreich gelebt wird, trägt seinen Teil dazu bei. Schon die Elternkarenz ist in Österreich im internationalen Vergleich sehr lange möglich. Und auch nach dieser Phase vertrauen wir den Nachwuchs nur sehr zurückhaltend der Fremdbetreuung an. Nun ist es natürlich eine zutiefst private Entscheidung, wie Familien ihren Alltag organisieren. Der Staat soll sich da nicht einmischen – er sollte allerdings dafür sorgen, dass jeder arbeiten kann, wenn er das möchte, und dass sich diese Tätigkeit auch rechnet.

Was tun? Das Angebot an Kinderbetreuung muss besser werden. Außerdem gilt es, finanzielle Anreize für berufliche Inaktivität auch bei Familienleistungen zu reduzieren.

Das Absurde am österreichischen Arbeitsmarkt ist nicht, dass die Probleme unlösbar wären. Das Absurde ist, dass trotz der belegten Erfolge in anderen Ländern die Politik große Reformen vehement verhindert. Auf dem Arbeitsmarkt wird sich mitentscheiden, ob die heimische Wirtschaft ihr Siechtum hinter sich lassen kann. Es ist Zeit, mit der Behandlung zu beginnen.

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Conclusio

Sündenregister. Österreichs Arbeitsmarkt krankt an vielen Ecken. Wir arbeiten immer weniger, das Pensionsalter steigt trotz längerer Lebenserwartung nicht, die Mobilität von Arbeitslosen ist gering, und die Produktivität sinkt.

Bußgang. Neben bekannten Reformen wie Anhebung des Pensions- antrittsalters sollte das Arbeitslosengeld mit der Zeit abgesenkt und eine Flat Tax eingeführt werden. Dann würde sich Mehrarbeit eins zu eins in der Geldbörse auswirken.

Prophezeiung. Insgesamt ließe sich mit Reformen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft erhöhen. Die Menschen hätten auch mehr Netto vom Brutto. Die Löcher im Sozialsystem sorgen für zusätzlichen Reformdruck.