Artemis: Countdown zur Mond-Ausbeutung

Die Artemis-Mission ist heikler als alle vorherigen: Mit ihr treten die USA offen in den Kampf um den Mond ein und riskieren den Bruch mit internationalen Verträgen. Es geht um Rohstoffe und um sehr viel Geld.

NASA-Administrator Jim Bridenstine, Kristine Davis, eine Raumanzug-Ingenieurin im Johnson Space Center der NASA, und Dustin Gohmert, Projektleiter für die Überlebenssysteme der Orion-Besatzung im Johnson Space Center der NASA, im Oktober 2019 im NASA-Hauptquartier in Washington
NASA-Administrator Jim Bridenstine, Raumanzug-Ingenieurin Kristine Davis und Projektleiter für Überlebenssysteme der Orion-Besatzung Dustin Gohmert im NASA-Hauptquartier in Washington, Oktober 2019. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Aufbruchstimmung. Nach mehr als 50 Jahren wollen die USA wieder Menschen auf den Mond befördern, darunter erstmals auch eine Frau.
  • Teamarbeit. Anders als bei den Apollo-Missionen setzen die USA diesmal nicht auf ein nationales Prestigeprojekt, sondern auf internationale Kooperation.
  • Ressourcen. Gleichzeitig fordern die USA von ihren Partnern die Unterzeichnung der Artemis Accords, die den USA die Nutzung der Mondressourcen erlauben würde.
  • Neuordnung. Die Artemis-Mission spiegelt auch die politischen Verhältnisse auf der Erde wider: Russland und China kommen als Partner nicht infrage.

Seit mit Apollo 17 im Jahre 1972 der letzte Amerikaner den Mond verlassen hat, ist kein Mensch mehr dort gewesen. Zwar war der Mond in den letzten 50 Jahren Ziel mehrerer wissenschaftlicher Missionen aus verschiedenen Ländern, alle aber ausschließlich ferngesteuert und ohne menschliche Besatzung. Meist wurde der Mond mit Sonden umrundet. Nur wenige Missionen landeten auch auf der Mondoberfläche, mitunter jedoch hart und unkontrolliert. Nun unternehmen die USA mit dem Artemis-Programm – der Name bezieht sich auf die Zwillingsschwester Apollos – einen neuen Anlauf.

Buzz Aldrin mit der US-Flagge auf dem Mond
Ein großer Schritt für die Menschheit: Buzz Aldrin 1969 bei der ersten Mondlandung. © Getty Images

Bemannte Mondmissionen

MissionsnameLandedatumVerweildauerAstronauten
Apollo 1121. Juli 196921h 36mNeil Armstrong, Buzz Aldrin
Apollo 1219. November 19691d 7h 31mCharles Conrad, Alan Bean
Apollo 145. Februar 19711d 9h 30mAlan Shepard, Edgar Mitchell
Apollo 1530. Juli 19712d 17h 54mDavid Scott, James Irwin
Apollo 1620. April 19722d 23h 2mJohn Young, Charles Duke
Apollo 1711. Dezember 19723d 2h 59mEugene Cernan, Harisson Schmitt

Das ehrgeizige Ziel lautete ursprünglich, ab 2024 wieder Menschen auf den Mond zu bringen und dort sogar eine dauerhafte menschliche Besiedelung möglich zu machen. Dieser Zeitpunkt wurde inzwischen auf 2026 bis 2028 verschoben. Nachdem die bisherigen zwölf amerikanischen Astronauten auf dem Mond ausschließlich männlich und weiß waren, soll Artemis nun die erste Frau und den ersten Farbigen auf den Mond bringen. Durch das Programm soll auch die in noch fernerer Zukunft geplante Mission zum Mars vorbereitet werden. Ein erster Schritt in diese Richtung soll das Lunar Gateway sein, eine Raumstation, die den Mond umkreist. Der Start von Artemis I mit einem Orion-Raumschiff soll nach mehreren Verschiebungen am 29. August 2022 erfolgen.

Ein Projekt mit politischen Implikationen

Während das Apollo-Programm der NASA zwischen 1961 und 1972 ein nationales Prestigeprojekt der USA im Wettlauf ins All mit der Sowjetunion war, wird im Rahmen von Artemis auf internationale Zusammenarbeit gesetzt. Ähnlich wie bei der Internationalen Raumstation ISS übernimmt NASA die Führungsrolle, bemüht sich aber um möglichst zahlreiche Partner. Die Artemis Accords wurden am 13. Oktober 2020 von der NASA und sieben weiteren Weltraumagenturen unterzeichnet, nämlich jenen Australiens, Kanadas, Italiens, Japans, Luxemburgs, der Vereinigten Arabischen Emirate und des Vereinigten Königreichs. Seither folgten Unterzeichnungen durch weitere Weltraumagenturen.

Bis jetzt umfasst Artemis daher bereits insgesamt 21 Partner, von denen einige mehr, andere weniger Erfahrung in der Raumfahrt haben. Hinzugekommen sind Bahrain, Brasilien, Kolumbien, Frankreich, Israel, Mexiko, Neuseeland, Polen, Südkorea, Rumänien, Saudi Arabien, Singapur und die Ukraine. Zwei Partner kommen realistischerweise nicht in Betracht: die Weltraumagenturen Russlands und Chinas. Damit sind auch schon die ersten politischen Implikationen dieses auf den ersten Blick rein wissenschaftlich-technischen Projekts aufgezeigt.

Was wollen die USA?

Die Artemis Accords definieren gewisse Prinzipien, die die Basis für die Zusammenarbeit bei der Erforschung und Nutzung des Mondes darstellen sollen. Sie gründen in erster Linie auf dem Weltraumvertrag aus 1967, der die wichtigsten Prinzipien für die Durchführung von Weltraumaktivitäten für die Staaten verbindlich festlegt. Teilweise gehen die Artemis Accords allerdings über diese Verpflichtungen hinaus beziehungsweise interpretieren sie in einer Weise, die den Bedürfnissen der zivilen und insbesondere auch der kommerziellen Nutzung des Weltraums im 21. Jahrhundert gerecht werden soll.

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Zahlen & Fakten

Orion-Raumschiff bei der Enthüllung durch die Nasa, März 2020
Das Orion-Raumschiff bei der Enthüllung durch die Nasa, März 2020. © Getty Images

Die 10 Prinzipien der Artemis Accords

  1. Friedliche Nutzung
  2. Transparenz
  3. Interoperabilität
  4. Notfallhilfe
  5. Registrierung von Weltraumgegenständen
  6. Veröffentlichung wissenschaftlicher Daten
  7. Schutz historischen Erbes
  8. Nutzung von Weltraumressourcen
  9. Konfliktvermeidung
  10. Weltraummüllvermeidung

Relativ unproblematisch sind jene Prinzipien, die sich klar auf den Weltraumvertrag und andere seit den 1960er und 1970er Jahren verabschiedeten Weltraumverträge beziehen, wie die Nutzung für friedliche Zwecke, die Notfallhilfe und die Registrierung von Weltraumgegenständen. Andere Prinzipien spiegeln die Interessen und bisherige Praxis der USA bei der Erforschung des Weltraums wider. Sie sind als Forderungen anzusehen, die möglicherweise nicht für alle Partner in gleicher Weise umsetzbar sind, wie etwa Transparenz, Interoperabilität und die Veröffentlichung wissenschaftlicher Daten.

Das Prinzip des Schutzes historischen Erbes dient nahezu ausschließlich den Interessen der USA, die sicherstellen wollen, dass die Landeplätze und zurückgelassenen Gegenstände der Apollo Missionen nicht bei nachfolgenden Operationen beschädigt oder entwendet werden. Ein weiteres Prinzip, die Weltraummüllvermeidung, findet sich als ausdrückliche Verpflichtung in den geltenden Weltraumverträgen nicht, wird heute aber als gemeinsames Ziel für eine nachhaltige Weltraumnutzung international weitgehend von allen Raumfahrtnationen anerkannt, wenngleich bei der Frage der Umsetzung noch Konkretisierungsbedarf besteht.

Dürfen Ressourcen am Mond genutzt werden?

Kontroversiell sind jene Prinzipien, die sich nicht auf den Weltraumvertrag aus 1967 gründen lassen und mit diesem womöglich sogar im Widerspruch stehen. Dazu zählen die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Konfliktvermeidung, wie die Einrichtung von Sicherheitszonen um Installationen auf dem Mond. Während damit Artikel IX des Weltraumvertrags umgesetzt werden soll, der ein Rücksichtnahmegebot enthält, sehen Kritiker eine mögliche Verletzung des Aneignungsverbots von Himmelskörpern, das in Artikel II des Weltraumvertrags enthalten ist.

Die Ressourcen des Mondes dürften nicht durch ein First-Come-First-Serve nur den reichen Industrienationen dienen.

Ebenfalls gegen das Aneignungsverbot könnte das Prinzip der Nutzung von Weltraumressourcen verstoßen. Während die USA davon ausgehen, dass der Weltraumvertrag nur die Aneignung von Gebieten auf dem Mond verbietet, aber die Nutzung der Ressourcen von der Freiheit des Weltraums umfasst und daher erlaubt ist, sehen das viele Staaten anders. Insbesondere jene Staaten, die den Mondvertrag aus 1979 ratifiziert haben, vertreten die Auffassung, dass die Ressourcen des Mondes und anderer Himmelskörper ein gemeinsames Erbe der Menschheit darstellen. Sie dürften daher nicht durch ein First-Come-First-Serve nur den reichen Industrienationen dienen, sondern müssten durch ein internationales Regime verwaltet werden, das auch die Interessen anderer Staaten wahrt.

Während die USA den Mondvertrag nicht ratifiziert haben und dementsprechend völkerrechtlich daran nicht gebunden sind, trifft das auf andere Partner der Artemis Accords nicht zu. Australien, Mexiko und Saudi Arabien etwa sind – ebenso wie Österreich, die Niederlande und Belgien – Vertragspartei des Mondvertrages, und dennoch haben ihre Weltraumagenturen die Artemis Accords unterzeichnet. Frankreich und Rumänien haben den Mondvertrag zwar nicht ratifiziert, aber unterzeichnet, wodurch sich auch für sie die Pflicht ergibt, Ziel und Zweck dieses Vertrages nicht zu vereiteln. Es wird sich erst zeigen, wie die Staaten mit diesen Widersprüchen umgehen werden.

Artemis Accords: Eine Absichtserklärung, kein Vertrag

Inwiefern sich tatsächlich Verpflichtungen im rechtlichen Sinn für die Partner der Artemis Accords ergeben, ist freilich eine offene Frage. Anders als der Weltraumvertrag aus 1967 oder auch das Gründungsdokument der Internationalen Raumstation ISS aus 1998, handelt es sich bei den Artemis Accords nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag. Die Unterzeichner sind keine bevollmächtigten Staatenvertreter, sondern nationale Weltraumagenturen oder einzelne Fachminister, die keine völkerrechtlichen Verpflichtungen für ihren Staat eingehen können.

Die Artemis Accords selbst weisen in ihren Schlussbestimmungen darauf hin, dass es sich bei ihnen um kein in der UN-Vertragssammlung registrierungsfähiges Dokument – also um keinen völkerrechtlichen Vertrag – handelt. Die Artemis Accords sind daher wohl eher als Absichtserklärungen anzusehen, dass sich die beteiligten Weltraumagenturen nach Kräften dafür einsetzen werden, dass das beschriebene Projekt durchgeführt und die Prinzipien eingehalten werden. Ob ihnen das gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Die erforderlichen Kapazitäten haben sie dafür im Grunde nicht.

Die Space Launch System-Rakete mit dem Orion-Raumschiff an Bord auf einer mobilen Trägerrakete auf dem Weg zu einem Startkomplex im Kennedy Space Center, Florida, März 2022
Die Space Launch System-Rakete mit dem Orion-Raumschiff an Bord auf einer mobilen Trägerrakete auf dem Weg zu einem Startkomplex im Kennedy Space Center, Florida, März 2022. © Getty Images

Russland fällt als Partner für Artemis aus

Die Aktivitäten im Weltraum spiegeln in der Regel die politischen Verhältnisse auf der Erde wider. Während es zur Zeit des Kalten Krieges der Wettlauf ins All war, der die USA und die Sowjetunion zu großen technischen und finanziellen Anstrengungen in der Raumfahrt motivierte, war es in den 1990er Jahren das Prestigeprojekt ISS, das zeigen sollte, dass Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion nunmehr ebenfalls die westlichen Werte verfolgt und ein verlässlicher und potenter Kooperationspartner ist. Mit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022, aber auch schon durch die Annexion der Krim 2014, wurde diese Einschätzung erschüttert. Die Zukunft der ISS über 2024 hinaus muss als mehr als ungewiss bezeichnet werden. Die derzeitigen Pläne bis 2030 werden sich aller Wahrscheinlichkeit nicht verwirklichen lassen.

Die USA müssen ihr Verhältnis zum neuen Konkurrenten China definieren – sowohl auf der Erde als auch auf dem Mond.

Eine Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen des Artemis-Programms zur Errichtung einer Mondbasis kommt im Augenblick überhaupt nicht in Betracht. Dementsprechend hat sich Russland bereits mit China um Verständigung bemüht und 2021 den Plan für eine gemeinsame Mondbasis bekannt gegeben. Seit Februar 2022 scheint jedoch auch diese Zusammenarbeit gefährdet. China wird aller Voraussicht nach seine Ambitionen im Weltraum alleine, ohne irgendeinen internationalen Partner weiterführen, sei es nun das bereits erfolgreich gestartete Projekt einer eigenen Weltraumstation in der Erdumlaufbahn oder eine eigene Mondbasis, beziehungsweise beides. Die USA, die NASA und ihre Partner im Rahmen des Artemis-Programms werden sich daher vor allem der Frage stellen müssen, wie sie ihr Verhältnis zum neuen Konkurrenten China definieren werden – sowohl auf der Erde als auch auf dem Mond.

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Conclusio

Die USA wollen mit dem Artemis-Programm zurück zum Mond – auch, um eine spätere Mars-Mission vorzubereiten. Für ihre zahlreichen Kooperationspartner in diesem Unterfangen haben sie die Artemis Accords ausgearbeitet, die den USA unter anderem auch den Ressourcenabbau am Mond ermöglichen sollen. Das ist eine Neuerung im Weltraumrecht, die potenziell gegen den Weltraumvertrag von 1967 verstößt. Entsprechenden Missmut weckt das bei vielen anderen Nationen – deren Kooperation die USA nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten, nachdem Russland und China vorerst als Weltraumpartner ausfallen.