Wer hässlich ist, stirbt schneller aus

Tiere, die von Menschen als hässlich oder eklig empfunden werden, sind noch mehr von Ausrottung bedroht, als alle anderen. Das ist ein Problem: Die hässlichsten Tiere sind oft die wichtigsten – für den Menschen und andere Tiere.

Illustration zum Wettbewerb who wants to be a panda mit verschiedenen vom Aussterben bedrohten Tierarten in Panda-Kostümen.
Panda sein würde einigen bedrohten Tierarten zu mehr Popularität verhelfen und sie vielleicht vor dem Aussterben bewahren. Sie würden besser erforscht und besser geschützt. © Marzio Mariani
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Auf den Punkt gebracht

  • Hässlich ist schön. Der Blobfisch war das erste Tier, das für seine Hässlichkeit ausgezeichnet wurde. Man kürte ihn 2013 zum hässlichsten Tier der Welt.
  • Hässlich ist wichtig. Die Auszeichnung hat einen ernsten Hintergrund: Hässliche Tiere werden weniger erforscht und sind weniger geschützt.
  • Hässlich ist Willkür. Als hässlich sehen Menschen vor allem wirbellose Tiere an. Viele Schutzprogramme beziehen sich auf Säugetiere wie wir selbst.
  • Hässlich braucht Schutz. Die hässlichen Tiere sind oft solche, die ökologisch besonders wichtig sind. Ihr Aussterben bedroht potenziell auch uns.

Mein Name ist Simon Watt und ich bin Präsident der „Ugly Animal Preservation Society“. Die gibt es tatsächlich. Sozusagen. Mehr oder weniger. Ich habe einen großen Teil meines Lebens der Aufgabe gewidmet, den Bekanntheitsgrad jener Kinder von Mutter Erde zu steigern, die zu den ästhetisch anspruchsvolleren gehören.

Mehr über den Nutzen von Vielfalt

Im Jahr 2013 machten wir den Blobfisch berühmt, indem wir eine Online-Wahl veranstalteten, die viral ging und dazu führte, dass er unser Maskottchen wurde und offiziell zum hässlichsten Tier der Welt gekürt wurde. Meine Freunde und ich machen Comedy mit einem Hauch von Naturschutz. Bei jeder Veranstaltung erzählen wir dem Publikum durch die Kunst der Stand-up-Comedy von bedrohten Tieren, die aufgrund ihres hässlichen Aussehens leider vernachlässigt wurden. 

Schuld ist der Panda

Angefangen hat es mit dem Panda. Er ist das Aushängeschild des Artenschutzes. Sein schwarz-weißes Charisma hat ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht.  Er wurde zum Symbol des World Wildlife Fund (WWF), und zwar nicht nur, weil er gefährdet ist, sondern auch, weil er verehrt wird. Der WWF hatte Recht, als er dachte, dass sich die Menschen für den Schutz eines so niedlichen und kuscheligen Tieres einsetzen würden. Die Tatsache, dass es sich um ein Schwarz-Weiß-Motiv handelt, hat wahrscheinlich auch dazu beigetragen, die zusätzlichen Kosten für Farbfotokopien zu vermeiden.

Wir schlafwandeln durch ein Massensterben.

Die gute Nachricht ist, dass die Strategie offenbar aufgegangen ist. Ohne die Zuchtprogramme in den Zoos und den Schutz der Bambuswälder, in denen sie leben, wären diese bizarren Bären wahrscheinlich ausgerottet worden. Dank der Aufmerksamkeit und der konzertierten Bemühungen von Naturschützern hat sich die Zahl der Pandas in den vergangenen 30 Jahren jedoch verdoppelt. Im Jahr 2021 wurde der Panda von der Liste der bedrohten Arten gestrichen und von stark gefährdet auf gefährdet zurückgestuft. Ich habe das, wenn auch etwas widerwillig, gefeiert.

Die Pandas sind unleistbar

Vor zehn Jahren habe ich dafür plädiert, dass wir den Panda einfach aussterben lassen sollten. Es war nichts Persönliches. Ich war nur der Meinung, dass all das Geld an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnte.  Pandas sind besonders teure Tiere; alle in Gefangenschaft gehaltenen Pandas, egal in welchem Zoo sie sich befinden, sind Eigentum Chinas. Das Land vermietet sie für bis zu einer Million Dollar pro Jahr.

Außerdem ist der Panda ein notorisch wählerischer Esser, der sich ausschließlich von Bambus ernährt, und es kann eine weitere halbe Million Dollar pro Jahr kosten, einen hungrigen Panda zu ernähren. Es ist nicht so, dass ich Pandas nicht faszinierend fände; es ist nur so, dass sie ein Luxus sein könnten, den wir uns nicht leisten können.

Man schätzt, dass die Menschheit das Aussterben von Arten um das Tausend- bis Zehntausendfache beschleunigt hat.

Wir schlafwandeln durch ein Massensterben. Das Aussterben von Arten ist ein natürliches Phänomen, aber es vollzieht sich derzeit in einem alarmierenden Tempo. Man schätzt, dass die Menschheit das Aussterben von Arten um das Tausend- bis Zehntausendfache beschleunigt hat.

In vielen Fällen handelt es sich dabei um Arten, die wir noch nie gesehen oder dokumentiert haben. Das ist an sich schon ein Verlust, aber es kann nützlich sein, ihn in konkreteren und praktischeren Begriffen zu betrachten: Mit diesen Arten werden Heilmittel für Krankheiten sterben, die in der Biochemie ihrer Zellen verborgen sind, neue Nahrungsquellen aus exotischen und unentdeckten Pflanzen, neue Materialien und Textilien, so viel unerforschtes und unbekanntes Potenzial.

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Zahlen & Fakten

Drei Blobfische auf einem Tisch

Hässlich und schützenswert I: Der Blobfisch

  • Der Blobfisch (Psychrolutes marcidus) lebt auf dem Boden der Tiefsee bei Australien in 600 bis 1.200 Metern Tiefe und besteht hauptsächlich aus einer gallertartigen Masse – er hat kein Skelett und keine Muskeln.
  • Der gallertartige Körper ist ein Vorteil, denn der Wasserdruck, der in diesen Tiefen herrscht ist enorm – nur durch seine Blobhaftigkeit wird der Blobfisch nicht von seiner Umgebung zerquetscht. Und: In seinem Lebensraum sieht der Blobfisch nahezu aus wie ein normaler Fisch, lediglich der fehlende Druck an der Erdoberfläche lässt ihn zusammensacken. Er ist ein missverstandenes Geschöpf. 

Fatale Fixierung auf Säugetiere

Die biologische Welt ist eines unserer größten Güter, und ihre Zerstörung wird uns alle betreffen. Die UNO – und viele Versicherungsgesellschaften – betrachten die Risiken, die durch den Verlust der biologischen Vielfalt und der Lebensräume entstehen, inzwischen als größere Bedrohung als den Terrorismus.

In Berichten der Weltbank wird davor gewarnt, dass die Weltwirtschaft bis 2030 jährlich bis zu 2,7 Billionen Dollar verlieren könnte, wenn die Länder weiterhin die biologische Vielfalt zerstören – weil weniger bestäubt wird, weil es weniger Ertrag aus der Fischerei gibt, weil es weniger Holz gibt.

Die UNO betrachtet den Verlust der biologischen Vielfalt als eine größere Bedrohung als den Terrorismus.

Mit der Beschleunigung des Klimawandels wird sich die derzeitige Krise wahrscheinlich nur noch verschärfen.  Es handelt sich um einen Notfall; wenn wir nicht chirurgisch präzise vorgehen, riskieren wir, viel mehr zu verlieren als nur die Natur, die das Glück hat, unser Herz zu erobern. 

Wir sind zu sehr auf Säugetiere fixiert. Wir scheinen uns nur für Tiere zu interessieren, die wie wir ein Rückgrat haben. Indem wir uns von schönen Tieren blenden lassen, verpassen wir nicht nur die Freude, etwas über fantastisch seltsame und wunderbare Kreaturen zu hören, sondern schaden vielleicht sogar unserem Planeten. Unsere Vorliebe für die charismatische Megafauna beschränkt sich nicht nur auf gestochen scharfe TV-Dokumentationen, sondern wirkt sich auch auf die Forschung aus.

Weniger erforscht und weniger geschützt

Wie jeder weiß, der schon einmal Online-Dating ausprobiert hat, ist die große Mehrheit der Lebewesen da draußen hässlich. Und dennoch werden hässliche Tiere seltener erforscht, geschweige denn geschützt.  Obwohl wirbellose Tiere etwa 95 Prozent der Tierwelt ausmachen, werden sie nur in elf Prozent der Literatur über Artenschutz behandelt.

In einem kürzlich erschienenen Artikel in den Proceedings of the Royal Society B, einem britischen Fachjournal, wurde errechnet, dass die Finanzierung von LIFE-Projekten der Europäischen Union Wirbeltiere massiv begünstigt: Ihr Schutz erhält sechsmal mehr Mittel als der von Wirbellosen. Das bedeutet, dass die Investitionen pro Art für Wirbeltiere relativ gesehen 468-mal höher waren als für Wirbellose. Allein auf Säugetiere und Vögel entfielen 72 Prozent der geförderten Arten und 75 Prozent des Gesamtbudgets.

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Zahlen & Fakten

Hufeisenfledermaus. Der Beitrag ist Teil einer Serie über Artenschutz und Artensterben.
Eine Hufeisennase. © Getty Images

Hässlich und schützenswert II: Die Hufeisennase

  • Fledermäuse (Microchiroptera) haben – Stichwort Vampir – nicht erst ein schlechtes Image, seit sie im Verdacht stehen, Ursprung des pandemieauslösenden Coronavirus zu sein.
  • Eigentlich erfüllen die Hufeisennasen (Rhinolophidae) zwei wichtige Voraussetzungen für ihren Schutz: Sie sind Säugetiere und Wirbeltiere wie alle Fledertiere. Fünf Familien von Hufeisennasen mit 109 unterschiedlichen Arten gibt es. Fledertiere insgesamt haben 19 Familien und 1428 Fledermausarten.
  • Die Hufeisennase hat vielleicht dieses (namensgebende) Problem: Das Hufeisen, das an der Stelle sitzt, wo bei anderen Tieren die Nase ist. Durch ihren derart geformten Nasenaufsatz stößt sie Klicklaute aus, deren Schallwellen reflektiert werden. So kann die Hufeisennase bis zu dreißig Meter entfernte Objekte wahrnehmen. Die Große Hufeisennase kommt auch in Österreich und Deutschland vor, wo sie als vom Aussterben bedroht gilt.

Hässliche Fische sind vom Aussterben bedroht

Diese taxonomische Bevorzugung macht es schwieriger, Erhaltungsrisiken für andere Arten zu erkennen und wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Es ist hart, gegen diese Voreingenommenheit anzukämpfen, aber einige Wissenschaftler und Naturschützer versuchen, das Problem zu lösen. Im Rahmen des Programms EDGE of Existence werden einige der ungewöhnlichsten Arten unseres Planeten, die vom Aussterben bedroht sind, hervorgehoben und geschützt. 

Viele EDGE-Arten, die einen einzigartigen und unersetzlichen Teil der biologischen Vielfalt unserer Welt darstellen, wurden von den Naturschützern übersehen. Ein ähnliches Muster der Vernachlässigung bei Fischen wurde auch von anderen Gruppen festgestellt. Eine Studie der Universität Montpellier hat ergeben, dass nicht nur die als hässlich empfundenen Fische am stärksten vom Aussterben bedroht sind, sondern auch diejenigen, die ökologisch am wichtigsten sind.

Niedlichkeit kann schaden

In einigen Fällen schadet unsere Liebe zur Niedlichkeit auch den niedlichen Arten. Virale Videos von großäugigen, babyähnlichen Plumploris, die gekitzelt werden, lösten weltweit ein Aufatmen aus, führten aber auch dazu, dass diese vom Aussterben bedrohten Tiere zunehmend als Haustiere auf dem Schwarzmarkt verkauft werden. Schimpansen sind in unserer Kultur so allgegenwärtig, tauchen in der Werbung und auf Grußkarten auf, sodass man leicht vergisst, dass unser nächster Verwandter vom Aussterben bedroht ist.

Man könnte meinen, aussterbende Arten seien kein Thema, das sich für Comedy eignet.  Ich bin da anderer Meinung.  Wenn man von schlechten Nachrichten umgeben ist, kann man leicht in Trauer und Erschöpfung verfallen. Wenn man sich für den Artenschutz interessiert, schaut man meistens in den Nachrichten nach, welche Art heute ausgestorben ist.

Wie jeder weiß, der schon einmal Online-Dating ausprobiert hat, ist die große Mehrheit der Lebewesen da draußen hässlich.

Indem ich Geschichten über bedrohte Arten mit Humor erzähle, hoffe ich, dass wir dadurch dazu angeregt werden, über eine traurige Situation zu sprechen, die wir vielleicht lieber ignorieren würden. Galgenhumor gehört zu den lustigsten Formen des Humors. Ich nehme die Gesetze der Satire und wende sie auf den Artenschutz an: Man macht Witze über Politik, weil Politik wichtig ist.

Wir sollten Witze über den Artenschutz machen, weil der Artenschutz wichtig ist. Auf der Bühne sprechen Comedians über das, was sie interessiert, und so war es nur natürlich, dass mein biologischer Hintergrund in meine Arbeit einfließt. Der Humor hilft uns zu lernen und ermöglicht uns eine Distanz und Subjektivität, die es uns ermöglicht, einen Schritt zurückzutreten und herauszufinden, warum wir denken, was wir denken.

Faszination Schleimaal

Ich habe mich mit dem Panda angelegt, weil ich wusste, dass er der perfekte Gegner ist. Diese Tierart ist so allgegenwärtig, so beliebt in der Artenschutzbewegung und in der Populärkultur, dass ich ihrer Popularität niemals etwas anhaben konnte. Ich werde niemals eine Gruppe kritisieren, die versucht, Gutes zu tun, wenn die Welt um uns herum in Flammen steht.

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Zahlen & Fakten

Schleimaale (Eptatretus stoutii) in 150 Metern Tiefe. Das Bild illustriert einen Beitrag, in dem es darum geht, dass hässliche Tiere schneller aussterben. Der Beitrag ist Teil einer Serie über Artenschutz und Artensterben.
Schleimaale in 150 Metern Tiefe. © Getty Images

Hässlich und schützenswert III: Der Schleimaal

  • Hässliche Tiere haben selten schöne Namen, und der Schleimaal (Myxinoida) macht da keine Ausnahme. Der Schleimaal hat einen alternativen Namen: Inger. 60 unterschiedliche Arten leben in Küstenregionen in 30 bis 2.000 Metern Tiefe.
  • Die Arten unterscheiden sich unter anderem in ihrer Größe: die kleinsten Arten erreichen eine Körperlänge von 30 Zentimetern, die größten haben Exemplare von einem Meter Länge.
  • Die noch in allen Meeren vorkommenden Tiere haben über den ganzen Körper Schleimzellen verteilt, die sie einsetzen, um zu überleben: Wird er bedroht, stoßen die Schleimzellen ein Sekret ab, das Wasser in Schleim verwandelt und Mund wie Kiemen des feindlichen Fisches verstopft. Mit einer erstaunlichen Effizienz: Ein Gramm Sekret reicht aus, um zehn Liter Wasser zu Schleim zu machen. 

Ich möchte eigentlich nicht, dass eine Tierart ausstirbt, aber durch meine Respektlosigkeit konnte ich versuchen, ein anderes Publikum zu erreichen. Die Menschen, die den Schneeleoparden lieben, sind bereits dabei, wenn es darum geht, die Natur zu erhalten. Andere, die vielleicht entdecken, dass die Dromedar-Sprungschnecke ihr „spirit animal“ ist, waren noch nicht engagiert. Wir müssen immer neue und andere Geschichten erzählen, um verschiedene Menschen zu erreichen.  

Blobfisch im Rampenlicht

Der Panda ist eine Ikone, und wir brauchen Ikonen, an denen wir Ideen aufhängen können. Sie können als Gesprächsanlass dienen, aber sie sind am nützlichsten, wenn die Auseinandersetzung mit ihnen über die Oberfläche hinausgeht. Schönheit ist nur oberflächlich, das Gleiche gilt für Hässlichkeit. Ich denke, es ist schwer, von Fledermäusen zu hören, die ihre Elfenohren und Ork-ähnlichen Nasen zur Echoortung benutzen, oder von Schleimaalen, die einen Angriff überleben, indem sie das Maul eines Raubtiers mit Rotz verstopfen, ohne fasziniert zu sein.

In so vielen Fällen ist es gerade ihre schreckliche Anatomie, die diesen abstoßenden Arten ihre Superkräfte verleiht. Die Natur ist in ihrer Vielfalt bemerkenswert, und so ist es falsch anzunehmen, dass wir in unserem Interesse nicht vielfältig sein werden.  Der Blobfisch verdient seinen Platz im Rampenlicht neben dem Panda.

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Conclusio

Hässlichkeit ist ein Problem: Tiere, die wir nicht als schön empfinden, werden weniger erforscht und weniger geschützt. Die „Ugly Animal Preservation Society” will die hässlichen Tiere ins Rampenlicht rücken – weil sie genauso schützenswert sind und oft für die Ökosysteme noch wichtiger sind als jene Arten, auf die wir meist unseren Fokus richten. Das Aussterben vollzieht sich massenhaft und unbeachtet, der Verlust an Tierarten ist letztlich ein großes Problem für das Problem unserer eigenen Art.

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