Bauernaufstand

Alle Räder stehen still, wenn unser Traktor es so will. Die Blockaden der deutschen Bauern nerven. Ein Angriff auf die Demokratie sind sie nicht. 

Räder von Traktoren. Das Bild illustriert einen Kommentar zu den Bauernprotesten in Deutschland.
Deutschlandweit sind am 8. Januar die Bauernproteste gegen die Kürzungspläne der Ampel gestartet. © Getty Images

Verbringt man zu viel Zeit in Social Media, könnte man meinen, Deutschland stehe kurz vor einem neuen Bauernkrieg. Der Anlass ist eher banal: An die 150 Bauern haben den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck am Verlassen einer Fähre gehindert, mit der er aus dem Urlaub zurückkam, um ihn zur Rede zu stellen. Sie hatten sich an dem kleinen Fährhafen Schlüttsiel in Schleswig-Holstein eingefunden, in dem der Vize-Kanzler an Land gehen wollte. Die Menge verlangte mit Habeck zu reden, er ging aus Sicherheitsgründen nicht von Bord. Zwei Dutzend durchbrachen die Polizeisperre und stürmten auf den Steg, die Fähre legte wieder ab. Die Videos gingen viral. 

„Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen“, lobte der Geschäftsführer der Reederei den Kapitän. Später veröffentlichten Aufnahmen und Augenzeugen zufolge hatte die Fähre allerdings bereits abgelegt, als sich ein paar der Bauern in Bewegung setzten: „Also, die Fähre war bereits am Ablegen, sie war mindestens schon fünf Meter vom Steg weg, bevor die Landwirte angefangen haben nach vorn zu drücken“, so ein Augenzeuge

Wie auch immer. Mir sind solche Formen des Protests unsympathisch. Zum einen habe ich es ohnehin nicht so mit Massenveranstaltungen, zum anderen hat es was mit Menschenwürde und Respekt vor dem Amt zu tun, eine gewisse Distanz zu wahren. Ein vernünftiger Dialog ist unter solchen Bedingungen ohnehin nicht möglich.

Arbeit und Lohn stehen bei den bäuerlichen Familienbetrieben in einem Verhältnis, vor dem jeder work-life-balance-Optimierer schreiend davonlaufen würde.

Ich habe aber auch leicht reden. Von Landwirtschaft verstehe ich nichts. Nur, dass wir ohne Bauern nichts zu essen hätten. Und von Essen wiederum verstehe ich was. Darum kaufe ich, wann immer es geht, auf „meinem“ Bauernmarkt ein. Ich weiß, bei wem die Hühner das schönste Leben hatten, wer die besten Tomaten hat, die besten Eier, Äpfel oder Käferbohnen und kenne den Unterschied zwischen frischem Salat und abgepackter Supermarkt-Ware. 

Wer hier auf dem Markt steht, gehört nicht zu den Großbetrieben, die den Löwenanteil der Agrarförderungen erhalten. Es sind Familienbetriebe, die gut über die Runden kommen, dafür aber auch schuften müssen. Arbeit und Lohn stehen in einem Verhältnis, vor dem jeder work-life-balance-Optimierer schreiend davonlaufen würde. 

Die Henne oder das Ei?

Wer hier auf dem Markt steht, ist aber auch unabhängig von Genossenschaften und Handelsketten. Bauern, die einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes direkt mit den Verbrauchern machen, erzielen im Durchschnitt einen deutlich höheren Preis als Lohnproduzenten für Großabnehmer. Am Bauernmarkt funktioniert der Markt: Den Preis diktiert hier nicht der Mächtigste, sondern Angebot und Nachfrage. Und die Kunden stehen jeden Samstag Schlange.

Im Gegensatz zum Bauernmarkt funktioniert der europäische Agrarmarkt offensichtlich nicht. Ein Drittel des gesamten EU-Budgets wandert in Agrarförderungen, zusätzlich zu den Förderungen der einzelnen Länder.

Ich weiß nicht, ob die meisten Bauern ohne Subventionen nicht mehr überleben können, weil die Konsumenten nicht bereit sind, einen Preis für Lebensmittel zu bezahlen, um den man diese auch produzieren kann; oder ob Handelsketten und Lebensmittelindustrie ihre Einkaufspreise nur deshalb dermaßen drücken können, weil ihre Lieferanten Einkommensverluste durch Förderungen kompensieren können; oder ob die Genossenschaften ihre Mitglieder zu Lohnfertigern erzogen haben, die ihre Produktion nur mehr an der Menge ausrichten statt an der Nachfrage. Oder alles zusammen. 

Es geht um mehr als um Agrardiesel und Kfz-Steuern. 

Aber ich weiß, dass die landwirtschaftlichen Betriebe mit immer mehr Auflagen und Vorschriften konfrontiert sind, die ihnen das Leben schwer machen. Die deutschen Bauern protestieren, weil sich ihre Produktionsbedingungen seit Jahren verschlechtern, weil viele um ihre Existenz kämpfen und weil sie von der Ampelkoalition nicht gehört werden. Es geht um mehr als um Agrardiesel und Kfz-Steuern. Nicht zuletzt um mehr Wertschätzung gegenüber der Landbevölkerung, die die urbanen Räume zwar mit Nahrung und Energie versorgt, aber dafür meist nur Häme erntet – weil sie der Tradition verbunden ist, sich anders artikuliert, die falsche Musik hört, sonntags den Griller anwirft und die 20 Kilometer zur Arbeit nicht mit dem Lastenfahrrad fährt. 

Gute Blockierer, böse Blockierer

Ein Autor mit über 130.000 Followern auf X, formerly known as Twitter, schwadroniert von einem „rechtsradikalen gewaltbereiten Pöbel“ und ein ehemaliger ARD-Chefredakteur twittert „Traktor fahren macht offenbar dumm“ (das Posting ist mittlerweile gelöscht). Von „Landvolkpack“ und einem „völkischen Bauern- und Nazi-oder sogar Bauernnazimob“ ist die Rede. Und der SPIEGEL stellt die Bilder von ein paar Bauern auf einem Landesteg in der norddeutschen Provinz in eine Reihe mit Umsturzplänen, schließlich würden sie an den Sturm aufs Kapitol und den auf das Reichstagsgebäude erinnern: „Ein wilder Haufen aufgebrachter Menschen stürmt los, um den Gegner, das System‘ zu stellen, anzugreifen, niederzuringen.“

So schnell wird man heute vom einfachen Bauern zum Mob, Putschisten oder Nazi, bei dem „die letzten Hemmungen fallen“. Jeder Protest gegen die Ampel wird prompt unter Generalverdacht gestellt, „von rechts“ gekapert oder initiiert zu sein oder zumindest „den Rechten“ zu dienen. Zumindest in Schlüttsiel steht dieses Narrativ allerdings auf wackeligen Beinen: bei den Landtagswahlen 2022 ist die AfD in Schleswig-Holstein aus dem Landtag geflogen. 

Dass zwei Dutzend Bauern einen Minister und rund dreißig Passagiere daran gehindert haben, planmäßig von Bord einer Fähre gehen zu können, hat gereicht, um ausgerechnet jene Milieus gegen die gesamte Bauernschaft aufzubringen, die seit Monaten Sympathie bis Zustimmung für die Klimakleber der Letzten Generation aufbringen. Ein paar Stunden Zeit von Herrn Habeck wiegen für das links-grüne Establishment offenbar schwerer, als wenn zig-tausende Bürger nicht rechtzeitig zur Arbeit oder ins Krankenhaus kommen, stundenlang im Stau stehen, ihre Flüge verpassen und hunderte Polizisten damit beschäftigt sind, das Chaos wieder aufzulösen. 

Was die Klimakleber erzeugen, ist so sinnlos wie Butterberg und Milchsee zusammen. 

Nun könnte man zurecht einwenden, Klimaschutz sei ein bedeutenderes Thema als die Interessen einer Berufsgruppe. Im konkreten Fall verfängt der Einwand jedoch nicht. Abgesehen davon, dass der Zweck hier wie dort nicht die Mittel heiligt: Die Klimakleber produzieren nichts als Aufmerksamkeit (abgesehen vom volkswirtschaftlichen Schaden, dem öffentlichen Ärgernis und dem Mehrausstoß von CO2). Und das, obwohl man keine Zeitung aufschlagen, keine Nachrichtensendung sehen und schon gar keine Politikerrede hören kann, ohne mit dem Klimawandel konfrontiert zu werden. Die Bauern erzeugen immerhin unsere Nahrung. Was die Klimakleber erzeugen, ist demgegenüber so sinnlos wie Butterberg und Milchsee zusammen. 

Klebt euch bitte sonst wohin

Habecks Blockade war nur ein spontaner Auftakt zu einer ganzen Woche voller Proteste. Auf deutschen Straßen sind seit dem 8. Jänner mehr Traktoren zu sehen als je zuvor, sie blockieren Straßen, Verkehrsknotenpunkte und Autobahnauffahrten. Und ab dem Tag des Erscheinens dieser Kolumne wird die Lokführergewerkschaft GDL auch noch den Bahnverkehr für drei Tage lahmlegen. 

Ob Bauern, Linksextreme, Querdenker, Impfgegner oder Klima-Aktivisten – dass immer mehr Gruppen darauf abzielen, dass von ihren Protesten möglichst viele Menschen betroffen sind, nervt. Statt Straßen, Schienen und Innenstädte lahmzulegen, könnte man ja auch Regierungssitze blockieren. Und festkleben kann man sich auch an oder in einem Ministerium. Warum den Protest nicht an jene richten, die in der Verantwortung für den behaupteten oder tatsächlichen Missstand stehen? 

Es ist mein wohl geringster Wunsch an das noch junge Jahr: Protestiert, wogegen oder wofür auch immer ihr wollt, aber geht dabei nicht allen auf die Nerven, die für euer Anliegen gar nicht zuständig sind. Klebt euch bitte sonst wohin. 

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