Über das Lachen

Warum Tanzbären uns erheitern und Außenseiter unser Hohngelächter provozieren. Und warum das so ganz anders funktioniert als das Lachen eines Kindes im Sonnenschein.

Ein kleines Mädchen mit Kochhaube steht lachend vor einer provisorischen Küche. Das Bild illustriert einen die Kolumne „Über das Lachen“ von Michael Köhlmeier.
Kinder lachen gerne und viel – durchschnittlich bis zu 400-mal am Tag. Und das zumeist ohne Schadenfreude oder jemanden auszulachen. © Getty Images

Es gab eine Zeit, da konnte man auf Jahrmärkten Tanzbären sehen. Das war komisch. Was war daran komisch? Wer war komisch? Gelacht hat man über den Bären. Wie er getanzt hat. Besser: wie er sich bemühte zu tanzen. Er bemühte sich? Natürlich nicht. Der Bär stellte jemanden dar. Er stellte jemanden dar, der sich bemüht zu tanzen, es aber nicht richtig kann. Dieser Jemand aber ist ein Mensch. 

Wir lachen über Tiere, wenn sie sich wie Menschen verhalten. Das Oberlustige dabei aber ist: Sie wissen nicht, dass sie sich wie Menschen verhalten. Der Mann, der auf der Bananenschale ausrutscht und hinfällt, weiß auch nicht, dass er komisch wirkt, und ganz bestimmt will er nicht komisch wirken, und genau das ist das Komische daran.

Was geht in uns vor, wenn wir ihn auslachen? Haben wir kein Mitleid mit ihm? Vielleicht schon – aber etwas zeitversetzt, zunächst lachen wir ihn aus. Wenn wir allein sind, gelingt es uns vielleicht, das Lachen zu unterdrücken. Wenn wir mehrere sind, eine Gruppe, eine Meute, dann lachen wir frei und gnadenlos. Dann lachen wir sogar die Frau oder den Mann aus, der oder die ausschert, um sich um den Gestrauchelten zu kümmern.

Wir anderen sind die Meute. Ohne Empathie. Wir sehen in dem Unglücklichen nur den komischen Typen, nicht den leidenden Charakter. Wir zeigen auf ihn. Er ist in diesem Augenblick kein in die Gemeinschaft integriertes Individuum. Er hat sich selbst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, indem er ihre Regeln nicht beachtet hat: Gib Obacht auf die Straße, es könnte eine Bananenschale vor dir liegen! Die Strafe für diesen Regelbruch ist, dass wir ihn auslachen.

Von Bären und Bergson

Dazu aber müssen wir alles in uns beiseiteschieben, was in unserer eigenen Vergangenheit ebenfalls regelbrüchig war, überhaupt alles, was an uns fehleranfällig ist. Also: alles Menschliche. In einem theologischen Sinn verkörpern wir, wenn wir in einer solchen Situation lachen, das Böse. Aber böse sein wollen wir doch nicht! Wenn hingegen der Mensch, der sich danebenbenimmt und sich dadurch lächerlich macht, kein Mensch ist, sondern ein Tier, zum Beispiel ein Bär, dann – ja dann dürfen wir aus gutem Herzen lachen. Und es soll einer kommen und sagen, wir lachen eigentlich über einen Menschen!

Der Ort, wo ausgelacht wird, ist bevorzugt der öffentliche Raum.

Der französische Philosoph Henri Bergson (1859–1941) hat uns in seinem berühmten Essay über das Lachen auf die verwickelten Umstände dieser Herzenslust aufmerksam gemacht. Wenn wir über das Komische lachen, so meinte er, sei es immer ein Auslachen. Er stellt seinen Überlegungen drei Gedanken voraus: Erstens: Außerhalb des Menschlichen gibt es keine Komik. Zweitens: Das Lachen/Auslachen erzeugt in uns Empfindungslosigkeit. Drittens: Wenn wir allein sind, finden wir selten etwas komisch. Der Ort, wo ausgelacht wird, ist bevorzugt der öffentliche Raum – in zivilisatorisch gebändigter Form zum Beispiel das Theater oder das Kino. 

Der Schwache will Rache

Die Figuren, über die wir lachen, sind ungesellige Gesellen, Außenseiter. Nicht zur Gemeinschaft gehören zu wollen ist ärgerlich. Nicht zur Gemeinschaft gehören zu können ist lächerlich. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer (1907–2001) unterscheidet in seinem Buch Außenseiter zwischen intentionalen und existenziellen Außenseitern. Ersterer will ein Außenseiter sein und nimmt dafür alle Grobheiten in Kauf. Letzterer ist ein Außenseiter, er kann an diesem Umstand nichts ändern, auch wenn er möchte. Mayer nennt für diesen Typus drei besonders stark betroffene Gruppen: Frauen, Homosexuelle und Juden. 

Wenn ein Kauz ausgelacht wird, dann ist das nicht schön, aber doch harmlos. Bei der „Bestrafung“ von Außenseitern ist die Sache aber – wie auch Henri Bergson im wirklichen Leben erfahren musste – mit Auslachen nicht erledigt. Eine Gemeinschaft kann Sinn geben, und das ist gut so. Wer allerdings nicht viel mehr vorweisen kann, als Mitglied zu sein, dessen Selbstwertgefühl kommt ins Wanken, wenn einer auf ebendiese Gemeinschaft pfeift. Das schreit nach Rache.

Schuldiges und unschuldiges Lachen

Menschen, die vielleicht gern dieser Gemeinschaft angehören würden, ihrer Art wegen aber nicht können, die dürfen frei ausgelacht werden. Ein Großteil der Witze – jedenfalls in meiner Kindheit und Jugend – waren Frauenwitze oder Schwulenwitze oder Judenwitze. Diesbezüglich hat die political correctness viel Gutes getan, und niemand, der seine Tassen im Schrank hat, kann sich wünschen, die Verpönung solchen Unwesens würde aufgehoben. 

Unser Lachen ist eine Art Bestrafung. Wer bestraft, erhebt sich über den, der bestraft wird.

Seien wir uns bewusst: Wenn wir etwas komisch finden und darüber lachen, dann verletzen wir. Immer. Unser Lachen ist eine Art der Bestrafung. Wer bestraft, erhebt sich über den, der bestraft wird. Es soll ja Fanatiker geben, die das Lachen ganz abschaffen wollen. In Wahrheit wollen sie den Menschen abschaffen. 

Der Mensch ist verschieden. Seine Verschiedenheit ist seine Schönheit. Wir erinnern uns, wie wir als Kind gelacht haben – da waren keine Schadenfreude, kein Auslachen, kein Bestrafen im Spiel: Wir haben gelacht, weil die Sonne schien. Weil unsere Beine losrennen wollten. Weil wir uns auf ein Marmeladebrot gefreut haben …

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