Das Einsamkeits-Ministerium

Je mehr der Staat den Bürgern bei allem und jedem hilft, umso mehr macht er sie unfähig, sich ab und zu selbst zu helfen.

Eine einsame Frau geht über einen Steg und blickt auf einen See.
Eine bundesweite „Koalition gegen Einsamkeit“ soll mit verschiedenen Aktionen Einsamkeit in Deutschland vorbeugen und sie lindern. © Getty Images

Weil sie ja bekanntlich mit so Petitessen wie Abwanderung der Industrie, einem zerbröselnden Straßen- und Bahnnetz, einer suizidalen Energiewende und dem Krieg am Rande Europas nicht wirklich ausgelastet ist, nimmt sich die deutsche Regierung jetzt eines neuen Großprojektes an: dem vom Staat zu führenden Kampf gegen die Einsamkeit vieler Menschen.

Und wie in Deutschland üblich wird da geklotzt und nicht gekleckert. Gleich 100 Maßnahmen verkündete das Berliner Kabinett, darunter „Neue Lehrstühle für Einsamkeitsforschung, Gründung einer bundesweiten ‚Koalition gegen Einsamkeit‘ aus Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände, Initiativen, Stiftungen, Vereine oder Religionsgemeinschaften, Modellprojekte gegen Einsamkeit in der Altersgruppe der 28- bis 59-Jährigen“, wie der Stern berichtete. Wer mit der politischen Mechanik vertraut ist, kann sich ausrechnen, dass auch in Österreich früher oder später ein Verbot von Einsamkeit in die Verfassung muss.

Nun wäre es gewiss völlig falsch, Vereinsamung nicht als großes Problem zu verstehen, das viele Menschen betrifft und ihnen das Leben zur Mühsal macht.

Aber: ein Staat, der sich anmaßt, dies als Aufgabe zu verstehen, die er selbst zu lösen hat, handelt übergriffig und bevormundend in hohem Ausmaße. Hier sehen wir, wieder einmal, den Nanny-Staat am Werk, der seine Bürger als unmündige Kinder missversteht, die permanenter Betreuung bedürfen, weil sie nicht imstande sind, ein eigenverantwortliches Leben zu führen.

Hier sehen wir, wieder einmal, den Nanny-Staat am Werk, der seine Bürger als unmündige Kinder missversteht.

Es mag Menschen geben, die das ganz angenehm finden – aber deswegen gleich alle zu Zielen staatlicher Rundumbetreuung zu machen, ist schlicht und ergreifend falsch und einem liberalen Gemeinwesen fremd.

Nicht zuletzt deswegen, weil immer mehr Menschen das Gespür dafür abhandenkommt, dass es ihre und ihrer Mitmenschen Aufgabe und Verantwortung ist, Einsamen zu helfen, in der Nachbarschaft, in Vereinen, in den Kirchen oder anderen sozialen Institutionen. Je mehr Aufgaben dieser Art der Staat an sich zieht, um so geringer wird das Verantwortungsgefühl des Einzelnen werden – erledigt ja eh alles der Staat.

Denkt man das zu Ende, mutiert der einzelne Bürger vom Souverän zum Insassen einer Anstalt, die ihm jegliche Verantwortung abgenommen hat – und damit auch jegliche Freiheit; eine völlig dystopische Vorstellung.

Kälber und Schlächter

Fast noch beunruhigender als diese geplante staatliche Übergriffigkeit unter dem Vorwand der Einsamkeitsbekämpfung ist übrigens die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit, die das weitestgehend begrüßte, anstatt die verantwortlichen Politikerinnen mit feuchten Tüchern zu traktieren. „Nur die dümmsten Kälber suchen sich ihren Schlächter selber aus“, hat Bertold Brecht das einst trefflich beschrieben.

Nicht ohne Ironie ist freilich, was hier sichtbar wird, schaut man auf großer Distanz drauf: dass nämlich der Staat an nahezu jedem Problem mehr oder weniger scheitert, dessen er sich annimmt, von der Energiewende bis Führen von Unternehmen – und die breite Öffentlichkeit trotzdem nach immer mehr Staat verlangt. Kann man verstehen, muss man aber nicht.

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