Feminismus im Aufwind

Feminismus ist eine starke Kraft. Warum es sich lohnt, für Gleichberechtigung zu kämpfen, zeigen die Autorinnen dieser Bücher.

Das Bild zeigt Menschen am Strand in West Bay. Im Vordergrund ist eine Frau zu sehen, die ein Buch liest. Das Bild illustriert einen Beitrag mit Buchtipps zum Thema Feminismus.
Lesen am Strand von Westbay in Dorset, England, im September 2021. © Getty Images

Vielleicht wird demnächst eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Kamala Harris macht aus ihren starken feministischen Positionen keinen Hehl. Und auch ihr Running Mate, Tim Walz, hat verstanden, dass Gesellschaften besser dran sind, wenn Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrscht. Doch was heißt Feminismus heute? Brauchen wir den überhaupt? Diese Autorinnen – darunter Rita Süssmuth – zeigen die vielen Facetten und bieten Analysen, warum Gleichberechtigung immer noch nicht erreicht ist.

Buchtipp 1

Buchcover Sophia Fritz Toxische Weiblichkeit.
Sophia Fritz, Toxische Weiblichkeit © Hanser Berlin

Selbstkritisch vorwärts

Sophia Fritz. Toxische Weiblichkeit. Wenn es um toxische Männlichkeit geht, ist das Bild des alten weißen Mannes ein geflügeltes Wort geworden. Es sind Männer, die das Patriarchat, so wie es ist, verteidigen und Frauen auf ihre untergeordnete Stellung in der Gesellschaft verweisen. Ein Buch mit dem Titel „Toxische Weiblichkeit“ grätscht in diesen Diskurs um Geschlechtergerechtigkeit.

Da stellt sich zuerst die Frage: Wie hat die Autorin Sophia Fritz das eigentlich gemeint: Macht sie jetzt tatsächlich die Frauen für die Nicht-Gleichberechtigung verantwortlich? Nach den ersten Seiten ist klar: Der Titel ist bewusst provokant gewählt, denn es geht herauszufinden, welche Eigenschaften an Frauen toxisch für die Gleichberechtigung sind. Schnell hat Fritz das Bild des „guten Mädchens“ identifiziert, ein Frauenselbstbild das Unterwürfigkeit wie selbstverständlich miteinschließt. Genau dieses weit verbreitete Selbstverständnis von Frauen versucht Fritz zu entlarven, sie macht an ihrer eigenen Person fest, wie intrinsische die Vorherrschaft der Männer über die Frauen Verhaltensmuster bestimmen.

Dabei bringt sie nicht nur ihre eigene Biografie ins Spiel, sondern beweist ihre These auch am Beispiel von Filmen und Serien. Selbstkasteiung in Form von Magersucht oder Selbstverstümmelung durch Schönheitschirurgie sieht sie als Beweis für ihre These. Das ist spannend zu lesen, denn sie deckt wohlbekannte Muster auf und allgegenwärtige Phänomene, wie etwa die Abneigung mancher Männer gegenüber sogenannten Power-Frauen, die das Muster des Gefallwollens durchbrechen und ihre dominante Rolle offen leben.

Doch Fritz sieht die Rolle der Frauen mitunter auch sehr kritisch, dekliniert weiblichen Narzissmus und die bequeme Opferrolle. Die Quintessenz: Feminismus ist weit mehr als nur die Forderung nach Gleichberechtigung. Das Bild des braven Mädchens aufgeben zu wollen, ist der der erste Schritt gegen toxische Weiblichkeit.

Hanser, 20 Euro

Buchtipp 2

Buchcover Agnes Imhof Feminismus.
Agnes Imhof, Feminismus © Dumont

Wrap-up für Einsteigerinnen

Agnes Imhof, Feminismus. Der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen hat eine lange Geschichte, die optimalerweise jeder und jede im 21. Jahrhundert kennen sollten. Einfach auch deshalb, um kenntnisreich darüber sprechen, urteilen und diskutieren zu können. Mit diesem Impetus scheint Agnes Imhof eine Art Einführung in die Materie geschrieben zu haben.

„Feminismus“ ist ein solides und überaus faktenreiches Buch, in dem die Geschichte einer Bewegung, die Ursachen der Unterdrückung, die historischen Meilensteine und die Biografien ihrer wichtigsten Kämpferinnen breit dargelegt werden. Sie betrachtet die Frauenbewegung tatsächlich von der Antike bis zur „Rape Culture“ im 21. Jahrhundert, dabei wird beim Lesen schnell klar: Die Geschichte der Gleichberechtigung ist ein Auf und Ab und von vielen Rückschlägen gekennzeichnet. Viele Kapitel widmet sie den Ereignissen, die zum Durchbruch der Frauenbewegung führten, also dem Wahlrecht, das in Ländern wie in der Schweiz erst in den 1970er-Jahren eingeführt wurde. Und eigentlich ist das gar nicht so lange her, was unter anderem die vielen Mühen in Bezug auf die Gleichstellung erklärt.


Zudem zeigt das Buch aber auch auf, warum manche Frauen auch heute noch nichts mit dem Begriff zu tun haben wollen. Zum einen, weil Feminismus politisch eine sehr lange Geschichte hinter sich hat, die die Bewegung als links und kommunistisch punziert hat. Das macht es Frauen aus dem konservativen Gesellschaftsspektrum schwer, sich damit zu identifizieren. Zudem haben die großen Weltreligionen wie das Christentum, das Judentum und der Islam die Tendenz, Frauen zu unterdrücken, weil sie patriarchalisch strukturiert sind. Insofern werden auch den Gegenbewegungen des Feminismus viele Seiten gewidmet.

Imhofs Blick auf die Gesellschaft ist umfassend und von Kampfgeist zu Gleichberechtigung geprägt. Feminismus, so ihre Überzeugung, bringt nicht nur Frauen, sondern die gesamte Gesellschaft voran. Wer es nicht glaubt, soll dieses Buch lesen.

Dumont, 27,50 Euro.

Buchtipp 3

Buchcover Claudia Goldin Karriere und Familie.
Claudia Goldin, Karriere und Familie © Propyläen

Warum Zeit der Feind von Frauenkarrieren ist

Claudia Goldin. Karriere & Familie. In einer idealen Welt teilen sich Männer und Frauen Rechte und Pflichten, haben gleiche Chancen und gleiche Verantwortungen zu tragen. Im echten Leben ist das aber nicht der Fall: Männer machen immer noch besser Karriere als Frauen, und warum das so ist, dem ist die US-Volkswirtin Claudia Goldin auf den Grund gegangen.

Sie wurde 2023 dafür mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Wer dieses Buch liest, weiß, welche erstaunliche Erkenntnisse profunde Wissenschaft zutage fördern kann. Das Buch ist zum einen eine fantastische transgenerationelle Spurensuche, Goldin beschreibt Frauenleben zwischen 1863 und heute hinsichtlich ihrer Präsenz am Arbeitsmarkt. Zum anderen belegt sie ihre Thesen mit profundem Zahlenmaterial, für soziologisch Interessierte eine wirkliche Fundgrube.

Goldins Blick inkludiert dabei stets das gesamte Lebensumfeld: Da geht es nicht nur um Recht, sondern auch um soziale Normen rund um „Familie“, die sich substantiell gewandelt hat, genauso wie der Arbeitsmarkt an sich, etwa durch die Industrialisierung. Zentral für den Karriereknick bei Frauen ist bis heute die Geburt eines Kindes, obwohl auch diese Situation sich durch die Antibaby-Pille und die Möglichkeiten der Künstlichen Befruchtung massiv gewandelt hat.

Goldins umfassend soziologische Blick leuchtet stets viele Bereiche der Gesellschaft aus. Da geht es um die Arbeitsmarkt im Wandel der Zeit, um Technik im Alltag wie Waschmaschinen, die die Dienstboten von einst ersetzen oder um den großen Bereich dessen, was sie unter Care-Arbeit bezeichnet. Denn Goldins zentrale These ist, dass die Geburt eines Kindes auch im 21. Jahrhundert noch die meisten Frauen-Karrieren stoppt. Und damit verbunden: Es gibt immer noch Branchen, in denen nur die erfolgreich sind, die mehr als 80 Stunden pro Woche arbeiten - etwa in Unternehmensberatungen, im Finanzwesen oder manchen Bereichen der Wirtschaft; geschlechtergerechter geht es in den Naturwissenschaften und im IT-Bereich zu.

In der Zusammenschau all dieser Faktoren liegt auch die Kraft dieses Buches, das trotz seines strengen wissenschaftlichen Aufbaus die darin enthaltenen Thesen doch stets durch Fallbeispiele, Anekdoten oder Beispiele aus der Populärkultur (TV-Serien) vor Augen führt. Wer es liest, findet Beispiele aus dem eigenen Lebensumfeld. Und weil es am Ende um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, ist das Buch auch für Männer eine überaus wertvolle Lektüre, denn wenn es um die Lebensplanung und Kinder geht, sind Paare zu gleichen Teilen gefordert. Hier und da mag das Buch sehr Amerika-zentriert anmuten, doch aus der Vogelperspektive deckt Goldin all jene Strukturen auf, die in allen westlichen Gesellschaften gelebte Wirklichkeit sind.

Propyläen, 29,50 Euro

Buchtipp 4

Buchcover Rita Süssmuth Über Mut.
Rita Süssmuth, Über Mut © Bonifatius Verlag

Pionierin in der CDU

Rita Süssmuth, Über Mut. Wer hat Lust auf eine Zeitreise in die deutsche Geschichte? Rita Süssmuth, in den 1980er-Jahren Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit und später Präsidentin des Deutschen Bundestages, lädt zu einer Lebensrückschau ein.

Interessanterweise beginnt sie mit einer Abhandlung über die „German Angst“ und schafft damit einen Rahmen, auf dem sie im Buch später immer wieder Bezug nehmen wird. Auch deshalb, weil sie ja für mehr Mut in allen Lebenslagen plädiert. Die Ereignisse, die sie prägten? Eine Kindheit im Krieg, ein von Debatten geprägtes Elternhaus, Anfeindungen als Frau an der Universität und später eine erfolgreiche Karriere als Politikerin. Als solche erlebte sie den Fall des Eisernen Vorhangs, die Wiedervereinigung Deutschlands, die Aids-Krise, diverse Migrationswellen.

Aus diesen Erfahrungen heraus beschreibt sie, wie Krisen bewältigt wurden. Das beschreibt sie anhand ihrer eigenen politischen Geschichte, indem schildert, wie sie als CDU-Politikerin reagiert, wenn sie in Fragen der Gleichberechtigung von Frauen auf taube Ohren stieß: Bei der Sache bleiben, parteiübergreifende Allianzen schmieden und Debattenkultur hochhalten – in diesen Elementen sieht sie den Schlüssel für ein demokratische Miteinander, und gerade sie sind durch die sozialen Medien in Gefahr.

Über weite Strecken ist dieses Buch ein assoziatives Aneinanderreihen von Lebensweisheit, die Rita Süssmuth kraft ihrer Erfahrung zum Besten gibt. Da ist viel Kritik am aktuellen politischen Geschehen, doch versucht sie durchaus auch konstruktive Lösungen zu destillieren, so spricht sie sich für eine Ermächtigung der Jugendlichen aus, Reformen in der Arbeitsmarktpolitik und zu einer klaren Abgrenzung zu Putin durch Aufrüstung. Und natürlich bricht sie auch die Lanze für Zivilcourage, ohne die Mut sowieso niemals möglich ist.

Bonifatius Verlag, 19 Euro

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