Buchtipps III: Veränderung

Unsere Buchempfehlungen für Weihnachten und den Jahreswechsel sind von den Veränderungen inspiriert, die durch Innovationen in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft in die Welt kamen.

Foto von fünf Buchcovern auf grünem und gelbem Grund. Das Bild zeigt Buchtipps aus Wirtschaft und Geschichte.
Fünf weitere Buchempfehlungen aus Wirtschaft, Philosophie und Geschichte. © Der Pragmaticus

Was im 21. Jahrhundert als eine Selbstverständlichkeit gilt, war einst eine Errungenschaft. Der Fortschritt der Menschheit ist der Wissenschaft und einem System zu verdanken, das Know-how von Generation zu Generation weitergibt. Erfolg und Scheitern liegen nahe aneinander, genauso wie Genialität und Überheblichkeit.

Cover des Buchs von Stefano Massini, Die Lehman Brothers. Das Buch erzählt die Geschichte der Investmentbank. Es ist eine Buchempfehlung aus dem Bereich Wirtschaft.
  • Stefano Massini: „Die Lehmann Brothers“
    Lesen kann ziemlich aufregend sein – und ist mitunter mit Eingangshürden verbunden. Das beste Beispiel ist der neue Roman von Stefano Massini. „Die Lehman Brothers“ erzählt die Geschichte des amerikanischen Bankhauses und damit einer Familie, die Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA kam und deren wirtschaftliches Ende der Bankencrash 2008 wurde. Beim Aufschlagen des Buches fällt auf: Das als Roman angekündigte Werk ist als Epos konzipiert und dementsprechend in einer Art Versform gehalten. Gereimt ist es nicht, wegen des Flattersatzes gibt es allerdings viel Weißraum und Absätze. Wer sich darauf einlassen kann, ist innerhalb von wenigen Seiten gefangen. Die Anfänge der Saga macht Heysum Lehmann, der aus Bayern nach Amerika auswanderte und in Alabama ein Stoffgeschäft eröffnet. Aus dem Tuchladen wird bald schon ein Baumwollgroßhandel. Im beginnenden Industriezeitalter finanzieren die Lehmans nicht nur die Landwirtschaftsmaschinen für die Plantagen, sondern auch die Maschinen zur Stofferzeugung. Massini erzählt von den höchst eigenwilligen Familienmitgliedern, die von Generation zu Generation immer neue Finanzinstrumente erfanden. Es ist auch die Geschichte des Kapitalismus, die in ihrer extremen Form für das Bankhaus Lehman 2008 schließlich ein bitteres Ende fand. Die epische Form erlaubt es Massini, seinen Lesern die Relevanz von Entwicklungen sehr anschaulich zu vermitteln. Da gibt es viele Wiederholungen und Wortspiele, die aus schnöden Fakten dramatische Höhepunkte inszenieren. Das aus Gier und Undurchschaubarkeit aus dem Ruder gelaufene Bankgeschäft wird als Moloch skizziert – samt biblischer Assoziationen, die einer Familiensaga ein Stück weit Allgemeingültigkeit verleihen. Denn die Epen der wirtschaftlichen Erfolge und Misserfolge gehen bekanntlich weiter. Wer diese Saga vom Geldmachen gelesen hat, hat eine Schablone für Erfolg und Misserfolg. Hanser, € 36
Cover des Buchs von Wolfgang M. Heckl. Die Welt der Technik in 100 Objekten. Das Buch ist ein Buchtipp aus dem Bereich Wissenschaft und Geschichte bzw. Wirtschaft.
  • Wolfgang Heckl: „Die Welt der Technik“
    In Museen schlummern Millionen Geschichten, fast zu viele, um sie alle erzählen zu können. Zur Erschließung dieser Fülle von Wissen hatte Neil Mac Gregor, Direktor des „British Museum“ einst eine geniale Idee. Er traf eine Auswahl mit dem Ziel, die Welt der Menschheit mit Exponaten aus dem Museum zu erzählen. Diese Idee war über die Maßen erfolgreich und hat viele Museumsleute inspiriert. So auch Wolfgang Heckl, Direktor des Deutschen Museums in München, der in seinem Zug nun „Die Geschichte der Technik in 100 Objekten“ erzählt. Jene Exponate, die darin versammelt sind, erzählen tatsächlich wunderbare Geschichten von menschlichem Erfindergeist in sämtlichen Bereichen der Naturwissenschaften. Es sind zudem auch Objekte, die relevant für die Entwicklung der Gesellschaft waren, weil sie den Lauf der Dinge verändert haben. Heckl und die Kuratoren und Kuratorinnen dieses Prachtbandes haben aus dem Vollen geschöpft und ein wunderbares Bilderbuch für Erwachsene geschaffen. Wunderbar die Geschichte des Kempelenschen Sprechapparats oder der „Enigma“, der Maschine, mit der Nazi-Deutschland Nachrichten ver- und entschlüsseln konnte und damit maßgeblich am Ausgang des Zweiten Weltkrieges beteiligt war, als sie die Briten schließlich knackten. Zudem erklärt das Buch aber auch all jene naturwissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten, die jeder als gegeben hinnimmt, die jedoch niemand versteht, etwa Mikroskope, die dem menschlichen Auge Einblicke in die Welt der Moleküle ermöglicht. Gut an der Konzeption: Trotz des geballten Wissens bleiben die Seiten luftig und leicht zu lesen. Ein Lesetipp: Damit im Kopf nichts durcheinander gerät, sollte man sich zumindest 100 Tage für die Lektüre Zeit nehmen.
    C.H. Beck, € 41,95
Cover des Buchs von Ronald D. Gerste, Die Heilung der Welt. In dem Buch geht es um die Geschichte der Medizin. Das Buch ist ein Buchtipp.
  • Ronald Gerste: „Die Heilung der Welt“
    „Das Leben, wie wir es kennen und unter normalen Umständen für selbstverständlich halten, beruht auf Erfolgen und Fortschritten derer, die vor uns waren“, schreibt Ronald D. Gerste in seinem Buch „Die Heilung der Welt“ und meint damit jene Vorstellung, die Menschen im 19. Jahrhundert von sich selbst und ihrem Körper hatten. Aus heutiger Sicht herrschten damals sehr krude Vorstellungen davon, was krank oder eben gesund macht. Doch zwischen 1840 und 1914 gab es eine Reihe von bahnbrechenden Entdeckungen und Erfindungen, die das Menschenbild von Grund auf revolutioniert haben. Gerste ist nicht nur Arzt und Historiker in einer Person, sondern darüber hinaus auch ein hervorragender Erzähler, der jede dieser bahnbrechenden Entwicklungen wie einen Krimi erzählen kann und stets auch das geschichtlich-gesellschaftliche Umfeld in das Narrativ mit einbezieht. Sein Stoff ist dabei durchaus blutrünstig, es geht um viele todbringende Krankheiten, wie Cholera, Blutvergiftung, die Pest oder das Kindbettfieber, die Generationen von Menschen dahinrafften. Spannend an Gerstes Erzählstil: Er beschreibt naturwissenschaftlich präzises Arbeiten, das aus genauer Beobachtung, nachvollziehbaren und damit auch wiederholbaren Erkenntnissen und einer genauen Dokumentation besteht. Doch oft war es auch ein schierer Zufall, der die Erkenntnis zur Lösung eines medizinischen Problems brachte. Gerste zollt in diesem Buch vielen Ärzten Hommage. Er erzählt das Leben von Ignaz Semmelweiß oder Paul Ehrlich, aber auch das weniger bekannter Mediziner, die mit ihren Erkenntnissen zur verbesserten Hygiene und damit auch zu weniger Krankheiten beigetragen haben. Absolute Leseempfehlung für alle, die wissen wollen, wem wir Gummihandschuhe in Krankenhäusern und die Kanalsysteme in den Städten zu verdanken haben. Klett-Cotta, €14,90
Cover des Buchs von Henry Gee, Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens. Das Buch gehört zu einem Beitrag mit Buchtipps zu Wirtschaft, Geschichte und Philosophie.
  • Henry Gee: „Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens“
    Das Leben auf der Erde hat viele Höhen und Tiefen erlebt, auch schon lange bevor die Spezies Mensch überhaupt da war. Wer Lust auf eine Reise in die letzten 4,5 Milliarden Jahre hat, lässt sich auf „Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens“ ein. Das ist fremd, aufregend und sicherlich horizonterweiternd, denn Buchautor Henry Gee ist ein genialer Guide durch die Erdzeitalter. Der ehemalige Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins „Nature“ weiß, wie Erzählen geht und legt seinen Rückblick märchenhaft an. Er schreibt über seltsame Bakterien, über toxische Atmosphären und wie es sein konnte, dass sich das Leben aus der Ursuppe der Ozeane aufs Land verlagerte. Damit man den Überblick über die Jahrmillionen behält, gibt es Zeitleisten zur Orientierung. Dass die Erde einem ständigen Wandel unterworfen ist, ist paläontologisches Grundwissen. Gee beschreibt Eiszeiten, Vulkanausbrüche und Asteroideneinschläge, die die Natur jeweils dazu veranlassten, sich völlig neu zu ordnen und die Grundlagen dafür schuf, dass neue Lebewesen entstanden. Gee ist ein fantasievoller Erzähler und lässt vor dem geistigen Auge seiner Leser Kreaturen wiederauferstehen, die er als „Kartoffeln mit Bullaugen“ beschreibt. De facto sind es Vorläufer der Wirbeltiere. Wer so einen weiten Horizont der Betrachtung wie Gee hat, sieht in der Klimakrise nur einen neuen Abschnitt der Erdgeschichte. Wenn der Mensch sich selbst ins Aus katapultiert, wird die Natur trotzdem weiterbestehen. „Von der gesamten menschlichen Geschichte wird nichts bleiben außer eine millimeterdünnen Schicht in irgendeinem Sedimentgestein“, schreibt er und relativiert die Wichtigkeit der Menschen auf Erden. Damit schafft er einen neuen Blick auf die Welt. Hoffmann & Campe € 20,95
Cover des Buchs der Science Busters, Wissenschaft ist, das auch dann gilt, wenn man nicht dran glaubt.
  • Science Busters: „Wissenschaft ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht daran glaubt“
    Naturwissenschaften sollen kein Geheimnis sein, denn sie verändern die Welt von Grund auf und wichtig ist, dass Nicht-Wissenschafter die Grundlagen für die Transformation begreifen. Allein: Oft ist es ziemlich trockener Stoff und einer der Gründe, warum im November 2007 die Science Busters gegründet wurden. Die Physiker Heinz Oberhummer und Werner Gruber, unterstützt durch den Kabarettisten Martin Puntigam, begannen auf höchst amüsante aber stets korrekte Art und Weise, naturwissenschaftliche Sachverhalte in einer Show zu erklären. Das wurde ein Bombenerfolg. Die Science Busters feiern nun ihr 15-jähriges Jubiläum und blicken auf die wichtigen Stationen, ihre besten Gags und beliebtesten Programme zurück. „Wissenschaft ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht daran glaubt“ ist der schöne Titel einer wunderhübsch gestalteten Festschrift, die eine Erfolgsgeschichte Revue passieren lässt. Vieles ist anders: Von den drei Gründern gibt es nur mehr Puntigam, der mit einem achtköpfigen Team seine Programme aufstellt. Das Buch vereint vergangene Schwerpunkte (die Maus, die Impfung, Asteroiden, Kernfusion und aktuell das James-Webb-Teleskop) mit den besten Sagern („Das Universum ist eine Scheißgegend“), den Programm-Highlights (wissenschaftliches Zubereiten eines Schweinsbratens), Original-Skripten und das Erinnern an allerhand Scharlatane, die vor allem in der Corona-Pandemie vor den Vorhang kamen. Sie hat übrigens wieder einmal gezeigt, wie wichtig wissenschaftliche Bildung sein kann. Das Jubelbuch der Science Busters ist ein lustiger Einstieg in Seriosität. Hanser, 28,50

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