Die Ökobilanz von Neubaustrecken
Neue Bahntrassen sollen helfen, die CO2-Emissionen im Verkehr zu senken. Sagt die Politik. Jedoch verursachen manche dieser Bauten Emissionen, die sich nie amortisieren.

Auf den Punkt gebracht
- Schönrechnerei. Die Bahn verfolgt große, beeindruckende Neubauprojekte, die oft als umweltfreundlich dargestellt werden, obwohl diese Darstellung oft geschönt ist.
- Herausforderungen. Der Bau und die Instandhaltung von Schnellfahrstrecken belasten die CO2-Bilanz stark, da sie flachere Steigungen und größere Kurvenradien erfordern, was viele Brücken und Tunnel nötig macht.
- Versteckte CO2-Kosten. Neue Großprojekte haben oft eine schlechte Umweltbilanz und erreichen nur dann positive CO2-Effekte, wenn eine hohe Auslastung im Güterverkehr erreicht wird.
- Energiewahrheit. Höhere Geschwindigkeiten erhöhen den Energieverbrauch erheblich, und die Bahn wird nicht ausschließlich mit Ökostrom betrieben.
Neubaupläne der Bahn können gar nicht groß und anspruchsvoll genug sein. Je imposanter das Vorhaben, desto lauter werden die verantwortlichen Politiker beklatscht. Zweifel lassen sich mit einem Totschlagargument aus dem Weg räumen: Die Bahn sei nun mal das ökologischste Verkehrsmittel von allen. In Teilbereichen stimmt das, auf anderen Gebieten beruht der gute Ruf nur auf geschickten Zahlenspielereien oder schlichter Ignoranz der Fakten.
Im öffentlichen Diskurs findet derzeit keine ganzheitliche Bewertung der Verkehrssysteme statt. Vermutlich, weil die Gesamtrechnung so manches bequeme Öko-Narrativ infrage stellen würde. Die Bahn schneidet bei der CO2-Bilanz nur dann konkurrenzlos gut ab, wenn man ausschließlich den für die Fahrten benötigten Strom berücksichtigt – und dieser einen hohen erneuerbaren Anteil hat.
Schlechte Bilanz
Weitgehend verschwiegen wird die Tatsache, dass die Bahn die weitaus schlechteste CO2-Bilanz beim Bau der Infrastruktur sowie bei deren Instandhaltung und im Betriebsaufwand aufweist. Den größten Anteil haben die hohen baulichen Anforderungen an moderne Schnellfahrstrecken. Zum Vergleich: Das steilste Autobahnstück Österreichs erreicht eine Steigung von bis zu zehn Prozent, bei Neubaustrecken der Bahn werden maximal sechs Promille (0,6 Prozent) angestrebt. Schienen müssen also um den Faktor 16 flacher in die Landschaft gelegt werden als Straßen. In Kombination mit den benötigten größeren Kurvenradien macht das viele Brücken und Tunnel notwendig – deren Bau Milliarden verschlingt und hohe Emissionen verursacht.
Die ökologische Sinnhaftigkeit, der Flächenverbrauch oder die Lärmbelastung durch Großprojekte und Neubaustrecken werden von Politik und Medien erstaunlich selten (und wenn, dann viel zu spät) hinterfragt. Bestes Beispiel ist der Untergrundbahnhof Stuttgart 21 – ein Projekt, das inzwischen sogar von hochrangigen Managern der Deutschen Bahn bereut wird. Ungeklärt (und vermutlich negativ) ist auch die Ökobilanz einiger Projekte in Österreich – darunter der Koralm- sowie die Basistunnel am Brenner und am Semmering.
Innovative Schönrechnerei
Ungeachtet dessen wurden bereits die nächsten Großprojekte angekündigt. Wohl zur besseren Absicherung beauftragte das Klimaschutzministerium eine Emissionsstudie für den Ausbau des Zielnetzes 2040. Hier werden dann in einer Art Voodoozauberei für die Zukunft angepeilte CO2-Einsparungsmaßnahmen der Stahl- und Bauindustrie als Bewertungsbasis herangezogen, obwohl deren Effizienz und Umsetzung in keiner Weise garantiert sind – eine neue Dimension des Schönrechnens.
Hier setzt eine Kritik des EU-Rechnungshofs an: Die prognostizierte Klimaschutzwirkung der Ausgaben werde erheblich überschätzt, etwa weil die Emissionen während der Bauphase nicht berücksichtigt würden, meinen die Experten. Dazu kommt, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Realität selten an die Planungen der Bahn halten wollte.
Bei vielen Projekten drängt sich der Eindruck auf, dass deutlich zu gering kalkulierte Kosten in der Planungsphase, gepaart mit zu hoch angesetzten Verkehrsprognosen, benötigt wurden, um den für die Genehmigung notwendigen Nutzen-Kosten-Vergleich positiv darzustellen. Hat das Vorhaben den „Point of no Return“ erreicht, werden Kostensteigerungen und andere negative Einflüsse nach und nach der Öffentlichkeit präsentiert und als überraschend, aber unvermeidbar dargestellt. So geschehen bei Stuttgart 21 und den österreichischen Tunnelbauwerken. Kommt doch einmal Kritik, handelt es sich eben um eine „CO2-Investition in die Zukunft“.
Dabei warnte der EU-Rechnungshof bereits vor Jahren, dass einige Großprojekte nur dann unter ökologischen Gesichtspunkten Sinn ergeben, wenn eine ausreichende Auslastung mit Güterverkehr gelingt. Aber in diesem Bereich werden die Ziele bei weitem nicht erreicht (siehe Story hier).
CO2-Kosten? Uninteressant
Besonders wird das für den abseits der internationalen Güterverkehrsrouten gelegenen Koralmtunnel gelten. Auch der Semmering hätte mit viel weniger Bauaufwand über das Burgenland umfahren werden können, stattdessen wurde von den drei Tunnelvarianten die längste, teuerste und damit umweltschädlichste gewählt. Zwischenbilanz: Bei der Bahn spielen offenbar weder Kosten noch CO2- Bilanzen der Bauwerke eine Rolle.
Verglichen mit der Errichtung des Gotthard-Basistunnels wirkt der Brenner-Basistunnel geradezu ökologisch: Das italienische EURAC-Institut kam auf 3,2 Millionen Tonnen. Berechnungen des Massenaufwands für den Gotthard-Basistunnel ergaben eine Klimabilanz von über vier Millionen Tonnen an CO2-Emissionen für die insgesamt 192 Kilometer Tunnelröhren (inklusive Sicherheitstunnel).
Das entspricht im Falle des Brenner-Basistunnels etwa der Hälfte aller Lkw-Emissionen eines Jahres in Österreich. Im günstigsten Modell kann der CO2-Aufwand in 19 bis 20 Betriebsjahren egalisiert werden. Aber auch das ist unsicher, weil dem bei seiner Fertigstellung mit knapp 63 Kilometern längsten Bahntunnel der Welt über viele Jahre die wichtigen Zulaufstrecken in Deutschland fehlen werden.
Güterverkehr entscheidet
Federica Maino, wissenschaftliche Leiterin des EURAC-Instituts, fasst ihre Studie folgendermaßen zusammen: „Nur wenn der Transport über den Brenner massiv von der Straße auf die Schiene verlagert und dies auch seitens der Politik vorangetrieben wird, wird der Brenner-Basistunnel eine positive CO2-Bilanz vorweisen können.“ Dazu müssten 27 Millionen Lkw-Fahrten eingespart werden. Da im Jahr 2023 insgesamt 2,48 Millionen Fahrten über den Brenner gezählt wurden, müsste sich der Lkw-Verkehr also mehr als halbieren – ein sportliches Ziel, wenn man den allgemeinen Trend in der Logistik berücksichtigt.
In den letzten Jahrzehnten wollte sich die Realität selten an die Planungen der Bahn halten.
Zu den Absurditäten der Klimadebatte gehört auch, dass von der grünen Politik und ihr nahestehenden NGOs immer wieder Tempo 100 auf Autobahnen gefordert wird. Die gleichen Leute haben allerdings überhaupt kein Problem damit, wenn die Bahn immer schneller fährt: auf den Ausbaustrecken in Österreich bis zu 230 km/h, in Deutschland sogar 300 km/h. Hier ein kleiner Grundkurs in Physik: Der Luftwiderstand steigt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, und das gilt ausnahmslos für alle Verkehrsmittel – auch für eine grüne Bahn. Besonders schlecht sieht die Tempobilanz übrigens in langen Tunneln aus. Untersuchungen im 57 Kilometer langen Gotthard-Basistunnel haben ergeben, dass wegen der bei hoher Geschwindigkeit stark komprimierten Luft der Energieverbrauch enorm ansteigt.
Deshalb hat die Schweizer Bahn das Tunneltempo von 250 auf 160 km/h gesenkt, was 30 Prozent Energie spart. Die ÖBB wollen trotzdem mit Höchstgeschwindigkeit durch die neuen Tunnelbauwerke rasen.
Physikalisch ineffizient
Bei den bewegten Massen sieht es ebenfalls nicht gut für die Bahn aus: Ein Pkw wiegt im Durchschnitt etwa 1.600 Kilogramm (Elektroautos deutlich mehr), der im EU-Mittel mit 1,5 Personen besetzt ist, was ein Fahrzeuggewicht von 1.066 Kilo pro Person ergibt. Ein deutscher ICE 3 mit 460 Sitzplätzen wiegt leer 408 Tonnen. Bei der durchschnittlichen Auslastung von 56 Prozent (2019) ergibt das etwa 1.584 Kilo Fahrzeuggewicht pro Person.
Selbst bei voller Auslastung herrscht immer noch beinahe Gleichstand, wohingegen schütter besetzte Regionalzüge außerhalb der Stoßzeiten das genaue Gegenteil von physikalischer Effizienz darstellen.
Über die gesamthafte Auslastung aller ÖBB-Züge will man keine Auskunft geben, da laut Antwort des Klimaschutzministeriums „die Auslastung insbesondere nach Tageszeit und Zugtyp sehr unterschiedlich ist“. Dieses Argument ließe sich wohl auch für Pkw und Flugzeug anwenden, dort lässt man es aber nicht gelten, sondern verwendet lieber maximal ungünstige Werte.
Ein weiterer physikalischer Fun- Fact: Auf langen Strecken müssen Züge bei Zwischenstopps immer wieder beschleunigt werden. Bei durchschnittlicher Auslastung wird für die Summe aller Beschleunigungsvorgänge auf der (nur als Beispiel) Strecke von Hamburg nach München in Summe pro Fahrgast mehr Energie benötigt als bei der Beschleunigung eines Flugzeugs. Auf der mit rund 250 Kilometern sehr viel kürzeren Strecke Wien – Salzburg sind aufgrund der Zwischenstopps immerhin vier sehr energieintensive Beschleunigungsvorgänge notwendig. Aber das kriegt man doch durch Rekuperation wieder zurück, wird der kundige Bahnfahrer entgegnen. Leider nein, weil sich beim Bremsen eben nur ein Bruchteil der eingesetzten Energie zurückgewinnen lässt.
Runtergebrochen auf die tatsächlich benötigten Energiemengen, liegen Bahn, Auto und Flugzeug jedenfalls viel näher beieinander, als einem das diverse CO2- Vergleiche glauben machen wollen.
100 Prozent Ökostrom?
Jetzt wird der Bahnfahrer argumentieren: Der Energieverbrauch spielt eigentlich überhaupt keine Rolle, weil die Bahn ja mit 100 Prozent Ökostrom fährt. Tja, das stimmt leider auch nicht ganz. Die ÖBB beanspruchen für sich, den gesamten Strombedarf aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Tatsächlich haben sie den Vorteil zahlreicher eigener Wasserkraftwerke, die aber nur etwa 30 Prozent des Bedarfs produzieren. Der Rest kommt von Partnerkraftwerken oder wird als garantiert sauberer Ökostrom eingekauft. Aber: Physikalisch gesehen gibt es keinen „grünen“ Strom, sondern nur einen nationalen Strommix, dessen CO2-Emissionen korrekterweise in die ÖBB-Bilanz einfließen müssten.
Das ist aber noch nicht alles: 2023 transportierten die ÖBB 494 Millionen Fahrgäste, wovon nur 47 Millionen, also nicht einmal zehn Prozent, auf den Fernverkehr entfielen. Für diese Minderheit wird ein Großteil der Investitionen und der damit verbundenen CO2-Emissionen getätigt, das Zielnetz 2040 der ÖBB wird immerhin einen Aufwand von 26 Milliarden Euro erfordern. Bei einer weniger ideologisch gesteuerten Betrachtung der Bahn wäre diese gewaltige Summe wohl in andere Klimaschutzprojekte effizienter investiert.
Conclusio
Versteckte CO2-Kosten. Beim Bau und in der Instandhaltung hat die Infrastruktur der Bahn die höchsten CO2-Kosten aller Verkehrswege. Eine solche gesamtheitliche Bewertung findet im öffentlichen Diskurs kaum statt.
Energiewahrheit. Die konstruktionsbedingt schweren Züge verbrauchen beim Beschleunigen und bei hohen Geschwindigkeiten enorm viel Energie. Der Abstand zu Flugzeug und Auto ist jedenfalls viel geringer, als die Bahn vorgibt.
Schönfärberei. Viele Projekte schaffen es nur mit äußerst optimistischer Auslegung der Fakten durch das Genehmigungsverfahren. Danach werden oft die Kosten überschritten und Beförderungs raten nicht erreicht.