
Der ganz normale Bahnsinn
Unsere Bahn ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein verlässlicher Lieferant von Erfolgsmeldungen: „Bahnverkehr auf Allzeithoch“, „Österreich ist EU-Spitzenreiter im Schienenverkehr“, „Die ÖBB fährt mit 100 Prozent Ökostrom“, lauten entsprechende Schlagzeilen. Was sollte also falsch daran sein, den Betrieb jedes Jahr mit Milliardenbeträgen zu subventionieren? Wer sollte gar am ökologischen Nutzwert der Bahn zweifeln?
Doch es gibt auch Schattenseiten. Der für die Energiewende extrem wichtige Schienengüterverkehr ist stabil rückläufig. Die gefeierten Zuwächse beim Personenverkehr decken sich recht genau mit dem Bevölkerungswachstum des Landes in den letzten Jahren. Das heißt, die Nutzung von Bus und Bahn stagniert eigentlich – und das trotz Einführung des supergünstigen Klimatickets.
Letzteres wurde bei der Präsentation vom zuständigen Ministerium als „Revolution im öffentlichen Verkehr“ gefeiert, doch eine parlamentarische Anfrage ergab nun eine ernüchternde Bilanz: Im Jahr 2022 standen Kosten von 160 Millionen Euro einem Einsparungseffekt von 0,3 Prozent der verkehrsbedingten Treibhausgas-Emissionen (THG) gegenüber, woraus sich Kosten von 2.462 Euro pro Tonne ergeben. Ein absurd hoher Betrag, wenn man bedenkt, dass der Preis pro Tonne im nationalen CO2-Handel im gleichen Zeitraum nur 33 Euro betrug.
Teuer und ineffizient
Schlecht sieht es auch um die Effizienz der ÖBB aus. Statistisch gesehen beschäftigt die Deutsche Bahn 6,4 Mitarbeiter pro Streckenkilometer, die ÖBB gönnt sich mit 9,1 Mitarbeitern fast um die Hälfte mehr Personal. Bei der Verschuldung zieht der rasante Schienen-Ausbau Spuren: Die fast zehnmal größere Deutsche Bahn weist etwa gleich hohe Außenstände (33,9 Milliarden Euro) auf wie die ÖBB (33,5 Milliarden Euro). Damit schultert ein einziges Unternehmen immerhin mehr als acht Prozent der Gesamtverschuldung des Landes von rund 400 Milliarden Euro.
Doch während in Deutschland eine intensive Debatte über die Kosten der Bahn geführt wird, gab es in Österreich wenig Widerstand, als Leonore Gewessler, Klimaschutzministerin der schwarz-grünen Regierung, ihr Zielnetz 2040 vorstellte. Es sah weitere Schulden in Höhe von 26 Milliarden Euro vor. Mit den üblichen Kostensteigerungen wird der Plan den ÖBB-Schuldenstand wohl verdoppeln.
Schon jetzt leistet die Republik laut Berechnungen der Agenda Austria jährlich rund vier Milliarden Euro an Zuschüssen. Jeden Österreicher kostet die ÖBB also etwa 440 Euro im Jahr, egal ob er nun Bahnfahrer ist oder nicht. Und das, obwohl laut der Mobilitätserhebung „Österreich unterwegs“ nur 14,6 Prozent aller zurückgelegten Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt werden. Auf die ÖBB entfällt davon nur ein Teil, auch private Bahn- und Buslinien sowie städtische Verkehrsbetriebe werden hier subsumiert.
90 Prozent ihrer Beförderungsleistung erbringt die ÖBB zu etwa gleichen Teilen im Nahverkehr und Busdienst, nur zehn Prozent entfallen auf den Fernverkehr. Trotzdem wird in diesem Bereich das meiste Geld investiert. Allein die drei großen Tunnelprojekte (Koralm, Semmering, Brenner) verschlingen zusammen mehr als 20 Milliarden Euro, obwohl deren wirtschaftliche und ökologische Sinnhaftigkeit mehr als fraglich scheint. Wirkungsvoller wäre es, diese Summe in den Nahverkehr zu investieren, zum Beispiel in Salzburg, das kurz vor einem Verkehrsinfarkt steht.
Inkompetente Weichensteller
Zum Bahn-Dilemma gehört, dass weniger ökologische oder betriebswirtschaftliche Grundsätze zählen, sondern hauptsächlich der politische Wille. Zur traditionellen Allmacht der Eisenbahner-Gewerkschaft kam in den vergangenen Jahren die Öko-Vereinnahmung durch die Grünen.
Ein Beispiel für die Stärke der Gewerkschaft: Für eine Schnellverbindung von Wien nach Graz hätte der gesamte Semmering umfahren werden können, was strukturell schwachen Regionen im Burgenland geholfen hätte. Es wurde aber von den drei Projektvarianten die längste, teuerste und CO2-intensivste Variante gewählt, um eine Station in der Eisenbahner-Hochburg Mürzzuschlag zu ermöglichen. Das Passagieraufkommen wird sich bei 7.900 Einwohnern wohl in Grenzen halten. Dafür fahren die Züge auf dem Weg nach Klagenfurt am Grazer Flughafen vorbei, weil Jörg Haider das einst zur Bedingung für den Bau des Koralmtunnels gemacht hatte.
Die sechs Milliarden Euro teure Koralmstrecke soll Graz (303.270 Einwohner) mit Klagenfurt (104.866 Einwohner) in 45 Minuten Fahrzeit verbinden. Einmal ganz abgesehen davon, dass es wegen des hohen Energieverbrauchs nicht umweltfreundlich ist, per Zug mit mehr als 200 km/h durch einen Tunnel zu rasen: Wäre den Bahnfahrern nicht auch eine geringfügig längere Reisezeit zuzumuten, wenn es um den Schutz der Umwelt geht?
Tunnelröhren ins Blaue
Doch in einem ökologischen Schwarz-Weiß-Denken scheint die Bahn sakrosankt. So brachten die Grünen das Projekt eines Druckspeicherkraftwerks auf der Koralm zu Fall, während dem Tunnelbau nichts im Wege stand. Aktuell sind weitere Prestigeprojekte wie der Bosrucktunnel, Flachgautunnel und eine Highspeed-Trasse durchs Innviertel geplant. Letztgenannte soll Wien und München in zweieinhalb Stunden verbinden. Von der Politik verschwiegen wird dabei, dass die Strecke für die Deutsche Bahn keine Priorität hat. Es könnte also das Gleiche passieren wie bei der Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel, wo Deutschland mindestens zehn Jahre Verspätung hat. Außerdem würde die Innviertelstrecke viel Verkehr über Salzburg wegnehmen, doch der Flachgautunnel soll trotz ökologischer Bedenken gebaut werden. Die Kosten: mindestens 3,7 Milliarden Euro.
Der Realitätscheck der politischen Öko-Visionen zum Bahnverkehr:
Warum Hochgeschwindigkeitsstrecken und überteuerte Prestigeprojekte wie der Koralmtunnel kein Beitrag zum Klimaschutz sind und was die Schweiz richtig macht, erklärt Verkehrsexperte Heiner Monheim:
Tempolimit 130 für den Zug
Auch neue Bahntrassen sollen helfen, die CO2-Emissionen im Verkehr zu senken, zumindest behauptet das die Politik. Mobilitätsexperte Klaus Radermacher hat sich die Zahlen genauer angesehen: Manche dieser Bauten verursachen Emissionen, die sich nie amortisieren:
Die Ökobilanz von Neubaustrecken
Die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene soll die Umwelt entlasten. Doch trotz Milliardeninvestitionen wird immer mehr Fracht per Lkw transportiert. Universitätsprofessor Sebastian Kummer weiß, warum: