Für die Freiheit kämpfen

Rechtsstaat und Gesellschaft müssen sich wehren, wenn extremistische Ideologien und Religionen die Demokratie bedrohen.

Illustration von Demonstranten, die auf gigantischen Lettern stehen, die das Wort Fakten bilden
Fakten sind ein wichtiges Bollwerk gegen Extremismus – jeder Art. © Michael Pleesz
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Auf den Punkt gebracht

  • Religionsfreiheit. Das Recht auf freie Religionsausübung darf nicht missbraucht werden, um anderen Gruppen ihre Freiheitsrechte abzusprechen.
  • Identität. Religiös motivierter politischer Extremismus setzt den Glauben als wichtigstes Identitätsmerkmal über alles andere.
  • Recht. Islamische Extremisten wollen die liberal-demokratische Rechtsordnung zugunsten einer am Glauben orientierten Ordnung überwinden.
  • Freiheit. Der liberale Rechtsstaat und seine Freiheiten dürfen nicht ausgenützt werden, um ebendiesen Rechtsstaat abzuschaffen.

Im Februar marschierten junge Muslime und Musliminnen in Hamburg auf. Sie waren streng nach Geschlechtern getrennt – die Männer in den vorderen Reihen, die Frauen durch Platzhalter abgeschirmt dahinter – und protestierten gegen die Verbrennung des Korans durch einen schwedischen Rechtsextremisten. Ein grundsätzlich berechtigtes Anliegen einer Gruppe, die von ihren Grundrechten im demokratischen Rechtsstaat Gebrauch machte. Weder das Verbrennen von Büchern beziehungsweise heiliger Schriften noch die Marginalisierung von Minderheiten sind in einer liberalen, pluralistischen Demokratie tolerier- oder gar vertretbar.

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Der Haken an dieser speziellen Kundgebung und deren späterer Verwertung in den sozialen Netzwerken: Das Ansinnen, gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung einzustehen, wurde von den Organisatoren für ihren ganz eigenen Spin instrumentalisiert. Während man gegen die Verbrennung des Korans protestierte, wurde gleichzeitig die Gelegenheit genutzt, um auch gegen westliche Werte Stimmung zu machen – vor allem in Bezug auf Diversität und den Umgang mit der LGBTQIA+ Community. Die Veranstaltung endete mit Sprechchören: „Die Zukunft gehört Allah! Die Zukunft gehört dem Islam! Die Zukunft gehört dem Koran!“

Glaube als Identitätsmerkmal

Die im Rahmen der Kundgebung geforderte Religionsfreiheit wurde von den Protagonisten genutzt, um anderen, insbesondere vulnerablen Gruppen ihre Freiheitsrechte abzusprechen. Die martialisch anmutende Demonstration, die auf YouTube einem größeren Publikum weiterhin zur Verfügung steht, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Das Auftreten gegen eine Form des Extremismus wurde zum Vehikel für einen anderen, religiös legitimierten Extremismus, der den Glauben als wichtigstes Identitätsmerkmal über alles andere setzt.

Hamburg, 2023: „Der Koran ist unantastbar“ steht auf einem Plakat bei einer Kundgebung gegen eine Koranverbrennung in Schweden
Hamburg, 2023: Bei der Kundgebung gegen eine Koranverbrennung in Schweden gingen in Hamburg mehrere tausend Menschen auf die Straße. Die Demonstration war von Islamisten organisiert worden. © Getty Images

Es geht nicht bloß um die „Umma“

Religiös motivierter politischer Extremismus will die liberal-demokratische Rechtsordnung zugunsten einer am Glauben orientierten, oft illiberalen und antidemokratischen Ordnung aufgeben. Auf den ersten Blick mag dieses Ziel unrealistisch, wenn nicht gar absurd erscheinen. Die Akteure selber halten zudem gerne fest, dass sie nicht für die gesamte Gesellschaft sprechen, sondern nur für ihre Community, für die „Umma“, die Muslime im Land. Man wolle die streng islamisch ausgerichtete Lebensweise „nur“, um die eigene Religion besser ausleben zu können.

Dabei wird gerne übersehen, dass gerade der Islam, wie auch andere Weltreligionen, eine äußerst heterogene, vielfältige Religion ist, bestehend aus unterschiedlichsten Glaubensrichtungen, Auslegungen und Interpretationen. Vertreter des politischen Islam tun jedoch so, als gäbe es nur eine „Wahrheit“, nämlich die eigene radikale Auslegung der Religion. Damit werden zuallererst Muslime und Musliminnen unter Druck gebracht, die liberalere Vorstellungen von ihrer Religion haben.

Hanau, 2021: Menschen gedenken den Opfern des rechtsterroristischen Anschlags auf dem Marktplatz und fordern Aufklärung zum ersten Jahrestag der Tat
Hanau, 2021: Menschen gedenken den Opfern des rechtsterroristischen Anschlags auf dem Marktplatz und fordern Aufklärung zum ersten Jahrestag der Tat. 2020 erschoss der örtliche Rechtsextremist Tobias Rathjen in zwei Hanauer Kneipen neun Menschen mit Migrationshintergrund, bevor er seine Mutter tötete und sich selbst erschoss. © Getty Images

Das Missverständnis, es handle sich rein um einen Konflikt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, ist ein von radikalen Akteuren (und damit sind nicht nur islamistische Akteure gemeint) befeuertes Narrativ, das vorrangig dazu dient, die eigene Basis und den eigenen Machtanspruch als Vertreter einer Gruppe zu vergrößern. Individualismus und alternative Lebensentwürfe werden folglich religiös legitimiert abgelehnt, die Gruppe wird als monolithischer Block behandelt.

Eine neuere Entwicklung sind Inszenierungen wie die eingangs erwähnte, die über die mediale Verbreitung vor allem junge, mehrheitlich europäisch sozialisierte Muslime ansprechen wollen. Abseits traditioneller Verbandsstrukturen, die von den Radikalen teilweise ähnlich negativ bewertet werden wie die westlich-liberale Gesellschaft, eignet sich das Internet bestens, um tatsächliche oder auch rein subjektiv wahrgenommene Diskriminierung zu behaupten. Die Botschaft lautet entsprechend: „Die liberale, pluralistische Gesellschaft gibt euch keinen Platz, aber in unserem Lebensentwurf, in dem der Islam über allem steht, könnt ihr euch wahrhaftig als Muslime entfalten.“

Mit dem Rechtsstaat unvereinbar

Solche Gruppierungen sind vor allem im deutschen Sprachraum aktiv. Sie pflegen eine extreme/radikale Auslegung des Islam, die mit demokratischen Grundwerten und dem Rechtsstaat nicht vereinbar ist. Diese junge Generation an Akteuren sieht sich als Vertreter eines radikalen Islam, der in einem Wettstreit mit der westlichen Kultur liege und am Ende siegreich sein werde. Abseits der religiösen Unterfütterung erinnert die Inszenierung dieser Auftritte an andere extremistische Bewegungen, beispielsweise im völkisch- nationalistischen Bereich.

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Zahlen & Fakten

Glossar: Natürliche Sperrklausel

Je mehr Wahlkreise es gibt, desto geringer wird die Zahl der darin zu vergebenden Mandate: Man braucht einen entsprechend hohen Anteil an Stimmen für ein Mandat. Das ermöglicht lokal überdurchschnittlich starken Gruppen zwar theoretisch den Einzug ins Parlament, macht das jeweilige Grundmandat aber so „teuer“, dass es in der Praxis dennoch die etablierten Parteien stärkt.

Die globale Vernetzung über das Internet hat die Menschen einander nähergebracht und sie, so paradox es scheinen mag, zugleich voneinander entfernt. Die digitale Kommunikation mit Gleichgesinnten ist einfacher denn je. Andererseits wird die Konfrontation mit anderen Sichtweisen als der eigenen in diesen Meinungszirkeln immer seltener. Damit stecken demokratische Systeme wie die europäischen Nationalstaaten in einem Dilemma: Der öffentliche Raum verschiebt sich zunehmend in die digitale Welt; weg von der „Straße“, hin zu Online-Formaten. Gerade die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, wie einfach das sture Festhalten an eigenen Ansichten ist und wie leicht sich alternative Narrative verbreiten lassen. Extreme Ränder unterschiedlicher Ideologien nutzen dieses polarisierende, radikale Potenzial digitaler Technologien für sich.

Daneben gibt es aber auch noch traditionelle, eher analog arbeitende Aktivisten. Dazu gehören etwa Akteure und Institutionen, die der Muslimbruderschaft nahestehen, die immer wieder antisemitische Propaganda verbreiten oder die (in der EU als Terrororganisation eingestufte) Hamas heroisieren. Zum Einsatz kommen auch Bücher – oft in türkischer oder arabischer Sprache –, die etwa Gewalt an Kindern als erzieherische Maßnahme oder Gewalt in der Ehe (bei Verweigern des Beischlafs durch die Ehefrau) befürworten. Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Am meisten in Mitleidenschaft gezogen werden auch in diesen Fällen die Musliminnen und Muslime selbst.

Zu den Grundrechten gehören auch die negative Religionsfreiheit – also die Freiheit von Religion – sowie das Prinzip der Säkularität.

Der österreichische Staat hält die Religionsfreiheit hoch. Dennoch müssen Gesetzgeber und Gesellschaft wachsam gegenüber Tendenzen sein, die Demokratie und Rechtsstaat auf Basis religiös motivierter Ansichten aufweichen oder in ihrem Sinne umgestalten wollen. Die Freiheit des Individuums kann immer nur so weit gehen, wie sie die Freiheit eines anderen nicht verletzt. Die Herausforderung besteht darin, die Grund- und Menschenrechte jedes Einzelnen zu wahren und einen Interessenausgleich zu finden. Zu den Grundrechten gehören auch die negative Religionsfreiheit – also die Freiheit von Religion – sowie das Prinzip der Säkularität.

Wie bremst man die Hetzer?

Was kann der demokratische Rechtsstaat tun, um Aktivisten des politischen Islam zu bremsen, ohne dabei die eigenen Grundsätze der Freiheit und Gleichheit vor dem Recht zu verletzen? Wie bei anderen extremistischen Ideologien gilt auch bei religiös motiviertem Extremismus: darauf aufmerksam machen, sachlich informieren. Ohne Hetze, aber nicht blind für Fakten.

Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass es einfach sein wird, dieser Herausforderung zu begegnen. Der erste Schritt ist eine ernsthafte, nüchterne Auseinandersetzung mit dem Problem. Der liberale Rechtsstaat und seine Freiheiten dürfen nicht ausgenützt werden, um ebendiesen Rechtsstaat abzuschaffen.

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Conclusio

Religiös motivierter politischer Extremismus will die liberal-demokratische Rechtsordnung zugunsten einer am Glauben orientierten antidemokratischen Ordnung überwinden. Die eigene radikale Auslegung der Religion wird als einzige Wahrheit dargestellt. Dies ist nicht nur ein Konflikt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen: Zuallererst werden Muslime und Musliminnen unter Druck gesetzt, die liberalere Vorstellungen von ihrer Religion haben. Doch auch die Religionsfreiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer verletzt. Zur Lösung bedarf es vor allem einer nüchternen Auseinandersetzung mit dem Problem.

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