Wie Putin die Kirche für sich einspannt

In Putins Russland spielt Religion wieder eine Rolle – genau wie Patriotismus. Anhänger von Großmachtnostalgie, Militärkult und Kirche bilden zunehmend eine Allianz.

Kirchglocke im Kreml
Die Zarenglocke im Moskauer Kreml: Inzwischen auch eine Sehenswürdigkeit für Patrioten. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Auferstanden aus Ruinen. Mit dem Ende der Sowjetunion kehrte die orthodoxe Kirche zurück in den Alltag der Russen. Religiöse Gefühle sind heute ein heiliges Gut.
  • Sakralisierung der Politik. Auch in der Politik spielt die Kirche seit Putins Machtantritt eine Rolle. Er demonstriert oft seine Nähe zum orthodoxen Patriarchen.
  • Patriotismus pur. Der Schulterschluss von Politik und Kirche ist Teil eines neuen Patriotismusverständnisses, das auf militärische Stärke und traditionelle Werte setzt.
  • Nicht überbewerten. Uneingeschränkt treu ist der Patriarch dem Präsidenten – noch – nicht. Der Militarismus geht vom Kreml aus, nicht von der Kirche.

Es gibt viele Anzeichen für eine fortschreitende Militarisierung der öffentlichen Sphäre in Russland. Politiker mit Wladimir Putin an ihrer Spitze, Militärangehörige und Personen des öffentlichen Lebens treten regelmäßig mit martialischen Bekundungen auf. Die Armee wird modernisiert, aufgerüstet und ihre Kampfbereitschaft erhöht. Russlands neu gewonnene militärische Stärke ist Dauerbrenner offiziöser Informationen und Propaganda, bei der das äußere Umfeld – allen voran der Westen und seine Handlanger – als überwiegend feindlich dargestellt wird.

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Dieses Narrativ wird mit zahlreichen historischen Analogien untermauert, von denen sich der Großteil auf den Großen Vaterländischen Krieg, so die russische Bezeichnung für den Zweiten Weltkrieg, bezieht. Die vielen historischen Beispiele für eine Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen wiederum werden als zeitweilige Irrungen abgetan, etwa die antinapoleonische Koalition und die Heilige Allianz, die Triple Entente, der gemeinsame Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die prowestliche Politik von Gorbatschow und Jelzin: Die westlichen Partner, so die Behauptung, waren doppelzüngig und trachteten im Großen und Ganzen nur danach, Russland zu schwächen, zu unterwerfen oder gar zu zerstören. Die Frage warum bleibt unerörtert.

Parallel dazu laufen Programme zur patriotischen oder besser gesagt „militärisch-patriotischen Erziehung“, die sich vor allem an junge Menschen richten und mit staatlichen Mitteln finanziert werden – von der Produktion militaristischer Filme hin zur Errichtung des grandiosen Themenparks „Patriot“. Die Lehrpläne der Schulen werden entsprechend angepasst.

Alter Patriotismus im neuen Gewand

Allerdings ist diese Version des Patriotismus kein getreues Replikat des sowjetischen Patriotismus, denn heute gibt es Versuche, sie mit orthodoxem Christentum zu vereinen. Das war im Kommunismus unmöglich. Heute werden regelmäßig Segnungen von „russischen Waffen“ abgehalten, in vielen Armeeeinheiten gibt es Regimentskaplane. Wenn der Verteidungsminister Sergej Schoigu während der Militärparade zum Tag des Sieges am 9. Mai auf den Roten Platz hinausfährt, schlägt er demonstrativ ein Kreuz.

Ein anderes Beispiel ist die prachtvoll gestaltete Hauptkirche der Streitkräfte der Russischen Föderation im Park „Patriot“, die im Juni 2020 eingeweiht wurde und auch als Patriarchale Kathedrale der Auferstehung Christi bekannt ist. Die Verflechtung staatlicher und kirchlicher Intentionen zeigt sich besonders deutlich in dem von beiden Seiten befürworteten und geförderten Kult um den Fürsten Alexander Newski – einen vor einem halben Jahrtausend von der Kirche heiliggesprochenen Politiker und militärischen Führer aus dem 13. Jahrhundert, der sich der Expansion der Schweden und des livländischen Ritterordens in die baltischen Länder widersetzte.

Mosaik von Soldaten in der Kathedrale der Streitkräfte der Russischen Föderation
Die Mosaiken in der 2020 eröffneten Hauptkirche der Streitkräfte verleihen der Armee einen religiösen Anstrich. © Getty Images

Wie Putin kürzlich bei einer Feier zum 800. Geburtstag des Großfürsten Alexander erklärte, sei sein „Vermächtnis“ dank seiner Siege über „fremde Eindringlinge ein von den Nachkommen geschaffener starker, zentralisierter russischer Staat, in dem das Volk sich als eine Einheit erkannte, und seine Heldentaten sind und bleiben ein moralischer und geistiger Rückhalt, ein Beispiel für einen alles überwindenden Patriotismus“. Patriarch Kirill fügte hinzu: „Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Macht und Heiligkeit in einer Person vereinen“. Beides klingt sehr aktuell.

Kreative Geschichtsklitterung

Man sollte meinen, es sei alles klar – die Ideale und die Ideologie des modernen Russlands haben sich formiert. Daran ist natürlich wenig Originelles. Die Verwendung von Feindbildern zur Stärkung der politischen Gemeinschaft und Legitimation von Macht ist ein strategischer Schachzug so alt wie die Welt, der auch heute noch breit eingesetzt wird. Der moderne ukrainische Militarismus zum Beispiel ist nicht nur ein Spiegelbild, sondern ein verstärktes Abbild des russischen Militarismus, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Wobei auch darin die religiöse Komponente zu erkennen ist, vor allem in dem von Ex-Präsident Petro Poroschenko initiierten Projekt zur Schaffung einer ukrainischen autokephalen, das heißt von Moskau unabhängigen, orthodoxen Kirche. Bei den Präsidentschaftswahlen 2019 trat Poroschenko mit dem vielsagenden Slogan „Armee. Sprache. Glaube“ an, und seine Niederlage veränderte kaum etwas an dem politischen Diskurs in der Ukraine.

Russland hat sich während seiner gesamten Existenz eher in Richtung Verwestlichung als in Richtung Veröstlichung bewegt.

In Russland werden aggressive Absichten ausschließlich ausländischen Feinden und der inländischen „fünften Kolonne“ zugeschrieben, während die eigene Politik als strikt friedlich und defensiv dargestellt wird – sogar dann, wenn es um Militäroperationen im Ausland geht, zum Beispiel in Syrien. Die Diagnose ist offenkundig: Der uralte Geist des Misstrauens und der Konfrontation mit dem Westen, der sowohl für das zaristische als auch für das bolschewistische Russland charakteristisch war, ist wieder aufgelebt. Wollte man diese Diagnose jedoch bedingungslos akzeptieren, müsste man nicht nur die oben erwähnten Präzedenzfälle der Zusammenarbeit ignorieren, sondern auch die unbestreitbare Tatsache, dass sich Russland während seiner gesamten Existenz eher in Richtung Verwestlichung als in Richtung Veröstlichung bewegt hat. Nebenbei bemerkt sind die beiden Herrscher, die für diese Verwestlichung mehr als alle anderen getan haben – Peter I. und Katharina II. – als „die Großen“ in die russische Geschichte eingegangen.

Es gibt auch noch raffiniertere Analogien. Gelegentlich wird behauptet, das heutige Russland sei vom „Weimarer Syndrom“ befallen – einer Kombination aus Hass auf die Sieger, Enttäuschung über die von ihnen auferlegten, in der Regel demokratischen Institutionen und der rachsüchtigen Sehnsucht, früheren Ruhm wiederzuerlangen, auch unter Waffengewalt. Im Deutschland der Zwischenkriegszeit brachte dieses Syndrom die Nazis an die Macht. Etwas Ähnliches wird auch Russland seit mehr als 20 Jahren prophezeit. Zutreffender wäre vielleicht die Parallele zu der militärisch-patriotischen, von den Regierungen initiierten und von den offiziellen Kirchen unterstützten Hysterie, die am Vorabend des Ersten Weltkrieges durch die europäischen Länder fegte. In Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland und den Balkanstaaten waren religiöse Motive sehr präsent. Menschen, die bereit wären, sich der Parole „Gott strafe England“ anzuschließen, wären jedenfalls auch im heutigen Russland zu finden. England ist dabei nur ein Platzhalter, es könnten auch die USA, die EU oder ihre Helfershelfer sein.

Bedingte Loyalität

Die Realität ist aber noch einmal komplizierter. Zuallererst: Die Position der russisch-orthodoxen Kirche gegenüber dem Staat ist zwiespältig, denn die Kirche selbst ist nicht homogen. Es gibt weit weniger Übereinstimmung und Disziplin in ihr, als es den Anschein erweckt. Zwar geben einige Mitglieder klerikaler Kreise regelmäßig ultrapatriotische, ja sogar militaristische Erklärungen ab. Allerdings halten sie sich mit pazifistischen Reden und Predigten die Waage, die aus exakt denselben Kreisen kommen und lediglich leiser sind.

Patriarch Kyrill und Wladimir Putin während eines Gottesdienstes in einer Moskauer Kathedrale
Putins vierte Vereidigung zum Präsidenten Russlands 2018 wurde symbolträchtig von einem Gottesdienst begleitet. © Getty Images

Es werden auch durchaus nicht alle staatlichen Initiativen von der Kirche unterstützt. So wird beispielsweise seit Stalins Zeiten immer wieder versucht, den düsteren Ruf des Zaren Iwan des Schrecklichen zu übertünchen, indem er als großer Patriot dargestellt wird, der inneren und äußeren Feinden zum Trotz einen starken zentralisierten Staat aufbaute. Vor kurzer Zeit erhielt diese Auslegung sogar Unterstützung auf der höchsten Ebene. Putin selbst bezweifelte plötzlich die Glaubwürdigkeit der historischen Angaben darüber, dass Metropolit Philipp, das damalige Oberhaupt der russischen Kirche, sich dem blutigen Terror Iwans widersetzte und dafür vom Zaren getötet wurde. Dabei ist dieses Ereignis seit Jahrhunderten weder von russischen Historikern noch von der orthodoxen Kirche in Frage gestellt worden.

Die Kirche distanziert sich

Auch Patriarch Kirill, der im Allgemeinen dem Staat und Putin gegenüber bedingungslos loyal ist, legt manchmal ein unerwartet hohes Maß an politischer Autonomie an den Tag. Als die Annexion der Krim im März 2014 zu einem kurzen, patriotischen Euphorieschub in der Gesellschaft führte, äußerte sich Kirill nur zurückhaltend zu diesem Thema. Offenbar aus ganz rationalen Gründen – schließlich befindet sich etwa ein Drittel aller Gemeinden des Moskauer Patriarchats in der Ukraine. Die Tatsache, dass sie sich 2014 nicht von Moskau abwandten, sicherte auch noch fünf Jahre später, nach der Gründung der autokephalen orthodoxen Kirche der Ukraine, ihre überwiegende Erhaltung im Moskauer Jurisdiktionsbereich. Mehr als das, sogar nachdem die Krim de facto russisch wurde, blieben die zum Moskauer Patriarchat gehörenden Eparchien auf der Halbinsel Teil der selbstverwalteten ukrainischen Metropolie – das heißt sie werden nicht von Moskau, sondern von Kiew aus regiert.

Die Position der russisch-orthodoxen Kirche gegenüber dem Staat ist zwiespältig, denn die Kirche selbst ist nicht homogen.

Mehr als einmal musste Kirill nicht nur die ukrainischen, sondern auch die belarussischen Autoritäten scharf ermahnen: „Ich bin nicht der Patriarch der Russischen Föderation. Ich bin der Patriarch der Weltkirche“, sagte er. Auch in den „Grundlagen des Sozialkonzepts“ der russischen orthodoxen Kirche, die unter seiner Leitung entwickelt wurden, heißt es in aller Deutlichkeit: „Nationale Gefühle können zu sündhaften Erscheinungen wie aggressivem Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, nationalem Exzeptionalismus und interethnischer Feindschaft führen. In ihrer extremsten Ausprägung führen diese Erscheinungen oft zur Einschränkung der Rechte des Einzelnen und der Völker, zu Kriegen und anderen Ausdrucksformen der Gewalt. Die Einteilung der Völker in bessere und schlechtere, Verunglimpfung einer ethnischen oder staatsbürgerlichen Nation, widerspricht der orthodoxen Ethik. Noch unvereinbarer sind mit der Orthodoxie die Lehren, welche die Nation an die Stelle von Gott setzen oder den Glauben auf einen Aspekt der nationalen Identität reduzieren.“

Es gibt noch andere rationale Erwägungen, die die höchste Kirchenhierarchie zur Mäßigung veranlassen. Abgesehen von der konservativen Hauptströmung und einer sehr kleinen Zahl von „Liberalen“ sind Fundamentalisten in der russischen Kirche recht aktiv und einflussreich. Sie betrachten die traditionelle orthodoxe Autokratie als ihr politisches Ideal und sprechen jeder anderen Nachfolgemacht ihre Legitimität ab. Dabei machen sie keine Unterscheidung zwischen kommunistischer und postkommunistischer Macht, Putins Macht eingeschlossen. Nicht allzu weit vom Staat entfernt, doch sichtbar von ihm distanziert, gelingt es dem Patriarchen mit Geschick und Erfolg sowohl die Einheit der Kirche als auch seine eigene Macht zu bewahren. Wer auch immer sein Nachfolger wird, wird sich wahrscheinlich genauso verhalten.

Kein heiliger Krieg zu erwarten

Noch wichtiger ist jedoch, dass der Einfluss der Kirche auf Russlands Bevölkerung nicht überzubewerten ist. Laut Soziologen bezeichnen sich zwar zwei Drittel der Befragten als orthodox – aber sie sehen darin nur „einen Aspekt der nationalen Identität“ und vielleicht eine Reihe von nicht ganz unnützen magischen Ritualen. Die Anzahl der gläubigen Orthodoxen, die regelmäßig an Gottesdiensten teilnehmen, beichten, fasten und ihre Kinder im christlichen Geist erziehen, ist denselben Angaben zufolge circa zehn Mal geringer. Zum Vergleich: In den letzten Jahren vor der Covid-19 Pandemie nahm in Frankreich etwa 20 Prozent der Bevölkerung an Weihnachtsgottesdiensten teil, in Russland waren es weniger als zwei Prozent. Insofern entfacht der Appell an religiöse Gefühle bei den russischen Bürgern keinen feurigen Patriotismus – einfach, weil sie sich nicht von der Religion in dieser Weise angesprochen fühlen. Es gibt also überhaupt keinen Anlass, einen „orthodoxen Dschihad“ zu erwarten.

Ballerina tanzt mit einem Soldaten auf einem Panzer bei der Eröffnung der Internationalen Armeespiele 2021
Die Militarisierung der russischen Gesellschaft nimmt zunehmend kreativere Formen an. © Getty Images

Aber auch der russische Volkspatriotismus ist eigentümlich. Zunächst einmal: Ja, es gibt ihn. Nach dem traumatischen Zusammenbruch der UdSSR, einem Jahrzehnt des Überlebens am Rande des Abgrunds und dem darauf folgenden langsamen „Wegkriechen“ von diesem Rand, ist es nicht verwunderlich, dass das Land, das all das ertragen hat und mehr oder weniger ganzgeblieben ist, allein deshalb bei seinen Bürgern ein Dankbarkeitsempfinden auslöst. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass sich 78 Prozent der Russen als Patrioten betrachten. Allerdings sind nur 33 Prozent stolz auf ihr Heimatland und 28 Prozent gaben an, es zu lieben. Konkret ist man auf die „Menschen, die in unserem Land leben“ (19 Prozent), die „Natur“ (17 Prozent), die „Lebensqualität und Stabilität“ (9 Prozent) und „Geschichte“ (7 Prozent) stolz. Laut dem World Values Survey liegt die Bereitschaft, „für das Land zu kämpfen“ in Russland bei 68 Prozent. Bei den Griechen liegt dieser Wert aber bei 70 Prozent, bei den Briten bei 65 Prozent und in Norwegen bei 88 Prozent.

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Zahlen & Fakten

Zwischen nachgefragter und tatsächlicher Kampfbereitschaft liegen zudem Welten. Das zeigt sich nicht nur bei den im Auftrag des Staates produzierten Kriegsfilmen, die an den Kinokassen scheitern und der Konkurrenz der Hollywood-Blockbuster nicht standhalten können. Auch der obligatorische militärische Grundausbildungsunterricht aus Zeiten der UdSSR ist trotz zahlreicher Forderungen nicht an die Schulen zurückgekehrt. Zwar schicken einige Sonderlinge ihre Kinder an Feiertagen in Uniform auf die Straße. Doch wenn es um den tatsächlichen Militärdienst geht, schwindet dieser Eifer – die Zahl der Wehrdienstverweigerer hat in den letzten Jahren sogar zugenommen. Nur etwa zwölf Prozent der Bevölkerung unterstützen außerdem eine weitere Erhöhung der Militärausgaben; etwa 20 Prozent wollen die Kosten reduzieren.

Religion ohne Anhänger

Zusammenfassend gilt: Die russische Führungselite versucht, ihre Legitimität zu stärken, indem sie eine Art politische Religion konstruiert und fördert. Im Sinne von Emilio Gentile findet eine Sakralisierung der Politik statt, die „keine Koexistenz mit anderen Ideologien bzw. politischen Bewegungen duldet, die Autonomie des Individuums negiert und die Gewalt als Mittel im Kampf gegen die Feinde heiligt“. Dabei versucht die Politik, „die traditionelle Religion in das eigene System zu inkorporieren“. Die Rituale einer solchen Religion haben mehr Heidnisches als tatsächlich Christliches an sich.

Zudem handelt die russische Elite gezwungenermaßen im Alleingang – ihr fehlt die ausdrückliche Unterstützung der Kirche und die Begeisterung der breiten Masse. Es ist eine Religion mit Propheten und Predigern, aber fast ohne Anhängerschaft. Der russische militaristische Patriotismus gleicht damit weniger einem Gottesdienst und mehr einem Theaterstück, das solange nicht abgesetzt wird, bis der Theaterdirektor es will. Bei einem Wechsel des Regisseurs oder einer Überarbeitung des Theaterspielplans – wobei ersteres unvermeidlich und zweiteres wahrscheinlich ist – wird dieses Stück aus dem Repertoire verschwinden, was sowohl das Publikum als auch viele Schauspieler aufatmen lassen wird.

Vor nur 30 Jahren war der Mythos von den Millionen „blutrünstigen Russen“, die nur darauf warten, die westliche Zivilisation anzugreifen, bereits einmal ausgeräumt. Es gibt keinen triftigen Grund, zu dieser Illusion zurückzukehren. Sie ist für den Westen genauso schädlich und gefährlich wie für Russland.

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Conclusio

Seit Jahren lässt sich eine zunehmende Militarisierung der russischen Gesellschaft beobachten. Der Militärkult, aufbauend auf dem Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, dient als Stütze einer neuen politischen Religion, die vom Kreml forciert und von Putin höchstpersönlich ins Leben gerufen wurde. Obwohl das Bild eines militärisch erstarkten Russlands, das für die Verteidigung traditioneller Werte (und etablierter Autokraten) eintritt, durchaus auf Anklang in der Bevölkerung trifft, ist die Vorstellung eines Russlands im religiös angefachten Kriegswahn allerdings eine falsche. Zum einen ist die orthodoxe Kirche kein bloßer Spielball der Politik und vertritt durchaus eigene Positionen – beispielsweise mit Blick auf die Ukraine. Zum anderen fehlt der Politik auch die Unterstützung der breiten Masse für die praktische Umsetzung ihres prunkvoll inszenierten Säbelrasselns. Der Kreml führt somit zwar überzeugend Regie im Spektakel des religiösen Patriotismus. Doch lange behaupten wird sich das Phänomen wohl nicht.