Wie ein Gesicht im Sand

Unser Wissen um die Existenz des Denisova-Menschen ist pures Glück. Der Paläoanthropologe Bence Viola erklärt, warum diese Menschengruppe fast spurlos verschwand.

Der Katu-Yaryk Pass im Altai-Gebirge, wo auch der Denisova-Mensch lebte, ebenso wie Neandertaler.
Am Katu-Yaryk Pass im Altai-Gebirge. In dieser Region lebte der Denisova-Mensch, der fast spurlos verschwand. © Getty Images

Man könne „sehr wohl wetten, dass der Mensch verschwinden wird wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“, schrieb Michel Foucault 1966. Für den Denisova-Menschen trifft das (fast) zu. Bence Viola weiß das, denn er war Teil der Forschungsgruppe, die seine Existenz anhand einer winzigen Spur, die 2008 im Sand einer Höhle in Sibirien gefunden worden war, nachweisen konnte.

Der Podcast über den Denisova-Menschen

Das war ein Highlight meiner wissenschaftlichen Karriere. Vielleicht wird das auch so bleiben.

Bence Viola, Paläoanthropologe, über die Entdeckung des Denisova-Menschen.

Ein Stück Knochen, zwölf Millimeter lang und sieben Millimeter breit. Das war das als menschlich erkennbare Fragment, das russische Anthropologen 2008 in der Höhle im Altai-Gebirge beim Durchsieben der Ablagerungen fanden. Das Fragment wurde zermahlen, 30 Milligramm gingen für genetische Untersuchungen nach Leipzig zur Forschungsgruppe von Svante Pääbo und Johannes Kraus.

„Die DNA sah weder dem Homo sapiens noch dem Neandertaler ähnlich. Es war klar, dass es etwas anderes ist. Auch das Alter war nicht sofort klar: Es war unglaublich damals. Ich war gerade erst nach Leipzig gezogen und Svante rief mich an, er müsse etwas mit mir besprechen“, so Bence Viola.

In den Tagen gelang der Forschungsgruppe eine Sensation: Der Nachweis, dass eine bis dahin unbekannte Menschengruppe gemeinsam mit Neandertalern und Homo sapiens im Altai-Gebirge in Sibirien gelebt haben musste: Der Denisova-Mensch. „Das war sicherlich das absolute Highlight meiner wissenschaftlichen Karriere.“

Der entfernte Cousin des modernen Menschen ist so gründlich ausgestorben, dass es bis heute nur sehr wenige Fundstücke von ihm gibt, unter anderem in Tibet. Bence Viola analysierte gemeinsam mit russischen Kollegen im selben Jahr noch den Zahn eines Oberkiefers aus der Höhle.

Warum der Denisova-Mensch verschwand

Soviel weiß man bisher: Der letzte gemeinsame Vorfahr des Individuums der Höhle, ein etwa siebenjähriges Kind, und des modernen Menschen lebte vor 1,5 bis einer Million Jahren. „Damit ist er weiter von uns entfernt als der Neandertaler“, so Viola. Seine Geschichte geht so:

„Vor 800.000 bis 600.000 Jahren sind die Vorfahren von Neandertalern und Denisova-Menschen aus Afrika ausgezogen und haben sich von unseren Vorfahren getrennt. Dann haben sie sich vielleicht in Europa noch einmal getrennt. Die Neandertaler sind mehr nach Westen gezogen, die Denisova-Menschen mehr nach Osten. Das passierte vor etwa 500.000 Jahren.“

Zwar gelang es dieser Spezies Mensch trotz der harten Bedingungen speziell im Altai-Gebirge zu überleben. Doch letztlich war es wohl eine Kombination aus Inzucht und Änderungen im Klima etwa zwischen 30.000 und 40.000 Jahren vor heute, die zum Verschwinden der Menschengruppe führte. „In Nordsibirien wurde es so kalt, dass man dort nicht überleben konnte.“

Die Gruppe in Sibirien bestand aus etwa zwanzig bis dreißig Personen, viele davon wohl eng miteinander verwandt. „Moderne Menschen haben sich mit den Neandertalern sehr stark vermischt, sodass sie nicht so stark von Inzucht geprägt waren. Es gab vielleicht auch soziale Regelungen, die Inzucht verhinderten. Der kulturelle Austausch und die größere genetische Variabilität haben den Homo sapiens jedenfalls resilienter gemacht.“

Homo altaiensis oder Denisova-Mensch?

Eine neue Spezies zu definieren, sei nicht leicht, erzählt Bence Viola im Podcast. „Wir wollten einen eigenen Namen geben, das wäre dann Homo altaiensis gewesen. Aber während das passiert ist, haben wir die ersten Daten bekommen. Wir haben uns dann dagegen entschieden, das als eigene Spezies zu benennen.“

„Das große Problem ist, dass es schwierig ist, eine Spezies zu definieren. Man merkt mehr und mehr durch molekulare Untersuchungen, dass das, was als Spezies erscheint, in Wahrheit sich häufig vermischt hat. Wenn man sich die nukleare DNA dieser Menschen anschaut, dann sehen wir die nähere Verwandtschaft mit den Neandertalern. Näher als zu uns. Sie haben sich aber sowohl mit den Neandertalern als auch mit uns wiederholt vermischt.“

Der Zahn, den Viola in Sibirien gezeigt bekam, hatte riesige gespreizte Wurzeln. „Ein Kollege in Leipzig, der an den verschiedenen Spezies unserer Gattung arbeitet, dachte, das sei aus Äthiopien und 2,5 Millionen Jahre alt. Dabei waren es nur 80.000 bis 100.000 Jahre.“

Die spärlichen Funde lassen kaum Rückschlüsse auf das Äußere zu. Es gibt keine Gliedmaßen, nur Kieferknochen, das Fragment des Fingers und den Zahn. „Ich hoffe, dass man einmal einen Schädel findet oder einen größeren Knochen. Eine Rekonstruktion ist schwierig, denn in der Höhle lebten Neandertaler und Denisova. Sie sind sich auch begegnet, aber man weiß nicht, ob es auch gemischte Gruppen gab.“

Warum ausgerechnet diese Höhle im Altai-Gebirge so beliebt war, kann Bence Viola verstehen. Sie liegt etwa 25 Meter oberhalb des Flusses Anui. Man hat eine gute Sicht über die Ebene darunter. Über viele Jahrtausende haben sich immer wieder Menschen diesen Platz ausgesucht, um temporär dort zu leben. Seit den frühen 1980er Jahren gibt es dort Ausgrabungen, immer wieder fand man Anzeichen, dass Menschen unterschiedlicher Populationen sich dort aufgehalten haben: Tierknochen mit Schnittspuren etwa. „Ob Menschen dort allerdings wirklich gewohnt haben, ist unwahrscheinlich“, so Viola.

Die Ausgrabungen laufen durchgehend seit den 1980er Jahren, berichtet Viola. Gefunden wurden 15 Knochen von Relevanz für die Forschung nach den Urahnen des modernen Menschen. Das bedeutet: „Jedes Jahr werden 10.000ende Knochentücke gefunden, die muss sich irgendwer anschauen, ob etwas menschliches dabei ist. Ich bin wochenlang dagesessen und habe kleine Knochentücke angeschaut.“

Vor etwa 80.000 Jahren war auch der moderne Mensch im Altai-Gebirge unterwegs. Der Neandertaler hat seine Gene für eine helle Haut an ihn weitergegeben. Auch die Gene des Urmenschen sind im heutigen Menschen erhalten. 2010 wurden sie in Menschen aus Papua Neuguinea gefunden. 0,5 Prozent der menschlichen Gene in Asien stammen vermutlich von der Denisova-Linie. Die DNA muss nicht in Knochen gefunden werden, es reichen Ablagerungen an Orten, wo sich Individuen aufhielten. Die letzte Vermischung mit den Menschen auf Papua Neuguinea fand vor etwa 20.000 Jahren statt, vermutet Viola.

Danach verschwindet dieser Urmensch endgültig.

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Über Bence Viola

Bence Viola ist Paläoanthropologe und Associate Professor an der University of Toronto. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch die beschriebenen Ausgrabungen im Altai bekannt, wo ein Fingerknochen-Fragment des Urmenschen gefunden worden war. Gemeinsam mit anderen gelang ihm der Nachweis der neuen Spezies Mensch.

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