Mehr Schub fürs Laden

Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist für den Erfolg der Elektroautos entscheidend. Die Forschungsergebnisse der TU Wien zeigen auf, wo die kritischen Punkte liegen: ausreichend Strom, belastbare Netze und Kostenfaktoren.

Ein Auto aus Gras
Mit grüner Energie ins Grüne - und zurück? © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Boom beim Strom. Die Zulassungszahlen von Elektroautos steigen rasant und erfordern mehr und bessere Infrastruktur.
  • Hohe Kosten. Die Errichtung von öffentlichen Ladesäulen ist ein kostspieliges Unterfangen. Private Wallboxen sind günstiger.
  • Logistikplanung. Smartes Lademanagement und praxisorientiertes Verhalten ist zur Verhinderung von Überlastungen der Netze notwendig.
  • Verbrauchsfrage. Auch bei Elektroautos spielt der, bei Verbrennern dominante, Verbrauch eine wesentliche Rolle.

Elektrofahrzeuge sind am Vormarsch. Ende Juni waren in Österreich bereits 59.289 batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) zugelassen, was einem Anteil von 1,2 Prozent am PKW-Bestand entspricht. Aufgrund der stark ansteigenden BEV-Neuzulassungen (11,2 Prozent Anteil von Jänner bis Juli) wird der BEV-Bestand zwar mit Verzögerung, aber doch stetig weiter wachsen. Die kürzlich erfolgten Ankündigungen namhafter Automobilhersteller zum Verbrenner-Ausstieg im nächsten Jahrzehnt sowie die ambitionierten Pläne der österreichischen Bundesregierung werden den Trend weiter verstärken. Daraus stellen sich natürlich zahlreiche Fragen zur Ladeinfrastruktur. Was passiert, wenn alle gleichzeitig laden? Haben wir genug Strom? Schaffen das unsere Netze? Was kosten die vielen Ladestellen?

Mehr im Dossier Elektromobilität

Wir beschäftigen uns an der TU Wien seit einigen Jahren mit diesen Fragen. Unsere erste größere Studie zu dem Thema wurde 2019 beim Internationalen Wiener Motorensymposium publiziert. Die Weiterentwicklung dieser Studie ist dann 2020 zu meiner Dissertation geworden. Die Kernfragen im Detail:

Was passiert, wenn alle gleichzeitig laden?

Ich darf gleich vorwegnehmen: Es werden nicht alle Fahrzeuge gleichzeitig laden. Das passiert nur in Netzen, wo sehr wenige Fahrzeuge laden oder diese sehr stark genutzt werden. Je mehr Fahrzeuge in der Flotte, desto gleichmäßiger verteilen sich die Ladevorgänge. Das ist ein ganz generelles Phänomen der Auftrittswahrscheinlichkeit und gilt auch für E-Fahrzeuge. Aber wieviele BEV laden gleichzeitig? Das ist für PKW und leichte Nutzfahrzeuge stark unterschiedlich. Für österreichische PKW ergibt sich unter den gewählten Annahmen in meiner Dissertation eine Gleichzeitigkeit von knapp 10 Prozent. Für leichte Nutzfahrzeuge liegt die Gleichzeitigkeit deutlich höher, da diese Fahrzeuge stark genutzt werden, einen höheren Energiebedarf haben und daher oftmals täglich geladen werden müssen. Das Maximum der gleichzeitig ladenden leichten Nutzfahrzeuge in Österreich wurde mit 74 Prozent berechnet.

In einer weiteren Studie für ein namhaftes Logistikunternehmen haben wir sogar 100 Prozent berechnet – hier laden tatsächlich alle Fahrzeuge gleichzeitig. Das müssen sie auch, denn die täglichen Fahrtweiten von über 200 Kilometer reichen bei derzeitigen Batteriegrößen von leichten Nutzfahrzeugen nicht für einen weiteren Tag. Die Situation des Logistikers ist natürlich ein Sonderfall und ist nicht repräsentativ für die Gesamtflotte. Beim PKW ist dieser Fall sowieso vernachlässigbar – 94 Prozent der Weglängen sind unter 50 Kilometer, hier lässt sich die vorhandene Reichweite von oftmals mehr als 300 Kilometer deutlich besser ausnützen.

Es zeigt sich, dass für erfahrene E-Fahrzeugnutzer die sogenannte Reichweitenangst kaum eine Rolle mehr spielt und zu immer späteren Zeitpunkten geladen wird. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen von konventionellen Fahrzeugen: Fahrzeugnutzer haben üblicherweise überhaupt kein Interesse an Aufwänden, die das Fahrzeug funktionsfähig machen. Reifenwechsel, Wartung, Reinigung und auch das Anstecken sind Tätigkeiten, die uninteressant sind. Im Fall des Ansteckens kommen noch „Kabel ist schmutzig“ oder „im Kofferraum“ beziehungsweise „schwer und mühsam“ hinzu. Kaum zu glauben, aber das sind Gründe für selteneres Anstecken. Welche Auswirkungen hat das? Tatsächlich ist das sogar hilfreich, was ich im letzten Abschnitt erkläre.

Haben wir genug Strom für alle Elektromobile?

Ja! Und nein. Der jährliche Energiebedarf für 100 Prozent BEV-PKW und leichte Nutzfahrzeuge in Österreich beträgt circa 20 Terawattstunden, was aus heutiger Sicht eine Erhöhung von 28 Prozent des Stromverbrauchs bedeutet. Das scheint nicht viel und ist von der heutigen Energieversorgung machbar, allerdings liegt hier genau das Problem: Wir müssen weg von der derzeitigen, fossilen Energieerzeugung. Mit erneuerbaren Energieträgern, das heißt fast ausschließlich mit Grünstrom, ist eine solche Menge wesentlich schwieriger zu decken.

Für erfahrene E-Fahrzeugnutzer spielt die sogenannte Reichweitenangst kaum mehr eine Rolle.

Zukünftig kommen noch weitere Energieverbraucher, wie schwere Nutzfahrzeuge, Flugzeuge aber auch Haushalte (Wärmepumpe) und große Industriezweige hinzu, die Grünstrom brauchen. So hat die VOEST vor einiger Zeit einen erneuerbaren Strombedarf von 30 Terawattstunden pro Jahr angegeben, um eine klimaneutrale Stahlproduktion in Österreich zu ermöglichen. Alle wollen also etwas vom erneuerbaren Kuchen haben. Auf europäischer Ebene wird mittlerweile davon ausgegangen, dass sich der Energiebedarf durch innereuropäische Erzeugung nicht erneuerbar decken lassen wird. Die erforderlichen Importe können aber nur mit chemisch gebundenen Energieträgern, wie Wasserstoff und e-Fuels sinnvoll bewerkstelligt werden. Deren effizienteste Nutzung liegt jedoch nicht in der Rückverstromung für BEV sondern in Fuel-Cell- oder Verbrennerfahrzeugen. In diesem systemischen Kontext scheint die Energiewende also deutlich schwieriger und komplexer als oftmals angenommen.

Neben dem jährlichen Energiebedarf ist auch der Leistungsbedarf von großer Bedeutung. Durch die Ladung von 100 Prozent BEV ergibt sich ein Spitzenbedarf von 7,3 Gigawatt, was 74 Prozent der heutigen Maximalleistung entspricht. Das lässt sich natürlich mit einem intelligenten Lademanagement glätten, wodurch auch die Netze entlastet werden. Hier stellt sich aber die Frage nach der Akzeptanz der Nutzer, da damit auch die Ladedauer verlängert wird. Verbessern könnte man das beispielsweise mit einer Steuerung über Smartphone-Apps, allerdings ist auch hier die oben beschriebene Problematik der Bequemlichkeit zu befürchten. Die schwankende Leistung muss zukünftig mit ebenfalls schwankenden volatilen Energieträgern (man denke an Wind- oder Photovoltaik-Strom) gedeckt werden, was den Bedarf an den oben erwähnten Energiespeichern oder Importen erneut verdeutlicht.

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Zahlen & Fakten

  • Eine Komplettumstellung auf Elektromobilität würde den österreichischen Strombedarf um 28 Prozent auf circa 20 Terawattstunden erhöhen.
  • Werden künftig alle Elektroautos gleichzeitig geladen, werden 74 Prozent der heutigen Maximalleistung der Netze benötigt.
  • Um die Stromnetze auf den Mehrbedarf vorzubereiten, muss mit deren Ausbau deutlich vor 2030 begonnen werden.
  • Die Kosten für die Errichtung einer öffentlichen Ladestation können sich auf bis zu 40.000 Euro belaufen. Schnellladestationen auf Autobahnen noch deutlich mehr.

Schaffen das unsere Stromnetze?

Wir haben unser Modell auf verschiedene typische Verteilnetze angewendet, um die Auswirkungen auf das Stromnetz zu bestimmen. In allen untersuchten Netzen hat sich gezeigt, dass die Grenze durch die Ladung von BEV erreicht wird, da der Trafo seine Maximalleistung erreicht. Diese Grenze wird zuerst im ländlichen Netz bei einem Bestand von 48 Prozent BEV-PKW und 28 Prozent batteriebetriebenen leichten Nutzfahrzeugen erreicht.

Diese Grenze könnte mit einem intelligenten Lademanagement nach hinten geschoben werden, jedoch stellt sich wieder die oben erwähnte Frage der Akzeptanz. Des Weiteren werden derzeit gerade im privaten Bereich kaum Ladestellen mit einem Lademanagement verbaut. Ein nachträglicher Einbau bedeutet wiederum einen Zusatzaufwand.

Da ein umfassender Netzausbau sehr lange dauert, wird der Beginn von Netzerweiterungsmaßnahmen wahrscheinlich deutlich vor 2030 erforderlich sein.

Was kosten die vielen Ladestellen?

Eine Ladestelle am eigenen Stellplatz ist üblicherweise sehr kostengünstig (circa 600 Euro für eine 11 kW Wallbox) und derzeit zusätzlich stark gefördert. Anders sieht das bei halböffentlichen und öffentlichen Ladestellen aus. So können die Kosten für eine öffentliche 50 kW Gleichstrom-Ladestelle bis zu 40.000 Euro betragen, was auf die hohen Bau-, Netz- und Hardwarekosten zurückzuführen ist. Da nicht jeder PKW an einem eigenen Stellplatz laden kann, müssen für diese Fahrzeuge zusätzlich öffentliche Ladestellen bereitgestellt werden, was zu hohen Kosten führt. Wir gehen von Kosten für die Ladeinfrastruktur aller BEV von im Schnitt 7.200 bis 7.500 Euro pro Fahrzeug aus. Dabei sind Netzerweiterungen nicht berücksichtigt.

Wie bereits erwähnt laden erfahrene Nutzer ihre Fahrzeuge immer seltener, dafür länger. Wir nennen die genutzte Reichweite bis zur Ladung auch Reichweitenausnützung – ein Parameter, der sich wesentlich auf die Gleichzeitigkeit auswirkt. Wir haben die Reichweitenausnützung in unserer Software variiert und sind zum Ergebnis gekommen, dass eine Erhöhung von 200 auf 400 Kilometer eine Reduktion der Maximalleistung von circa acht Prozent bedeutet. Klingt nicht viel, aber mit Blick auf die oben erwähnte erneuerbare Energie ist das doch ein beachtlicher Unterschied.

Erfahrene E-Auto-Nutzer laden ihre Fahrzeuge immer seltener, dafür länger.

Der Verbrauch des BEV hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die Ladeinfrastruktur. Durch einen höheren Verbrauch verlängert sich die Ladedauer, wodurch sich mehr Ladevorgänge überschneiden, was die Gleichzeitigkeit und den Leistungsbedarf erhöht. Im Jahresmittel gehen wir von einem Realverbrauch inklusive Ladeverluste (diese werden oftmals vergessen!) von circa 25 kWh/100km beim PKW aus. Wir alle können den Verbrauch mit der Fahrweise maßgeblich beeinflussen. So bedeutet eine Reduktion des Verbrauchs um 20 Prozent eine Reduktion der Spitzenleistung um 14 Prozent.

Weitere Verbesserungsmöglichkeiten sind das oft erwähnte Lademanagement oder eine Reduktion der Ladeleistung. Zum Abschluss noch ein paar „absurde“ Vorschläge: Weniger Autofahren, dafür öffentlich, mit dem Fahrrad oder am besten: zu Hause bleiben und gemütlich machen.

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Conclusio

Mit „Aufklärung“ zur richtigen Nutzung eines Elektroautos und intelligentem Lademanagement lassen sich viele Probleme im Alltag lösen. Entscheidend ist zudem ausreichend sauberer Strom und noch leistungsfähigere Batterien, als sie heute verfügbar sind. Die optimistische Prognose: Die Forschung im Batteriebereich schreitet so zügig voran, dass dieser Aspekt bald abgehakt werden kann.