Energie, der neue Standortfaktor
Ich hab’s gern warm. Dennoch: Ein paar Grad mehr oder weniger im Wohnzimmer werden bald unser geringstes Problem sein. Die Energiekosten sind dabei, ganze Industriebranchen zu versenken.
Die horrenden Energiekosten zwingen Industrie und Gewebe in die Knie. Am Horizont dräut Stagflation, die Kombination aus Inflation und wirtschaftlicher Stagnation, oder deren Steigerung: Inflation bei gleichzeitiger Rezession. Dafür gibt es nicht einmal einen eigenen Begriff.
Energiekosten werden zum bestimmenden Standortfaktor. Während international aufgestellte Konzerne ihre Betriebsstätten in andere Länder mit niedrigeren Energiekosten verlagern können, geht es bei den mittelständischen Unternehmen ans Eingemachte. Die Preise für Strom und Gas haben sich vervielfacht, doch die gestiegenen Produktionskosten können, wenn überhaupt, nur zum Teil an die Kunden weitergegeben werden. Das trifft nicht nur besonders energieintensive Branchen wie die Chemie-, Stahl-, Papier-, Keramik- oder Glasindustrie, sondern genauso Bäckereien, Metzgereien und hunderte andere.
Strom- und Gaspreis verteuern die Produktion und den Gütertransport. Nur ein Teil der Kosten kann von den Unternehmen aufgefangen werden, am Ende steigen die Verbraucherpreise. Gleichzeitig frisst die Inflation die Ersparnisse auf, Gehaltserhöhungen hinken der Teuerung hinterher, die Konsumenten schränken den Konsum ein, die Nachfrage schrumpft. Also werden geplante Investitionen verschoben oder gestrichen, die Produktion wird zurückgefahren, Mitarbeiter entlassen. Vielen Betrieben bleibt nur der Weg in die Insolvenz.
In Österreich und Deutschland verschärft die Politik den Abwärtstrend. Zu einen befeuert sie die Inflation, indem sie ausgerechnet jetzt Energie mit CO2-Steuern zusätzlich verteuert. Und zum anderen betreibt sie Mikromanagement, wo grundlegende Weichenstellungen gefordert wären.
Ja, es geht auch ohne russisches Gas
Die Energie- und Umweltagentur des Landes Niederösterreich empfiehlt für Schulen, die Raumtemperatur in Klassenzimmern solle 20 Grad nicht überschreiten – bei Unterrichtsbeginn würden auch 18 Grad genügen und in den Gängen 15 Grad. Ob die Kids ihre Schularbeiten mit klammen Fingern schreiben sollen oder sich vorher die Hände aufwärmen dürfen, ist nicht überliefert.
Gleichzeitig beschwört man den Durchhaltewillen der Bevölkerung und schaltet Werbekampagnen mit bahnbrechenden Ratschlägen wie „Duschzeit verkürzen“ und „Deckel auf den Kochtopf“. So kann man den Bürgern bequem den Schwarzen Peter zuspielen: Wenn das Gas zu knapp wird, sind sie selber schuld, nicht etwa vergangene und gegenwärtige politische Versäumnisse.
Die Regierungen lenken von der eigentlichen Dimension des Problems ab. Es geht um die drohende Deindustrialisierung, nicht um ein paar hundert Heizschwammerl. Um die Relationen zu veranschaulichen: Der Chemiekonzern BASF braucht allein an seinem Standort Ludwigshafen so viel Gas wie die ganze Schweiz.
Standortfaktor Energiekosten
Natürlich ist die Krise nicht nur auf Deutschland und Österreich beschränkt, sie trifft ganz Europa, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Im September haben vierzig Vorstandsvorsitzende der europäischen Metallindustrie in einem gemeinsamen Brief die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vor der existenziellen Bedrohung durch die Energiekrise gewarnt und Sofortmaßnahmen gefordert, um eine dauerhafte Deindustrialisierung durch steigende Strom- und Gaspreise zu verhindern.
Danke, Deutschland, für den kalten Winter
Die Hälfte der Aluminium- und Zinkkapazitäten in der EU hätten aufgrund der Stromkrise bereits abgeschaltet werden müssen, heißt es in dem Schreiben. Auch in der Silizium- und Ferrolegierungsproduktion sei es zu erheblichen Drosselungen gekommen, die Auswirkungen seien auch in der Kupfer- und Nickelbranche zu spüren:
„Letzten Monat mussten mehrere Unternehmen unbefristete Schließungen ankündigen, und viele weitere stehen kurz vor einem Winter, in dem es für viele Betriebe um Leben und Tod geht. Die Erzeuger sehen sich mit Strom- und Gaskosten konfrontiert, die mehr als zehnmal so hoch sind wie im letzten Jahr. Sie übersteigen bei weitem den Verkaufspreis für ihre Produkte. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Schließung einer Anlage sehr oft zu einer dauerhaften Situation wird, da die Wiedereröffnung mit erheblichen Unsicherheiten und Kosten verbunden ist.“
Auch wenn die aktuelle Energiekrise von der Gasknappheit und der Wartung französischer Kernkraftwerke getrieben wird, ist sie im Kern hausgemacht: Europa hat die falschen Prioritäten gesetzt.
Schluss mit Torte
Das Leben ist voller Zielkonflikte. Wenn zwei Ziele oder mehr in Konkurrenz zueinander stehen, muss man Prioritäten setzen. Das bedeutet nicht, dass man eines der Ziele komplett aufgeben muss. Wer jeden Tag Torte essen und gleichzeitig abnehmen will, muss das Tortenessen eben mit Sport kompensieren. Ordnet man jedoch dem Abnehmen alle anderen Ziele unter, ist Schluss mit Torte.
Politik funktioniert genauso. Die Nebenwirkungen von steuerlichen und gesetzlichen Lenkungsmaßnahmen werden so lange wie möglich breitenwirksam abgefedert. Unsere Klimaschutzpolitik hat die Energie verteuert? Dann finanzieren wir eben einen Tankrabatt wie in Deutschland oder überweisen jedem 500 Euro wie in Österreich. Das mag der Wählerberuhigung dienlich sein, den Kern des Problems berührt es nicht:
Die Verteuerung von Energie lenkt nur, wenn sie so hoch ausfällt, dass ein großer Teil der Bevölkerung gezwungen ist, sein Verhalten zu ändern. Jegliche „soziale Abfederung“ der Teuerung ist eine Schimäre. Würden die höheren Energiepreise tatsächlich kompensiert, wäre der Lenkungseffekt nämlich gleich Null.
Steigende Energiekosten wären vermeidbar
Doch wenn die politisch indizierte – sprich: künstlich geschaffene – Verteuerung von Kohlenwasserstoffen durch Energiezertifikate und CO2-Bepreisung hoch genug ist, um das Verhalten zu lenken, werden viele Güter so teuer, dass Gewerbe- und Industriebetriebe schließen oder in andere Regionen abwandern, viele ihre Jobs verlieren und (fast) alle einen massiven Verlust an Wohlstand und Komfort erleiden.
Und genau diese Folgen der europäischen Klimaschutzpolitik erleben wir jetzt im Zeitraffer. Wir haben Energiequellen verteuert oder verbannt, bevor wir ausreichend Alternativen zur Verfügung hatten. Eine Klimaschutzpolitik, die den „Degrowth“-Ideologen gefallen mag, die aber zu Lasten der einkommensschwächsten Schichten geht, bevor nach und nach auch die Mittelschicht ins Prekäre abgleitet.
Jahrelang hat Europa dem Klimaschutz alle anderen Ziele und Interessen untergeordnet. Bleiben wir auf diesem Kurs, ist Schluss mit Wirtschaft, Schluss mit Torte.