Europas Aufrüstung: Die Waffen wieder!
Europas Aufrüstung wird in den kommenden Jahren unvorstellbare Summen verschlingen. Wer von dieser Einkaufstour am meisten profitiert und in welchen Bereichen wir angreifbar bleiben.

Auf den Punkt gebracht
- Bonanza: Europäische Rüstungsaktien gewannen seit Jahresbeginn über 100 Milliarden Euro an Marktwert hinzu.
- Aufholprozess: Die EU-Mitgliedsstaaten erhöhten zwischen 2021 und 2024 ihre Verteidigungsausgaben um über 30 Prozent auf rund 326 Milliarden Euro.
- Verschwendung: Mangelnde Kooperation in der Verteidigung kostet Europa jährlich zwischen 25 und 100 Milliarden Euro.
- Trump-Effekt: Ohne US-Sicherheitsgarantien benötigt Europa kurzfristig etwa 250 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr (circa 3,5 Prozent des BIP).
Europa rüstet auf, die Verteidigungsbudgets werden massiv erhöht, und einen großen Gewinner gibt es bereits: die Rüstungsindustrie auf dem Kontinent. Seit Jahresbeginn gewannen europäische Börsen über 100 Milliarden Euro an Marktwert hinzu und übertrafen damit den US-Aktienmarkt deutlich. Vor allem profitieren Branchenführer des Verteidigungssektors wie Rheinmetall, ein Schlüssellieferant für Europas Landstreitkräfte. Die Aktien des Konzerns legten enorm zu; allein im laufenden Jahr hat sich ihr Wert verdoppelt, seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine vor drei Jahren mehr als verzehnfacht.
Großer Aufholbedarf bei Europas Aufrüstung
Verantwortlich für diesen Aufschwung ist in erster Linie das Verhalten der USA unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump. Niemand weiß, ob sich die Vereinigten Staaten im Notfall an ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO halten werden. Europa muss also allein für seine Sicherheit sorgen. Der rasche Ausbau militärischer Fähigkeiten wirft jedoch Fragen auf: Welche Regionen und Unternehmen profitieren? Welche Waffensysteme sind die größten Gewinner? Und entscheidend: Wie kann Europa sicherstellen, dass die alten Fehler bei seiner Aufrüstung – fragmentierte Beschaffung und ineffiziente Ausgaben – diesmal vermieden werden?
Die EU schätzt, dass mangelnde Verteidigungs-Kooperation jährlich 25 bis 100 Milliarden Euro kostet.
Europäische Regierungen haben eine lange Tradition darin, ihre nationalen Rüstungsproduzenten zu bevorzugen, um Arbeitsplätze zu schützen und die Kontrolle über sensible Technologien zu behalten. Die Europäische Kommission schätzt, dass mangelnde Kooperation in der Verteidigung jährlich zwischen 25 und 100 Milliarden Euro kostet.
Wie kann die Koordination effizienter werden? Die große Anzahl von Produzenten hat dazu geführt, dass europäische Staaten unterschiedliche Systeme in ihren Beständen haben, die miteinander nicht unbedingt kompatibel sind. Allerdings verbessert sich die Situation derzeit: Die Zahl der wichtigsten Waffensysteme, die in Europa produziert werden, nimmt ab und wird bald auf dem gleichen Niveau wie in den Vereinigten Staaten liegen. Die Fragmentierung im Sektor geht also zurück.
Zeitenwende in der Praxis
Europas Staaten beschafften militärisches Material früher unabhängig voneinander, wobei größere Länder oft ihre eigenen Anbieter bevorzugten. Dies war zwar politisch opportun, machte den Einkauf aber schwieriger und blähte die Kosten auf. Doch das ändert sich; Europas gegenwärtige Aufrüstung baut zwar auf vergangenen Initiativen auf, bricht jedoch lange bestehende Tabus.
Initiativen wie das Europäische Programm zur Entwicklung der Verteidigungsindustrie (EDIP) zielen darauf ab, die Beschaffung zu bündeln. Bis 2030 sollen 40 Prozent der nationalen Budgets für paneuropäische Programme verwendet werden. Jüngste Maßnahmen wie die Lockerung der Schuldenbremse für militärische Ausgaben in Deutschland und das „Readiness 2030“-Projekt der Europäischen Kommission, das Darlehen von 150 Milliarden Euro für die Mitgliedsländer vorsieht, signalisieren einen entscheidenden Wandel.
Schwachstellen beseitigen
Die NATO steht vor einer komplexen Herausforderung: Sie muss ihre Verteidigungsfähigkeit grundlegend modernisieren, um Russland glaubwürdig abzuschrecken. Die überarbeiteten Verteidigungspläne der Allianz haben massive Schwachstellen offengelegt und entsprechend ambitionierte Ziele gesetzt. Die militärischen Fähigkeiten sollen insgesamt um 30 Prozent gesteigert werden. Doch die Realität hinkt hinterher – die aktuellen Aufwendungen erreichen gerade einmal 70 Prozent des ursprünglich vereinbarten Umfangs.
Zahlen & Fakten

Komplizierte Fliegerwahl?
Die F-35 des US-Herstellers Lockheed Martin ist die Königin der Lüfte. Die deutsche Bundeswehr hat 35 der Tarnkappenflieger um rund acht Milliarden Euro bestellt. Einige NATO-Partner wie das Vereinigte Königreich, Italien oder die Niederlande nutzen den Jet bereits, Länder wie Finnland und Polen haben ihn bestellt. Dank integrierter Software lassen sich Missionen effizient koordinieren.
Kill switch?
Doch seit Donald Trump klar gemacht hat, dass die USA nicht mehr der verlässlichste Partner in der Militärallianz sein werden, macht sich leichte Panik breit. Das Gerücht geht um, dass die Amerikaner in der Lage wären, die F-35 mittels „kill switch“ lahmzulegen. Der Hersteller sah sich bemüßigt, diese Geschichte zu dementieren.
Abhängigkeit besteht
Doch auch wenn es keinen Schalter gibt, mit dem die Jets vom Pentagon aus abgedreht werden könnten, ist deren Betrieb, je nach Variante, stark abhängig von Softwareupdates und der integrierten Daten-Cloud. Außerdem braucht man Ersatzteile, deren Lieferung von einer unwilligen US-Administration theoretisch behindert werden könnte. Europäische Alternativen wie der Eurofighter, der schwedische Gripen oder die französische Rafale sind Jets der 4. Generation, also nicht mehr ganz neu. Airbus arbeitet am FCAS, einem Kampfflugzeug der 6. Generation, das 2040 in Betrieb gehen soll.
Bedingung für Atomwaffen
Für die sogenannte nukleare Teilhabe wäre Deutschland aber ohnehin auf die F-35 angewiesen. Die USA legen nämlich fest, welche Flieger mit ihren Atomwaffen bestückt werden können.
Der NATO-Aufrüstungsplan konzentriert sich auf drei entscheidende Bereiche: Zunächst geht es darum, die erschöpften Munitions- und Ausrüstungsbestände aufzufüllen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Luftverteidigung – hier spielt die Sky-Shield-Initiative eine Rolle. Besonders wichtig sind jedoch offensive Fähigkeiten: Langstrecken-Angriffssysteme, ballistische Raketen und elektronische Kriegsführung sollen die Verteidigungsfähigkeiten revolutionieren. NATO-Offizielle machen unmissverständlich klar, dass eine rein defensive Strategie nicht ausreicht.
Große Gewinner
Darüber hinaus werden Investitionen in kritische Unterstützungssysteme fließen – Logistik, ISR (Informationsbeschaffung, Überwachung und Aufklärung), Führung, Luftbetankung und Schutz von Versorgungslinien. Dies sind alles Bereiche, in denen europäische Streitkräfte immer noch stark von den Vereinigten Staaten abhängig sind. Europa muss dieses Manko mit Truppen und Systemen beheben, die nahtlos zusammenarbeiten können.
Schätzungen zeigen, dass Europa ohne US-Unterstützung kurzfristig 250 Milliarden Euro zusätzlich für Verteidigung aufwenden müsste
Schon in den vergangenen paar Jahren floss in Europa sehr viel Geld: Zwischen 2021 und 2024 erhöhten die EU-Mitgliedsstaaten ihre gesamten Verteidigungsausgaben um über 30 Prozent, also um rund 326 Milliarden Euro oder etwa 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Erste Einschätzungen kommen zum Ergebnis, dass ohne US-Sicherheitsgarantien kurzfristig pro Jahr etwa 250 Milliarden Euro zusätzlich benötigt werden – was die Verteidigungsbudgets auf etwa 3,5 Prozent des BIP anheben würde.
Am meisten profitieren natürlich Europas etablierte Verteidigungsriesen. Unternehmen wie Airbus, BAE Systems, Leonardo, Rheinmetall, Saab und Thales sind gut positioniert, um den Löwenanteil der Aufträge zu ergattern. Ihre Größe, Produktionskapazität und tiefe Integration in bestehende Lieferketten machen sie zu natürlichen Anlaufstellen für Großbeschaffungen.
Abschied von US-Systemen
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind eine entscheidende Komponente in den komplexen europäischen Lieferketten. Derzeit umfasst die europäische Verteidigungsindustrie rund 2.500 KMU. Die Mehrheit davon konzentriert sich auf einige wenige Staaten, darunter Österreich, Tschechien, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Spanien, Schweden und Großbritannien. Da viele Länder nun auf schnellere Lieferungen drängen, wird sich die Konsolidierung in der Branche voraussichtlich beschleunigen: Große Konzerne werden kleinere Firmen schrittweise in ihre Lieferketten integrieren, indem sie Anteile erwerben oder die Unternehmen gleich ganz schlucken.
Es gibt auch bereits europäische Konzerne, die in der Lage sind, bisher benötigte US-Systeme zu ersetzen. Ein Beispiel ist MBDA, ein europäisches Rüstungsunternehmen, bekannt für seine Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp.
Lieber kein Starlink
Angesichts wachsender Zweifel an der Zuverlässigkeit von Elon Musks Starlink in der Ukraine erleben auch europäische Satellitenfirmen einen Boom. Die französisch-britische Eutelsat-Gruppe etwa, die sich 2023 mit OneWeb zusammenschloss, verzeichnet einen massiven Kursanstieg ihrer Aktien. Obwohl dieses Netzwerk kleiner und teurer ist als Starlink, wird Eutelsat als europäisch kontrollierte Alternative zunehmend attraktiv. Andere europäische Satellitenunternehmen wie SES, Hisdesat und Viasat führten bereits Gespräche, um sich als Alternativen zu positionieren. Hersteller von Drohnen, künstlicher Intelligenz, Robotik und weltraumgestützter Systeme werden ebenfalls profitieren.
Ihr Vorteil ist, dass viele auf Technologien setzen, die auch für die zivile Nutzung – sogenannte Dual-Use-Güter – geeignet sind. Somit kann der Boom in der Verteidigungstechnologie nebenbei Europas Wettbewerbsfähigkeit in anderen Bereichen steigern.
Aber es wird auch Verlierer geben. Die „Kauft europäisch“-Devise benachteiligt Anbieter in Drittländern, die noch kein Sicherheitsabkommen mit der EU haben. Bislang hat Brüssel solche Abkommen mit Norwegen, Moldawien, Südkorea, Japan, Albanien und Nordmazedonien abgeschlossen; über weitere wird verhandelt. Auch Drittstaaten mit strengen Bestimmungen für Waffen-Exporte – wie die Schweiz – werden vom militärischen Aufschwung wohl nur eingeschränkt profitieren können.
Ein weiterer Fehlstart?
Europas Aufrüstung steht vor großen Herausforderungen. Dazu gehört etwa der anhaltende nationale Protektionismus großer Mitgliedsländer, der eine kostengünstige gemeinsame Beschaffung behindert. Außerdem ist die für den EU-Plan „Readiness 2030“ genannte Investitionssumme von 800 Milliarden Euro derzeit eine bloße Vision.
Ob die vorgesehenen Mechanismen dahinter – etwa eine Lockerung von Defizitregeln und Anleiheemissionen – den gewünschten Anschubeffekt haben werden, ist ungewiss. Der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufgebotene gemeinsame Kreditrahmen in Höhe von 150 Milliarden Euro soll schnelleren Zugang zu Mitteln bieten, bleibt aber politisch umstritten. Darüber hinaus kämpfen mehrere europäische Staaten mit hohen Schulden, die ihre Kapazität für groß angelegte Verteidigungsinvestitionen begrenzen.
Europas Aufrüstung ist angesichts der geopolitischen Zeitenwende unvermeidlich. Doch um effektiv zu sein, müssen Ineffizienzen vermieden werden. Europa muss auf gemeinsame Entwicklung und Beschaffung setzen und sicherstellen, dass Kampftruppen, militärisches Equipment und Kommunikationssysteme der einzelnen Mitgliedsländer miteinander harmonieren.
Andernfalls riskiert Europa, bereits in der Vergangenheit begangene Fehler zu wiederholen. Es reicht nicht, sehr viel Geld auszugeben. Es muss auch gelingen, damit strategische Autonomie zu erreichen.
Conclusio
Exponiert. Europa hat seine Verteidigungsausgaben zwischen 2021 und 2024 bereits um über 30 Prozent erhöht. Von der NATO vorgegebene Ziele erfordern dennoch eine weitere deutliche Steigerung der Investitionen.
Ineffizient. Die Herausforderung besteht darin, historisch gewachsene Ineffizienzen zu überwinden. Nationaler Protektionismus und fragmentierte Beschaffung kosteten Europa bisher jährlich zwischen 25 und 100 Milliarden Euro.
Zeitdruck. Die Europäer müssen jetzt entschlossen handeln. Sie brauchen eine echte strategische Autonomie. Es reicht nicht, einfach nur sehr viel Geld in die Verteidigung zu stecken. Erforderlich ist funktionierende Zusammenarbeit.
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