Expertenforum: Energiewende am Ende?
Österreich strebt bis 2040 Klimaneutralität und Gasunabhängigkeit an, doch hohe Strompreise belasten Verbraucher sowie die Industrie. Wir diskutierten beim „Expertenforum Energiewende“ mit Staatssekretärin Elisabeth Zehetner und Ex-Kanzler Christian Kern, wie Klimaschutz ohne Wohlstandsverlust gelingt.

An großen Visionen mangelt es nicht: das Industrieland Österreich soll mithilfe von Wind-, Wasserkraft und Solarenergie CO2-neutral werden. Gleichzeitig braucht es Alternativen zum einst billigen russischen Gas. Doch in den letzten Jahren trat eine gewisse Ernüchterung ein. Denn die Kosten für die angepeilte Energiewende und Klimaschutz sind massiv gestiegen und haben das Budgetloch vergrößert. Die Sorge vor einem Blackout und weiteren Preissteigerungen für Haushalte und Unternehmen wächst. Wie kann Österreich vernünftige und leistbare Klimaschutzmaßnahmen setzen, ohne den Wohlstand zu gefährden und die Bürger zu belasten?
Diese brennende Frage stand im Mittelpunkt des Pragmaticus-Experten-Forums im VIENNA Ballhaus. Hochkarätige Gäste suchten nach Lösungen für den Spagat zwischen ambitionierten Klimazielen und wirtschaftlicher Realität: Elisabeth Zehetner, Staatssekretärin für Energie, Startups und Tourismus, diskutierte mit Christian Kern, Geschäftsführer der European Locomotive Group, Vizepräsident Europäisches Forum Alpbach und ehemaliger Bundeskanzler.
Drei Fragen an das Publikum
Zunächst waren jedoch die rund 100 geladenen Gäste am Zug: Moderator Andreas Schnauder, Chefredakteur von Der Pragmaticus, stellte dem Publikum drei Fragen aus unserer aktuellen Erhebung zur Klimapolitik. Die Abstimmung erfolgte per Handy:
Was würden Sie in Österreich von einer Steuer auf Fleisch halten?
Diese Frage spaltete das Publikum: Die Hälfte ist dagegen, die andere könnte sich für eine Fleisch-Steuer erwärmen. Ein deutlicher Unterschied zur repräsentativen Umfrage: nur ein Viertel der Österreicher sprach sich für diese Maßnahme aus, eine klare Mehrheit ist dagegen.
Was halten Sie von einem stufenweisen Ausstieg aus Ölheizungen?
Hier war sich das Publikum einig, 80 Prozent befürworten einen Ausstieg aus Ölheizungen. Ähnlich sahen das die Teilnehmer der österreichweiten Umfrage: nur 28 Prozent lehnten den Ausstieg aus Ölheizungen ab.
Braucht es ein flächendeckendes Tempolimit von 100 km/h auf Autobahn?
Ein Tempolimit stieß bei den Gästen mehrheitlich auf Ablehnung: 60 Prozent sind dagegen. Auch die Österreicher sprachen sich dagegen aus: nur ein Drittel befürwortet die Maßnahme.
Deindustrialisierung
Die Umfragen zeigen deutlich: Klimapolitik bedeutet Verzicht und verursacht Kosten. Viele Maßnahmen finden keinen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Die Energiewende wurde vor allem auf europäischer Ebene mit dem Green Deal vorangetrieben. Nun leidet insbesondere die energieintensive Industrie unter den gestiegenen Stromkosten, die ersten Betriebe wandern bereits ab. Kann die Politik das rechtfertigen? Das ist die erste Frage an das Podium.

Energiestaatssekretärin Zehetner gesteht ein: Die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit seien beim Green Deal nicht in der richtigen Balance zu den gewünschten und notwendigen Klimazielen gestanden. „Man hat sich nur auf das Klimathema fokussiert und leider nur im europäischen Kontext. Das ist das Hauptproblem.“ Denn wir stehen im Wettbewerb mit der ganzen Welt. Diesen Denkfehler soll nun der „Green Industrial Deal“ wieder gutmachen. Doch man habe bereits viele Meter verloren, alleine durch „absurde Diskussionen, die für Investoren Dinge nicht planbar gemacht haben”, hält Zehetner fest.
„Wenn ich einen Kesseltausch mit 75 Prozent fördere, hat das nichts mehr mit dem Erreichen der Klimaziele zu tun, sondern das ist eine Überförderung.“
Elisabeth Zehetner
Auf der anderen Seite habe die Klimapolitik teilweise zu hohe Mittel verschlungen, sagt die Staatssekretärin: „Wenn ich einen Kesseltausch mit 75 Prozent fördere, hat das nichts mehr mit dem Erreichen der Klimaziele zu tun, sondern das ist eine Überförderung.“ Die Regierung hält am Ziel fest, dass Österreich bis 2040 klimaneutral wird, aber nicht um den Preis einer Deindustrialisierung.
Altlasten
Ex-SPÖ-Kanzler Kern nahm kein Blatt vor den Mund: „Wir haben in Österreich eine desaströse energiepolitische Bilanz in den letzten fünf Jahren gesehen.“ Denn bereits vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine hätte man sehen können, dass die Energiepreise steigen und wir die Art, wie wir Energie beschaffen, überdenken müssen. Die Preisexplosion am Strommarkt habe schließlich beim Gas stattgefunden, während Solar- und Windkraft günstiger wurden. „Unser Problem ist nicht, dass wir 100 Millionen zu viel an Förderungen ausgegeben haben, sondern dass wir auf einem strukturellen Pulverfass sitzen”, sagt Kern. Gaskraftwerke hätten einen überproportionalen Einfluss auf den Strompreis in Europa. Das liegt daran, dass in einem freien Markt, immer der teuerste Produzent den Preis für alle setzt (Merit Order).

Es sei letztlich eine politische Entscheidung gewesen, einen liberalisierten europäischen Strommarkt zu haben. Tatsächlich würde es in Ländern wie Deutschland aber physikalisch Sinn machen, unterschiedliche Preiszonen zu etablieren: Im Norden, bei den Windparks, wäre Strom dann günstiger als im Süden. Das würde die Stromnetze entlasten.
Ein weiteres Problem sieht Kern darin, dass sich während der Energiekrise ab 2022 die großen Versorger in Österreich, die im Besitz der Länder sind, enorm bereichert hätten. „Da gibt es einmal eine Krise und die führen sich genauso auf wie Goldman Sachs und die Deutsche Bank.” Als Sozialdemokrat spricht sich Kern für Energieversorger im Besitz der öffentlichen Hand aus, die das Gemeinwohl im Blick haben.
Staatssekretärin Zehetner gab zu bedenken: Gaskraftwerke werden benötigt, um die Grundlast sicherzustellen. Denn Wind und Solarenergie liefern sehr unregelmäßig Strom. Das Ziel sei jedoch, weg vom Gas und hin zu grünem Wasserstoff zu kommen. Das würde aber Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
Was die Stromanbieter betrifft, sieht Zehetner auch Potenzial bei den Konsumenten, Druck auszuüben. Ein Stromtarif zu wechseln sei so einfach wie bei einem Handytarif, dafür brauche es mehr Bewusstsein. Auch auf Anbieterseite tue sich was: Energiegemeinschaften machen den klassischen Versorgern zunehmend Konkurrenz. Bis Ende des Jahres könnte es 5.000 solcher Kleinanbieter in Österreich geben, sagt Zehetner.
Lücken im Netz
Während die Förderung und der Ausbau bei erneurebarer Energie kräftig voranschritt, wurde die Netzinfrastruktur in ganz Europa vernachlässigt. Der zehnstündige Blackout auf der iberischen Halbinsel führte die drastischen Folgen vor Augen. Warum hat man das Pferd von hinten aufgezäumt? Und wie lässt sich das Problem revidieren, wollte Chefredakteur Andreas Schnauder von den Diskutanten wissen.
Zehetner sah ein Problem mit der Mentalität, mit der man die Energiewende betrieben hatte: „Man hat sich gesagt, wir setzen auf Photovoltaik, die Sonne schickt uns keine Rechnung, aber das war ein grünes Märchen, weil die Rechnung die Netze sind.“ Der Netzausbau muss nachgeholt werden, aber es gebe auch Chancen bei der Digitalisierung. Dadurch lässt sich der Stromverbrauch besser auf Zeiten verteilen, in denen weniger Nachfrage herrscht und man günstigeren Strom erhält. Ein weiterer konkreter Ansatz ist, den Solarausbau nur mehr im Tandem mit den entsprechenden Speichern zu fördern.
Unser Geld für unsere Leut' ist der Bannerspruch des politischen Dumpfsinns geworden
Christian Kern
Auch Ex-Verbund-Chef Kern spricht von einer „großen Unterlassung.“ Allein in Deutschland müssten nun 250 Milliarden Euro in den Netzausbau gesteckt werden. Aus Erfahrung wisse er, dass sich diese Projekte jedoch endlos verzögern würden. Eine wichtige Hochspannungsleitung in der Steiermark sei unter anderem durch Bedenken von Naturschützern verzögert worden, weil eine bestimmte Vogelart gefährdet gewesen sei. Als man bunte Kugeln an die Leitungen hängte, um die Vögel fernzuhalten, sei man jedoch auf massive Bedenken wegen des verschandelten Landschaftsbildes gestoßen.
Strom aus der Sahara?
Könnte ein Blick über die Grenzen in der Klimapolitik helfen? Mit dem Klimaticket lässt sich eine Tonne CO2 um 2.400 Euro einsparen, zitiert Andreas Schnauder aus unserem aktuellen Klimadossier. Die Frage lautet: Ginge das nicht viel effizienter, wenn man weltweit Projekte fördert, bei denen man um viel weniger Geld Emissionen reduzieren kann?
Christian Kern pflichtete bei, dass in der Klimapolitik globaler gedacht werden müsse. Allerdings befänden wir uns gerade in einer Phase, die sich zunehmend gegen die Globalisierung richte. „Unser Geld für unsere Leut' ist der Bannerspruch des politischen Dumpfsinns geworden“, bedauert der Ex-Politiker. Statt in unseren Breiten im großen Stil in die Sahara zu investieren, sieht er daher als wenig realistisch an.
Auch die Staatssekretärin pflichtete bei: „Wenn ich davon ausgehe, dass ich Energie nur bei uns produzieren kann, werde ich sowieso scheitern“, sagt Zehetner. „Österreich wird nie energieautark sein.“
Publikumsfragen
Rege Diskussionen führten auch die vielen geladenen Experten aus dem Publikum: Ein Streitpunkt betrifft die Rolle von Atomkraft. Pragmaticus-Expertin Velina Tchakarova etwa, betonte dass die Mehrheit in Europa auf Atomstrom setzt. Auch Christian Kern sieht das voreilige Abschalten der deutschen Reaktoren als Fehler, aber Atomstrom sei nicht profitabel zu betreiben.

Der Jurist Professor Georg Zanger übte Kritik am mangelnden Wettbewerb der Energieunternehmen in Österreich: Nicht die freie Preisbildung am Markt hätte versagt, sondern die Versorger hätten zu unrecht mitgeschnitten.

Johanna Roniger vom Kontext Institut für Klimafragen machte den Vorschlag, auch Stromanbieter mit Netzkosten zu belegen, damit diese einen Anreiz haben, ihre Anlagen entsprechend zu planen. Darauf antwortete Staatssekretärin Zehetner zum Abschluss des spannenden Diskussionsabends mit einem Teaser: „Lassen sie sich positiv überraschen!“
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