Georgien auf dem Weg nach Ungarn?

Die aktuelle Regierung Georgiens sieht in Orbáns Ungarn ein Vorbild: EU-Mitglied sein und trotzdem ein bisschen autoritär. Alexandra Dienes empfiehlt der EU, genau hinzuschauen.

Eine Demonstration in Tiflis, Georgien. Zwei Frauen umarmen sich, eine der beiden trägt eine EU-Fahne um die Schulter. Im Hintergrund blickt ein junger und ein älterer Mann kritisch bzw. besorgt.
Tiflis am 28. Mai 2024 bei den Protesten gegen das sogenannte Agentengesetz, das inzwischen verabschiedet wurde. Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili hat eine Verfassungsklage gegen das Gesetz eingereicht. Im Juni hatte die EU in Reaktion auf das Gesetz den Beitrittsprozess Georgiens ausgesetzt. © Getty Images

Ein Gesetz gegen „ausländische Einflussnahme“, eines gegen „LGBTQ-Propaganda“, weitere gegen Freiwillige im Ukraine-Krieg (auf Seiten der Ukraine), aktuell der Versuch, die Opposition für verfassungswidrig zu erklären: Georgien bzw. die aktuelle Regierung scheint das ganze Menü illiberaler Politiken durchprobieren zu wollen. Warum? Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Dienes kann die Volten der Partei „Georgischer Traum“ erklären.

Der Podcast über Georgien

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Georgien verspielt gerade viele Chancen, indem man den Westen und die EU diffamiert.

Alexandra Dienes, Politikwissenschaftlerin

Von ihrer aktuellen Forschungsreise in den Kaukasus bringt Alexandra Dienes gemischte Nachrichten aus Georgien mit: Die Bevölkerung, vor allem die jungen Georgier, wollen die Öffnung zum Westen und den weiteren zunehmend autoritären Kurs der regierenden Partei „Georgischer Traum“ verhindern. 80 Prozent der Georgier wollen den EU-Beitritt.

Silence kills steht auf einem Plakat einer Demonstration in Kyiw in Solidarität mit Georgien.
Kyiw am 29. Juli 2024: Eine Demonstration gegen die Verurteilung von Georgiern, die freiwillig im Ukraine-Krieg auf der Seite der Ukraine kämpfen. Während die Bevölkerung in Georgien nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen 2008 mit der Ukraine mehrheitlich solidarisch ist, unterstützt die Regierung die Sanktionen gegen Russland nicht. © Getty Images

Die Partei „Georgischer Traum“, 2012 noch eine fortschrittliche Kraft, will vor allem an der Macht bleiben. Das Ungarn Viktor Orbáns scheint ihr ein Vorbild zu sein, wie man die angestrebte EU-Mitgliedschaft und autoritäre Sehnsüchte unter einen Hut bringen könnte.

Im Oktober werden die Georgier ein neues Parlament wählen. Der „Georgische Traum“ wirbt mit der Angst: vor Veränderungen, vor Russland, vor dem wirtschaftlichen Abstieg, vor dem Westen und vor der EU. Zugleich will die Partei am Beitrittsprozess festhalten. Behauptet sie und hat dennoch das antidemokratische Agentengesetzt auf den Weg gebracht. Aktuell trägt sich die Regierungspartei mit dem Gedanken, die Oppositionspartei als verfassungswidrig zu erklären.

Erreicht werden soll damit eine stabile Demokratie. Eine ähnliche Wortneuschöpfung begleitete auch die Umgestaltung Ungarns. Viktor Orbán gilt als der Erfinder der illiberalen Demokratie. Notdürftig wird in beiden Fällen verschleiert, dass es sich um antidemokratische Projekte handelt.

Es ist ein widersprüchliches Agieren, mit dem sich Georgien in der EU keine Freunde macht. „Georgien verspielt gerade viele Chancen, indem man den Westen und die EU diffamiert“, sagt Dienes. Sollte die EU allerdings nicht erkennbar darauf achten, dass die Wahlen in Georgien frei ablaufen können, verspielt auch die EU das Vertrauen der Bevölkerung, so Dienes.

Über Alexandra Dienes

Alexandra Dienes ist Politikwissenschaftlerin und Senior Researcher im Regional-Büro für Internationale Kooperation der Friedrich Ebert-Stiftung in Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind politische Ökonomie und Außenpolitik Russlands und des postsowjetischen Raums sowie Sicherheit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sie leitet seit 2023 das Netzwerk Women in International Security Austria.

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