Glücksforscher zurück zum Start
Tausende Ratgeber bieten Alltagstipps aus der Glücksforschung, von Sport bis Meditation. Doch viele Studien dahinter sind veraltet. Nur wenige Strategien sind auch wissenschaftlich fundiert.

Auf den Punkt gebracht
- Glückstreffer. Viele ältere Experimente der Sozialpsychologie hatten Resultate, die Forscher Jahre später nicht wiederholen konnten.
- Messlatte. Verlässliche Experimente sollten möglichst viele Teilnehmer umfassen, mindestens jedoch 85.
- Manipulation. Um bewusste oder unbewusste Manipulation von Ergebnissen zu vermeiden, sollten Forscher ihre Auswertungskriterien vorab veröffentlichen.
- Qualität. Unter tausenden Studien über häufige Glücksstrategien erwiesen sich nur Dankbarkeit und soziale Interaktion als gut belegt.
Nachdem junge Teilnehmer einer Studie im Jahr 1996 ein Wortspiel absolviert hatten, zeigten sie ein bemerkenswertes Verhalten: Einige bewegten sich nach dem Verlassen des Raums so langsam wie Siebzigjährige, während andere in ihrem üblichen Tempo gingen. Der Unterschied? Die im Spiel verwendeten Wörter waren für die einen Teilnehmer mit Alter assoziiert, wie etwa „besorgt“, „faltig“ oder „steif“, während die andere Gruppe mit neutralen Begriffen arbeitete. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass subtile Hinweise unser Verhalten unbewusst verändern können.
Diese Erkenntnis hatte jedoch einen Haken: Als andere Wissenschaftler Jahre später versuchten, das Experiment zu wiederholen, gelang es ihnen nicht, die Ergebnisse zu reproduzieren. Leider handelte es sich dabei nicht um einen Einzelfall. In den letzten zehn Jahren sind auf diese Weise viele wichtige Erkenntnisse in der Sozialpsychologie infrage gestellt worden.
Fehlerhafte Forschung
Hunderte von Büchern und tausende von Artikeln geben Ratschläge, wie man auf Grundlage der Wissenschaft glücklicher werden kann. Die Tipps basieren zwar oft auf Forschungsergebnissen, sind aber offenbar nicht sehr zuverlässig. Mittlerweile wissen wir, dass es Probleme mit der Art und Weise gibt, wie Experimente früher durchgeführt wurden.
Wenn man etwa herausfinden will, ob Sport das Wohlbefinden steigert, kann man Menschen befragen, wie sie sich fühlen, und eine Hälfte von ihnen ein Trainingsprogramm absolvieren lassen. Wenn die Teilnehmer, die Sport trieben, sich danach besser fühlen als die anderen, deutet das darauf hin, dass Sport die Stimmung hebt. Hunderte von Studien in der Glücksforschung folgen dieser Logik.
Es ist, als würde man einen Dartpfeil auf eine Wand werfen, hinterher eine Zielscheibe herumzeichnen und selbst glauben, dass man die ganze Zeit darauf gezielt hat.
Dieser Ansatz scheint einfach und logisch zu sein, aber es gibt eine Vielzahl von Entscheidungen, die Forscher treffen müssen und die das Ergebnis verfälschen können. Die meisten dieser Entscheidungen sind vertretbar, wie etwa der Ausschluss von Studienteilnehmern, die einen Fragebogen zu schnell ausfüllen. Dennoch wissen wir heute, dass Wissenschaftler unbewusst Maßnahmen setzen können, um am Ende das von ihnen gewünschte Ergebnis zu bekommen. Es ist, als würde man einen Dartpfeil auf eine Wand werfen, hinterher eine Zielscheibe herumzeichnen und selbst glauben, dass man die ganze Zeit darauf gezielt hat.
Zahlen & Fakten
Ungesichertes Wissen

Problemfälle der Forschung
In einer Schlüsselstudie von 2015 konnten nur 36 der 100 untersuchten psychologischen Studien ihre ursprünglichen Ergebnisse replizieren. Fast zwei Drittel der Forschungsergebnisse konnten somit nicht bestätigt werden.
Selektive Wahrnehmung
Circa 80 – 90 Prozent der Studien mit signifikanten Ergebnissen werden veröffentlicht. Studien mit negativen oder nicht-signifikanten Resultaten landen oft in der Schublade, was zu einem verzerrten Forschungsstand führt.
Statistische Manipulationen
Über 60 Prozent der Forscher gaben in anonymen Umfragen zu, ihre Daten „optimiert“ zu haben
Techniken wie das sogenannte „p-Hacking“ (Manipulation der statistischen Aussagekraft) verzerren wissenschaftliche Erkenntnisse.
Kleine Stichproben
Viele sozialpsychologische Studien basieren auf Stichproben unter 50 Teilnehmern. Je kleiner die Stichprobe, desto unzuverlässiger sind statistische Schlussfolgerungen.
Das geschieht nicht in böser Absicht; es liegt einfach an der Art und Weise, wie diese Forschung durchgeführt wurde. Aus demselben Datensatz könnte ein Forscher etwa den Schluss ziehen, dass Meditieren die Menschen glücklicher macht, während ein anderer keine signifikante Wirkung bemerkt.
Um so etwas zu verhindern, registrieren viele Wissenschaftler heute ihre Studien im Voraus. Das bedeutet, dass sie vor der Durchführung eines Experiments genau aufschreiben, wie sie die Daten analysieren wollen, und dies mit Zeitstempel online stellen. Damit sind den Forschern die Hände gebunden, bevor sie die Daten auswerten. Ein weiterer entscheidender Faktor für ein aussagekräftiges Experiment ist eine ausreichend große Stichprobe. Man bedenke: Es sind etwa fünfzig weibliche und fünfzig männliche Probanden notwendig, um nachzuweisen, dass Männer mehr wiegen als Frauen. Je subtiler die Fragestellung, desto mehr Teilnehmer benötigt man, um aussagekräftige Antworten zu bekommen.
Glückstipps ohne Gewähr
Meine Kollegin Elizabeth Dunn und ich haben uns fünf Glücksstrategien angesehen, die häufig in den Medien empfohlen werden, und die Studien dahinter nach heutigen Maßstäben bewertet. Die fünf Punkte sind: Dankbarkeit zeigen, soziale Interaktion, Achtsamkeit und Meditation, Bewegung und Sport sowie Aufenthalt in der Natur.
Wir haben tausende von Studien gesichtet und jene ausgeschlossen, die nicht vorregistriert waren oder deren Stichprobengröße unter 85 lag, was wir als relativ niedrige Hürde ansahen.
Nur zwei Studien über Dankbarkeit und drei über soziale Interaktion genügten unseren Kriterien. Sie zeigten positive Auswirkungen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Schreiben von Dankesnachrichten die Stimmung zumindest kurzfristig verbessert. Außerdem besserte sich die Laune der Probanden, wenn sie geselliger waren und sich extravertierter verhielten. Leider gibt es keine vorregistrierten Experimente über Achtsamkeit/Meditation, Bewegung/Sport oder Aufenthalt in der Natur.
Was immer sich gut anfühlt, sollte man tun, auch wenn die Wissenschaft noch nicht so weit ist.
Es gibt aber vorregistrierte Studien mit großen Stichprobengrößen zu anderen Glücksstrategien. Solche Experimente kamen zu dem Schluss, dass es glücklich macht, Geld für andere auszugeben. Auch die Forschung am Arbeitsplatz ist vielversprechend: Wenn man bedenkt, dass ein Mensch durchschnittlich 80.000 Stunden seiner Lebenszeit arbeitet, lohnt es sich, das Berufsumfeld angenehmer zu gestalten. Eine große Studie hat gezeigt, dass Pausen, in denen die Mitarbeiter ein Nickerchen machen durften, die Angestellten glücklicher machten.
Einfach ausprobieren
Auch wenn wir für die Punkte Achtsamkeit, Meditation, Bewegung und Aufenthalt in der Natur keine Experimente mit unseren Qualitätskriterien gefunden haben, bedeutet das nicht, dass diese Strategien falsch sein müssen. Ihre Wirksamkeit ist lediglich wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Außerdem haben wir uns keine Experimente angesehen, in denen die Auswirkungen dieser Strategien auf andere Aspekte der psychischen Gesundheit wie Depressionen und Angstzustände untersucht wurden. Möglicherweise gibt es in diesen Bereichen starke Belege für ihre positive Wirkung.
Obwohl es also keine stichhaltigen Beweise für gängige Empfehlungen der Glücksliteratur gibt, können sie dennoch nützlich sein – aber wahrscheinlich nicht für jeden. Ich empfehle Ihnen, die Ratschläge auszuprobieren, wenn Sie glauben, dass sie Ihnen helfen könnten. Was immer sich gut anfühlt, sollte man tun, auch wenn die Wissenschaft noch nicht so weit ist.
Conclusio
Krise. Die psychologische Glücksforschung steckt in einer Krise, die gleichzeitig viele Möglichkeiten für engagierte Forscher bietet.
Nicht-repräsentativ. In einer umfangreichen Analyse von den Psychologen Elizabeth Dunn und Dunigan Folk zeigte sich, dass nur wenige Studien strenge Qualitätskriterien wie Vorregistrierung und ausreichend große Stichproben erfüllen.
Trial-and-Error. Trotz dieser Erkenntnisse empfehlen die Experten, Glücksstrategien individuell auszuprobieren, da persönliche Erfahrung und Empfinden wichtiger sein können als nicht eindeutig bewiesene Erkenntnisse.
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