Glückshormone: Wir gegen unser Hirn

Cortisol verursacht Stress, Oxytocin sorgt für Wohlbefinden, Dopamin lässt uns in Liebe erglühen: Botenstoffe tragen entscheidend dazu bei, wie wir uns fühlen. Dabei können wir auch aktiv nachhelfen.

Eine Illustration zum Thema Glückshormone und das Hirn: Eine cartoonhaft gezeichnete Karotte mit Grün hängt an einer Schnur von einem Stab vor einem knallig gelbem Himmel und rot-orangen Wolken.
Unser Hirn jagt Glückshormonen hinterher, sobald es welche bekommt, will es eine neue, größere Dosis. © Benedetto Cristofani
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Auf den Punkt gebracht

  • Angst. Cortisol kann unsere Wahrnehmung verzerren und macht stressige Situationen bedrohlicher, als sie tatsächlich sind.
  • Entspannung. Oxytocin kann Cortisol neutralisieren und wird bei Körperkontakt mit nahestehenden Menschen oder Haustieren ausgeschüttet.
  • Liebe. Dopamin kann unsere Wahrnehmung so verändern, dass wir einen Menschen als attraktiver empfinden.
  • Sucht. Wird das Belohnungssystem des Gehirns regelmäßig stark stimuliert, passt es sich physisch an und kann eine Sucht auslösen.

Unsere Wahrnehmung und die Welt unserer Emotionen werden stark von Botenstoffen im Körper beeinflusst. Haben wir viel Stresshormon Cortisol im Umlauf, werden Emotionen intensiver wahrgenommen, und stressige Situationen erscheinen bedrohlicher, als sie tatsächlich sind. Wer kennt nicht den missverständlichen Satz eines Vorgesetzten, der aufregt und Grund zum Grübeln gibt? Menschen unter dem Einfluss von Cortisol neigen dazu, Informationen oder Erlebnisse als gefährlich einzuschätzen. 

Es fällt ihnen auch schwer, zwischen realen und eingebildeten Gefahren zu unterscheiden. Diese veränderte Wahrnehmung kann zu gesteigerten Angstzuständen und einem Gefühl ständiger Bedrohung führen. Ist man längere Zeit Cortisol ausgesetzt, wird die kognitive Flexibilität, also die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Denkprozessen hin und her zu wechseln, verringert. Menschen verharren in ihren starren Denkmustern. Das beeinträchtigt wiederum ihre Fähigkeit, kreative Lösungen zu finden, Verständnis für eine andere Position zu entwickeln oder ihre Perspektive zu ändern. 

Kuscheln gegen Stress

Glücklicherweise gibt es aber auch Botenstoffe, die uns das Leben leichter machen. Wenn unser Arbeitstag stressig war, wenden wir uns nahestehenden Menschen zu, ob Partner oder Freunde. Bei ihnen suchen wir Trost und Verständnis. Nehmen sie uns in den Arm und sagen etwas Nettes, empfinden wir Verbundenheit. Unser Gehirn hat während der Interaktion bereits das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Gleich fühlen wir uns besser, sicherer. Kein Wunder, denn dieses Hormon ist in der Lage, Cortisol zu neutralisieren. Ist niemand für uns da, tröstet auch das Kuscheln mit unserem Haustier. Der Körperkontakt mit Katze oder Hund leitet ebenfalls die Ausschüttung von Oxytocin ein. Nicht umsonst wird es umgangssprachlich auch „Kuschelhormon“ genannt.

Liebe macht wirklich blind

Ganz wunderbar sieht unsere Welt aus, wenn wir verliebt sind: rosarot! Auch die Probleme sind keine mehr, oder sie rücken in den Hintergrund. Ärger im Job kann uns fast nichts mehr anhaben. Auslöser dieses Wohlgefühls ist Dopamin; es verändert unsere gesamte Wahrnehmung, weckt ungeahnte Kräfte in uns und ist der bekannteste Neurotransmitter, wenn es um Glück geht.

Dopamin wird in erbsengroßen Strukturen in der Tiefe des Gehirns ausgeschüttet und nimmt beim Anblick des Objekts unserer Zuneigung – sogar schon, wenn wir nur daran denken – seinen Weg ins Vorderhirn. Hinter der Stirn befinden sich Netzwerke, die unsere Bewertungs- und Entscheidungszentren steuern. Ist Dopamin vorhanden, wird auch ein objektiv unattraktiver Mensch schön. Und für diesen Menschen sind wir bereit, Dinge zu tun, die wir sonst nicht täten. Unsere Entscheidungen fallen anders aus als sonst. 

Dopamin verdanken wir die Euphorie, wenn unsere Verliebtheit erwidert wird. Findet das nicht statt, suchen viele Trost im Essen. Allein beim Anblick unserer Lieblingsspeise schüttet das Gehirn Dopamin aus. Die Evolution hat es so vorgesehen: Es wird freigesetzt, wenn wir etwas Angenehmes erleben – sei es der Genuss von gutem Essen, aber auch bei körperlicher Aktivität oder beim Erreichen eines Ziels. Interessanterweise hat Dopamin nicht nur mit dem Erleben von Glück zu tun, sondern auch mit der Vorfreude auf Belohnungen. Dieser Vorfreude-Effekt zeigt, wie stark unser Gehirn auf die Erwartung von positiven Ereignissen reagiert.

Süchtig nach Glückshormonen 

Das Streben nach Glück, die ständige Suche nach Dopamin – ob durch Essen, Alkohol, Drogen, Glücksspiel oder soziale Medien – kann zu Abhängigkeiten führen. Wird das Belohnungssystem des Gehirns regelmäßig stark stimuliert, verändert sich die Architektur der Andockstellen des Botenstoffes. Das Gehirn verlangt immer mehr Dopamin. So wird es schwierig, Freude an alltäglichen Aktivitäten zu finden, am Lesen eines Buches, am Trinken eines einzigen Glases Wein …

Das Gehirn verlangt immer mehr Dopamin – so wird es schwierig, Freude an alltäglichen Aktivitäten zu finden.

Allerdings gibt es Phasen in unserem Leben, in denen nicht viel stattfindet, das großes Glück auslöst. Solche Phasen zeichnen sich im Idealfall durch Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, einfach durch Wohlbefinden aus. Diese Gefühle verdanken wir dem Botenstoff Serotonin. Es wird durch körperliche Aktivität gebildet, ebenso durch eine Ernährung, die das Mikrobiom – früher Darmflora genannt – unterstützt. 

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Zahlen & Fakten

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Auch Sonnenlicht kann die Serotoninproduktion fördern. Dieser Botenstoff beeinflusst auch die Wahrnehmung von sozialem Status und Anerkennung; ein niedriger Serotoninspiegel führt zu Depressionen und Angstzuständen. Darüber hinaus reguliert Serotonin unsere Stimmung, das Schlafverhalten und sogar unseren Appetit. Ginge es bloß um die Neurotransmitter an sich, müssten wir „nur“ passende Lifestyle-Maßnahmen ergreifen, die deren Ausschüttung fördern. Auch die Einnahme bestimmter Medikamente ließe sich in Betracht ziehen. Die Situation ist jedoch wesentlich komplexer, da auch die Genetik eine große Rolle im Geschehen spielt.

Angeborenes Gemüt

Betrachten wir beispielsweise die Dopaminregulation: Die Gene, die daran beteiligt sind, beeinflussen nicht nur die Menge an Dopamin, die im Gehirn verfügbar ist, sondern auch dessen Transport sowie die Art und Weise, wie Dopamin seine Wirkung entfaltet. Diese genetischen Variationen verändern die Wahrnehmung und die Bewertung von Situationen – also die Frage, ob ein Erlebnis als positiv oder negativ eingestuft wird. Diese Gene wirken sich zudem auf die Ausprägung der Persönlichkeit aus. Sie legen fest, ob eine Person eine sogenannte „Sonnennatur“ besitzt oder oft schwarzsieht, oder auch, ob sie anfällig für psychische Störungen ist.

Wird die Suche nach Glück in Zukunft über manipulierte Genexpression und die kontrollierte Zugabe von Botenstoffen erfolgen? Hoffentlich nicht. Glück auf Knopfdruck kann nicht die Lösung sein. Den richtigen Weg kennen wir Menschen schon seit Millionen von Jahren: Er führt über die Interaktion mit Menschen, die wir mögen und die uns mögen, sowie über erfüllende Tätigkeiten in unserem Leben. 

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Conclusio

Chemie. Unsere Gefühle und Wahrnehmungen werden maßgeblich von Botenstoffen wie Cortisol, Oxytocin, Dopamin und Serotonin beeinflusst, die unsere emotionale Erfahrung und Verarbeitung von Situationen steuern.
Handicap. Unsere genetische Ausstattung spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung dieser Botenstoffe. Somit ist es nicht sinnvoll, sich zu sehr mit anderen Menschen zu vergleichen.
Veränderung. Umso mehr kann es hilfreich sein, durch einen ausgewogenen Lebensstil, mit positiven sozialen Interaktionen, erfüllenden Aktivitäten und gesunder Lebensführung, die hormonelle Balance natürlich zu unterstützen und emotionales Wohlbefinden zu fördern.

In ihrem jüngsten Buch „Wellness für das Gehirn – Wie wir unserem Gehirn Gutes tun, unser psychisches Wohlbefinden steigern und unsere kognitiven Fähigkeiten stärken“ erklärt Manulea Macedonia, wie wir im stressigen Alltag einen klaren Kopf bewahren.

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