So fährt Europa gegen die Wand

Vor vier Jahren ist die EU-Kommission angetreten, Klimaschutz und Wachstum zu vereinen. Heraus kamen Verbote, Verteuerungen und Bürokratie. So werden wir das Klima nicht retten.

Montage der Rotorblätter an einer Windkraftanlage.
Ein Wind- oder Solarpark hat an idealen Standorten zwei- bis dreimal so viel Ertrag wie in europäischen Breiten. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Überregulierung. Hinter der wohlklingenden Hochglanz-PR verbergen sich enorme Kosten, Populismus und Dilettantismus.
  • Internationalisierung. Klimaschutz muss über die Grenzen Europas hinaus denken. Ein globales Problem kann man nur global lösen.
  • Technologie. Statt den Weg vorzuschreiben, brauchen wir Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Lösungen und internationale Partnerschaften.
  • Wirtschaft. Um wirksam zum Klimaschutz beitragen zu können, muss Europa  sein Wohlstandsversprechen einlösen.

Vergleichen wir den European Green Deal (EGD) mit einem Auto, beeindruckt auf den ersten Blick die schicke, glänzende Karosserie. Doch bei näherer Betrachtung fehlt Essenzielles. Ein Reifen hat ein Leck, der Treibstofftank ist zu klein, das Lenkrad kommt erst später. Da wird das Auto aber längst gegen die Wand gefahren sein. Mit so einem Vehikel kann man das Reiseziel nicht erreichen. Was müsste anders werden? Worin liegen die Denkfehler? Sechs Maßnahmen für eine gründliche Reparatur.

1. Klimaschutz internationalisieren

Es greift zu kurz, nur den europäischen Anteil der weltweiten Emissionen (7,3  Prozent im Jahr 2022) ins Visier zu nehmen. Die EU hat das Geld und das Know-how, um über ihre Grenzen hinaus zu wirken. Klimaschutz muss Entwicklungs- und Schwellenländer wie Mexiko, Chile, Südafrika, Marokko, Indien und Indonesien erfassen. Von dort kommt der Emissionsanstieg. Der größte Zuwachs wird für Afrika prophezeit. Kohlekraftwerke müssen durch erneuerbare Energieressourcen ersetzt werden, die lokal verfügbar sind. 

2. Angebote schaffen

Der wichtigste Job europäischer Klimapolitik besteht darin, alternative Energieträger in die europäischen Industriegebiete zu bringen. Europas Wohlstand basiert auf der Industrie. Sie dürstet nach sauberer, bezahlbarer Energie. Warum hat die EU-Kommission nicht schon längst mit aufstrebenden Ländern Energiepartnerschaften abgeschlossen? Stattdessen produziert die EU monumentale Rechtstexte und stranguliert ihre Industrien mit einer einzigartigen CO2-Bepreisung.

3. „Grüne Moleküle“ importieren

Nur ein Fünftel des EU-weiten Energieverbrauchs stammt aus erneuerbaren Quellen. Die Antwort der Union ist der Ökostromausbau. Das reicht aber nicht. Wissenschaftler wie Georg Brasseur (TU Graz) und Stefan Schleicher (Wegener Center Graz) werden nicht müde, auf Europas große Energielücke hinzuweisen. Der Export von Energietechnik in Schwellenländer und der Import von Energieträgern aus Regionen mit den besten Standortbedingungen können einander ergänzen. Arme Länder werden von ihrer neuen Rolle enorm profitieren.

Grüner Wasserstoff ist ein Schlüssel für die Lösung des Energieproblems. Aber Europa kann sich damit nicht selbst versorgen, zwei Drittel des Bedarfs müssen durch Importe gedeckt werden. In welcher Form, woher und wie teuer kommt der Wasserstoff nach Europa? Und ab wann? Die Fragen hängen miteinander zusammen. 

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Zahlen & Fakten

Wir haben die Infrastruktur für flüssige Energieträger: Tanker, Terminals, Speicher, Tankstellen. Da wird der Wasserstoff in „grüne Moleküle“ (Methanol, Ammoniak etc.; Sammelbegriff eFuels) gepackt und verflüssigt oder in synthetischem Methan gebunden. Die Umstellung auf klimaneutrale Liquids und grünes Methan geht am schnellsten. Aber die EU-Kommission will reinen Wasserstoff (H2 ) importieren, wozu die Anpassung der Pipelines und eine neue Infrastruktur für die Verschiffung nötig wären. Kein Wunder, dass Beobachter auf Basis dieser Pläne warnen: „Vor 2030 kommt nichts.“ Über die einfachere Lösung wird auf EU-Ebene nicht gesprochen. Stattdessen werden Hindernisse aufgebaut, die das Ausrollen der Technologien erschweren, etwa die prohibitive Vorschrift, dass eFuel-Exportländer CO2 bepreisen müssen. 

Grüne Moleküle können in vielen Regionen der Welt – etwa in Wüsten und an Küsten – in schier unbegrenzter Menge wirtschaftlich produziert werden. Je mehr Volllaststunden ein Wind- oder Solarpark hat, desto kosten-günstiger werden die Produktion von Ökostrom und die nachgeschaltete Erzeugung von Wasserstoff in der Elektrolyse. Ein Wind- oder Solarpark hat an idealen Standorten zwei- bis dreimal so viel Ertrag wie in unseren Breiten. Transportdistanzen spielen bei Wasser-stoffderivaten – im Unterschied zum reinen Wasserstoff – keine Rolle. Je schneller die Massenproduktion beginnt, desto rascher können fossile Energieträger ersetzt werden.

4. CO2 abscheiden

Die Vogel-Strauß-Politik drückt sich nicht nur vor der Importfrage, sondern auch vor dem CO2 -Management. Für die Industrie wird es lebenswichtig sein, entstandenes CO2 abzuscheiden und einer Lagerung oder Verwertung zuzuführen. Ansonsten bleibt ihr nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis – Tod durch (verordneten) Energiemangel oder Siechtum wegen explodierender (regulatorischer) Kosten. Es ist eine „Sünde wider den Klimaschutz“, dass die EU im Jahr vier nach Ausrufung des Green Deals noch immer nichts vorweisen kann. CO2 als Grundchemikalie in den Kreislauf zurückführen ist eine Option, die genutzt werden muss, solange unsere Industrie dazu noch in der Lage ist.

5. Nicht nur auf ein Pferd setzen

Technologische Vielfalt ist der große Beschleuniger. Nur auf das Pferd E-Mobilität zu setzen und andere Pferde aus dem Rennen zu nehmen ist ein schwerer Fehler. Es gibt den „grünen Verbrenner“, das sehen wir in Österreich und bei den Nachbarn mit dem seit heuer tankbaren „Klimadiesel“ (HVO 100). Wer weiß heute, welche Technologien bis 2035 verfügbar sein werden? Wären hohe Kosten ein Killerargument, hätte man die Photovoltaik vor 20 Jahren ausrangieren müssen. 

Die Vollversorgung mit Strom wird künftig nicht mehr der Regelfall sein.

Nach den Erfahrungen mit dem russischen Erdgas laufen wir ins offene Messer, wenn wir alles auf die vermeintlich billigste Karte, den Elektroantrieb, setzen. China hat ein Quasimonopol auf mehrere für Batterien benötigte Rohstoffe. Es greift zu kurz, bei einem Pkw nur den motorischen Wirkungsgrad zu betrachten, wie Helmut Eichlseder von der TU Graz gezeigt hat. CO2 aus der Batterie- und Stromproduktion hat den gleichen Klimaeffekt wie CO2 aus dem Pkw-Auspuff, doch der Regulator betrachtet nur das CO2 aus dem Auspuff. Der verbrauchsoptimierte „grüne Verbrenner“ sollte nicht regulatorisch aus dem Rennen genommen werden. Das Verbrennerverbot für Pkw schadet der europäischen Automobilindustrie.

Experten warnen vor der großen (Öko-)Strom-Lücke. Die Vollversorgung mit Strom wird künftig nicht mehr der Regelfall sein. Hinter dem Begriff „Demand-Management“ verbirgt sich das gezielte Abschalten von Verbrauchern und Verbrauchergruppen zur Vermeidung von Blackouts. Darüber sollte man Autokäufer nicht im Unklaren lassen. Ich rate Fuhrparkverantwortlichen, ihre Anschaffungen so zu planen, dass die erforderlichen Dienstleistungen auch bei Stromengpässen erbracht werden können.

6. Gütertransport diversifizieren

Die Liste der Versäumnisse im Green Deal wäre ohne das Thema Güterbeförderung nicht komplett. Wo bleibt der große Aufschwung für die Beförderung auf Schiene und Wasserstraße? Dass Bahnkapazitäten knapp sind, weiß jeder, der Trassen für neue Güterzüge sucht. Nadelöhre werden nicht beseitigt. Bezeichnend ist die Historie des 1992 (!) eingereichten und jahrzehntelang blockierten Semmering-Bahntunnels. Der  Gütertransport ist das Stiefkind der Klimapolitik. 

Der Preis regelt nicht alles

Der Green Deal setzt auch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stark auf CO2-Bepreisung. Die EU hat zugelassen, dass die Preisexplosion bei Erdgas und Erdöl alle Energieträger bis hin zu Ökostrom und Holzpellets erfasste. Einige Ökonomen freuten sich über die hohen Energiepreise; man dürfe deren Lenkungswirkung auf keinen Fall dämpfen, glauben sie. Doch mit den hohen CO2-Preisen heizt die EU die Inflation zusätzlich an. Nun würgt die EZB mit Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung ein Wachstum ab, das gar nicht mehr existiert. 

1. Februar 2023: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht am Pult mit den Medien in Brüssel.
Brüssel, 1. Februar 2023: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt den Green-Deal-Industrieplan vor, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Netto-Null-Industrie stärken und den schnellen Übergang zur Klimaneutralität unterstützen soll. © Getty Images

Klimaschutz über den Preis zu regeln ist in der Realität – außerhalb des Elfenbeinturms – ein fataler Irrweg. Wer sich das nicht leisten kann, wandert ab, die Emissionsquellen haben sich nur geografisch verschoben, zum Nachteil des Wirtschaftsstandorts EU. Es sollte uns zu denken geben, dass außerhalb Europas niemand diesen Weg so kompromisslos beschreitet. 

Von Anfang an stand der Green Deal unter keinem guten Stern. Ursula von der Leyen musste 2019 einwilligen, um vom Europäischen Parlament als Kommissionspräsidentin gewählt zu werden. Der Verlierer der Europa-Wahl, Frans Timmermans, wurde ihr Vize, Klimakommissar und Chefideologe des EGD. Er hat sich jüngst wieder verabschiedet. Während sich die EU im Regulierungs-Klein-Klein verheddert, landen die USA schon mit dem ersten Schuss, dem Inflation Reduction Act, einen Volltreffer. Investitionen gehen in die USA, Europa verliert an Schwung. 

Der Green Deal krankt an falschen Prioritäten, handwerklichen Fehlern, schlechtem Timing und Pedanterie. Um zu funktionieren, bräuchte er einen Konsens über Parteigrenzen hinweg. Europa schwächt sich selbst als Schrittmacher des Klimaschutzes, während die globalen Treibhausgasemissionen weiter steigen. Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler hat neulich daran erinnert, dass das Wohlstandsversprechen der EU eine ihrer Existenzgrundlagen ist. Es steht also mehr auf dem Spiel als der Klimaschutz.

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Conclusio

Der European Green Deal schadet der europäischen Wirtschaft, er gefährdet den Wohlstand und den sozialen Frieden. Daher braucht es grundlegende Reformen: Europas Klimaschutzmaßnahmen müssen über die Grenzen der EU hinaus reichen. Die Union muss Klimapartnerschaften mit anderen Ländern abschließen. Anstelle von reinem Wasserstoff sollten wir „grüne Moleküle“ aus Regionen mit optimalen Standortbedingungen importieren, die Infrastruktur ist vorhanden. Die Industrie muss CO2 abscheiden dürfen. Anstatt verbrauchsoptimierte Verbrennungsmotoren zu verbieten, sollte die EU auf Technologievielfalt setzen. Für  den Gütertransport müssen die Kapazitäten von Schiene und Wasserstraßen ausgebaut werden. Europa kann zum Klimaschutz nur dann beitragen, wenn es  sein Wohlstandsversprechen einlöst.

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