Erdoğans Chance: Endet nun der Kurdenkonflikt?

Der Sturz Assads in Syrien eröffnet Regionalmächten wie der Türkei neue strategische Gelegenheiten. Zwischen den Fronten: die Kurden. Ein Ende des Konflikts zugunsten Ankaras scheint in Reichweite.

Ein schwarz gekleideter Soldat der Syrischen Nationalarmee steht auf einem Militärflughafen und hält eine Flagge in die Höhe. Im Hintergrund sind Flughafengebäude und eine Start- und Landebahn des Kuweyres Militärflughafens zu sehen. Die Aufnahme wurde während der militärischen Operation gegen kurdische Streitkräfte östlich von Aleppo gemacht.
Ein Kämpfer der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee posiert auf einem Jet am Militärflugplatz Kuweyres, nahe Aleppo, nach dessen Eroberung im Dezember im Zuge einer Offensive gegen Kurdische Milizen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Dauerkrise. Der Kurdenkonflikt zwischen der Türkei und der PKK forderte seit 1984 über 40.000 Todesopfer.
  • Umschwung. Mit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien durch verbündete Milizen Ankaras steckt die PKK in der Klemme.
  • Allianz. Zumindest in der Opposition zur PKK hat die Türkei etliche regionale Verbündete, wie den Iran und die irakischen Kurden.
  • Uneins. Im Westen gibt es keine einheitliche Linie, ob man die kurdischen Kräfte in Syrien nach dem Machtwechsel noch unterstützen soll.

Nur wenige Wochen vor dem Regimesturz in Syrien ereignete sich in der Türkei eine historische Wende in der türkischen Kurdenpolitik. Devlet Bahçeli, Vorsitzender der ultrarechten MHP, rief den inhaftierten PKK-Anführer Abdullah Öcalan dazu auf, die kurdische Terrororganisation PKK aufzulösen und die Waffen niederzulegen. Vorausgegangen war die Botschaft Öcalans, dass er sich offen für Friedensgespräche zeige. Während Bahçeli sogar eine mögliche Freilassung Öcalans erwähnte, nahm Präsident Erdoğan eine abwartende Position ein.

Bereits 2015 war ein ähnlicher Friedensprozess gescheitert. Damals verweigerten kurdische Kommandeure Öcalans Aufruf zur Waffenniederlegung, da sie in Nordsyrien erstmals die Chance sahen, einen eigenen Staat zu gründen. Infolgedessen erklärte Präsident Erdoğan die PKK und ihre Ableger zur größten Gefahr in der Region.

Aus Regierungskreisen ist zu vernehmen, dass die PKK bereits im Februar 2025 ihre Waffen niederlegen soll. Der Sturz des Assad-Regimes und die Eroberung von Manbidsch und Tel Rifaat durch pro-türkische Milizen in Nordsyrien haben Ankara die Möglichkeit eröffnet, das Hauptquartier der PKK-Militärführung im Autonomiegebiet „Rojava“ einzukreisen und sie zum Friedensschluss zu zwingen. Die Zerschlagung der dort herrschenden Milizen, deren Kommandostrukturen mit der Terrororganisation PKK verbunden sind, ist das primäre Ziel von Präsident Erdoğan.

Vier Jahrzehnte Konflikt

Der bewaffnete Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der Terrororganisation PKK schwelt seit 40 Jahren. Abdullah Öcalan gründete 1978 die marxistisch-leninistische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die seit 1984 durch zahlreiche terroristische Bombenanschläge und Selbstmordattentate mit über 40.000 Toten einen Guerilla-Kampf gegen die Türkei führt. Die Terrorakte erreichten ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren, dauern aber bis heute fort, wie der Terroranschlag vom 23. Oktober 2024 mit fünf Toten auf das Rüstungsunternehmen TUSAŞ in Ankara zeigt.

Die PKK finanziert sich maßgeblich durch Auslandsspenden, Erpressung und Drogenhandel, zudem rekrutiert sie Kindersoldaten. Die PKK ist jedoch kein geschlossener Block. Zahlreiche Abspaltungen und Unterorganisationen sind aus der Bewegung erwachsen, die in der Türkei, Syrien, Irak und Iran operieren und mit den PKK-Strukturen weiterhin verwoben sind.

Aufgrund der westlichen Unterstützung für die kurdischen Einheiten wandte sich Ankara von der westlichen Nato-Allianz hin zu Russland und dem Iran.

Die PKK entstand in einer Zeit, in der die Türkei maßgeblich von einer Ethnopolitik geprägt war, die eine kurdische Identität strikt ablehnte. Erst die Liberalisierung der Kurdenpolitik ab 2009 unter der AKP entschärfte den Konflikt und konnte wichtige Weichen für einen Friedensprozess legen, auch wenn die AKP von der Konsolidierung der eigenen Macht geleitet war.

Geopolitische Neuordnung

Seit dem US-Rückzug aus dem Irak 2011 versucht die Türkei das entstandene Vakuum im Nahen Osten zu füllen. Die geopolitischen Verschiebungen der damaligen Zeit, der Arabische Frühling und der Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges, eröffneten Ankara neue Möglichkeiten zur Ausweitung der türkischen Vorherrschaft, die jedoch einer Lösung der Kurdenfrage bedurfte.  Die Militärhilfe der USA für die Kurdenmilizen im Kampf gegen den Islamischen Staat sowie die Militärintervention Russlands im September 2015 zur Stabilisierung des Assad-Regimes waren für die Türkei ein herber politischer Rückschlag.

Aufgrund der westlichen Unterstützung für die kurdischen Einheiten wandte sich Ankara von der westlichen Nato-Allianz hin zu Russland und dem Iran. In Abstimmung mit den beiden Regionalmächten konnte die Türkei zwischen 2016 und 2019 mehrere militärische Operationen gegen die PKK und die Kurdenmilizen führen und Sicherheitszonen auf syrischem Gebiet errichten, von denen aus die Allianz der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) im Vorjahr die entscheidende Militäroffensive gegen das Assad-Regime unternahm. Ankara konnte unterdessen eine Allianz von regionalen Akteuren gegen die PKK bilden, die ihre Isolation zum Ziel hat (siehe Kasten).

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Zahlen & Fakten

Erdoğans Verbündete gegen die PKK

Bild zum Thema Kurdenkonflikt: Eine Formation weiblicher Peschmerga-Offiziere in schneeweißen Militäruniformen marschiert bei einer Abschlussparade. Die jungen Frauen tragen Offizierskappen, haben Maschinengewehre geschultert und blicken stolz geradeaus.
Kurdische Peschmerga-Offizierinnen bei ihrer Abschlussparade in Zaxo, Nordirak. Die Machthaber der Provinz haben in der PKK einen gemeinsamen Feind mit der Türkei. © Getty Images

In der Türkei

Die türkische Regierungspartei AKP profitierte lange von kurdischen Wählerstimmen und verstärkt ihre kurdische Strategie durch die Allianz mit der islamistisch-kurdischen Partei Hüdapar sowie die Besetzung wichtiger Regierungsposten mit kurdischstämmigen Politikern.

Kurdistan

Im Nordirak besteht seit 2013 eine strategische Partnerschaft zwischen der Türkei und der kurdischen Barzani-Familie, die der Region durch Wirtschaftsabkommen und militärische Präsenz relative Unabhängigkeit von Bagdad ermöglicht und gleichzeitig gegen die PKK vorgeht.

Irak

Die irakische Regierung hat im März 2024 eine Vereinbarung mit der Türkei zur gemeinsamen Bekämpfung der PKK geschlossen, wobei der Irak sich davon vor allem wirtschaftliche Vorteile und eine bessere Wasserversorgung durch die türkisch kontrollierten Flüsse Euphrat und Tigris verspricht.

Iran

Der Iran kooperiert ebenfalls mit der Türkei im Kampf gegen kurdische Militante, da der iranische PKK-Ableger PJAK von den Kandilbergen aus Anschläge verübt und beide Länder bereits gemeinsame Militäroperationen durchgeführt haben.

Syrien

Die neue pro-türkische Regierung in Syrien strebt die Kontrolle über Nordsyrien an und fordert die Kämpfer der kurdischen Milizen zur Integration in die syrische Armee auf, wobei sie die PKK als „giftigen Dolch“ bezeichnet und mit gewaltsamer Auflösung droht.

Die Kurden und der Westen

Die Einkreisung der kurdischen Milizen durch die regionalen Akteure und die allmähliche Neugestaltung des Nahen Ostens stieß im Westen auf gemischte Reaktionen: Der Syrien-Koordinator der deutschen Bundesregierung und Staatsminister im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, erklärte gegenüber Table.Media, dass Syrien nicht als Operationsgebiet der PKK dienen darf. Damit verwirft Deutschland seine bisherige pro-kurdische Haltung in der Angelegenheit.

Die romantischen Vorstellungen der europäischen Linken und Linksliberalen von der PKK hat sie für die realen geopolitischen Umwälzungen blind gemacht.

Hingegen versicherte Präsident Emmanuel Macron der Kurdenmiliz SDF, dass Frankreich sie nicht im Stich lassen werde. Darauf warnte der türkische Außenminister Hakan Fidan Paris deutlich davor, Truppen an die syrisch-türkische Grenze zu entsenden. Die Biden-Administration hat in den letzten Wochen vor der Amtsübergabe an Donald Trump die Errichtung einer US-Militärbasis in Kobane in Auftrag gegeben, trotz Protesten aus Ankara. Auch wenn Präsident Biden wenige Tage vor seinem Ausscheiden US-Sanktionen gegen die Türkei aufhob, so sind weiterhin 2000 US-Soldaten in Syrien stationiert, die der Türkei eine vollständige Kontrolle der Region versagen.

Vertrauen verloren

Ankara erwartet von der Trump-Administration einen Rückzug der US-Truppen und die Übergabe der kurdischen Gebiete an die neue Regierung in Damaskus. Ob die militärische Führung der PKK und ihre syrischen Ableger diesmal dem Aufruf von PKK-Führer Abdullah Öcalan folgen werden und ihre Waffen niederlegen, bleibt offen. Die Machtverhältnisse haben sich jedoch zugunsten Ankaras verschoben.

Seit 40 Jahren tobt der Kampf zwischen der türkischen Regierung und der PKK sowie deren Verbündeten. Noch nie war die Möglichkeit so groß, dass der Konflikt beendet wird. Die romantischen Vorstellungen der europäischen Linken und Linksliberalen von der PKK hat sie für die realen geopolitischen Umwälzungen blind gemacht und damit selbst bei oppositionellen Türken das Misstrauen in den Westen befördert.

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Conclusio

Zeitenwende. Führende türkische Politiker forderten den inhaftierten PKK-Anführer Abdullah Öcalan auf, die PKK aufzulösen und die Waffen niederzulegen. Diese Aufforderung wurde durch Öcalans Bereitschaft zu Friedensgesprächen unterstützt.
Machtverschiebung. Mit dem Sturz Assads und der jüngsten militärischen Erfolge der Türkei in Nordsyrien, scheint eine Lösung des Konflikts in greifbare Nähe zu rücken, da Ankara die PKK militärisch unter Druck setzen und zu Friedensverhandlungen zwingen könnte.
Europa. Der Westen reagiert unterschiedlich auf die Entwicklungen: Während Deutschland seine bisherige pro-kurdische Haltung aufgibt und die PKK in Syrien nicht mehr dulden will, sichert Frankreich den kurdischen Milizen weiterhin Unterstützung zu. Ankara erhofft sich von der neuen US-Regierung unter Donald Trump einen Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien.

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