Eine selbstbestimmte Zukunft Syriens?

Die Zukunft Syriens beginnt in einem Nicht-Staat, in dem ausländische Interessen und islamistische Gruppen intervenieren, erklärt Experte Walter Posch.

Ein Mädchen wird auf den Schultern ihrer Mutter getragen und blickt verhalten lächelnd in die Kamera. In der Hand hält sie eine Fahne der syrischen Revolution. Das Bild, das am 13. Dezember 2024 aufgenommen wurde, ist Teil eines Beitrags über die Zukunft Syriens nach dem Sturz des Assad-Regimes.
In Hama im Westen Syriens am 13. Dezember 2014: 1982 ließ Diktator Hafiz al-Assad, der Vater von Baschar al Assad, die Stadt bombardieren, nachdem sechs Jahre zuvor dort ein Aufstand der Muslim Bruderschaft gegen das Regime begonnen hatte. Mehr als 30.000 Menschen starben. Aus Hama stammt das Revolutionslied „Jalla, irhal ja Baschar“ (Komm schon Baschar, es ist Zeit zu verschwinden). Am ersten Freitag nach dem Sturz von Baschar am 8. Dezember feierten tausende Menschen in der Stadt. © Getty Images

Der Zusammenbruch des Assad-Regimes nach 54 Jahren des Terrors kommt einem „geopolitischen Erdbeben“ gleich, sagt der Iranist Walter Posch. Im Podcast spricht er über die veränderte Lage für die Türkei, Israel, Russland und den Iran. Die Zukunft Syriens sei ungewiss, meint er, zumal mit dem Regime auch der syrische Staat zusammenbrach.

Es kann sein, dass es ein langanhaltender Konflikt wird.

Walter Posch, Iranist und Experte für den Nahen Osten

Die Geopolitik ist nun entscheidend für die Zukunft Syriens, so Posch. Es gibt unterschiedliche Interessen und Konflikte. Viel Spielraum für die Selbstbestimmung der syrischen Bevölkerung sieht er nicht. Für die Zivilgesellschaft kommt alles darauf an, dass Syrien befriedet werden kann.

Für den Iran brach mit dem Sieg der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) das gesamte strategische Netzwerk in der Region zusammen. Die vom Iran unterstützte Hisbollah bleibe handlungsunfähig zurück, so Posch. Für Russland wiederum sei der Sturz des Assad Regimes ebenfalls eine Niederlage. Im Unterschied zu Alexander Dubowy sieht Posch Russland in einer machtpolitisch nun unterlegenen Position.

Eine Frau steht vor einer gekachelten Wand auf die Fotoausdrucke mit Portraits durch Folter zu Tode gekommener Regime-Gegner geklebt sind. Die Frau fotografiert die Wand, da sie auf der Suche nach "verschwundenen" Angehörigen ist. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die Zukunft Syriens nach dem Sturz des Assad-Regimes.
Damaskus am 12. Dezember 2024: Angehörige versuchen ihre Familienmitglieder und Freunde zu identifizieren, die in den Gefängnissen des Regimes zu Tode gefoltert wurden. Die systematische Folter und Vernichtung in den Gefängnissen sollte vom Widerstand gegen das Regime abschrecken. Das System der Angst wurde durch eine Vielzahl von Geheimdiensten aufrecht erhalten. © Getty Images

Nun, da die „Kleptokratie“ in Syrien beendet sei, verschiebe sich das geopolitische Gefüge grundlegend. „Es sieht so aus, als ob der syrische Konflikt Energie von anderen Konflikten anzieht. Die syrische Zivilgesellschaft, die es noch gibt, arbeitet dagegen. Es intervenieren die Türkei, es intervenieren die Israelis, es versuchen die Iraner und die Russen wieder zurückzukommen. Es gibt eine internationale Szene von Dschihadisten, Uiguren und Usbeken, die dem Konflikt ein vollkommen anderes Aussehen geben und es gibt natürlich die PKK-affilierten Gruppen in Nordostsyrien“, skizziert Walter Posch die aktuelle Situation.

Und die Syrer selbst? Die syrische Zivilgesellschaft habe bei aller Repression große Resilienz bewiesen, meint Posch. Jedoch käme es nun darauf an, die unterschiedlichen Interessen zu befrieden. Ein Prozess, der viele Jahre dauern könne.

Über Walter Posch

Walter Posch ist Iranist und Islamwissenschaftler. Er forscht und lehrt am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien, die zum Bundesministerium für Landesverteidigung gehört. Einer seiner Forschungsschwerpunkte sind Untergrundbewegungen des Nahen Ostens. Im Mai 2024 war Walter Posch zum Thema Israel und Iran im Podcast zu Gast.

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