Mitte des Lebens? Gut so!
Barbara Bleisch hat Aristoteles und Schopenhauer auf ihrer Seite, wenn sie sagt, dass die Mitte des Lebens der beste Teil ist. Ein Podcast über die Midlife Crisis.
Zwar trägt die Midlife Crisis ihren Namen zu Recht, so Philosophin Barbara Bleisch, denn die Mitte des Lebens bringt die Krise. Aber das kann befreiend sein, meint sie. Statt Ratgeber-Kitsch hat sie gute Argumente für diese These.
Der Podcast über die Mitte des Lebens
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Das Krisenhafte gehört zum Gelingen des Lebens dazu.
Barbara Bleisch, Philosophin und Intendantin des Philosophicum Lech
Die Mitte des Lebens ist ziemlich lang: 25 bis 30 Jahre. Einen Großteil des Lebens leben wir als Erwachsene, sagt Barbara Bleisch und soll dieses Erwachsensein gelingen, muss der Mensch etwas riskieren: „Das Krisenhafte gehört zum Gelingen des Lebens dazu.“
Neuanfang in der Mitte des Lebens
Der Antike galt die Mitte des Lebens als Blütezeit, erinnert die Philosophin. Im Westen beschreibt der Begriff Midlife Crisis allerdings ein Lifestyle-Phänomen, assoziiert mit der Vorstellung, jemand hadere mit dem Alter.
„Midlife Crisis stammt aus dem Jahr 1965 von dem amerikanischen Psychoanalytiker Elliott Jacques. Er stellte fest, dass in der Mitte des Lebens oft Fragen der Bilanzierung auftauchen, dass man sich fragt, was will ich im Leben. Oder dass man feststellt, dass manche Lebensziele vielleicht nicht mehr erreicht werden können, oder dass manche Träume platzen für immer. Das ist etwas Schmerzhaftes, daher die krisenhaften Momente.“
Die Krise jedoch könne man mit Karl Jaspers auch als „existenzerhellend“ verstehen. Es seien die Momente, in denen existenzielle Fragen sichtbar würden. „Eine Möglichkeit, sich im Klaren zu werden, worum es mir in meinem Leben geht.“
Traditionellerweise sei diese Krise für Frauen eher als Befreiung spürbar: Die Kinder aus dem Haus, an Erfahrungen reicher und Verpflichtungen ärmer, erlebten Frauen die mittleren Jahre als eine Chance der Neufindung. Dass es in Gesellschaften mit ausgeprägten Geschlechternormen biografische Unterschiede gibt, hatte Gail Sheehy in Passages: Predictable Crises of Adult Life (1976) gezeigt.
„Die Genderstereotype haben sich inzwischen mehr angenähert, deshalb hat mich die Genderperspektive auch gar nicht so interessiert“, sagt Bleisch über den Ansatz in ihrem Buch. „Viele Frauen machen Karriere, Männer leisten Care-Arbeit. Die Biografien werden sich stärker angleichen.“
Die Vorteile der Mitte
Barbara Bleisch sieht zwei große Vorteile der Lebensmitte: Erfahrung und innere Freiheit. „Wir haben hoffentlich viel gelernt. Das fällt einem nicht in den Schoß, man muss sich dem Leben auch aussetzen, reifen wollen am Leben und auch gestrauchelt sein. Aristoles betont, dass die Reife eine Form der Tugendhaftigkeit ist.“
Die innere Freiheit, so Bleisch, stamme aus der Fähigkeit zur kritischen Distanz gegenüber Erwartungen von Anderen und dem Vermögen, noch gestalten zu können: „Es ist auch eine freie Zeit, weil man befreit ist von naiven Vorstellungen, von Illusionen, von Täuschungen. Befreit von Menschen, die uns gängeln wollen, die uns Vorschriften machen wollen. Die uns nicht den Raum gelassen haben, die eigene Stimme zu erheben. Man steht mitten im Leben und kann noch gestalten, man kann noch Verantwortung übernehmen.“
Die Fallstricke der Mitte
Viel erlebt zu haben sei Voraussetzung eines gelingenden Lebens und ein Fallstrick zugleich: „Man hat alles schon gesehen, alles schon gemacht, die ersten Male sind vorbei. In der Mitte des Lebens müssen wir uns die ersten Male bewusst überlegen. Wir müssen uns überlegen, wo wir ausbrechen können aus Routinen.“
Mit dem Ausbrechenwollen sei indes ein möglicher Fallstrick verbunden, denn schließlich geben Routinen auch Sicherheit und ermöglichten Bleibefreiheit wie Bleisch im Anschluss an die Philosophin Eva von Redecker sagt.
Das Bereuen ist die Begleitmusik eines Lebens, das viel will.
Denn „die innere To Do Liste, die wir eigentlich zum Lebensstil erhoben haben“ kann den Genuss der Mitte boykottieren. „Wir leben davon, ein Ziel auszuhecken, es zu verfolgen, auf Beifall zu hoffen, um dann enttäuscht zurückzubleiben. Und dieses Schopenhauersche Paradox, dass wir entweder gelangweilt sind, weil wir kein Ziel haben, oder schmerzvoll, weil wir das Ziel noch nicht erreicht haben, mag manche in der Mitte des Lebens zum Grübeln bringen. Und da ma man sich fragen, gäbe es nicht auch eine atelische Lebensweise, die Momente ins Leben holt, wo ich etwas um einer Sache selbst willen tue.“
Bereuen und bedauern zählt Bleisch nicht zu den Fallstricken der Lebensmitte. „Bedauern und bereuen gelten als negative Gefühle. Für Spinoza war zweifach elend wer reut. Das Bereuen ist die Begleitmusik eines Lebens, das viel will. Ein Leben, das von Sehnsüchten gezogen ist, ist doch ein erfülltes Leben. Am unglücklichsten sind wir, wenn wir das Leben entscheiden lassen.“
Transformation verstehen
Bereuen kann nur jemand, der oder die Entscheidungen getroffen hat, erklärt Bleisch. Und jede Entscheidung verändert die Person. Wer also zurückblickend eine Entscheidung bedauert, blickt zurück als eine andere Person, die dann eben eine andere Entscheidung getroffen hätte. Bedauern, so Bleisch, „das ist fast müßig.“
Der Blick zurück macht blind für den Blick nach vorn. Ein weiterer Fallstrick sei es nämlich, nicht mehr neugierig zu sein, alles zu glauben und nichts Neues wissen zu wollen. Und auch das Streben nach dem Leben ohne negative Gefühle sei kontraproduktiv: „Gelingen ist nicht immer Happiness, sondern ein menschliches Leben, sich riskieren. Jeder der liebt, riskiert, verlassen zu werden. Auch beruflich. Das Krisenhafte gehört zum Gelingen des Lebens dazu.“
Möchten Sie mehr hören? Sie finden alle bisherigen Podcasts hier.
Über Barbara Bleisch
Barbara Bleisch ist Philosophin, Moderatorin, vielfache Buchautorin und seit 2024 gemeinsam mit Konrad Paul Liessmann die Intendantin des Philosophicum Lech. Ihr aktuelles Buch Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre ist im Verlag Hanser erschienen. Für den Pragmaticus schrieb Barbara Bleisch einen Kommentar über Störenfriede.
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