Asyl: „Wir lassen sie verhungern“

Mit dem Entwurf für ein neues Asylrecht zementiert die EU ihre katastrophale Asylpolitik für die Zukunft ein, sagt Melita Sunjic. Sie berichtet von den Außengrenzen Europas und zeigt, wie eine bessere Asylpolitik aussieht.

Wer in Europa Asyl bekommt, ist noch nicht gerettet: „Ich habe Kinder gesehen, die vor Hunger weinen – und das in Europa“, sagt Melita Sunjic über die Zustände in den griechischen Lagern für Geflüchtete. Im bulgarisch-türkischen Grenzgebiet wird Migranten aller Besitz geraubt und man prügelt sie – die Täter sind europäische Beamte.

Im Video-Interview mit dem Pragmaticus erklärt Sunjic, warum diese humänitäre Katastrophe das Überleben der europäischen Demokratie in Frage stellt. Die aktuellen Pläne der EU für ein neues Asylrecht verschlimmern die Situation, statt sie zu verbessern, sagt Sunjic.

4 Vorschläge für Asyl und Migration

Wie könnte ein besseres Asylsystem aussehen? Sunjic macht vier Vorschläge: 1. zirkuläre Migration für jene, die vor Armut fliehen; 2. Zentralisierung der Asylverfahren; 3. ein einheitliches, verbindliches EU-Asylverfahren; 4. ein gerechter Verteilungsschlüssel. Was nicht passieren darf: Asylverfahren in Lagern außerhalb der EU.

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Zahlen & Fakten

Viktor Orban hält die Hand von Georgia Meloni. Im Hintergrund steht Mateusz Morawiecki. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die Asylpolitik der EU und das neue Asylrecht.
Beim EU-Gipfel in Brüssel am 29. Juni 2023: Der ungarische Premierminister Viktor Orban (rechts) mit der Premierministerin Italiens, Giorgia Meloni, und Mateusz Morawiecki, Premierminister von Polen. Polen, Italien und Ungarn wollen eine stärkere Abschottung Europas. © Getty Images

Neues Asyl – der Entwurf

  • Am 8. Juni 2023 einigte sich der Rat für Justiz und Inneres der EU auf eine Reihe von Vorschlägen für Veränderungen beim EU-Asylrecht. Diese „Leitlinien für eine gemeinsame europäische Asylpolitik“ sollen noch vor den nächsten EU-Wahlen im Juni 2024 im EU-Parlament beschlossen werden.
  • Nach der neuen Entwürfen soll direkt an einer Grenze zur EU geprüft werden, ob Kriterien für einen Antrag auf Asyl vorliegen: Personen aus Herkunftsländern mit einer positiven Asylquote von mehr als zwanzig Prozent (EU-weiter Durchschnitt der bisherigen Anerkennungspraxis) erhalten ein Asylverfahren in einem Mitgliedsstaat, alle anderen ein beschleunigtes Grenzverfahren. Das Screening ersetzt die individuelle Prüfung der Schutzwürdigkeit.
  • Das Verfahren soll die sogenannte Dublin-Verordnung ersetzen, wonach ein Antrag auf Asyl von jenem Staat bearbeitet wird in dem der Erstkontakt stattfand. An den Außengrenzen der EU sollen für die Screeningverfahren Zentren und Lager errichtet werden. Ein EU-weit einheitliches Asylrecht gibt es auch nach diesen Entwürfen nicht.
  • Der Entwurf sieht bisher keine verbindlichen Verteilungsquoten für Personen vor, die nach dem Screening ein geordnetes Asylverfahren in einem Mitgliedsstaat erhalten können. Aus diesem Grund blockieren Italien und die Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) die neuen Vorschläge und plädieren für verstärkte Abweisung.
  • Die Frage der Arbeitsmigration wird von dem Entwurf nicht adressiert, da Flucht vor Armut kein Asylgrund ist.
  • Neben Italien und der Visegrád-Gruppe macht sich auch Österreich für eine verstärkte Abschottung der Europäischen Union stark. Auch nach den Plänen der anderen EU-Staats- und Regierungschefs soll zum Beispiel Tunesien für das Abschleppen von Booten mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer weitere 150 Millionen Euro erhalten. Die EU-Kommission will insgesamt 15 Milliarden Euro zusätzlich für die Migrationspolitik aufwenden, hauptsächlich für den Grenzschutz in der Türkei, im Libanon und Jordanien sowie für Grenzinfrastruktur, zum Beispiel Grenzzäune.

Über Melita H. Sunjic

Portrait von Melita H. Sunjic.
Melita H. Sunjic © Günther Zott

Melita H. Sunjic ist Kommunikationswissenschaftlerin und hat im Rahmen ihrer 25jährigen Tätigkeit für das UN Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Europa, Asien und Afrika gearbeitet. 2017 gründete sie die Agentur Transcultural Campaigning für Migrationskommunikation und -forschung. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie mehrmals ausgezeichnet, unter anderem mit dem Claus-Gatterer Preis.

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