Ein besseres Asylrecht ist möglich

Würden Asylverfahren ausgelagert und Kontingente für humanitäre und wirtschaftliche Aufnahme geschaffen, wäre nicht nur den Geflüchteten geholfen, sondern auch den Zielländern.

EIne Frau in Turnschuhen und heller Bluse hält ein Baby in Decken gewickelt in den Armen und blickt zur Seite auf den Boden. Das Bild illustriert einen Beitrag über Flucht und Asylrecht.
März 2023: Eine aus Syrien geflüchtete Frau mit ihrem Kind auf dem Militärflughafen in Madrid. Für Erdbebenopfer haben einige europäische Staaten Kontingente geschaffen. Sie gelten nicht als Flüchtlinge. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Dysfunktional. Das derzeitige Asylregime wird den Geflüchteten und der Bevölkerung in den Ankunftsländern nicht gerecht.
  • Blockaden. Parteipolitisch festgefahrene Positionen haben Reformen des Asylrechts in der EU bisher immer verhindert.
  • Kontingente. Das bisherige Asylregime muss durch ein Regime mit einem humanitären und einem wirtschaftlichen Kontingent ersetzt werden.
  • Auslagerung. Asylverfahren sollten in Drittstaaten ausgelagert werden, wer Asyl beantragt, soll sich das Zielland nicht aussuchen können.

Das europäische Migrationssystem ist das tödlichste der Welt. Seit 2014 starben allein im Mittelmeer über 25.000 Menschen beim Versuch, Europas Küsten zu erreichen. Die es letztlich schaffen, sind oft nicht diejenigen, die unsere Hilfe tatsächlich brauchen.

Warum Zuwanderung?

Fast die Hälfte aller Asylgesuche in Europa wird abgelehnt; die Schwächsten bleiben angesichts der hohen Risiken und Kosten meist ohnehin zurück. Die besten Chancen auf ein Ticket in der europäischen Asylrechtslotterie haben junge, gesunde Männer aus vergleichsweise besser situierten Familien. 

Für die aufnehmenden Gesellschaften schafft die gegenwärtige Asylpolitik hohe Sicherheitsrisiken. Täter, die Flüchtlinge waren oder sich als solche ausgaben, verübten einen Großteil der tödlichen islamistischen Terroranschläge, mit denen Europa im letzten Jahrzehnt konfrontiert wurde.

Zu alldem ist das Versprechen, dass die Fluchtmigration den Fachkräftemangel und die demographischen Probleme Europas lösen würde, nicht einmal annähernd eingelöst worden. Bis Ende 2020 konnten in Deutschland fast zwei Drittel aller Personen aus den wichtigsten acht Asylherkunftsländern nur mit Hilfe staatlicher Leistungen ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Asylrecht an den Grenzen

Nichts davon ist ein angemessener Preis für die humanitären Prinzipien des Asylrechts. All diese Fehlentwicklungen sind Folgen eines Asylregimes, das die Bedürfnisse der Schutzsuchenden nicht mit den Aufnahmekapazitäten und den Sicherheitsinteressen der aufnehmenden Gesellschaften in Einklang bringen kann.

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Zahlen & Fakten

Die jahrzehntelangen Versuche, das Asylrecht zu reformieren, haben wenig bewirkt. Die größte Schwierigkeit liegt im Kompromiss zwischen den progressiven und konservativen politischen Lagern. Für beide Seiten ist das Thema ein machtvolles Mittel der Wählermobilisierung. Progressive Parteien können dem politischen Gegner Unmenschlichkeit und einen engstirnigen Nationalismus vorwerfen.

Konservative Parteien lasten dem politischen Gegner die negativen Begleiterscheinungen der Flüchtlingszuwanderung an und ihm werfen ihm vor, die Interessen der eigenen Bevölkerung zu vernachlässigen. Und beide Seiten schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Toten an den Außengrenzen und den Aufstieg des Rechtspopulismus zu. Die daraus resultierende Blockadespirale hat bisher jede wirksame Reform der Flüchtlingspolitik verhindert. 

Wirkungsvolle Rücknahmeabkommen

Eine Politik, die auf kurzfristige Vorteile bei Wahlen verzichtet und eine tragfähige Lösung für die Flüchtlingsproblematik findet, muss irreguläre Fluchtmigration durch reguläre Migration ersetzen. Flüchtlinge sollten direkt in Europa aufgenommen werden, statt den teuren und lebensgefährlichen Weg nach Europa zu gehen zu müssen. Dafür könnten jährliche Kontingente für humanitäre Zuwanderung festgesetzt werden, die eine ebenso hohe Aufnahme von tatsächlich Schutzbedürftigen ermöglichen wie in der Vergangenheit. 

Ein hoher mit Stacheldraht bewehrter Grenzzaun mit einem Baum und einem Soldaten. Das Bild ist Teil eines Beitrags über Asylverfahren und Asylrecht.
Die Außengrenze der EU, hier zwischen Griechenland und der Türkei, wird laufend höher und länger. © Getty Images

Großzügige humanitäre Aufnahme darf nicht zu anderen Formen der Flüchtlingszuwanderung hinzukommen, sondern muss diese ersetzen. Ohne eine wirkungsvolle Einschränkung der irregulären Asylmigration kann man sich alle Gedanken über Aufnahmekontingente und humanitäre Visa sparen. Und man wird weder das Sterben an den Außengrenzen beenden noch die Integrations- und Sicherheitsprobleme lösen, die vor allem von chancenlosen und nicht schutzbedürftigen Asylbewerbern verursacht werden.

Eine erste Maßnahme sind wirkungsvolle Rücknahmeabkommen – insbesondere mit Herkunftsländern, deren Bürger sehr geringe Anerkennungsquoten aufweisen wie etwa die Staaten in Westafrika. Wird die Verpflichtung zur Wiederaufnahme von illegalen Migranten mit der Eröffnung von legalen Kontingenten für die Wirtschaftsmigration verbunden, steigt das Interesse der Herkunftsländer, die Migration nach Europa zu reduzieren.

Wie die humanitären Kontingente könnten auch die Quoten für Wirtschaftsmigration selbstregulierend gestaltet werden: Je besser die Rückführung von irregulären Migranten funktioniert, desto mehr können die Quoten ausgeschöpft werden. Hakt es an einer Stelle, hat die jeweils andere Seite ein Mittel in der Hand, um gegenzusteuern.

Asylverfahren auslagern

Rücknahmeabkommen allein können die irreguläre Asylmigration aber nicht substanziell zurückdrängen. Nur die Verlagerung von Asylverfahren in Länder außerhalb der EU kann die illegale Migration maßgeblich reduzieren. Australien hat es durch eine solche Politik geschafft, das Sterben auf hoher See vollständig zu beenden. 

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Zahlen & Fakten

Potenziellen irregulären Einwanderern nach Europa muss klar gemacht werden, dass sie Schutz erhalten können, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen – aber eben nicht in den ersehnten Zielländern Nordwesteuropas, sondern in einem Drittstaat. Nirgends im internationalen Flüchtlingsrecht ist festgelegt, dass Asylbewerber das Recht haben, sich auszusuchen, in welchem Land sie Schutz erhalten wollen. 

Die Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten kann Kapazitäten für eine großzügige Aufnahme von Schutzbedürftigen frei machen. Die Vorstellung, dass wirksamer Schutz nur in der EU möglich sei und alles andere den Flüchtlingen nicht zumutbar wäre, ist Ausdruck eines Superioritätsdenkens, das angesichts der Realität der europäischen Asylpraxis völlig unangebracht ist.

Zu den Asylwerbern, deren Verfahren in Drittstaaten ausgelagert werden, sollten jedenfalls alle gehören, die ohne Identitätsdokumente einreisen. Gerade hier konzentrieren sich Sicherheitsprobleme und Kriminalität. Menschen aus dieser Gruppe können selbst nach schweren Straftaten nur schwer abgeschoben werden. Sie werden sich zwei Mal überlegen, ob sie wirklich den Weg nach Europa antreten sollen, wenn sie wissen, dass die Reise nicht in Stockholm oder Berlin, sondern in Tirana oder Chisinau enden wird.

Irreguläre Migration reduzieren

Beispiele für Drittstaaten, die an einer Auslagerung von Asylverfahren interessiert sind, gibt es schon: Australien hat entsprechende Absprachen mit Papua-Neu-Guinea und Nauru getroffen, und am Unwillen Ruandas werden die britischen und dänischen Pläne nicht scheitern. Eine rein finanzielle Beziehung wie in diesen drei Fällen wäre allerdings Ausdruck eines Machtgefälles.

Eine ausgeglichenere Lösung wäre auch hier die Formel, irreguläre durch reguläre Migration zu ersetzen. Für Länder wie Moldau, Tunesien oder Senegal wäre das sicherlich eine attraktive Perspektive. Die Auslagerung von Asylverfahren reduziert die irreguläre Migration sowohl für die EU als auch für den beteiligten Drittstaat.

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Zahlen & Fakten

Hannah Arendt in einem hellen Kostüm steht vor einem Tisch und liest ein Dokument. Neben ihr steht ein Mann. Die Szene scheint vor einem Vortrag stattzufinden. Das Bild illustriert einen Beitrag über die Verfahren in einem Asylantrag.
Hannah Arendt in 1960er Jahren in New York: Arendt, aus Nazideutschland geflohen, hat in mehreren Büchern die Aporien der Menschenrechte analysiert. Von ihr stammt die Feststellung, dass das eigentliche Problem darin besteht, dass Geflüchtete mit dem Verlust ihrer Staatszugehörigkeit, das „Recht, Rechte zu haben“, verloren haben. © Getty Images

Irregulär oder illegal?

  • 1951 wurde die Genfer Flüchtlingskonvention (richtig: Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) verabschiedet. Ein Flüchtling ist demnach jemand, der aufgrund von Herkunft, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt wird. Die Konvention und das Prinzip des Nonrefoulement (Verbots der erzwungenen Rückkehr in ein Land, in denen einer Person Verfolgung droht) sind bindend.
  • Wer in einem Land das Recht auf ein Asylansuchen wahrnehmen will, tut dies fast immer illegal, denn der Flüchtende muss die Grenze ohne Aufenthaltsstatus und ohne Einreisegenehmigung passieren – den Wenigsten ist ein gültiges Visum oder der Touristenstatus zugänglich. Da dieser Widerspruch nicht auflösbar ist, sprechen Behörden, NGO wie Caritas etc. und Forschung in der Regel von irregulärer Migration.
  • Hannah Arendt, selbst eine Geflüchtete, hat die grundlegenden Widersprüche, von denen das Asylrecht heute noch betroffen ist, analysiert: „Der Verlust der Menschenrechte findet nicht dann statt, wenn dieses oder jenes Recht (…) verlorengeht, sondern nur wenn der Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt Rechte haben kann (…).“

Solange man die freiwerdenden Kapazitäten für humanitäre Kontingente und Visa sowie für legale Möglichkeiten der Arbeitsmigration einsetzt, ist dieses Verfahren moralisch nicht fragwürdig. Im Gegenteil: Es würde uns erlauben, gezielter diejenigen zu unterstützen, die es am meisten brauchen. Zugleich entspräche dieses Verfahren viel besser als die herrschende Flüchtlingspolitik den Interessen von Herkunftsländern, Erstaufnahmeländern und der EU.  

Flüchtlingspolitik jenseits von Moral

Bei der moralischen und rechtlichen Bewertung dieser Vorschläge sind die realistischen und existierenden Alternativen zu bedenken. Die Alternative ist nicht eine Friede-Freude-Eierkuchen-Flüchtlingspolitik, bei der auf magische Weise allen Schutzbedürftigen geholfen werden kann, alle Wanderungswilligen ihre Wünsche erfüllen können, niemand mehr stirbt, alle einen Arbeitsplatz und eine Wohnung finden, der Wohlfahrtsstaat erhalten bleibt und Terroristen und Kriminelle aus lauter Dankbarkeit zu Engeln werden. 

Die reale Alternative ist die, die wir haben: Tausende Tote im Mittelmeer und in der Sahara; illegale Pushbacks und Deals mit Autokraten an den Außengrenzen, eine hohe Kriminalitätsbelastung durch junge Männer mit geringen Anerkennungschancen, hohe Kosten und eine bestenfalls schleppende Integration in den Arbeitsmarkt, ein vergiftetes und polarisiertes politisches Klima sowie, last but not least: viele Schutzbedürftige, denen wir helfen könnten, wenn wir mit der Bewältigung der vielen negativen Begleiterscheinungen der heutigen Flüchtlingspolitik nicht so beschäftigt wären.

Wir könnten es viel besser. Und wir sind es den eigenen Bürgern und auch den Flüchtlingen schuldig, endlich über unseren Schatten zu springen.

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Conclusio

Die besten Chancen auf ein Ticket in der europäischen Asylrechtslotterie haben junge, gesunde Männer aus vergleichsweise gut situierten Familien. Zudem schafft die Asylpolitik Sicherheitsrisiken für die aufnehmenden Länder, ohne deren Fachkräftemangel zu beheben: die Mehrheit kann ihren Lebensunterhalt nur mit Hilfe staatlicher Leistungen bestreiten. Für eine Lösung muss man die irreguläre Fluchtmigration durch reguläre Migration ersetzen. Dazu braucht es Rücknahmeabkommen und Asylverfahren außerhalb der EU.

Dossier Zuwanderung

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