Verbrechen und Strafe im antiken Rom

Zur Not wurde gefoltert: Die Althistorikerin Anna Dolganov hat anhand eines Papyrus die Gerichtspraxis im antiken Rom entschlüsseln können.

Detail einer Statue des römischen Kaisers Titus (39 bis 81). Er ging als jener römische Kaiser in die Geschichte ein, der die Aufstände gegen die römische Herrschaft im ersten Jüdischen Krieg (66 bis 70) niederschlug. Es folgten weitere Aufstände: Der Diaspora-Aufstand um 116 und der Bar-Kochba-Aufstand 132 bis 135. Der von Anna Dolganov entschlüsselte Papyros aus dem Jahr 130 ist vor dem Hintergrund dieser Konflikte zu lesen. Der Steuerbetrug wurde von der römischen Verwaltung als mögliches Indiz einer weitreichenden Verschwörung verstanden.
Detail einer Statue des römischen Kaisers Titus (39 bis 81). Er ging als jener römische Kaiser in die Geschichte ein, der die Aufstände gegen die römische Herrschaft im ersten Jüdischen Krieg (66 bis 70) niederschlug. Es folgten weitere Aufstände: Der Diaspora-Aufstand um 116 und der Bar-Kochba-Aufstand 132 bis 135. Der von Anna Dolganov entschlüsselte Papyros aus dem Jahr 130 ist vor dem Hintergrund dieser Konflikte zu lesen. Der Steuerbetrug wurde von der römischen Verwaltung als mögliches Indiz einer weitreichenden Verschwörung verstanden. © Getty Images

Anna Dolganov ist eine Sensation gelungen: Sie hat gemeinsam mit weiteren Forschern das „Papyrus Cotton“ entziffert, übersetzt und interpretiert. Zum ersten Mal wird damit die konkrete Gerichtspraxis des römischen Staates in Iudaea und Arabia, entlegenen Provinzen des Reiches, nachvollziehbar.

Der Podcast über die Enthüllungen des Papyrus

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In Fällen von Steuerbetrug durfte man alles, da durfte man auch Sklaven gegen den eigenen Herrn foltern, weil eine Art Staatsverbrechen im Spiel war.

Anna Dolganov, Althistorikerin

Das Schriftstück stammt aus der Zeit des römischen Kaisers Hadrian (76 bis 138); die Forscher datieren es auf etwa 130.

Das Papyrus Cotton mit den Details zu dem Prozess wegen Steuerbetrugs um 130.
Das Papyrus Cotton mit den Details zu dem Prozess wegen Steuerbetrugs um 130. © Shai Halevi

Der Papyrus wurde bereits vor vielen Jahren in der berühmten Höhle der Briefe in der Nähe des Toten Meeres im Wadi Nahal Hever gefunden. Vermutlich wurde es von Geflüchteten, die während des Bar-Kochba Aufstandes (132 bis 136) gegen die römische Herrschaft in der Höhle Schutz suchten, dort hinterlassen.

Das Dokument ist Teil von Gerichtsunterlagen für einen Prozess, der wahrscheinlich um 130 stattfand, und die Erkenntnisse der knapp sechsjährigen Entschlüsselungsarbeit sind verstörend: Im Schriftstück wird geschildert, wie zwei Männer, der eine in der Provinz Iudaea lebend, der andere in der Provinz Arabia, gemeinsam Steuern hinterzogen, indem sie sich wechselseitig Sklaven verkauften bzw. in in die Freiheit entließen. Dazu fälschten die beiden, Gadalias und Saulos, Urkunden.

Steuerbetrug wurde im alten Rom hart bestraft – mit Arbeit in einem Steinbruch oder auch mit dem Tod. „In der römischen Zeit war der soziale Stand für die Strafe entscheidend. Das heißt, je gehobener der Stand war, desto milder die Strafe. Jedoch für solche Strafen wie Steuerbetrug und Urkundenfälschung konnte man mit den schwersten Strafen rechnen.“ Dolganov geht davon aus, dass Gadalias und Saulos für ihre Straftaten möglicherweise hingerichtet wurden.

Die „Höhle der Briefe“ in der Judäischen Wüste. 135 n. Chr. wurde diese Höhle während des Bar-Kochba-Aufstandes zur Zufluchtsstätte und zur Falle: Die römischen Herrscher blockierten die Wasser- und Lebensmittelversorgung der Geflüchteten. Neben Alltagsgegenständen wurden in dieser Höhle in den 1950er und 1960er Jahren zahlreiche Dokumente, Urkunden und Briefe gefunden. Ein Papyros, der dort gefunden wurde, gibt Aufschluss über die Gerichtspraxis im antiken Rom. Es geht darin um ein Verfahren wegen Steuerbetruges. Die Althistorikerin Anna Dolganov hat diesen Papyros gemeinsam mit anderen Forschern erstmals entschlüsselt.
Die „Höhle der Briefe“ in der Judäischen Wüste. 135 n. Chr. wurde diese Höhle während des Bar-Kochba-Aufstandes zur Zufluchtsstätte und zur Falle: Die römischen Herrscher blockierten die Wasser- und Lebensmittelversorgung der Geflüchteten. Neben Alltagsgegenständen wurden in dieser Höhle in den 1950er und 1960er Jahren zahlreiche Dokumente, Urkunden und Briefe gefunden, die noch heute nicht vollständig entschlüsselt sind. Aufgrund des trockenen Klimas der Wüstengegend sind die Schriftstücke vergleichsweise gut erhalten. © Wikipedia; Von רשות העתיקות של ישראל Israel Antiquities Authority, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=56802258

Gründe für die drakonischen Strafen sieht Dolganov zum einen in diesem römischen Recht, aber auch in den speziellen Umständen: Der Steuerbetrug fand in den zehn Jahren zwischen der Diaspora Revolte (115 bis 117 n. Chr.) und dem Bar-Kochba-Aufstand (132 bis 136 n. Chr.) statt, bei dem die jüdische Bevölkerung sich gegen die römische Herrschaft wehrte. Gadalias und Saulos waren Juden, sodass die römische Verwaltung bei dem Gerichtsverfahren in den Steuertricks eine größere Verschwörung vermutete.

Die Ankläger ließen sich den Gerichtsprotokollen zufolge zu Grausamkeiten hinreißen, die ihnen sonst als unmoralisch galten: Sie folterten einen Sklaven, um ihn dazu zu bewegen, gegen einen seiner „Herren“ auszusagen. Als unmoralisch galt ihnen dabei nicht das Foltern, sondern dessen Zweck.

„Es wird erwähnt, dass eine bestimmte Person mit einem Sklavennamen für lange Zeit, und dann ist eine Lücke, verprügelt wurde und hat doch nichts gegen den Herrn gesagt“, so Dolganov über ihre Interpretation. Im römischen Reich galten Aussagen versklavter Personen nur dann als glaubwürdig, wenn diese durch Folter zu den Aussagen gebracht worden waren. Diese Methode auch einzusetzen, um Aussagen gegen angeklagte Sklavenbesitzer zu erreichen war hingegen unmoralisch, entsprechend brisant muss der Prozess seiner Zeit gewesen.

Sklaven im römischen Reich beim Bau einer Mauer. Detail einer Wandmalerei. Das Bild ist Teil eines Beitrags über römisches Rechtssprechung
Sklaven im römischen Reich beim Bau einer Mauer. Detail einer Wandmalerei. Sklaven waren rechtlos, konnten aber auch freigelassen und römische Bürger werden – allerdings blieben sie immer in der Abhängigkeit von ihrem ehemaligen „Herren“. Viele Sklaven waren ursprünglich Kriegsgefangene. © Getty Images

„In Fällen von Steuerbetrug durfte man alles, da durfte man auch Sklaven gegen den eigenen Herrn foltern, weil da eine gewisse Art Staatsverbrechen im Spiel war.  Also da kann man durchaus vermuten, dass Folter stattfindet vor Gericht“, so Dolganov.

Diese Erkenntnis ist im Einklang mit der juristischen Figur des Sklaven: „Ein Sklave war eigentlich kein Mensch. Ein Sklave war ein Vermögenswert, den könnte man als Gegenstand betrachten, juristisch“, erläutert Dolganov.

Über Anna Dolganov

Anna Dolganov ist Althistorikerin und Papyrologin am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien, wo sie ein Projekt über das römische Archivwesen leitet. Die Sozial-, Rechts- und Institutionsgeschichte des römischen Reiches ist einer ihrer Schwerpunkte ebenso wie die Interpretation dokumentarischer Quellen wie etwa Papyri.

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