Verbrechen und Strafe im antiken Rom
Zur Not wurde gefoltert: Die Althistorikerin Anna Dolganov hat anhand eines Papyrus die Gerichtspraxis im antiken Rom entschlüsseln können.

Anna Dolganov ist eine Sensation gelungen: Sie hat gemeinsam mit weiteren Forschern das „Papyrus Cotton“ entziffert, übersetzt und interpretiert. Zum ersten Mal wird damit die konkrete Gerichtspraxis des römischen Staates in Iudaea und Arabia, entlegenen Provinzen des Reiches, nachvollziehbar.
Der Podcast über die Enthüllungen des Papyrus
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In Fällen von Steuerbetrug durfte man alles, da durfte man auch Sklaven gegen den eigenen Herrn foltern, weil eine Art Staatsverbrechen im Spiel war.
Anna Dolganov, Althistorikerin
Das Schriftstück stammt aus der Zeit des römischen Kaisers Hadrian (76 bis 138); die Forscher datieren es auf etwa 130.
Der Papyrus wurde bereits vor vielen Jahren in der berühmten Höhle der Briefe in der Nähe des Toten Meeres im Wadi Nahal Hever gefunden. Vermutlich wurde es von Geflüchteten, die während des Bar-Kochba Aufstandes (132 bis 136) gegen die römische Herrschaft in der Höhle Schutz suchten, dort hinterlassen.
Das Dokument ist Teil von Gerichtsunterlagen für einen Prozess, der wahrscheinlich um 130 stattfand, und die Erkenntnisse der knapp sechsjährigen Entschlüsselungsarbeit sind verstörend: Im Schriftstück wird geschildert, wie zwei Männer, der eine in der Provinz Iudaea lebend, der andere in der Provinz Arabia, gemeinsam Steuern hinterzogen, indem sie sich wechselseitig Sklaven verkauften bzw. in in die Freiheit entließen. Dazu fälschten die beiden, Gadalias und Saulos, Urkunden.
Steuerbetrug wurde im alten Rom hart bestraft – mit Arbeit in einem Steinbruch oder auch mit dem Tod. „In der römischen Zeit war der soziale Stand für die Strafe entscheidend. Das heißt, je gehobener der Stand war, desto milder die Strafe. Jedoch für solche Strafen wie Steuerbetrug und Urkundenfälschung konnte man mit den schwersten Strafen rechnen.“ Dolganov geht davon aus, dass Gadalias und Saulos für ihre Straftaten möglicherweise hingerichtet wurden.
Gründe für die drakonischen Strafen sieht Dolganov zum einen in diesem römischen Recht, aber auch in den speziellen Umständen: Der Steuerbetrug fand in den zehn Jahren zwischen der Diaspora Revolte (115 bis 117 n. Chr.) und dem Bar-Kochba-Aufstand (132 bis 136 n. Chr.) statt, bei dem die jüdische Bevölkerung sich gegen die römische Herrschaft wehrte. Gadalias und Saulos waren Juden, sodass die römische Verwaltung bei dem Gerichtsverfahren in den Steuertricks eine größere Verschwörung vermutete.
Die Ankläger ließen sich den Gerichtsprotokollen zufolge zu Grausamkeiten hinreißen, die ihnen sonst als unmoralisch galten: Sie folterten einen Sklaven, um ihn dazu zu bewegen, gegen einen seiner „Herren“ auszusagen. Als unmoralisch galt ihnen dabei nicht das Foltern, sondern dessen Zweck.
„Es wird erwähnt, dass eine bestimmte Person mit einem Sklavennamen für lange Zeit, und dann ist eine Lücke, verprügelt wurde und hat doch nichts gegen den Herrn gesagt“, so Dolganov über ihre Interpretation. Im römischen Reich galten Aussagen versklavter Personen nur dann als glaubwürdig, wenn diese durch Folter zu den Aussagen gebracht worden waren. Diese Methode auch einzusetzen, um Aussagen gegen angeklagte Sklavenbesitzer zu erreichen war hingegen unmoralisch, entsprechend brisant muss der Prozess seiner Zeit gewesen.
„In Fällen von Steuerbetrug durfte man alles, da durfte man auch Sklaven gegen den eigenen Herrn foltern, weil da eine gewisse Art Staatsverbrechen im Spiel war. Also da kann man durchaus vermuten, dass Folter stattfindet vor Gericht“, so Dolganov.
Diese Erkenntnis ist im Einklang mit der juristischen Figur des Sklaven: „Ein Sklave war eigentlich kein Mensch. Ein Sklave war ein Vermögenswert, den könnte man als Gegenstand betrachten, juristisch“, erläutert Dolganov.
Über Anna Dolganov
Anna Dolganov ist Althistorikerin und Papyrologin am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien, wo sie ein Projekt über das römische Archivwesen leitet. Die Sozial-, Rechts- und Institutionsgeschichte des römischen Reiches ist einer ihrer Schwerpunkte ebenso wie die Interpretation dokumentarischer Quellen wie etwa Papyri.
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