Als die Welt fast unterging
Der Paläontologe Alexander Lukeneder erforscht im steirischen Gesäuse die Karnische Krise, die vor rund 230 Millionen Jahren zu einem Massensterben führte.
Alexander Lukeneder steht breitbeinig auf einem Felsen abseits eines Schotterweges im steirischen Großreifling, den Hammer in der Hand, den Schweiß auf der Stirn. Er klopft in der prallen Sommersonne kleine Brocken aus dem Felsen. „Schau, eine Fischschuppe“, ruft er, als er einen ersten Blick auf einen der herausgeschlagenen Steine wirft. Bei jedem von ihnen könnte eine Überraschung warten, eine Spur des bunten Lebens, das einst hier herrschte. Wo die meisten anderen einen unbedeutenden Felsen am Wegesrand nicht mal wahrnehmen würden, sieht der Paläontologe Lukeneder ein Meer voller urzeitlicher Kreaturen, die einst hier geschwommen sind. „Man sieht der Stelle ihre Wichtigkeit nicht an“, sagt er.
Mehr Forschungsreisen
Aber: „Großreifling sehen und sterben“, das gelte zumindest für Paläontologen wie ihn, scherzt er. Die kleine, sonst eher nicht so spannende Ortschaft liegt im sogenannten Reiflinger Becken, das sich vom Gesäuse, in dem Großreifling liegt, bis nach Wien erstreckte. Wo Lukeneder jetzt klopft und hämmert, war einst – genauer: vor etwa 233 Millionen Jahren – der Meeresgrund.
Zwei Millionen Jahre Erdgeschichte in einem Felsen
Gleich hier, nur ein paar Meter weiter unten, hat Pater Engelbert Pranger vom Benediktinerstift Admont im Jahr 1843 Überreste eines Fischsauriers entdeckt. „Wir wissen aus einer überlieferten Zeichnung, dass der Schädel eineinhalb Meter lang war“, erzählt Lukeneder. Er ist beim Stiftsbrand 1865 verbrannt. Eine Zeichnung „ist für uns eigentlich eine Katastrophe“, sagt er – weil sie wenig Beweiskraft hat. Aber dass der Saurierschädel nicht nur eine Mär ist, beweisen einige Wirbel des Sauriers, die noch erhalten sind und im Vorjahr gescannt wurden.
Die Fossilien, die hier gefunden werden, erzählen eine Geschichte, die aktueller nicht klingen könnte; eine von Klimawandel und Massensterben. „Was wir hier sehen“, sagt Lukeneder und deutet auf die Stelle am Rande des Schotterweges, „sind zwei Millionen Jahre Erdgeschichte.“ Er musste sie erst freilegen lassen, denn normalerweise ist das Gestein überwuchert, die Freiwillige Feuerwehr Großreifling half ihm mit ihrem gewaltigen Wasserdruck.
Die Karnische Krise: Eine globale Klimakatastrophe
Er hat die Schichten mit Ziffern markiert, damit er die Proben später einer Ziffer zuweisen kann, die ein paar Millionen Jahre Erdgeschichte abbildet. „Ich kann das Gestein wie ein Buch lesen, aber ich mache das auch schon seit vierzig Jahren“. 200 Proben hat er allein hier schon gesammelt, „sie nennen mich den Probendealer“, sagt er. Er schickt sie an Kollegen in China, Italien oder Frankreich, die sie dann mit verschiedensten Verfahren analysieren.
Das herauszufinden hat bislang noch niemand versucht, „weil es nicht viele Wahnsinnige wie mich gibt.“
Sie alle wollen ein Drama entschlüsseln, das sich hier abgespielt hat: Die Karnische Krise. Sie begann vor 234 Millionen Jahren und dauerte zwei Millionen Jahre. Durch massive Vulkanausbrüche in Kanada und Nordamerika kam es zu einem gewaltigen CO2-Ausstoss in die Atmosphäre und damit zu einer Klimaerwärmung, die in den Meeren zu Todeszonen führte. Und Lukeneder will herausfinden, was da genau passiert ist. Auf den Gesteinsproben, die er hier genommen hat, gibt es hellere und dunklere Schichten; und niemand weiß so genau, warum. „Sind das Jahre, sind es zehn Jahre, sind es Sonnenzyklen?“ Das herauszufinden hat bislang noch niemand versucht, „weil es nicht viele Wahnsinnige wie mich gibt.“
Wann immer es möglich ist, geht er hinaus ins Feld, bei allen Wetterbedingungen. Auf der anderen Seite des Schotterweges hat er seine mobile Forschungsstation aufgebaut, konkret bedeutet das: ein roter Sonnenschirm, ein paar Hackstöcke, auf denen er sitzen kann, sowie Hämmer und Spitzhacken in verschiedensten Größen. Letztes Jahr, erzählt er, hat es ihn genau da runtergeschmissen, wo er gerade noch gehämmert hat. Er ist ausgerutscht, es hätte böse ausgehen können und der Rücken schmerzt immer noch. Natürlich lässt er sich davon nicht aufhalten.
„95 Prozent des Materials geht verloren. Man darf gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken.“
Alexander Lukeneder ist Vollblut- und Vollzeitpaläontologe. Vor seinem Haus in Niederösterreich, erzählt er, stapeln sich die Gesteinsproben, die er sammelt. Unter der Woche ist er Kurator im Naturhistorischen Museum in Wien, und das Programm für die meisten Wochenenden lautet: Vor dem Haus sitzen und „Steine klopfen“, wie er es gerne nennt. Seine Frau, ebenfalls Paläontologin, hilft genauso wie die beiden Kinder. Die Gesteinsproben bestehen aus vielen Schichten Erdgeschichte, wenn man auf die Probe hämmert, zerbricht der Stein und offenbart dieser Schichten. Welche Schicht beim Klopfen absplittert und vielleicht ein Fossil offenbart, ist weitgehend Zufall. Alle anderen Schichten bleiben unerforscht. „95 Prozent des Materials geht verloren“, sagt Lukeneder. „Man darf gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken.“
Welchen Weg er im Leben einschlagen wird, wusste er schon früh: „Als ich ein Bub war, gab es zwei Möglichkeiten: Fußballprofi oder Steine klopfen“. Sein Biologielehrer, der von seiner Leidenschaft für zweiteres wusste, verstärkte den Unterricht auf diesem Gebiet – zum Leidwesen der restlichen Klasse: „Das hat außer mir niemanden interessiert, aber ich war begeistert.“ So wurde er dreißig Jahre Hobbyfußballer und hauptberuflich Paläontologe. Obwohl ihm noch im Studium eingeredet wurde, dass er in dem Gebiet nie einen Job finden wird. „Aber mein Motto war immer: Wenn ich gut in etwas bin, ist das meine einzige Chance.“
Und jetzt, sagt er, „lebe ich meinen Traum.“ Er erzählt von früheren Projekten in den Dolomiten oder im Himalaya. Große Abenteuer waren das, wochenlang auf 5.000 Metern Seehöhe in Zelten zu schlafen, „da haben wir alles erlebt, bis hin zu abgestürzten brennenden LKWs“. Aber irgendwann habe er sich gedacht: „Warum muss ich immer anderswo forschen, wenn es auch hier genauso spannende Dinge gibt.“ 2019 fand er bei einer Grabung im oberösterreichischen Ebensee einen fossilen Zahn, der sich als erster Nachweis eines Pliosauriers in Österreich herausstellte – eine Flossenechse, deren größte Vertreter bis zu zehn Meter lang werden konnten.
Warum die Karnische Krise gerade „hot“ ist
Und nun ist er seit rund zwei Jahren im Reiflinger Becken tätig, „und das wird mich auch noch zehn, fünfzehn Jahre beschäftigen“. Als nächstes schwebt ihm ein Projekt zu Koprolithen – „also fossile Kacke“ – vor: „Da geht es darum, wer damals wen gefressen hat.“ Er hat zwanzig Zentimeter große Koprolithen gefunden, die vermutlich von Fischsauriern stammen. Am Ende des Projekts soll eine Nahrungspyramide des damaligen Meeres stehen.
Es kommt ihm zugute, dass die Karnische Krise derzeit gerade „hot“ ist, wie er erzählt. Wohl nicht zuletzt, weil wir auch derzeit eine Klimaerwärmung haben. Nicht dass ihm die egal ist; „ich bin um jeden Baum dankbar, der noch nicht stirbt und mir hier Schatten spendet“. Aber auch wenn er immer, vor allem von den Medien, danach gefragt wird: Wirkliche Lehren für unsere Zeit könne man aus dem damaligen Geschehen nicht ziehen. Die Klimakrise „kann ich nicht lösen. Ich kann nur sagen, dass es damals zwei Millionen Jahre gedauert hat.“ Und die möchte er analysieren. Stein für Stein und Schicht für Schicht.
Über diese Serie
Unter dem Titel „Forschungsreisen“ präsentieren wir spannende Forschungsprojekte aus ganz Österreich. Der Pragmaticus war bereits zu Gast beim „Austrian Space Weather Office“ in Graz, bei Markus Hengstschläger, der gerade an Embryoiden forscht, beim ISTA in Klosterneuburg, wo Francesco Locatello an kausaler KI forscht und im Naturhistorischen Museum, wo am Bestand der Blatthornkäfer geforscht wird sowie bei Elisabeth Mertl vom OFI, die daran forscht, wie Tierversuche in Zukunft vermieden werden können. Alle Forschungsreisen können Sie hier nachlesen.