Eine Schutzmaske hängt an einer Wand und wirft dunkle Schatten. Das Bild ist Teil eines Dossiers anlässlich des 5. Jahrestages der Corona-Pandemie in Österreich. In dem Dossier wird eine Bilanz gezogen, und insbesondere werden die Maßnahmen in Deutschland und Österreich mit jenen in Schweden verglichen. Autoren des Dossiers sind Anders Tegnell, der in Schweden für die Corona-Maßnahmen zuständig war, Martin Sprenger, ein Mediziner, der die Maßnahmen in Österreich kritisierte, Ulrike Zartler, eine Soziologin, die sich mit den Folgen der Schulschließungen für die Entwicklung von Jugendlichen auseinandergesetzt hat und Martin Halla, der die wirtschaftlichen Folgen untersucht hat. Franz Allerberger, der die AGES leitete, die in Österreich für das Monitoring von Viren, Bakterien und Keimen zuständig ist und ebenso für epidemiologische Schutzmaßnahmen sowie für Impfungen, erklärt, was aus seiner Sicht schief lief und was während der Covid-19-Pandemie gelang. Die Maskenpflicht und die diskutierte Impfpflicht spielen dabei eine Rolle.

Und beim nächsten Mal?

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Auf den Punkt gebracht

  • Zäsur. Für Gesellschaft und Wirtschaft gibt es ein vor und ein nach der Corona-Pandemie. Warum, erklären Soziologin Ulrike Zartler und Ökonom Martin Halla.
  • Bewertung I. Der Epidemiologe Anders Tegnell setzte auf Freiwilligkeit statt Zwang. War sein „schwedischer Weg“ richtig? Tegnell zieht Bilanz.
  • Bewertung II. In Österreich bestimmte Panik die Politik. Mediziner Martin Sprenger übt Kritik, Franz Allerberger, Maßnahmen-Leiter, Selbstkritik.
  • Prognosen. Pandemien werden häufiger, das steht fest. Doch welche Viren werden sie auslösen? Drei Experten mit einem Ausblick in unser pandemisches Zeitalter.

Als im März 2020 viele Länder Europas ihre Grenzen schlossen, war es schon zu spät. Ausgehend von Italien hatte sich SARS-CoV-2 ausgebreitet. Das Virus war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aufzuhalten. Erst im Juli 2023 konnte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Pandemie für beendet erklären.

Vertrauenskrise Corona-Pandemie

Die weltweite Bilanz: mindestens sieben Millionen Tote, viele Milliarden Dollar Kosten, Millionen Arbeitslose, eine globale Wirtschaftskrise und unzählige verpasste Schulstunden. Ganze Generationen hat die Pandemie geprägt – in Form von Long Covid, verpassten Bildungschancen, dauerhafter Armut, in die Brüche gegangenen sozialen Beziehungen und psychischen Erkrankungen. Viele der Maßnahmen der Regierungen trieben einen Keil in die Gesellschaft.

Die Zäsur

Dabei war die Welt 2020, anders als bei vorherigen Pandemien, gut aufgestellt. Innerhalb kürzester Zeit wurden dank moderner molekularbiologischer Forschung Impfstoffe gefunden; Ausbreitung und Mutationen des Virus waren so gut wie live in Online-Datenbanken zu verfolgen.

Warum war die Wirkung dennoch so zerstörerisch? Hätte die Politik anders reagieren sollen? Haben wir für künftige globale Gesundheitskrisen wenigstens etwas gelernt? Das sind die großen Fragen dieses Dossiers, die wir mit namhaften Experten beantworten.

Die gesellschaftlichen und politischen Folgen der Pandemie waren nicht überall gleich: Österreich hatte besonders hart reagiert, Ausgangsbeschränkungen, Maskenpflicht und Lockdowns eingeführt und auf Massentests gesetzt. Ziel war die Entlastung des Gesundheitssystems, schon bald gab es Kritik an der „Corona-Diktatur“. In der Schweiz und in Schweden waren die Maßnahmen nicht so rigoros, die gesellschaftlichen Konflikte fielen weniger dramatisch aus.

Bewertung I

Bewertung II

Anders Tegnell, als Chefepidemiologe Schwedens für die Pandemie-Maßnahmen zuständig, hat über diese Zeit ein Buch geschrieben, aus dem wir Auszüge veröffentlichen. Schnelles Handeln sei wichtig gewesen, sagt er rückblickend, doch keinesfalls dürften Maßnahmen zur Eindämmung von Infektionen das Vertrauen der Bevölkerung beschädigen. In Schweden gab es weder Lockdowns noch komplette Schulschließungen – und insgesamt dennoch eine geringere Covid-Übersterblichkeit als in Österreich.

Franz Allerberger, damals Bereichsleiter der Gesundheitsagentur AGES, spricht rückblickend von Panikmache durch die Politik. Auf die Ratschläge der Taskforce habe die Regierung oft nicht gehört.Virologen und Epidemiologen standen plötzlich im Rampenlicht, der Zorn der Bevölkerung über Maßnahmen, die als Freiheitsberaubung wahrgenommen wurden, richtete sich vielfach gegen sie. Die Einschränkung von Grundrechten blieb von Seiten der Politik wohl zu oft unkommentiert.

Bewertung III

Florian Krammer sagt im Podcast, er habe zu Beginn der Pandemie Panik verspürt: Es war ungewiss, wie gefährlich das neue Virus tatsächlich ist. Krammer ist kein Laie, sondern einer der führenden Wissenschaftler, wenn es um Pandemien geht. Er gehört zu jenen, die als erstes die Gensequenzen neuer Erreger sehen. Die nächste Pandemie kommt sicher, sagt er. Vorbereitet ist die Welt nicht.

Die Spaltung

Während Kinder und Jugendliche besonders unter den Einschränkungen litten, wie die Soziologin Ulrike Zartler in einer Studie feststellte, wurde das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien und die Wissenschaft völlig verspielt, kritisiert der Mediziner Martin Sprenger.

Ausgebremst mitten in der Entwicklung: Für junge Menschen sei die Corona-Pandemie nicht vorbei, sagt Zartler. Die Konflikte wirken nach, und zwar überall. Das bestätigt auch unsere Umfrage: Fast 80 Prozent der österreichischen Befragten halten die Gesellschaft für dauerhaft gespalten.

Geschlossene Schulen, Fabriken, Parks, Theater, Museen, Wirtshäuser, die Impfdiskussion, die Ausgangssperren, die Maskenpflicht: Hat das alles wenigstens genützt? Leider nein, meint der Ökonom Martin Halla: Je strenger die Maßnahmen, desto geringer war das Wirtschaftswachstum. Auf die Zahl der Toten hatte die Rigorosität der Corona-Maßnahmen jedoch keine Auswirkung, zeigt seine Analyse.

Die Zukunft

Und was passiert, wenn die nächste Pandemie kommt? Das hängt von der Art des Virus ab. Für die Virologen Florian Krammer (s. auch den Podcast) und Richard Neher sowie den Wissenschaftsjournalisten David Quammen steht fest, dass wir in ein neues Zeitalter eingetreten sind, das der Pandemien.

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