Österreichs Pensionssystem: Teure Ideologie
Das Pensionssystem soll Altersarmut verhindern und finanzierbar bleiben. Für Umverteilungsaktionen taugt es nicht.

Diskussionen mit meinen Söhnen über das Aufräumen ihres Zimmers sind ungefähr so sachlich wie die Auskünfte von Politikern über das Pensionssystem. „Eigentlich ist alles in Ordnung, und es gibt noch keinen Handlungsbedarf“, heißt es meist. Leider stimmt das nicht. Um eine produktive Debatte führen zu können, wäre es wichtig, sich zunächst über die grundlegenden Fakten zu verständigen.
Der Zustand des Pensionssystems ist nicht so einfach zu beurteilen wie die Lage im Kinderzimmer. Deshalb gibt es in Österreich die Alterssicherungskommission. Sie soll die langfristige Finanzierbarkeit der Systeme bewerten. Es ist gut, dass unabhängige Experten Entscheidungsgrundlagen für die Politik erarbeiten.
Diese Alterssicherungskommission ist jedoch eine typisch österreichische Konstruktion. Die stimmberechtigten Mitglieder kommen aus den Reihen der Sozialpartner und der Ministerien. Experten aus der Verwaltung und der Forschung werden als nicht stimmberechtigte Mitglieder geduldet. Der politische Wunsch nach ungeschminkten Fakten scheint wenig ausgeprägt zu sein.
Trotz zahlreicher Maßnahmen gehen die Österreicher vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter in Rente.
Jedem gelernten Österreicher war von vornherein klar, dass man in diese Kommission keine allzu hohen Erwartungen setzen durfte. Die tatsächliche Performance hat aber wohl selbst Zyniker überrascht. Im Jahr 2017 konnte die Kommission keine einzige ihrer gesetzlichen Aufgaben erfüllen. Schuld daran war die Politik. Sie hatte es nicht geschafft, einen Vorsitzenden zu ernennen. Das änderte sich erst 2019. Doch nach nur zwei Jahren warf der Vorsitzende Walter Pöltner bereits das Handtuch. Er begründete seinen Schritt damit, dass die Politik die langfristige Sicherung der Pensionen nicht ernst genug nehme.
Rechnungshof zerpflückt Expertenbericht
Bis zur nächsten Deadline im Jahr 2021 konnte die Kommission einen Teil ihrer Aufgaben erfüllen. Das Kernstück – der Bericht über die langfristige Entwicklung der gesetzlichen Pensionsversicherung – ist seither verfügbar. Der Rechnungshof kam zu dem Schluss, dass der Bericht Kriterien zur Beurteilung der Nachhaltigkeit verwendet, „die veraltet und analytisch nicht exakt nachvollziehbar sind“. Doch bei aller Kritik ist festzuhalten, dass die Kommission einen Sockel an Fakten zusammenstellte, auf den sich wohl alle Diskutanten einigen können: Die Menschen werden immer älter; es gibt immer weniger Erwerbstätige, die mit ihren Beiträgen die Pensionen finanzieren; und trotz zahlreicher Maßnahmen gehen die Österreicher vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter in Rente.
Die Entwicklung im Zeitverlauf ist spannend: In den 1970er-Jahren waren rund 55 Prozent der Männer zwischen 60 und 65 Jahren erwerbstätig. Im Laufe der Zeit sank die Erwerbsquote und erreichte Ende der 1990er-Jahre einen Tiefstand von rund 20 Prozent. Seitdem steigt die Quote aufgrund von Pensionsreformen wieder an und erreichte 2015 wieder das Niveau der 1970er-Jahre. Diese U-förmige Entwicklung ist bemerkenswert, da im gleichen Zeitraum die Lebenserwartung deutlich stieg. Zwischen 1978 und 2019 erhöhte sich die verbleibende Lebenserwartung eines 65-jährigen Mannes von 12,5 auf 18,3 Jahre. Bei den Frauen zeigt sich ein ähnliches Bild auf unterschiedlichem Niveau.
Geburtenrate stagniert
Hinzu kommt die ungünstige demografische Entwicklung: Seit den 1980er-Jahren stagnieren die Geburtenraten auf einem niedrigen Niveau. Laut OECD-Prognosen wird sich die Altersabhängigkeitsquote in den nächsten Jahrzehnten noch verschlechtern. Als Folge dieser Entwicklungen öffnete sich die Schere zwischen Ein- und Auszahlungen in das Pensionssystem. Es müssen immer höhere Budgetmittel verwendet werden. Zuletzt verschlang der Zuschuss zur Pensionsversicherung rund ein Viertel des Budgets.
Ein wackeliges Pensionssystem benachteiligt alle, die heute jung sind.
Ist unser Pensionssystem noch sicher? Die linke Reichshälfte gibt sich tiefenentspannt. Das Pensionsloch sei ein Mythos und das System langfristig stabil. Die Gewerkschaft und ihr nahestehende Experten bedienen sich einer kreativen Rechenmethode, die sie im Bericht der Alterssicherungskommission gefunden (oder urgiert?) haben. Dividiert man die Zuschüsse aus dem Budget nicht durch die Budgetsumme, sondern durch das BIP, dann sieht das Pensionsloch plötzlich ganz klein aus. Es ist arithmetisch korrekt, dass man durch die Division mit einer viel größeren Zahl ein kleineres Ergebnis erhält. Leider wird das Pensionssystem auch in Zukunft aus dem Budget – und nicht aus dem BIP – bezuschusst. Aber es lohnt sich nicht, diesen Rechentrick ernsthaft zu diskutieren, denn in Wahrheit geht es um etwas anderes.
Das AK-nahe Momentum Institut schreibt unverblümt, es sei „durchaus sinnvoll, einen gewissen Anteil des Pensionssystems über Budgetmittel zu finanzieren“. Man schätzt die „progressive Komponente“, die die Bundesmittel in das Pensionssystem bringen. Heißt auf Deutsch: Durch Budgetzuschüsse kann in der Sozialversicherung noch ein wenig mehr umverteilt werden.
Die neue Vorsitzende der Alterssicherungskommission, Christine Mayrhuber, lehnt eine Anhebung des Pensionsantrittsalters aus den gleichen Gründen ab. Einige Länder wie etwa Schweden haben das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt. Dieser Automatismus trägt zur Finanzierbarkeit des Systems bei, weil man sich nicht darauf verlassen muss, dass die Politik den Mut zu unbeliebten Pensionsreformen hat. Frau Mayrhuber hält diese Regelung für „nicht durchdacht“, da es sozioökonomische Unterschiede in der Lebenserwartung gebe.
Erstaunliche Einschätzung des Pensionssystems
Eine erstaunliche Einschätzung der Expertin. Schließlich ist es die inhärente Aufgabe einer Pensionsversicherung, von denen, die kürzer leben, zu denen, die länger leben, umzuverteilen. Man käme in der Arbeitslosenversicherung ja auch nicht auf die Idee, dass besser Ausgebildete weniger zahlen sollen, weil sie seltener arbeitslos werden.
Es ist gut und richtig, dass der Sozialstaat an vielen Stellen von „oben“ nach „unten“ umverteilt. Es ist aber bedenklich, wenn in der Pensionsdebatte ideologische Aspekte schwerer wiegen als die Prämisse der Finanzierbarkeit. Ein wackeliges Pensionssystem benachteiligt alle, die heute jung sind. Und das ist nun wirklich auch nicht fair.