Der Anerkennung Palästinas fehlt die Grundlage

Das anhaltende Leid im Gazastreifen hat eine Reihe von Staaten veranlasst, Palästina anzuerkennen. Das Grundproblem bleibt aber unverändert: Palästina hat keine souveräne Regierung und damit fehlt ein Wesensmerkmal von Staatlichkeit.

Hunderte von Demonstranten, die palästinensische Fahnen und Transparente tragen, versammeln sich am 27. Mai 2024 in New York, USA. Das Bild illustriert einen Artikel über die Anerkennung Palästinas.
Die Anerkennung Palästinas als Staat durch Norwegen ist heute in Kraft getreten. Spanien und Irland wollen ebenfalls noch am Dienstag einen Palästinenserstaat anerkennen. © Getty Images

Eine Entscheidung, die nicht die Hamas, sondern Frieden unterstützen soll: Mit dem 28. Mai erkennen Spanien, Irland und Norwegen Palästina als Staat an. Insgesamt haben das seit der ersten palästinensischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1988 damit 146 der insgesamt 193 UN-Mitglieder getan. Faktisch ändert sich dadurch allerdings nur wenig.

Staatlichkeit braucht mehr als Anerkennung. Entscheidend ist ihre faktische Existenz, also das Vorliegen der (zumindest unter Juristen) allseits bekannten „drei Elemente“, die gemeinhin mit dem deutschen Staatsrechtslehrer Georg Jellinek assoziiert werden: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt.

Gebiete der Palästinenser

Palästina erfüllt nur die ersten beiden Kriterien. Sein Gebiet ist – zumindest im Kern – einigermaßen klar umrissen, zentral ist die auf das Jahr 1949 zurückgehende Waffenstillstandslinie, die nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg (die Palästinenser sprechen wiederum von der „Nakba“, also der „Katastrophe“ beziehungsweise dem „Unglück“) gezogen wurde. Dass zwischen Israel und Palästina keine Einigkeit darüber besteht, wo genau das Gebiet der einen anfängt und das der anderen aufhört, ist dabei unerheblich. Was zählt, ist ein Kerngebiet. Israel selbst und die vielen anderen Länder mit offenen Grenzfragen (selbst Österreich ist sich mit der Schweiz und Deutschland darüber uneins, wem welche Teile des Bodensees gehören) verlieren deswegen nicht ihre Staatlichkeit.

Palästinensische Identität

Ebenso gibt es ein palästinensisches Volk. Aus Sicht des Selbstbestimmungsrechts reicht es aus, dass eine ausreichende Anzahl von Menschen sich zusammengehörig fühlt und historisch ein bestimmtes Gebiet für sich beansprucht. Allfällige Exkurse zur geschichtlichen Genese der Palästinenser oder gar Versuche, sie letztlich als Jordanier oder schlichtweg Araber „wie alle anderen“ darzustellen, sind dabei irrelevant.

Die Büchse der Pandora, ab wann ein Volk ein Volk oder eine Nation eine Nation ist, macht das internationale Recht nicht weiter auf als unbedingt notwendig – also um absurde Beanspruchungen der Selbstbestimmung zurückzuweisen. Widrigenfalls könnte man das Zusammengehörigkeitsgefühl in so einigen Ländern hinterfragen, von Nigeria (wo es über 250 ethnische Gruppen gibt) über Spanien (wo die Verfassung von „Nationalitäten“ spricht) bis hin zu Bosnien und Herzegowina (wo Kroaten, Serben und bosnische Muslime gleichermaßen politisch vertreten sein müssen).

Davon abgesehen: Auch wenn die ehemalige israelische Premierministerin Golda Meir noch 1969 bekanntermaßen anderes behauptet hatte, kann, ja muss man von einer palästinensischen (Kollektiv-)Identität sprechen, die obendrein auch und gerade durch die israelische Besetzung und den Krieg mit Israel geschaffen wurde. Nichts eint so sehr wie ein gemeinsamer Feind.

Gretchenfrage Souveränität

Das Hauptproblem Palästinas ist also ein anderes: Es fehlt eine nach innen – also gegenüber der eigenen Bevölkerung – und außen – also gegenüber anderen Staaten – souveräne Regierung beziehungsweise Zentralgewalt. Dies umso weniger, als die Palästinensergebiete auch untereinander aufgeteilt sind: Im Gazastreifen hatte die Hamas bis zum Beginn des gegenwärtigen Krieges die alleinige Herrschaft, in der Westbank ist sie wiederum zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel geteilt. Hinzu kommt, dass Israel rein rechtlich in beiden – wenn auch in unterschiedlicher Form – als Besatzungsmacht gilt.

Anerkennung Palästinas als diplomatische Aufwertung

Die Anerkennung Palästinas hat daher primär symbolisch-politischen Charakter. Darüber hinaus soll sie Bewegung in einen schon lange stockenden Prozess bringen. Die UNO-Generalversammlung erachtete die PLO bereits 1974 als Vertretung des palästinensischen Volkes, 20 Jahre später wurde im Zuge der Osloer Gespräche die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) geschaffen, 2012 folgte die Aufwertung zu einem „Beobachterstaat ohne Mitgliedschaft“ (der durch die PA vertreten wird).

Ein Staat ohne Handlungsfähigkeit ist letztlich eine Hülle. Die Palästinenser selbst wissen das am besten.

Kurz darauf hat die PA beziehungsweise Palästina durch den Beitritt zu zahlreichen Verträgen seine diplomatische Aufwertung weiter vorangetrieben: Darunter sind bedeutsame Verträge wie die Völkermordkonvention, die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle, das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, die beiden UNO-Menschenrechtspakte und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Letzteres ist die Grundlage für die derzeit laufenden Untersuchungen zum Gazakrieg bzw. allgemein der Lage in den Palästinensergebieten und die jüngsten Anträge auf Haftbefehle für drei Hamas-Anführer, Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant.

Wie eine Vorverfahrenskammer bereits im Februar 2021 festgestellt hat, sind die Staatlichkeit Palästinas und seine genauen Grenzen hierbei nicht entscheidend. Es reicht, dass es Vertragspartei ist und Verbrechen auf seinem Gebiet oder durch seine Staatsangehörigen begangen wurden.

Alle diese diplomatischen Bemühungen – und hierzu gehört auch die Anerkennung durch mittlerweile rund drei Viertel aller UN-Mitglieder – können die fehlende Souveränität Palästinas jedoch nicht wettmachen. Anerkennung ist eine Art „Gütesiegel“ für Staatlichkeit, kein konstitutives Element beziehungsweise keine zwingende Voraussetzung. Ein Staat ohne Handlungsfähigkeit ist letztlich eine Hülle. Die Palästinenser selbst wissen das am besten.

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