Protektionismus: Womit Trump recht hat
Donald Trumps Zollpolitik ist konfus und nicht zu Ende gedacht. Aber in einem Punkt hat der Präsident recht: Viele Länder schränken den Handel stärker ein als die USA – und dies oft mit ganz anderen Mitteln als Zöllen.

Auf den Punkt gebracht
- Protektionismus: Zölle sind nicht die größten Handelsbarrieren; nichttarifäre Hemmnisse wie technische Normen oder Quoten schränken den Warenaustausch oft stärker ein.
- Freihandel: Der weltweite Durchschnittszollsatz sank von 1996 bis 2021 von 6,8 auf 2,5 Prozent, ein Rückgang um fast zwei Drittel.
- Defizit: Die USA importieren aufgrund hoher Nachfrage und niedriger Sparquote mehr, als sie exportieren, was Zölle allein nicht lösen können.
- Regulierung: In der EU unterliegen 80 Prozent der Exportprodukte im Schnitt sieben nichttarifären Handelsbarrieren, ähnlich wie in China.
Der US-Präsident hatte einen neuen inoffiziellen Feiertag kreiert, den „Liberation Day“ am 2. April. An diesem Tag stand er im Rosengarten des Weißen Hauses, um die Wiedererlangung der „ökonomischen Unabhängigkeit“ seines Landes zu verkünden. Wie das geht? Mit sehr hohen Zöllen auf Importe aus dem Rest der Welt.
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Seither wurden die Pläne, wie das bei Donald Trump eben so ist, mehrfach geändert. Aber Zölle bleiben ein Lieblingsthema des US-Präsidenten. Seiner Meinung nach können sie gar nicht hoch genug sein. Nur so werde Amerika sein Handelsdefizit abbauen, glaubt Trump.
Defizit kein Alarmsignal
Doch fast alle Ökonomen halten diesen Weg für falsch. Zölle behindern den Handel und werden deshalb der gesamten Weltwirtschaft Schaden zufügen, lautet der (berechtigte) Einwand. Aber es lohnt sich dennoch, einen Blick hinter die Argumentation des schwierigen Herrschers im Weißen Haus zu werfen. Denn in einem Punkt hat Donald Trump durchaus recht: Andere Länder schränken den freien Warenaustausch ebenfalls ein – und zwar oft mit anderen Mitteln als mit Zöllen, nämlich mit den sogenannten „nichttarifären Hemmnissen“.
Aber bleiben wir zunächst beim Handelsbilanzdefizit, das Donald Trump dermaßen stört: Jenes der USA ist tatsächlich hoch – jedenfalls dann, wenn man den Handel mit Dienstleistungen außer Acht lässt. Der Grund sind tiefer liegende ökonomische Muster: Ein Land mit einer hohen inländischen Nachfrage und niedriger Sparquote wie die USA wird tendenziell mehr importieren als exportieren. Der Versuch, über Zölle Handelsdefizite zu beseitigen, ignoriert diese Zusammenhänge und birgt die Gefahr, bestehende wirtschaftliche Verflechtungen zu beschädigen.
Die neuen Hürden
Trotz ihrer Prominenz in der politischen Debatte und Donald Trumps Vorliebe für sie haben Zölle in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Bedeutung verloren. Handelsliberalisierung, institutionell gestützt durch das Freihandelsabkommen GATT, aus dem letztlich die Welthandelsorganisation (WTO) samt Regelwerk hervorgegangen ist, regionale Freihandelsabkommen und Zollunionen wie die EU haben dafür gesorgt, dass Zölle systematisch abgebaut wurden.
Laut WTO ist der durchschnittliche Zollsatz weltweit allein zwischen 1996 und 2021 um fast zwei Drittel gesunken.
Laut WTO ist der durchschnittliche Zollsatz weltweit allein zwischen 1996 und 2021 von 6,8 auf 2,5 Prozent gefallen, ein Rückgang um fast zwei Drittel. Besonders deutlich wurde dieser Abbau bei Industriegütern, während im Agrarsektor nach wie vor höhere Zollsätze bei gleichzeitig höheren staatlichen Förderungen in allen großen Volkswirtschaften üblich sind. Parallel zur Zollsenkung gewannen nichttarifäre Handelshemmnisse – teilweise gezielt zur Unterstützung der eigenen Produzenten – an Bedeutung. Dazu zählen Import- und Exportquoten, technische Normen, Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards, Subventionen, die national eingeschränkte Vergabe von öffentlichen Großaufträgen oder die Wechselkurspolitik.
Solche Maßnahmen sind oftmals nicht direkt über Länder hinweg vergleichbar, und es ist schwieriger festzustellen als bei Zöllen, ob sie tatsächlich Handelshemmnisse darstellen. Viele nichttarifäre Maßnahmen hängen von regulatorischen und kulturellen Unterschieden zwischen Handelspartnern ab.
Nicht alles in einen Topf
Gleichzeitig ist nicht jede nichttarifäre Maßnahme zwangsläufig diskriminierend. Technische Standards gelten auch für inländische Produzenten und spiegeln gesellschaftliche Präferenzen wider; die vielen EU-Regeln etwa betreffen Tesla genauso wie BMW.
Auch innerhalb der EU haben nichttarifäre Handelshemmnisse den Binnenmarkt immer wieder ausgehöhlt. Die bekannteste Episode ist wohl der „Cassis-de-Dijon-Fall“ aus dem Jahr 1979. In diesem Fall ging es vor dem Europäische Gerichtshof um die Frage, ob Deutschland einen französischen Likör namens „Cassis de Dijon“ verbieten durfte, weil er nicht stark genug ist, um als Likör durchzugehen.
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass ein Produkt, das in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt wird, grundsätzlich auch in allen anderen Mitgliedstaaten verkauft werden darf. Dieses Urteil stärkte den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, wonach nationale Vorschriften nur dann den grenzüberschreitenden Handel im Binnenmarkt beschränken dürfen, wenn sie zwingenden Erfordernissen wie beispielsweise dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen.
Die größten Barrieren
Um das Ausmaß nichttarifärer Maßnahmen vergleichbar zu machen, erfasst beispielsweise die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) entsprechende Daten. Die UNCTAD unterscheidet sechs Hauptkategorien:
- Sanitäre und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, z. B. das berüchtigte Chlorhuhn oder Verbote von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, Glyphosat oder Hormonfleisch.
Technische Handelshemmnisse, z. B. verpflichtende Herkunftsbezeichnungen oder Energieverbrauchsnachweise, Standards für Stecker und Spannung von Elektrogeräten. - Vorversandkontrollen, z. B. die Inspektion lebender Tiere beim Zoll.
- Mengenbezogene Beschränkungen, z. B. die EU-Obergrenze für hormonfreies Rindfleisch aus den USA von 45.000 Tonnen.
- Preiskontrollen – z. B. setzt Indien gern auf Preisuntergrenzen von Stahl bis Äpfel, die EU hatte etwa eine Preisgrenze für Tomatenmark.
- Exportbezogene Maßnahmen: Diese betreffen Exporteure und beschränken etwa strategisch wichtige Produkte – z. B. das US-Verbot, neueste Computerchips nach China zu liefern, oder Verbote, Antiquitäten auszuführen.
Um zu vergleichen, wie stark ein Land mit solchen Maßnahmen den Handel einschränkt, schaut sich die UN-Behörde drei Bereiche an: den Häufigkeitsindex (Anteil betroffener Produkte), die Abdeckungsquote (Anteil am Volumen, das von Einschränkungen betroffen ist) und den Prävalenzscore (durchschnittliche Anzahl an Maßnahmen pro Produkt).
Große Unterschiede beim Protektionismus
Ein Vergleich der fünf größten Volkswirtschaften der Welt – USA, China, EU, Japan und Indien – zeigt ein differenziertes Bild. Indien weist die geringste Abdeckungsquote auf, gefolgt von Japan. Die USA bewegen sich hier im Mittelfeld. Die EU und China setzten die meisten Maßnahmen ein, die den Warenhandel beschränken. Anders ausgedrückt: Acht von zehn Produkten, die nach China oder in die EU exportiert werden, unterliegen im Schnitt sechs bzw. sieben verschiedenen Handelsbarrieren – zusätzlich zu Zöllen.
Auffällig ist die starke Konzentration nichttarifärer Maßnahmen im Agrarsektor, während Industrieprodukte seltener betroffen sind. Bei den einzelnen Kategorien dominieren in allen fünf Volkswirtschaften technische Handelshemmnisse und Maßnahmen für den Gesundheitsschutz. In den USA spielen Mengenbeschränkungen und Preiskontrollen eine gewisse Rolle. Die EU verzichtet auf Preiskontrollen, während die drei asiatischen Länder stark auf Exportkontrollen setzen. In den USA unterliegen 32 Prozent der Exporte gewissen Einschränkungen, in der EU sind es lediglich fünf Prozent.
Symbolik versus Realität
Nichttarifäre Handelshemmnisse sind ein weltweites Phänomen. Sie spiegeln nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche und politische Realitäten wider. In vielen Fällen sind sie nicht so sehr Ausdruck protektionistischer Absichten, sondern Ergebnis einer unterschiedlichen und historisch gewachsenen Regulierungskultur. Die vielen Vorschriften in der EU betreffen ja auch die eigenen Produzenten. Auch in Freihandelsabkommen wird das individuelle „right to regulate“ der beteiligten Handelspartner üblicherweise nicht angetastet, sondern eine freiwillige Koordinierung angestrebt. Es ist auch schwer denkbar, dass Donald Trump für die USA auf ein solches Recht verzichten würde.
Währung als Druckmittel
Die Daten der UNCTAD deuten darauf hin, dass Indien und Japan im Vergleich zu den USA weniger nichttarifäre Maßnahmen anwenden als China und die EU. Die Zölle für japanische Importe sind handelsgewichtet auch mit jenen der USA vergleichbar. Die amerikanische Argumentation für Zölle in Höhe von 24 Prozent gegenüber Japan steht auf Basis der verfügbaren Daten somit auf besonders wackeligen Beinen.
Und nicht zuletzt haben die Folgen der Zollpolitik der USA zu einer Abwertung des US-Dollars gegenüber den Währungen der meisten Handelspartner geführt – ein Effekt, der aus Sicht der betroffenen Länder in der Trump’schen Diktion durchaus als Wechselkursmanipulation gewertet werden könnte.
Donald Trump irrt also: Es geht nicht nur um Zölle. Bis zum nächsten „Liberation Day“ wird er das vielleicht verstanden haben.
Conclusio
Handelskrieg. Donald Trump wirft anderen Ländern vor, sie würden US-Importe erschweren. Er hat teilweise recht, wenn man bedenkt, dass die meisten Handelsbarrieren nicht aus Zöllen bestehen, sondern aus diversen Vorschriften.
Protektionisten. Vor allem Importe von Nahrungsmitteln werden durch nichttarifäre Handelshemmnisse erschwert. So schützen die großen Volkswirtschaften ihre Landwirte, die dafür keine freien globalen Absatzmärkte haben.
Holzweg. Sollten Trumps Zölle nicht nur ein kurzfristiges Druckmittel in Verhandlungen sein, sondern bestehen bleiben, um das Handelsdefizit zu mindern, dürfte er enttäuscht werden. Handelshemmnisse mindern den Wohlstand beider Seiten
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