Putin und Xi: Allianz der Autokraten

Nicht der Krieg in der Ukraine, sondern der Machtkampf zwischen den USA und China ist derzeit der wichtigste Konflikt auf der Weltbühne. Europa sollte dabei nicht bloß zuschauen.

Illustration eines chinesischen Drachen und eines russischen Bären in Anzügen, die mit einem Globus spielen.
Die Dragonbear-Allianz zwischen China und Russland fordert den Westen heraus. © Jens Bonnke
×

Auf den Punkt gebracht

  • Neue Allianzen. Mit dem Überfall auf die Ukraine stellte sich Russlands Präsident an die Seite Chinas.
  • Putin verstehen. Europa erkennt die Dimension dieses Dragonbear-Bündnisses bis heute nicht und glaubt, man könne sich aus vielen Spannungsfeldern raushalten.
  • Sloppy Joe. US-Präsident Biden ist im Bilde, wählt aber die falsche Strategie. Das hat ganz viel mit Angst zu tun.
  • Kein dritter Weltkrieg. So ernst die Lage in der Ukraine und auch in Taiwan ist: Mit einer globalen Eskalation ist nicht zu rechnen.

Europa blickt gebannt auf den Krieg in der Ukraine, Russland ist strategisch einen Schritt voraus. Lange vor dem Überfall auf die Ukraine hat Wladimir Putin verstanden, welcher Konflikt geopolitisch derzeit am wichtigsten ist: das Kräftemessen zwischen den USA und China. Schon lange vor Kriegsbeginn stellte sich der russische Präsident an die Seite von Chinas Machthaber Xi Jinping.

Mehr zum Thema

Allerdings beruht dieses Bündnis zwischen den zwei riesigen Ländern nicht auf gemeinsamen Werten und Normen. Es ist eine Zweckgemeinschaft, bei der die geoökonomischen und geopolitischen Interessen Vorrang haben. China ist heute Exportweltmeister, verfügt aber nicht über alle Kompetenzen, um seine Märkte zu schützen und auszuweiten.

Moskau übernimmt die Drecksarbeit

Moskau erledigt für Peking die Drecksarbeit, wie etwa die Eindämmung der Proteste in Kasachstan im Jänner 2022 zeigte. Die Russen sind aber auch für Diplomatie und Netzwerke zuständig, vor allem in Afrika, West-, Zentral- und Südasien sowie Lateinamerika. Sie könnten eines Tages zum globalen Söldner für chinesische geoökonomische Interessen werden. Zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik, wo China unter anderem Goldminen betreibt, hat Russland in Form der Söldnertruppe Wagner Sicherheitsdienste und -truppen vor Ort.

Im Gegenzug hilft China Russland dabei, seine Wirtschaft trotz der vom Westen verhängten Sanktionen am Le­ben zu erhalten und den Rubel zu stützen. Denn China bevorzugt ein stabiles Russland, um ein Sicherheitsvakuum im Norden seiner Grenzen zu vermeiden. Staatschef Xi Jinping und sein Vis-à-vis Wladimir Putin treiben dieselben Ängste um: vor dem Machtverlust, vor politischer Instabilität, vor einem Regimewechsel.

Beiden geht es um die Frage, wie sich das alles gemeinsam verhindern lässt. Wenn also Xi seinem Gegenüber Putin zu den hohen Zustimmungswerten in der russischen Bevölkerung gratuliert und Zuversicht für dessen Wiederwahl im März 2024 zeigt, dann dient das dem chinesischen Präsidenten auch als Selbstbestätigung.

Russland ist kein Juniorpartner

Für China stehen Rohstoffe beim eigenen Machterhalt an erster Stelle. Ist die Bevölkerung versorgt, wird sie die Führung nicht infrage stellen. Als größter Rohstoffimporteur der Welt muss das Reich imstande sein, den Nachschub an Nahrungsmitteln und Energie für die Zukunft zu sichern. Dabei ist man von Russland zwar nicht abhängig, betrachtet das Land aber als eine der zuverlässigsten Quellen. Putin hingegen braucht Chinas kontinuierliche Unterstützung, um wiedergewählt zu werden und wirtschaftliche sowie finanzielle Stabilität zu gewährleisten.

Ausflug mit Freunden: Xi Jinping mit Wladimir Putin besuchen den Moskauer Zoo im Juni 2019.
Ausflug mit Freunden: Xi Jinping mit Wladimir Putin besuchen den Moskauer Zoo im Juni 2019. © Getty Images

Es sind also unterschiedliche Inter­essen und Abhängigkeiten, die China und Russland verbinden. Diese asymmetrische Allianz bezeichne ich – nach den Symboltieren der beiden Länder – als Dragonbear. Wir im Westen haben den Drachenbären in den letzten zwei Jahrzehnten kleingeredet; schließlich waren China und Russland im Kalten Krieg noch rivalisierende Mächte. Auch jetzt unterschätzt Europa Russlands Rolle in dieser Partnerschaft. So laufen wir Gefahr, die Dimension dieses Modus Vivendi der strategischen Koordinierung falsch zu bewerten.

Für China stehen Rohstoffe beim eigenen Machterhalt an erster Stelle. Ist die Bevölkerung versorgt, wird sie die Führung nicht infrage stellen.

Natürlich ist es eine asymmetrische und temporäre Beziehung. Wie alle geopolitischen Bündnisse kann sich auch dieses eines Tages auflösen oder zu einer Gegnerschaft werden. Doch zumindest in den nächsten Jahren sind die Interessen von Russland und China so gepolt, dass sie stets einen gemeinsamen Weg finden werden, um ein glaubwürdiges Gegengewicht zur Supermacht USA herzustellen. Russland ist für China ein unentbehrlicher Partner geworden und vice versa.

Schluss mit dem Rosinenpicken

Europa reagiert auf diese wachsende Bedrohung unzureichend. Wir müssen endlich aufwachen und die Politik der Äquidistanz beenden. Es wird auf die Dauer nicht funktionieren, sich immer nur die Rosinen herauszupicken und einmal mit China, dann wieder mit den USA zu kooperieren. Europa steht an der Seite der Ukraine, die USA sind ihr Schlüsselpartner.

China und Russland werden zunehmend nationalistischer und mit den anderen drei BRICS-Ländern Brasilien, Indien und Südafrika eine eigene Einflusssphäre für Handel, Währungen und Rohstoffe beanspruchen. Deshalb braucht Europa alternative Netzwerke mit „Swing States“ in Asien, neben Indien etwa mit Indonesien und Vietnam. Doch auch die „Swing States“ werden eines Tages mit endgültigen Entscheidungen konfrontiert sein. Es wird künftig nicht mehr möglich sein, sich von Konflikten zu distanzieren und keine Position zu beziehen, wie das etwa der französische Präsident Emmanuel Macron im Taiwan-Konflikt jüngst versucht hat.

×

Zahlen & Fakten

Der Kalte Krieg 2.0 hat sich langsam über die letzten zehn Jahre entwickelt und wurde erst möglich, nachdem die USA ihren wirtschaftlichen und geopolitischen Macht-Peak überschritten hatten. Ab der Jahrtausendwende ging es für die Amerikaner geopolitisch bergab, das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich. Mit dem Rückzug aus Afghanistan haben sie jetzt praktisch keinen Zugang und keinen Einblick mehr in die zentralasiatische Region. Gleichzeitig haben sich der Iran und Saudi-Arabien unter chinesischer Vermittlung einander angenähert. Der US-Einfluss vom Nahen Osten bis nach Zentralasien schwindet, wodurch die Kontrolle über die maritimen und terrestrischen Lieferketten abnimmt.

Ein Weltkrieg wird das nicht

Und wie groß ist die Gefahr, dass aus dem kalten Krieg ein heißer wird? Ich denke, das Interesse der Schlüsselakteure – China, Russland und die USA – an einer direkten militärischen Konfrontation ist relativ gering, das Risiko für einen dritten Weltkrieg eher minimal. Denn Putin weiß: China und Indien werden sich abwenden, falls er in der Ukraine taktische Nuklearwaffen einsetzt. Auch die Antwort der USA auf eine solche Eskalation wäre aus russischer Sicht verheerend. 

Präsident Xi hat durch den Ukraine-Krieg erkannt, was es heißt, wenn wichtige Knotenpunkte wie das Schwarze Meer für Rohstoffe blockiert sind.

Aus Angst vor den unvorhergesehenen Konsequenzen wird es auch keine militärische Intervention Chinas in Taiwan geben. Die USA würden darauf ebenfalls in aller Schärfe reagieren. Präsident Xi hat durch den Ukraine-Krieg erkannt, was es heißt, wenn wichtige Knotenpunkte wie das Schwarze Meer für Rohstoffe blockiert sind. Die Straße von Taiwan und die Straße von Malakka sind für den weltweiten Handel noch viel bedeutsamer. Eine monatelange Blockade wäre für China so folgenschwer, dass sogar die politische Stabi­lität in Gefahr geraten könnte. Denn wie will man dann ein Land mit 1,5 Milliarden Einwohnern ernähren und mit Rohstoffen versorgen?

Taiwan soll stattdessen einen Tod durch tausend Nadelstiche sterben. Die chinesische Führung wird Regierung, Gesellschaft und Industrie allmählich und systematisch unterwandern. Und eines Morgens werden wir aufwachen und in den Nachrichten hören, dass Taiwan China beitreten möchte. 

Ein Angriff auf Taiwan ist nur vorstellbar, wenn sich Xi innenpolitisch sehr bedrängt sieht. Das ist derzeit unwahrscheinlich. Ein anderes Risiko bestünde darin, dass sich die Nachbarn Chinas zu einer neuen regionalen Alli­anz unter der sicherheitspolitischen Schirmherrschaft der USA im indopazifischen Raum zusammenschließen. Auch dafür gibt es im Moment keinerlei Anzeichen.

Biden hat Angst

Kann man den Dragonbear ausschalten, indem man China und Russland gegeneinander ausspielt? Nein, das wird kurz- bis mittelfristig nicht funktio­nie­ren. Die einzige Chance für die USA und den Westen insgesamt besteht darin, beide Länder so zu schwächen, dass sie gemeinsam nicht mehr stark genug sind. Es sei denn, wir unterstützen die Ukraine so massiv, dass sie den Krieg gewinnt und ihr Territorium von 1991 wiederherstellen kann (inklusive Krim).

Eine derartige Niederlage würde Russland stark destabilisieren und China wohl dazu verleiten, sich abzuwenden. Peking sieht sich selbst als Vermittler in diesem Krieg, aber China stellt sich an die Seite Moskaus. Vor Putins Angriff war China der größte Handelspartner der Ukraine gewesen. Schon jetzt bereitet man sich zugleich auf den Wiederaufbau des Landes nach dem Ende der Kampfhandlungen vor.

Schon jetzt bereitet sich China auf den Wiederaufbau des Landes nach dem Ende der Kampfhandlungen vor.

Die USA helfen der Ukraine bis dato immer nur so weit, dass diese dem Aggressor gerade noch standhalten kann. Warum gehen die USA nicht weiter? Der Grund liegt in der amerikanischen Angst vor der Auflösung der Russischen Föderation. Die USA wollen um jeden Preis verhindern, dass China sich Russland einverleibt. Joe Biden wollte auf europäischem Boden eigentlich nicht so stark involviert werden. Doch er musste eingreifen, um einen Zweifrontenkonflikt mit China und Russland abzuwehren. Viel wichtiger für den US-Präsidenten bleibt der Wettlauf gegen China im Indopazifik.

Falsche Zurückhaltung gegenüber Moskau

Die Amerikaner wollen also zuwarten, bis es zu Differenzen zwischen China und Russland kommt. Das könnte vielleicht passieren, wenn sich die Russen auch noch nach anderen Partnern umsehen, damit ihre Abhängigkeit von China nicht zu groß wird. Russland wird einen Pax Sinica in Eurasien nie tolerieren. Wie beim Kissinger-Szenario in den 1970er-Jahren könnten sich die USA dann aus der Position des Stärkeren mit den Russen einigen.

Die USA wollen Russland nur schwächen, aber nicht in die Knie zwingen.

Kurzfristig dürfen die Amerikaner die Russen also nicht gewinnen lassen. Das war auch der Grund, warum sich die USA vor dem Krieg nicht auf die Forderungen Putins einlassen konnten, die strategische Einflusssphäre Russlands anzuerkennen.

Falsche Strategie

Ich halte diese US-Strategie für falsch. Der Dragonbear stellt für die USA die akuteste und größte systemische Bedrohung dar. Ein endgültiger Sieg der Ukraine ist derzeit die einzige Möglichkeit für Joe Biden, das geopolitische Untier in die Schranken zu weisen. Stattdessen sagt er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schnell noch ein paar F-16-Kampfjets zu, bevor er sich ab Herbst ganz seiner Kampagne zur Wiederwahl als Präsident widmen wird.

Ist sich Selenskyj bewusst, dass er den ersten Stellvertreterkrieg zwischen den USA und China ausfechten muss? Ich denke schon. Jüngst bat er auch afrikanische und arabische Staaten um politische und finanzielle Unterstützung. Das zeigt, dass ihm klar ist, wohin die Reise geht: Die USA wollen Russland nur schwächen, aber nicht in die Knie zwingen. Russland hat es gleichzeitig erfolgreich geschafft, seine Narrative weltweit zu verbreiten und politisches Kapital aus geoökonomischen Abhängigkeiten zu schlagen.

×

Conclusio

Die Dragonbear-Allianz von China und Russland wird in Europa nach wie vor unterschätzt, beeinflusst aber die US-Strategie im Ukraine-Krieg maßgeblich: Joe Biden möchte Wladimir Putin gar nicht verlieren lassen, denn dann wäre dieser so geschwächt, dass sich China Russland einverleiben könnte. Die Gefahr eines dritten Weltkriegs ist aktuell aber klein. Das liegt daran, dass Russland Chinas und Indiens Unterstützung verlieren würde, sollte Putin zu Nuklearwaffen greifen. Auch ein chinesischer Großangriff auf Taiwan ist eher unwahrscheinlich – Xi Jinping würde damit Handelsrouten blockieren, die seine eigene Bevölkerung versorgen. Die Großmächte sind sich also einig: Eine kriegerische Eskalation hätte für alle mehr Nachteile. Der Westen muss also China und Russland individuell so schwächen, dass sie auseinanderbrechen.

Mehr zum Thema

Zum Newsletter anmelden

Magazin abonnieren

Fakten gibt’s jetzt im Abo.

10 Mal im Jahr unabhängige Expertise, bequem in Ihrem Briefkasten. Die großen Fragen unserer Zeit, beantwortet von führenden Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.

Jetzt abonnieren