Stagnation im Staatskapitalismus

Erst „gemeinsam reich werden“, dann (wieder) Weltmacht sein. Doch der neue Staatskapitalismus von Xi Jinping ist für China eine Fehlentscheidung, sagt die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik.

Nahezu vollständig automatisierte, intelligente Fertigung von Garnen in einer Spinnerei in Zaozhuang. Eine Arbeiterin kontrolliert die Spindeln und geht dabei mit einem Korb voller Ersatzspindeln durch den schmalen Gangen zwischen den Spindeln. Das Bild ist Teil eines Podcasts mit Susanne Weigelin-Schwiedrzik, in dem sie unter anderem über die Wiederbelebung des Staatskapitalismus durch Xi Jinping spricht. Die Wirtschaft Chinas wächst nicht mehr im selben Ausmaß wie noch vor einigen Jahren. Dies hat, so Weigelin-Schwiedrzik, auch mit der Zurückdrängung der Privatwirtschaft und dem Niedergang des informellen Sektors zu tun. Während die Exportzahlen weiterhin gut seien, schrumpften die Erlöse aus diesem Sektor.
Nahezu vollständig automatisierte, intelligente Fertigung von Garnen in einer Spinnerei in Zaozhuang. Automatisierung und Roboterisierung wurden durch den chinesischen Staat stark subventioniert und haben das Wirtschaftswachstum befördert. Nach einer Welle der Privatisierung zwischen 1995 und 2005 erlebt der Staatskapitalismus in China derzeit eine Renaissance, wobei auch die Privatwirtschaft eng mit der KPCh verbunden ist. Staatliche Gelder fließen vor allem in exportnahe und kapital- und forschungsintensive Sektoren. © Getty Images

Susanne Weigelin-Schwiedrzik hat Zweifel an der wirtschaftlichen Stärke Chinas: Schon seit 2010 kann der spezifische (Partei-) Staatskapitalismus, der durch Xi Jinpin, seit 2013 im Amt, wiederbelebt wurde, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht aus der Prekarität führen: Die soziale Ungleichheit ist nach wie vor groß, auch wenn sich eine gehobene Mittelklasse etablieren konnte. Die Schrumpfung der Privatwirtschaft und der Niedergang des informellen Sektors wiegen schwer, und die Exportgewinne sinken. Eine soziale Absicherung gibt es für die Mehrheit der Chinesen nicht.

Der Podcast über Chinas prekäre Wirtschaft

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Ich würde China nicht mehr als Wirtschaftswunderland bezeichnen.

Susanne Weigelin-Schwiedrzik über das Ende des chinesischen Wachstumsmodells

Die enge Verflechtung von Staat bzw. Partei und Ökonomie und die zentrale Steuerung der Wirtschaft war einmal ein Erfolgsmodell – insbesondere, was die Erschließung neuer Märkte und die Entwicklung von neuen Technologien betraf, ebenso wie die Investitionen in Forschung und Entwicklung.

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Zahlen & Fakten

Ein Kohletransport mit einem Lasten-Motorrad in Shenyang im Nordosten Chinas. Im Hintergrund ist ein Verkaufsladen zu sehen und eine Häuserzeile mit grauem Verputz. Einige Fahrradfahrer sind zu sehen. Das Bild ist Das Bild ist Teil eines Podcasts mit Susanne Weigelin-Schwiedrzik, in dem sie unter anderem über die Wiederbelebung des Staatskapitalismus durch Xi Jinping spricht. Die Wirtschaft Chinas wächst nicht mehr im selben Ausmaß wie noch vor einigen Jahren. Dies hat, so Weigelin-Schwiedrzik, auch mit der Zurückdrängung der Privatwirtschaft und dem Niedergang des informellen Sektors zu tun. Während die Exportzahlen weiterhin gut seien, schrumpften die Erlöse aus diesem Sektor.
In Shenyang im Nordosten Chinas 1995 – jenem Jahr, in dem das Zentralkomitee beschloss, dass China Weltmarktführer für Batterien werden solle. Shenyang gehört zur berüchtigten „rostigen Zone“, einem Gebiet mit hoher Luft- und Umweltverschmutzung aufgrund von Schwerindustrie und Kohlebergbau. Fossile Energie dominierte den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. 2025 ist China Weltmarktführer bei erneuerbaren Energien und hat erstmals – trotz Wirtschaftswachstum – einen rückläufigen Kohlendioxid-Ausstoß. © Getty Images

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Chinesische Solarpanele und Elektroautos findet man heute überall auf der Welt. Nicht nur China, sondern auch andere asiatische Länder seien wesentlich besser darin, strategisch zu planen, sagt Weigelin-Schwiedrzik: „Im Jahr 1995 hat die Führung in China eine strategische Entscheidung getroffen, nämlich sehr viel in die Entwicklung von Batterien zu investieren. Damals haben sie vielleicht noch gar nicht gewusst, dass diese Batterien eines Tages in Elektroautos sein würden. Aber Sie haben bemerkt, dass im Zuge der Umstellung auf erneuerbare Energien die Frage der Speicherung von Strom eine immer größere Rolle spielt und haben strategisch, auch was die Forschung betrifft, auf diesen Bereich gesetzt.

Übrigens in einer Situation, als gerade wir in Europa in den Universitäten anfingen, uns um diesen Bereich überhaupt nicht mehr zu kümmern. Wir waren überhaupt nicht interessiert. Und das muss man vielleicht auch mal sich sozusagen auf der Zunge zergehen lassen. Dass also eine Entscheidung aus dem Jahr 1995, im Jahr 2025 gewisser Weise die eigentlichen Früchte trägt. Eine sehr langfristige Entscheidung, und da muss man sagen, ist Asien wesentlich besser aufgestellt als Europa.“

Ein neuer Staatskapitalismus

Von der Idee, einen gesellschaftlichen und politischen Gegenentwurf zum kapitalistischen Westen zu bieten, hat sich China bereits in den späten 1970er Jahren verabschiedet. Beim Staatskapitalismus ist es jedoch geblieben, auch als ab etwa 1995 eine große Privatisierungskampagne begann. Profitiert haben von diesem parteinahen Staatskapitalismus vor allem der KPCh nahe stehende Unternehmer. Die Verflechtung von Staat und Wirtschaft ist eng.

Eine Frau sitzt mit einem Becher Kaffee unter einem großen Hut auf einer Bank. In einem Café „auf dem Land“ in der Nähe von Xiangyang (Hubei). Cafés wie dieses inmitten von Feldern sind beliebt. Mit dem gestiegenen Wohlstand einer meist urbanen Mittelschicht steigt die Sehnsucht nach dem „einfachen“ Landleben. Viele Bauern leben in China – trotz weit fortgeschrittenen Technologien wie etwa drohnenunterstützte Ernten in großer Armut. Das Bild ist Teil eines Podcasts mit Susanne Weigelin-Schwiedrzik, in dem sie unter anderem über die Wiederbelebung des Staatskapitalismus durch Xi Jinping spricht. Die Wirtschaft Chinas wächst nicht mehr im selben Ausmaß wie noch vor einigen Jahren. Dies hat, so Weigelin-Schwiedrzik, auch mit der Zurückdrängung der Privatwirtschaft und dem Niedergang des informellen Sektors zu tun. Während die Exportzahlen weiterhin gut seien, schrumpften die Erlöse aus diesem Sektor.
In einem Café „auf dem Land“ in der Nähe von Xiangyang (Hubei). Cafés wie dieses inmitten von Feldern sind beliebt. Mit dem gestiegenen Wohlstand einer meist urbanen Mittelschicht steigt die Sehnsucht nach dem „einfachen“ Landleben. Viele Bauern leben in China – trotz weit fortgeschrittenen Technologien wie etwa drohnenunterstützte Ernten – in großer Armut. © Getty Images

Von einem sozialistischen Gesellschaftsmodell hat sich China verabschiedet. Doch Weigelin-Schwiedrzik sieht zumindest bei Xi Jinping noch immer die Spuren marxistischer Gesellschaftstheorie wirken. Etwa in der Vorstellung, dass wirtschaftlicher Wohlstand die Voraussetzung für eine wirklich sozialistische Gesellschaft sei. Zum Wachstum ist bei Xi das Ziel weltpolitischer Größe hinzugekommen. Zum Staatskapitalismus sagt Weigelin-Schwiedrzik:

„Ja, aber man muss sehr vorsichtig sein, denn China ist ein Land mit einer hybriden Wirtschaft. Und diese hybride Wirtschaft hat über den Zeitraum von, sagen wir mal, Anfang der 80er Jahre bis etwa 2012 zugelassen, dass der Privatsektor immer weiter wächst und quasi zum Motor der chinesischen Wirtschaft wird.

Jetzt kommt aber der Marxismus ins Spiel. Denn als Xi Jinping 2012 zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei gewählt wurde, hat er ja den Marxismus der neuen Epoche verkündet und hat auch argumentiert, dass China jetzt bereits so weit entwickelt sei, so weit industrialisiert sei, dass man eigentlich ein Niveau erreicht hat, das mehr oder weniger dem Idealbild entspricht, das Marx ursprünglich mal für den Sozialismus entworfen hatte. Marx hatte sich ja vorgestellt, dass eine sozialistische Gesellschaft nur in jenen Ländern entstehen kann, die sehr weit industrialisiert sind und die einen hohen Reichtum aufweisen.

China ist aber ein sozialistisches Land, das über lange Zeit ein Agrarland war, mit sehr niedrigen Einkommen und einer großen Armut, also sehr weit von diesem Idealbild, das Marx entworfen hatte, entfernt. Und jetzt sagt Xi Jinping bis zu dem Zeitpunkt, als er die Macht übernommen hat, ist China reich geworden. Wir sind industrialisiert, wir sind hoch entwickelt. Und jetzt hat er eine neue Phase ausgerufen, die heißt wir müssen jetzt stark werden, wir müssen Weltmacht werden.

Und das bedeutet aber auch, dass wir dieses Bedürfnis nach einer Privatwirtschaft, die uns reich macht, gar nicht mehr in dem Sinne haben wie früher. Insofern muss man sagen, der Marxismus hat eigentlich, seitdem Xi Jinping die Macht übernommen hat, im Jahr 2012 eine immer größere Rolle gespielt. Und wenn man seine Texte liest, wenn man seine Reden hört, dann merkt man, dass dieser Bezug auf den Marxismus heute viel, viel wichtiger ist in China als zum Beispiel in den 1990er Jahren oder in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts.“

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Über Susanne Weigelin-Schwiedrzik

Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist Sinologin. Von ihrer Professur für Moderne Sinologie an der Universität Heidelberg (1989 bis 2002) wurde sie 2002 an die Universität Wien berufen, wo sie bis 2020 als Professorin am Institut für Ostasienwissenschaften tätig war. Seit 2012 ist sie korrespondierendes Mitglied in der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrer Forschung hat sie sich insbesondere mit der chinesischen Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischer chinesischen Diskursen über historische Ereignisse wie die große Chinesische Hungersnot und die Kulturrevolution auseinandergesetzt. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihr im Brandstätter Verlag das Buch „China und die Neuordnung der Welt“. Weigelin-Schwiedrzik schreibt als Autorin für den Pragmaticus.

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