Zwitschern wir uns frei!

Elon Musks zahlreiche Feinde werfen ihm vor, seinen Nachrichtendienst Twitter zu einer Schleuder von Verschwörungstheorien umzubauen. Doch es gibt Rezepte, die Qualität und Meinungsfreiheit sichern können. 

Foto einer Firmenlobby am Abend. Eine Person sitzt hinter einem grißen langen Empfangspult vor einer Leuchtwand mit einem blauen Vogel. Das Bild iillustriert einen Kommenatr von Katja Gentinetta zum Thema Tiwitter und Zensur.
Die Firmenzentrale von Twitter in San Francisco im Februar 2023. © Getty Images

Der russische Angriff auf die Ukraine jährt sich diesen Monat – und mit ihm alle entsetzlichen Grausamkeiten, die kaum in Worte zu fassen sind. Dennoch wurden – glaubt man Medienhistorikern – über keinen bisherigen Krieg derart viele Worte und Bilder übermittelt wie über diesen.

Die sozialen Medien machen jeden Beobachter, der eine Szene filmt und postet, zum Kriegsberichterstatter und jede Aktivistin, die sich zum Geschehen äußert oder zum Kampf aufruft, zu einem mittelbaren Teil des Kriegsgeschehens.

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Auch das Militär und die Politik, die Medien und die Hilfsorganisationen haben sich rasch auf die schnellen, unkomplizierten und umfassenden Kommunikationsmöglichkeiten eingestellt und davon profitiert. Bereits nach wenigen Wochen wurde der Krieg in der Ukraine denn auch als erster „Social-Media-Krieg“ bezeichnet. 

Dass dies nicht nur Möglichkeiten, sondern auch größte Schwierigkeiten mit sich bringt, war den meisten Beobachtern von Beginn an klar. News von Fake News zu unterscheiden und Information von Propaganda ist in jedem Krieg eine Herausforderung; in diesem Krieg stellt sie sich aufgrund der neuen Technologien auf einer noch viel tieferen Ebene und breiteren Front, und jede Fehlanalyse kann Menschenleben kosten.

Seit Brexit und Trump haben die neuen Medien ihren Einfluss noch einmal gesteigert. Auch deshalb dürfte der Kauf von Twitter durch Elon Musk schlimmste Befürchtungen ausgelöst haben. Dass sich der (inzwischen nur noch) zweitreichste Mann der Welt, über dessen Persönlichkeit wilde Geschichten kursieren, die bedeutende Kommunikationsplattform unter den Nagel riss, musste Anlass zu Spekulationen geben.

Seit Brexit und Trump haben die neuen Medien ihren Einfluss noch einmal gesteigert.

Die Plattform würde, so das Horrorszenario der Utopisten, zu einem einzigen Beschleuniger von Fake News und Verschwörungstheorien; das Ende der globalen Vernunft und Verständigung stünde unmittelbar bevor. Diese Befürchtung ist etwas scheinheilig, hatte man sich doch mit der Willkür der vorherigen Besitzer und ihren Algorithmen bereitwillig arrangiert. Verkümmerte Twitter tatsächlich zu einer Plattform der Verrückten, wäre es wenig mehr als eine Blase der Gleichgesinnten ohne nennenswerte Wirkung nach außen.

Hat sich Musk verspekuliert?

Musk werde, so die nüchterne Betrachtung jener, die sich jeweils auf Zahlen verlassen, sein Firmenimperium nicht halten können und eher früher als später den Stecker ziehen müssen. Er habe Twitter mit seinen 44 Milliarden US-Dollar hoffnungslos überbezahlt; die bisher tragenden Werbeeinnahmen seien angesichts einer globalen Rezession gefährdet und ohne persönliche Daten, die von den Nutzern inzwischen mit einem Klick unterbunden werden können, auch wirkungslos. Diese Prognose ist, mit Verlaub, etwas arrogant, führt man sich die bisherigen Erfolge des Seriengründers Musk vor Augen. 

Beide Szenarien lassen indes einen entscheidenden Akteur außer Acht: die User selbst. Denn auch unabhängig davon, was Musk mit Twitter anstellen will oder kann, hängt die Entwicklung der Plattform nicht allein von ihm ab, sondern auch von jenen, die den Dienst benutzen. Und hier ist es angesagt, über Musk hinauszudenken. 

Die Entwicklung von Twitter hängt von jenen ab, die den Dienst nutzen.

Erstens werden viele der bisherigen Nutzerinnen und Nutzer – Individuen ebenso wie Unternehmen und Organisationen – auf diese Form der Kommunikation nicht einfach verzichten wollen. Die Möglichkeiten der Übermittlung von Botschaften, seien es Informationen, Verlautbarungen oder Meinungen, sind zu vielfältig, die Reichweite ist unübertroffen; und ein vergleichbarer Dienst ist trotz einiger alternativer Angebote derzeit nicht in Sicht.

Dieses Interesse beinhaltet, zweitens, die Aussicht darauf, dass die Bereitschaft besteht, für den Dienst zu zahlen. Dass Musk dafür in einer ersten Umfrage keine Zustimmung fand, erstaunt nicht. Man hat sich an Gratisdienste gewöhnt – und erst recht daran, überall mitreden zu können, ohne damit finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Entscheidender ist, was passiert, wenn Twitter wirklich gebührenpflichtig werden sollte. Immerhin haben die Qualitätsmedien bewiesen: Ihre Paywalls haben sich, allen Unkenrufen zum Trotz, großteils bewährt. 

Der Balance-Akt der EU

Und, drittens, vermochte gerade die EU zu zeigen, dass sie nicht nur fest entschlossen, sondern auch fähig ist, die Plattformen in Schranken zu weisen und sie zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger einer gewissen öffentlichen Kontrolle zu unterstellen. Mit der Datenschutzgrundverordnung schränkte sie den Zugriff auf persönliche Daten ein; der „Digital Markets Act“ wird den Online-Handel regulieren, und mit dem „Digital Services Act“ sollen digitale Dienste, zu denen auch Informationsplattformen gehören, transparenter und in ihrer Macht eingeschränkt werden. 

Dass ein solches Vorhaben gerade in Bezug auf die Medien ein Balanceakt ist zwischen dem Schutz der Demokratie und einem Eingriff in die Meinungsfreiheit, sind sich die Gesetzgeber durchaus bewusst. Die Gesetzesnovelle wird denn auch im Mediensektor bereits intensiv debattiert. Klar aber ist, dass die seit langem geäußerte Forderung, auch digitale Plattformen zur Einhaltung gewisser journalistischer Regeln zu verpflichten – und damit auch die wuchernden Bots einzuschränken –, endlich Form annimmt. 

Demokratische Kontrolle

Sollte es auf diesem Weg gelingen, Plattformen wie Twitter einer entsprechenden demokratisch legitimierten Qualitätskontrolle zu unterziehen, wäre dies eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich Twitter als globale Plattform für Information, Kommunikation und Diskurs tatsächlich etablieren kann. 

Damit käme es – mit oder ohne Musk – in etwa so, wie er es sich überlegt und angekündigt hat. Musk, der von sich selbst sagt, dass er „die Menschheit liebt“ und sich selbst als radikalen Verfechter der Meinungsfreiheit bezeichnet, will Twitter zu einer „weltweiten Plattform für die Meinungsfreiheit“ machen und damit die „Demokratie stärken“. Auch wenn man derlei Versprechen nicht ironiefrei wiedergeben kann: Die Möglichkeit, dass er mit seinem Schritt eine nächste entscheidende Entwicklungsstufe eingeleitet hat, ist nicht auszuschließen. Er würde – wie er es mit Starlink gerade auch für die Ukraine vorgemacht hat – völlig neue Dimensionen schaffen. Ich bin gespannt.

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