Die USA, die Wahlen und die Gewalt
Unabhängig vom Wahlausgang sieht der Historiker Manfred Berg gewalttätige Zeiten auf die USA zukommen. Im Podcast erklärt er die Hintergründe dieser These.

Am 5. November 2024 finden die 60. Präsidentschaftswahlen der USA statt. Der Historiker Manfred Berg sieht die Spaltungen, die das Land seit den 1960er Jahren prägen, immer tiefer aufbrechen. Er leitet die die aktuelle Polarisierung aus der Geschichte ab und meint, dass erstmals die amerikanische Demokratie auf dem Spiel steht.
Der Podcast über die USA mit Manfred Berg
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Nach 9/11 wurde das gemeinsame Haus der USA immer zerstrittener. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass der demokratische Konsens selbst in Gefahr geraten könnte.
Manfred Berg, Historiker
Wie amerikanisch ist Donald Trump?
„Donald Trump ist sicher so amerikanisch wie Apfelkuchen. Er inszeniert sich als Erfolgsmensch und Machertyp, der einem Teil der amerikanischen Bevölkerung, die unter der Angst vor dem Verlust der eigenen Hegemonie leidet, die sich eine Vergangenheit, die es so vielleicht nie gegeben hat, zurückwünscht, suggeriert, er sei der Mann, der das alte Amerika wiederherstellen könnte.“
Dad comes home. You know what he says? You've been a bad little girl, and you are going to get a vigorous spanking right now.
Tucker Carlson, Fernsehmoderator, bei einer Wahlkampfveranstaltung für Donald Trump am 23. Oktober 2024 in Georgia.
„Trump ist allerdings als Politiker einzigartig, denn es ist ihm gelungen, die politischen Regeln und Normen der amerikanischen Politik erfolgreich aus Kraft zu setzen. Sein Geschäft war und ist die maximale Polarisierung. Und das hat noch vor ihm niemand in der amerikanischen Politik geschafft. Vor allem ist so jemand noch nie Präsident geworden.“
Der Anfang
„Ich vertrete die Auffassung, dass sich alle Grundkonflikte, die die amerikanische Gesellschaft in der Gegenwart spalten und alle Triebkräfte, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Polarisierung vorangetrieben haben, bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen lassen. Deswegen muss diese Geschichte als lange Geschichte erzählt werden.“
„Dies bedeutet nicht, dass die Polarisierung sich linear, also als ein kontinuierlich sich fortsetzender Prozess, entwickelt hätte. Wir sehen ab dem Ende der 1990er Jahre und dann nach der Jahrhundertwende eine immer stärkere Ideologisierung und Radikalisierung – vor allem der republikanischen Partei.“
„Und im 21. Jahrhundert ist die große Rezession, die Weltfinanzkrise, die ja amerikanische Arbeiter- und Mittelklasse sehr hart getroffen hat, ein enormer Katalysator der Wut und des Protestes. Wir erinnern uns an die damals gängige These, die amerikanische Regierung unter Barack Obama habe die Wall Street gerettet und nicht die Main Street.Die Frage ist, ob es eine Alternative dazu gab, die politischen Kosten dieser großen Rezession waren enorm.“
„Was mir im Verlaufe der Jahrzehnte immer klarer geworden ist und womit ich zunächst nicht so gerechnet hätte, war der enorme Backlash, die feindselige Reaktion, die die Wahl Barack Obamas in Teilen der amerikanischen Bevölkerung auslösen würde. Donald Trump hat es geschafft, diese Wut zu bündeln und auf sich zuzuschneiden.
Es ist wichtig, sich die historischen Wurzeln zu vergegenwärtigen, ohne zu sagen, dass alles was seit 1960 passiert ist, auf Donald Trump zuläuft.“
Kampf um die nationale Identität
„Wenn man auf die Wertewelt der amerikanischen Gesellschaft blickt, dann könnte man meinen, diese Wertewelt sei weitgehend stabil. Da ist immer die Rede von Freiheit, von Chancengleichheit, Demokratie, Patriotismus, Familie. Es gibt aber keinen Konsens, was diese Werte bedeuten und wie sie verwirklicht werden sollen. Es geht um die Definitionshoheit über die Werte und die nationale Identität.“
There is an island of garbage in the middle of the ocean right now. I think its called Puerto Rico?
Tony Hinchcliffe, Komödiant, bei einer Wahlkampfveranstaltung für Donald Trump am 27. Oktober 2024 in New York.
„Einwanderung ist das große Thema nicht nur der amerikanischen Politik, sondern der westeuropäischen Demokratien insgesamt. Die Opposition gegen Masseneinwanderung ist die Triebkraft der Revolte gegen die Globalisierung. Dahinter steht eine fundamentale Schicksalsfrage der Zukunft der westlichen Demokratien, nämlich, ob wir es schaffen, den sich als relativ heterogen verstehenden Nationalstaat so zu gestalten, dass er auch unter den Bedingungen einer multiethnischen Gesellschaft demokratisch sein kann.“
„Die wichtige Zahl sind die Zensuszahlen. Bei der Volkszählung 1960 verstanden sich 87 Prozent als weiß oder wurden so klassifiziert. Dieser Anteil ist heute deutlich auf unter 60 Prozent gefallen und wird um das Jahr 2025 vermutlich unter 50 Prozent fallen. Das löst enorme Verdrängungs- und Statusängste aus. Und die kann man nicht dadurch pazifizieren, dass man an Toleranz appelliert und die Segnungen der Diversity predigt.“
Amerikanischer Liberalismus
„Liberalismus und liberal meinte ursprünglich wie in Europa eine politische Philosophie wo die persönliche Freiheit, des Individuums, Eigentum, Beschränkung der Regierung durch repräsentative Institutionen, eine am Markt orientiertes wirtschaftliches Ordnungsmodell. Das ändert sich dann im 20. Jahrhundert in den 1930er Jahren unter dem New Deal, dem New Liberalism unter Franklin D. Roosevelt. Als liberal gelten nun die politischen Kräfte, die eine starke Bundesregierung befürworten, die im Interesse der arbeitenden Klassen die Wirtschaft reguliert und die Rechte und Freiheiten von Minderheiten schützt und fördert.
Man könnte was die Rolle des Staates in der Wirtschaft betrifft, sind Liberale in den USA nach europäischen Maßstäben eher Sozialdemokraten. Und von daher ist der Begriff liberal enorm polarisierend geworden. Für viele konservative Amerikaner ist liberal ein Schimpfwort. Eigentlich aber würde ich sagen, die Begriffe liberal oder konservativ die taugen schon lange nicht mehr, um die Feindschaft zwischen den beiden Lagern zu beschreiben.
Die USA sind eine im klassischen Sinne liberale Gesellschaft, sie werden kaum irgendwo ein solches Maß an individueller Freiheit finden, allerdings auch keines mit solchen individuellen Risiken. Es gibt kaum eine Gesellschaft, die so ein expansives Konzept von Meinungsfreiheit vertritt.“
Die Ideologisierung der Parteien
„Die USA wählen nach dem Winner takes it all-Prinzip. Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt, ist gewählt. Dieses System führt meistens zu politischen Systemen mit nur zwei Parteien. Einzelstaaten, die Wahlen organisieren und das Wahlrecht bestimmen, türmen relativ große Hürden für dritte Parteien auf, um auf den Wahlzettel zu kommen.
Nach Außen sind die USA ein stabiles Zweiparteien-System. Amerikanische Parteien aber immer heterogene Konstellationen, big tents. Seit Ende des 20. Jahrhunderts sind die Parteien immer mehr zu ideologischen Blöcken geworden. Es gab liberale und konservative Republikaner und liberale und konservative Demokraten. Die Ideologisierung der Parteien erschwert es nun, die unterschiedlichen Bestandteile der Parteien zu integrieren.
Drei Strömungen vereinfachend: Seit den 1970er und 1980er Jahren bei den Republikanern die vor allem im Süden sehr starke religiöse Rechte. Da ist auch der wirtschaftslibertäre Flügel, der wenig mit der religiös-rechten Weltanschauung gemein hat. Dem geht es vor allem um Steuersenkungen, einen schlanken Staat. Dann haben wir die autoritären Populisten, die sich in der Make America Great Again-Bewegung zusammengefunden haben und deren Führer Donald Trump ist.
Bei den Demokraten hatten wir traditionell immer eine sehr starke Rolle der Gewerkschaften, die aber in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel Boden verloren haben, in den letzten Jahren hat sich immer stärker auch eine vor allem durch Umfeldorganisationen im akademischen Bereich, Think Tanks und NGOs geprägte Parteilinke, die ist immer stärker geworden, die vor allem auch Themen wie Rassismus, Transgender-Rechte stark macht. Und im wesentlichen auch für eine kaum oder nicht begrenzte Einwanderung eintritt. Also es ist schwer, die auseinanderstrebenden Flügel zusammenzuhalten.
Man hatte lange gedacht, dass Schwarze und Hispanics eher demokratisch wählen würden, man sah dann mit Barack Obama dies bestätigt, bis dann eben das große Erwachen 2016 kam. Was wir jetzt erleben, ist dass signifikante Teile der schwarzen und hispanischen Bevölkerung Trump zuneigen. Das noch keine Mehrheit, aber sie könnte wahlentscheidend sein. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Brot und Butter-Fragen, Inflation, Jobs usw. natürlich diesen Bevölkerungsgruppen auch auf den Nägeln brennen und sie subjektiv das Gefühl haben, es sei ihnen unter Trump besser gegangen.
Appell an die Hörerinnen und Hörer: Bitte nicht alles glauben, was uns linke Akademiker aus den USA über Minderheiten erzählen. Die tun nämlich oft so, als seien Minderheiten so links, wie sie glauben, dass sie links sein sollten.
Es gibt aber sehr konservative schwarze Wähler in den Südstaaten, die absolut gegen Homosexualität, absolut gegen Abtreibung sind. Die Demokraten haben große Schwierigkeiten, diese Gruppen wieder zu integrieren. Daher wird man nicht mehr so einfach sagen können, dass Donald Trumps Botschaft, Make America Great Again in Wirklichkeit die Botschaft sei, Make America White Again. Trump vertritt einen Nationalismus, mit sich auch nichtweiße Minderheiten identifizieren können. Und Einwanderer, das wissen aus der Einwanderungsgeschichte, sind nicht unbedingt einwanderungsfreundlich.“
Wie wird die Wahl ausgehen?
„Kamala Harris ist keine Charismatikerin. Sie ist inhaltlich vage. Es gibt viele Leute, die sie wählen werden, weil sie nicht Trump ist. Denn eine zweite Amtszeit Donald Trumps könnte für die amerikanische Demokratie durchaus zu irreparablen Verwerfungen führen.“
„Hätten die USA ein Wahlsystem, wie es einer modernen Demokratie angemessen wäre, nämlich eine Wahl, in der tatsächlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen über den Wahlsieg entscheidet, dann würde ich auf einen leichten Vorsprung von Harris durchaus bauen wollen. Es ist aber so, dass das amerikanische Wahlsystem, das, Electoral College, durchaus zulässt, dass der Kandidat, die Kandidatin, die die meisten Stimmen landesweit bekommt, im Wahlkollegium keine Mehrheit bekommt.
Dieses antiquierte System könnte Donald Trump durchaus noch einmal, wie schon 2016, zu einer Mehrheit verhelfen. Am Ende werden unter schätzungsweise 150 Millionen Stimmen 10 bis 50.000 Stimmen in den sogenannten Swing States den Ausschlag geben.
Die im Moment entscheidende Frage ist, wird das Wahlergebnis akzeptiert werden. Wir können mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass Donald Trump eine Niederlage nicht akzeptieren wird. Dass er bereit sein wird, genauso wie vor vier Jahren den militanten Kern seiner Anhängerschaft zu mobilisieren.
Ich bin aber auch nicht sicher, ob die Demokraten eine zweite Präsidentschaft Trumps widerstandslos hinnehmen würden. Wenn ein Wahlsieg Trump so zustande käme, dass es in den Einzelstaaten Tricksereien und Unregelmäßigkeiten gibt. Oder, und das ist eine durchaus realistische Möglichkeit, wie das im Jahr 2000 geschehen ist, dass am Ende der Supreme Court das letzte Wort hat.
Der Supreme Court ist überwiegend konservativ, drei der Richter sind von Trump ernannt worden, und sie haben gerade erst ein für ihn sehr günstiges Urteil im Hinblick auf präsidiale Immunität gefällt. Eine solche Entwicklung würden die Demokraten nicht widerstandslos hinnehmen, ich könne mir dann vorstellen, dass es Massendemonstrationen gäbe und wenn Trump Präsident ist, ist er Oberbefehlshaber der Armee und würde wieder versuchen, die Armee zu instrumentalisieren, um solche Proteste niederzuschlagen.
Den USA könnten sehr turbulente, sehr unruhige und leider auch gewalttätige Zeiten bevorstehen.“
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Über Manfred Berg
Manfred Berg ist Professor für Amerikanische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, Lynchjustiz und Mobgewalt sowie die Geschichte der US-Außenpolitik und die politische Geschichte der USA. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Zuletzt erschien von ihm das Buch Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der USA von 1950 bis heute im Verlag Klett-Cotta.