Schwarz ohne grün
CDU und CSU sind heute antigrün. Dieser Widerspruch zu ihrer christlichen Weltanschauung hat einen hohen Preis. Warum sind die Konservativen bereit ihn zu zahlen?

Auf den Punkt gebracht
- Abgrenzung. CDU und CSU ist die Distanz zu den Grünen wichtiger als die Abrenzung zur AfD – doch was im Wahlkampf funktionierte, hat einen Preis.
- Strategie. Während des Bundestagswahlkampfs war das „Grün-bashing“ strategisch motiviert, eine Fortsetzung der Oppositionskampagnen.
- Ursachen. Die tieferen Gründe für die Abgrenzung von den Grünen sind überraschend und nicht allein dem Wahlkampf geschuldet.
- Wurzeln. Die Geschichte der CDU und eine wenig beachtete Strömung aus den 1960er Jahren machen die Abgrenzung verständlich.
Vor dem Hintergrund der Bundestagswahl Anfang des Jahres, bei der die AfD ihren Stimmenanteil verdoppeln konnte und damit auch etwa doppelt so viele Stimmen wie die Grünen erhielt, wirkt die Kampfansage der Unionsführung an jene Grüne heute noch seltsamer, als sie es damals bereits war.
Damals, das war vor etwa zwei Jahren, und die deutsche Öffentlichkeit debattierte über Seilschaften zwischen Umweltverbänden und dem Wirtschaftsministerium, aus dem kurz zuvor der Entwurf zum Gebäude-Energie-Gesetz an die BILD-Zeitung durchgestochen worden war, welches zu einem der vielen Sargnägel der Ampel-Koalition werden sollte.
Kampf gegen grün
Aber auch diese aufgebrachte Debattenlage reichte eigentlich nicht als Erklärung für das aus, was CDU-Chef Friedrich Merz den Journalisten auf einer Pressekonferenz im Juni 2023 in die Laptops diktierte. Die Grünen seien der „Hauptgegner“ in der Regierung; die CDU werde mit ihnen „die Auseinandersetzung noch einmal deutlich verstärken“, erklärte Merz den Presseleuten, die es ebenso verwundert zur Kenntnis nahmen, wie der stoisch dreinblickende CDU-Ministerpräsident Schlewig-Holsteins, Daniel Günther, auf dessen Einladung Merz gerade in Kiel weilte – wo ein schwarz-grüne Koalition bis heute weitgehend geräuschlos regiert.

Der damalige Generalsekretär Mario Czaja versuchte in der Folge, Merz‘ Worte zu relativieren, indem er die feinsinnige Unterscheidung zwischen Gegner (die Grünen) und Feinden (die AfD) anführte, die man so ironischerweise auch bei Carl Schmitt findet, aber die Grünen blieben bis zum Wahltag das zentrale Feindbild von CDU/CSU, an dem sich die gesamte Union unermüdlich abarbeitete; mit Fleißpunkten für CSU-Chef Markus Söder, der sich nicht zu schade war, Bundesumweltministerin Steffi Lemke als „grüne Margot Honecker“ zu verunglimpfen.
Dabei könnte man meinen, dass sich Konservative und Grüne doch einiges zu sagen haben sollten. Denn abgesehen von zweifellos vorhandenen Differenzen gibt es doch eine nicht zu unterschätzende Konvergenz in der Stoßrichtung beider Agenden, deren Ziel sich in beiden Fällen als intergenerationale Nachhaltigkeit beschreiben ließe.
Zahlen & Fakten

Schwarz mit grün
„Ökothemen“ und CDU passten einst gut zusammen, wie diese drei Beispiele – abseits des Ausstiegs aus der Kernkraft – zeigen.
- Katalysator. Hinter der Ankündigung des damaligen CSU-Innenministers Friedrich Zimmermann stand am 18. September 1984 die Sorge um die deutsche Automobilindustrie: Mit einer Übergangsfrist von vier Jahren soll ein Katalysator für Neuwagen verpflichtend sein, verkündete er. Wer vorher umsteigt oder nachrüstet, bekommt 3.000 DM Zuschuss. Damit wurden die strengeren Abgas-Regeln, die in den USA und Japan – den Konkurrenz- und Absatzmärkten von VW & Co. – längst galten, auch für den deutschen Markt verbindlich. 1984 war das in Europa ein deutscher Alleingang.
- Verbot von Bleibenzin. Die Initiative für bleifreie Kraftstoffe ging von den Grünen aus, die seit 1983 im deutschen Bundestag vertreten waren. Gesetzeskraft erlangte das Verbot aber unter Umweltminister Klaus Töpfer (CDU), vorbereitet vom bereits erwähnten Zimmermann. Das Verbot von Blei in Normalbenzin wurde einstimmig am 3. Dezember 1987 beschlossen und am 1. Februar 1988 wirksam. 1996 wurde das Blei-Verbot auch auf Super ausgedehnt.
- Gebäudeenergiegesetz (GEG). Das Gesetz, das als „Heizungsgesetz“ oder auch als „Habecks Heizhammer“ berühmt wurde, wurde am 18. Juni 2020 unter den zuständigen Ministern Horst Seehofer (CSU) und Peter Altmaier (CDU) durch den Bundestag beschlossen. Das GEG setzt eine entsprechende EU-Richtlinie zur Senkung des Energieaufwands in Gebäuden um. Ursprünglich sollten 75 Prozent des Primärenergiebedarfs in Neubauten aus erneuerbaren Quellen stammen. 2023 wurde dies durch das Klimaministerium unter Robert Habeck (Grüne) auf 55 Prozent reduziert.
Vom Ahnherr des Konservatismus Edmund Burke stammt die Vorstellung, dass das wichtigste gesellschaftliche Band zwischen den Lebenden, ihren Vorfahren und den zukünftigen Generationen verläuft; der Blick des Konservativen also sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft gerichtet sein muss, um das für die Nachkommen zu erhalten, was als bewahrenswert gelten kann.
Auch wenn dies aus konservativer Perspektive in der Vergangenheit vor allem finanzpolitisch als Bekenntnis zu fiskalischer Disziplin (vulgo: Schuldenbremse) ausbuchstabiert wurde, lässt es sich fraglos auch auf den Erhalt der natürlichen Umwelt beziehen und tatsächlich heißt es auch im aktuellen Grundsatzprogramm der CDU: „Wir denken Politik immer nachhaltig, machen Politik für nachfolgende Generationen und wollen die Schöpfung bewahren.“ Von dort bis zum Satz „Eine Politik, welche die natürlichen Lebensgrundlagen schützt, erhält die Möglichkeit zur Selbstbestimmung für uns und künftige Generationen“, wie er auf der zweiten Seite des aktuellen Grundsatzprogramms der Grünen steht, sollte es eigentlich nicht allzu weit sein.
„Grün“ als Synonym für „woke“
Woher rührt also diese halb zur Schau gestellte, halb authentisch empfundene Abneigung der Konservativen, die sich gegen die Grünen, aber damit indirekt auch gegen deren politisches Kernthema Ökologie richtet?
Oder anders formuliert: Wenn die Moral dafür spricht, die Umwelt zu schützen, da es unsere Pflicht gegenüber zukünftigen Generationen ist, und auch religiöse Gründe dafür sprechen, weil es eben um die Bewahrung einer Schöpfungsordnung geht und sogar das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines aufsehenerregenden Urteils 2021 festgestellt hat, dass die Politik mehr für den Klimaschutz tun muss; wenn diese für Christdemokraten doch recht maßgeblichen Instanzen in etwa das gleiche anmahnen, warum tun sich Konservative dermaßen schwer damit?
Die Grünen leben in einer Fantasie- und Verbotswelt. Sie sind die Verbotspartei Nummer 1: Fleisch-, Böller-, Autowasch-, Werbe- und Luftballonverbote sind nur eine kleine Auswahl ihrer Pläne. Sie wollen letztlich eine andere Republik und die Deutschen umerziehen.
Markus Söder am 5. März 2023 zur Bild am Sonntag
Die Antworten auf dieses Rätsel lassen sich auf zwei miteinander verbundenen Ebenen finden. Da ist zum einen die strategische Ebene des politischen Wettbewerbs und das, was Politologen und Kommunikationsexperten mit Begriffen wie „Labeling“, „Framing“ und „Issue Ownership“bezeichnen.
Auf dieser Ebene ging es der Union schlicht darum, ein mobilisierungsträchtiges Feindbild zu erschaffen, von dem man sich auf politisch profitable Art und Weise absetzen konnte. Hier ging es auch um Umweltpolitik, aber mindestens ebenso sehr um die vermeintlichen Auswüchse linker Identitätspolitik, Klima-Aktivismus und allem, was heute unter dem Kampfbegriff „woke“ zusammengefasst wird. Im Framing der Union sollten die Grünen dieses Amalgam repräsentieren und dafür verantwortlich gemacht werden.
Abgesehen von den inhaltlichen Positionen ging es aber auch um das Labeling als Partei wohlmeinender Besserwisser, die von oben herab die Menschen belehrten und zur Durchsetzung ihrer moralisierten und moralisierenden Politik regelmäßig auch zu Verboten griffen. Die Grünen, so die Botschaft, seien die Partei der gängelnden Bevormundung, die einem etwas wegnehmen. Und wenn es sich dabei schon nicht um materiellen Wohlstand handelt, so doch zumindest um die Freiheit, das essen, fahren, verheizen oder sagen zu können, was man will.
Denjenigen in der CDU, die ein schärferes umweltpolitisches Profil einforderten – wie etwa die Mitglieder der Klima-Union – wurde entgegnet, dass das Thema „Ökologie“ gemäß der Theorie des Issue Ownerships sowieso den Grünen „gehöre“. Eine klimapolitische Offensive der Union würde daher im Endeffekt nur den Grünen nutzen.
Der Preis der Abgrenzung
Die Implikation, um nicht zu sagen der Haken dieser strategischen Positionierung gegen die Grünen bestand zum einen darin, dass man sich selbst als Vorkämpfer für Freiheit und Wohlstand des einzelnen präsentieren musste, die durch nichts und niemanden gemindert werden sollten – im Gegenteil: Steuersenkungen wurden in Aussicht gestellt, die sich auf wundersame Weise durch ein rasantes Wirtschaftswachstum, Bürokratieabbau und die Reform des Bürgergeldes praktisch zum Nulltarif und ohne jegliche Beeinträchtigung der Schuldenbremse finanzieren lassen sollten.
Die Schuldenbremse bleibt.
Alexander Dobrindt im Februar 2025
Diese vollmundigen Versprechungen hängen der Union nun mühlsteinschwer um den Hals, denn die finanzpolitische Realität von der Aufweichung der Schuldenbremse bis zu Steuersenkungen, die erst in einem Jahr kommen und unter Finanzierungsvorbehalt stehen, sieht doch sehr anders aus, als es in den Wahlkampfreden der Konservativen klang.
Darüber hinaus bedeutete diese Strategie, dass sich die Union sowohl im Sound als auch im Feindbild ein gutes Stück weit auf die AfD zubewegte, die von je her und immer noch ein bisschen derber gegen Genderwahn, Windräder und eben die Grünen wetterten und lange vor der Union für den Erhalt des Verbrenner-Motors und die weitere Nutzung der Atomkraft eintraten. Diese Assimilation (ganz zu schweigen von der Annäherung in der Migrationspolitik) schadete der Union und erklärt bis zu einem gewissen Punkt, warum sie nicht noch viel mehr vom desaströsen Eindruck, den die Ampel an ihrem Ende machte, zu profitieren vermochte.
Markt vor Schöpfung?
Doch es gibt auch noch eine zweite, tiefere Ebene, auf der sich Erklärungen dafür finden, dass Schwarz und Grün zumindest bundespolitisch nicht so recht zusammenfinden wollen und bei denen die Umweltpolitik eine entscheidende Rolle spielt. Es geht darum, was die erfolgversprechendste Strategie in ökologischen Fragen und zwar insbesondere dem Kampf gegen den Klimawandel als womöglich drängendstes umweltpolitisches Problem darstellt.
Aus Sicht weiter Teile der Union lautet die Antwort, dass sich diese Herausforderungen nur mit Hilfe von Markt und Technologie bewältigen lassen. So gilt hier die CO2-Bepreisung und der entsprechende Handel von Zertifikaten unter Konservativen als schärfste (und vielleicht auch einzig wirksame) Waffe gegen den Klimawandel, auch wenn unter Experten höchst umstritten ist, ob die Reduzierungs- und Substitutions-Effekte tatsächlich rechtzeitig greifen.
Abgesehen davon setzt man die Hoffnung in neuartige Technologien und Energieträger von Kernfusionsreaktoren bis hin zu womöglichen Climate-Engineering-Maßnahmen, die die Auswirkungen der Erderwärmung zumindest abmildern sollen, was oftmals etwas euphemistisch unter den Begriff der „Klimaanpassung“ gefasst wird.

Das Bekenntnis zum Kapitalismus ist aus einem anti-kommunistischen Impuls heraus schon lange Teil der konservativen DNA und die Begeisterung für Technologie hat man – im deutschen Kontext – spätestens in den 1960er Jahren entwickelt, als eine wichtige Unterströmung, der sogenannte „technokratische Konservatismus“ seine Hochzeit erlebte.
Beides steht im Kontrast zu den Diagnosen und bevorzugten Strategien der Grünen, die sich sowohl gegenüber dem Kapitalismus als auch gegenüber (manchen) Technologien eine gewisse Reserve erhalten haben. Die Ironie dieser Frontstellung besteht aber nicht zuletzt darin, dass es hier gerade die vermeintlichen Anwälte des Bewahrens sind, also Konservative, die sich mit Kapitalismus und technologischer Innovation auf diejenigen Kräfte einlassen, die – neben Krieg und Naturkatastrophen – zu den disruptivsten in der jüngeren Menschheitsgeschichte gehören.
Conclusio
Kalter Krieg in neuem Gewand. Die Abgrenzung gegenüber den Grünen, mit denen die CDU in vielen Bundesländern erfolgreiche Koalitionen hat bzw. hatte, könnte man mit Thomas Biebricher auch als eine Spätfolge des Kalten Krieges bzw. des ausgeprägten Antikommunismus bei Teilen der Christdemokraten lesen. Hinzu scheint allerdings auch eine in den letzten Jahren stärkere Vernetzung mit Strömungen zu kommen, die sich explizit gegen eine Umstellung auf nicht fossile Energieträger wenden, etwa das Institut Neue Soziale Marktwirtschaft oder das Heartland Institute und die Heritage Foundation in den USA. Christdemokraten und Christsoziale positionieren sich hier ähnlich wie die AfD.
Technologie als Kulturkampf. Maßnahmen gegen Klimawandel wurden in den letzten Jahren zunehmend ideologisch aufgeladen. Dabei war Umwelt- und Klimapolitik einmal auch für die konservativen Christdemokraten ein Thema. Auf Klaus Töpfer geht unter anderem das Verbot von bleihaltigem Benzin zurück. Die ideologische Aufladung von Technologie bzw. die Neigung zu großtechnischen Lösungen wie Wasserstoff-Heizungen, Carbon Capture, Kernkraft oder E-Fuels kann auf dem technokratischen Konservatismus der 1960er Jahre aufbauen. Diese Auffassungen machen das Framing von Umwelt- und Klimaschutzthemen als „woke“ Themen für Christdemokraten annehmbar.
Politische Bremse. Die Positionen in Bezug auf Klima- und Umweltschutz ähneln in weiten Teilen Positionen der AfD, was eine weitere Ablehnung der Grünen mit sich bringt und die Abgrenzung von der AfD erschwert. Auch kann die CDU ihre Wahlkampfversprechen nicht einlösen und schafft Barrieren im Bereich Klima- und Energiepolitik.