Im Namen des Volkes: Der Schmäh der AfD
Hier das Volk, da die Elite: Der Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch über radikalen Rechtspopulismus und seine Schwächen.

Der Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch nennt im Podcast drei Gründe für den Aufstieg des radikalen Rechtspopulismus in Europa: 1. Radikaler Populismus konnte sich von den Rändern aus verbreiten, zu Themen, die von etablierten Parteien nicht besetzt wurden. In Deutschland war das vor allem das Thema Identität. 2. Durch die Unterscheidung von Volk und Elite gelang es, die Idee der illiberalen Demokratie als Befreiung umzudeuten und 3. fruchtete diese emotionale Erzählung vor dem Hintergrund eines „kolossalen Repäsentationsversagens“ in den Demokratien des Westens. Der eng gewordene politische Handlungsspielraum in der politischen Mitte ist das vorläufige Ergebnis. Gibt es einen Weg da raus?
Der Podcast mit Reinhard Heinisch
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Die Populisten definieren, wer zum Volk und wer zur Elite gehört. Da kann eine Partei mit 28 oder 30 Prozent Wählern sagen ‚Meine Wähler sind das Volk‘. Alle anderen gehören dann nicht zum Volk.
Reinhard Heinisch, Politikwissenschaftler an der Paris Lodron-Universität Salzburg
Über Reinhard Heinisch
Reinhard Heinisch ist Professor für österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive am Fachbereich Politikwissenschaft der Paris Lodron-Universität Salzburg, dessen Vorstand er von 2009 bis 2024 war. Heinisch war Fakultätsmitglied an der University of Pittsburgh (1994-2009) und ist noch heute Mitglied des dortigen Center of European Studies. Heinisch ist der Autor zahlreicher Bücher zum Thema Populismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Zuletzt erschien von ihm Politicizing Islam in Austria: The Far-Right Impact in the Twenty-First Century im Verlag Rutgers University Press.
Das Transkript zum Podcast mit Reinhard Heinisch
Es handelt sich um ein maschinell erstelltes Transkript. Offensichtliche Übertragungsfehler wurden korrigiert, uneindeutige Passagen in Klammern gesetzt. Fragen von Podcast-Host Karin Pollack sind kursiv. Antworten von Reinhard Heinisch in Normalschrift. Wenn Sie mehr hören möchten: Sie finden alle unsere bisherigen Podcasts hier.
Ein kolossales Repräsentationsversagen.
Karin Pollack: Willkommen zu einer neuen Folge des Pragmaticus-Podcast. Wir reden über Geopolitik, Wirtschaft und Wissenschaft. Mein Name ist Karin Pollack und ich freue mich, dass sie wieder dabei sind. In Deutschland ist die Koalition geplatzt, es stehen Neuwahlen an, laut Umfragen steht die AfD aktuell bei 22 Prozent. Dass rechte Parteien allgemein Aufwind haben, scheint ein Phänomen in freien Demokratien zu sein.
Und die Parteiprogramme der rechten Parteien ähneln sich. Sie sind gegen Migration, tendenziell EU-skeptisch. Sie sind kritisch gegenüber demokratischen Institutionen und sehnen sich nach Stärke, sowohl was die Führung des Landes anbelangt, als auch die Nation selbst. Über dieses durchaus weite Feld würde ich gerne mit Reinhard Heinisch sprechen. Er ist Professor für vergleichende österreichische Politik an der Universität Salzburg und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Populismus, Demokratie und Wahlverhalten. Schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Reinhard Heinisch: Danke für die Einladung.
Rechte Parteien sind überall im Aufschwung. Können Sie uns erklären, warum das so ist?
Also die Wissenschaft erklärt das ganz einfach mit einem kolossalen Repräsentationsversagen. Das heißt, viele Menschen fühlen sich durch die bestehenden Parteien oder die etablierten Parteien nicht ausreichend vertreten und gleichzeitig herrscht eine zunehmende Sorge was die Veränderung in der Welt betrifft. Das heißt, es gibt ein zunehmendes Schutzbedürfnis oder ein Bedürfnis nach Ordnung und nach einer Art Rückkehr in eine Gemeinschaft, in der man sich sicher und geborgen fühlt. Und das finden wir in den Aussagen vieler rechtsradikaler oder rechter Parteien.
Der radikale Populismus ist in Europa ein Thema der Rechten.
Ist es nicht auch eine Krise der Linken, dass die plötzlich einfach kein Angebot mehr haben?
Es ist in gewisser Weise eine Krise der Linken. Man muss aber dazu sagen, dass wenn wir das Phänomen des radikalen Populismus betrachten, dann ist es in Europa in erster Linie ein Thema der Rechten. Wir haben durchaus ähnliche Phänomene auf der linken Seite, und man könnte wahrscheinlich die, auch wenn man das wirklich sehr verallgemeinert, einfach sagen, es ist eine Krise der Mitte, es werden die Ränder auf beiden Seiten beflügelt, die treffen sich auch.
Ich kann mich noch erinnern, während der Coronakrise gab es da mal Demonstrationen, wo man die Reichsfahne und die Regenbogenfahne zusammen sah. Es ist eher eine Krise der Parteien im Zentrum und in Europa nimmt das die Form an, dass es eher rechte Parteien sind. Anderswo können es Linke sein oder es sind nationalistische. Oder nehmen wir die Slowakei, Fico. Es galt als linksradikale Partei, die sich aber sehr rechts und putinfreundlich gebärdet und sehr viel mit Viktor Orbán gemeinsam hat. Also da verschwimmen auch ein bisschen die Grenzen von links und rechts. Ich würde eher sagen Mainstream und radikale Ränder.
Sie haben jetzt schon über rechtsradikalen Populismus gesprochen, und es wird überhaupt allgemein viel über Populismus geredet. Ich würde gerne eine Begriffsdefinitionen von Ihnen hören. Was ist Populismus eigentlich?
Ich glaube, hier ist eines der größten Missverständnisse, wenn die Wissenschaft mit Medien oder Öffentlichkeit kommuniziert, was hier völlig unterschiedliche Populismuskonzepte der Begriffe gibt. In den Medien, hat man den Eindruck, ist der Populismus sehr oft ein Ausdruck für eine überzogene dem Volk aufs Maul schauen. Man denkt vielleicht an jemanden wie (...) Franz Josef Strauß, Dinge, die sehr deftig formuliert unters Volk gebracht werden. Stammtisch, große Überschriften, Verknappung und Verkürzung, sehr auf Emotion bedacht. Das ist eigentlich überhaupt nicht das, was die Wissenschaft damit meint.
Etwas zwischen Volk und Elite gibt es quasi nicht. Du bist entweder mit dem Volk oder Teil der Elite.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass eine populistische Partei, egal ob sie links oder rechts ist, folgenden ideologischen Kern hat: Sie sagt, die Welt, die Gesellschaft ist geteilt in zwei Gruppen. Auf der einen Seite gibt es eine korrupte Elite, die in ihre eigene Tasche wirtschaftet, auf der anderen Seite gibt es ein einheitliches Volk, und dieses Volk wird von dieser Elite ausgebeutet. (Etwas) zwischen Volk und Elite gibt es quasi nicht. Du bist entweder mit dem Volk oder bist Teil der Elite.
Und die Populisten definieren einerseits wer zum Volk gehört, schließen dabei viele aus, und wer zur Elite gehört. (Da) kann auch eine Partei mit 28 oder 30 Prozent an Wählern sagen. Also meine Wähler sind das Volk, alle anderen gehören irgendeiner Weise nicht wirklich zum Volk. Da sehen wir auch so Begriffe wie „das wahre Volk“ oder Plakate wie „dem Volk sein Recht“.
Der Gegensatz zwischen Elite und Volk ist das Kennzeichen des Populismus, des ideologischen Populismus. Und das kann jetzt dann von rechts oder von links mit Inhalten befüllt werden. Eine rechte Partei wird sagen, das Volk ist ethnisch definiert, kulturell, sprachlich definiert. Die Elite ist korrupt aus bestimmten Gründen, weil sie das Volk verrät. Eine linkspopulistische Partei wird ein Volk eher entlang von Einkommen und sozialen Kriterien definieren, und die Elite als Geldsäcke und Reiche verstehen. Also wer genau zu wem gehört, das ist situativ unterschiedlich. Das ist auch von Land zu Land unterschiedlich und so unterscheiden sich die Populismen. Aber der gemeinsame Kern ist dieser Dualismus aus Volk und Elite.
Eine rechtsradikale Partei ist eine Partei, die autoritär ist, und die nativistisch oder nationalistisch ist. Sie stellt das Eigene nicht nur über alles andere, sondern sie betreibt das Eigene auch auf Kosten der anderen.
Trotzdem: Rechte Parteien, wenn man deren Wahlprogramme anschaut, haben so Versatzstücke. Sie sind gegen Migration, sie (...) finden „Klimawandel, naja, das werden wir schon irgendwie hinkriegen. Übertreibt es mal nicht.“ Sie sind EU skeptisch. Sie finden alles, was links ist, ist irgendwie „woke“, und es gibt keine klassische Familie mehr. Warum sind das die Versatzstücke?
Vielleicht, wenn wir es kurz auch definieren, wenn man die Begriffe rechts, rechtspopulistisch und rechtsextrem uns ansehen.
Also in der Politikwissenschaft ist eine extremistische Partei eine Partei, die gewaltbereit und antidemokratisch ist. Das sind Populisten an sich nicht, sondern wir teilen die Rechte in radikale und nicht-radikale Rechte, (...) eine Linksradikale und eine gemäßigte Linke. Radikal (kommt) vom lateinischen Wort radix, Wurzel. (Das) heißt immer die sind im Spektrum ganz weit außen. Und eine rechtsradikale Partei ist eine Partei, die autoritär ist und die nativistisch oder nationalistisch ist. Das heißt, sie stellt das Eigene nicht nur über alles andere, sondern sie betreibt das Eigene auch auf Kosten der anderen.
Das heißt, die populistische radikale Rechte ist eine Version der radikalen Rechte, nämlich, dass sie die Idee des Autoritären, dass (sie) die übersteigerte Idee des Eigenen mit der Idee des Populismus verknüpft, nämlich, dass die Elite, das sind eben die Feinde des Landes, das sind einerseits internationale Organisationen, oder das wäre die Europäische Union, das sind also jene, die die Souveränität des eigenen Volkes gefährden.
Kritik an der Regierung wird interpretiert als eine Einschränkung der Macht des Volkes. Das ist das zentrale Wesen der populistischen, radikalen Rechten.
Dadurch sind Populisten gegen EU-Mitgliedschaften, gegen internationale Organisationen, gegen internationale Verpflichtungen, gegen alles, was das eigene Volk in irgendeiner Weise bindet. Da wäre auch die Idee des Volkskanzlers, oder die Idee, dass das Volk immer recht hat und daher, letztlich, letzter Punkt, auch ihre Kritik an der liberalen Demokratie. Weil in der liberalen Demokratie der Rechtsstaat oder die kritischen Medien auch die Regierung kritisieren können. Aber die Regierung ist ja gewählt vom Volk. Also diese Kritik an der Regierung wird interpretiert als eine Einschränkung der Macht des Volkes. Wie kommt, wie kommen Richter dazu? Wie kommen Medien dazu, das zu kritisieren, was das Volk und Anführer eigentlich will? Und das ist das zentrale Wesen der populistischen, radikalen Rechten.
Aber damit sind ja auch alle Institutionen in Frage gestellt, und es geht ja dann auch eigentlich nach innen los.
Genau, „dem Volk sein Recht“. Die liberale Demokratie als Konzept ist eine begrenzte Demokratie, das heißt, sie begrenzt natürlich die Macht der Regierenden. Aber das heißt nichts anderes, dass auch das Volk durch die Verfassung begrenzt wird. Denken wir an die Menschenrechtskommission, denken wir an viele Dinge, die immer wieder von der radikalen Rechten kritisiert werden, weil sie offenbar den Volkswillen hier binden. Und aus diesem Gegensatz zwischen einem Mehrheitskonzept, einem majoritären Konzept von Demokratie. Das Volk bekommt immer das, was es will, und auf der anderen Seite eine begrenzte Demokratie im Sinne von limited government. In diesem Spannungsverhältnis lebt die radikale Rechte sehr gut.
Inwiefern?
Wenn man Leute fragt, „Was ist für euch Demokratie?“, hört man immer erst „der Volkswillen“ oder „das Volk“. (...). Auch die Sowjetunion hätte das wahrscheinlich gesagt. Und der nächste Punkt ist dann „Es gibt Wahlen“. Aber die liberale Demokratie ist noch viel mehr, als nur Wahlen zu haben, sondern sie ist vor allem die Rechtsstaatlichkeit und ist auch die Anwendung von Grenzen.
Das heißt, dass das Volk in seiner Ausübung auch begrenzt ist durch eine Verfassung. Die kann man ändern, aber in einer (demokratischen) Verfassung ist (das) nicht durch einzelne Akteure möglich. Das ist ein länger währender Prozess. Und wenn man die Verfassung so verändert, dass am Ende keine Demokratie mehr da ist, dann ist es auch keine Demokratie mehr. Und davon lebt die radikale Rechte, indem sie den Leuten sagt, „Ihr lebt eigentlich in keiner richtigen Demokratie, weil die Eliten haben quasi Entscheidungen an sich gezogen und daher ziehen wir eine illiberale Demokratie vor“, wie das Viktor Orbán in Ungarn sehr offen und sehr direkt sagt.
Aber ist dieser Wunsch nach einem starken Führer nicht dann einfach auch der Ausdruck dessen, dass Demokratie extrem mühsam ist? Also Entscheidungen werden diskutiert, langsam getroffen, es gibt ein hin und her. Also aus Sicht derer, die Politik machen, ist doch Demokratie wirklich ein extrem aufwendiger Prozess.
Absolut. Dadurch konnte auch China als autoritärer Staat innerhalb von knapp über einem Jahrzehnt ein gewaltiges Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz bauen, und in Salzburg warten wir auf die Verlängerung der Hochgeschwindigkeitstrasse von Oberösterreich zur Stadt Salzburg bereits seit 20 Jahren, weil es sehr viele Initiativen dagegen gibt. Wie sagte schon Churchill? „Die Demokratie ist eine miserable Staatsform, außer alle anderen.“
(Man kann) sagen, es gibt Minderheitenrechte in der Demokratie, weil wir eben alle irgendwann mal Minderheit sind. Wir sind Minderheit, wenn wir uns gegen den Staat zu Gericht geben. Wir sind Minderheit, wenn man uns eine Bahntrasse vor die Haustür bauen will. Wir sind Minderheit, wenn wir in irgendeiner Form einfach nicht zur Mehrheit gehören. Das kann ja jedem von uns passieren. Und wir haben in der Demokratie die Garantie, dass auch die Minderheit aufgrund des Rechtsstaates in der Lage ist, Recht einzufordern. Das schützt natürlich auch vor kollektiven Irrtum, (es schützt) die liberale Demokratie durch die Beschränkung der politischen Entscheidungen der Herrschenden. Das birgt auch sehr viel Vorsicht und Vernunft, weil es eben diese Kontrollinstanzen gibt.
Dadurch sind auch Demokratien letztlich langfristig sehr erfolgreich, weil Herrscher doch in der Regel versuchen, sich selbst ein Denkmal zu setzen und letztlich dann auf das Volk auch vergessen. Ungarn ist eines der korruptesten Länder (...).
Ich unterrichte seit 2014 in China, und immer, wenn ich mit meinen chinesischen Kollegen spreche, die mir erzählen, welche tollen Leistungen China hat und welche militärische Aufrüstung es wieder erhalten hat, sage ich immer so: „Wunderbar, aber wir können immer noch nicht das Wasser in Peking trinken. Wer muss es immer noch abkochen? Ich weiß nicht, ob dem Volk das nicht lieber wäre, das Wasser trinken zu können, als den vierten Flugzeugträger zu bekommen.“ Das heißt, Führer können Dinge entscheiden, das stimmt. Aber ob das dann letztlich das ist, was das Volk möchte, das wage ich zu bezweifeln. (So wie) natürlich auch Meinungsumfragen oder der offiziellen Darstellung des Volkswillens nur bedingt geglaubt werden kann.
Radikale Populisten versprechen ja eine Veränderung, damit die Zukunft wieder so ist wie die Vergangenheit.
Rechts ist auch nicht gleich rechts, das haben Sie schon angedeutet. Da gibt es auch unterschiedliche Strömungen. Es setzen sich dann immer diese verbalen Brandstifter durch, diese Tabubrecher. Warum schaffen das rechte Parteien nicht, gemäßigt zu sein?
Na ja, es hat zwei Ursachen. Wenn eine Partei sich als eine Partei gegen den Mainstream versteht, also eine Partei, die das System kippen möchte, dann ist diese Dynamik Erfolg versprechender, je weiter man nach rechts oder nach links geht, indem man sich weiter von dem Status quo entfernt. Zweiter Punkt: Radikale Populisten versprechen ja eine Veränderung, damit die Zukunft wieder so ist wie die Vergangenheit. Je radikaler ich diese Position vertrete, desto mehr spreche ich jene Wähler und Wählerinnen an, die am meisten unzufrieden sind, das heißt die Kernwählerschaft dieser Parteien sind Menschen, die verunsichert, die unzufrieden sind. Und über diese Gruppe baue ich dann meine Mehrheiten aus.
Könnten Sie das vielleicht ausführen?
Das sehen wir immer an die FPÖ denken, die mehrmals in der Regierung war, dann in der Regierung implodierte. Das war nach 2000 der Fall, also bei Knittelfeld. Das war dann auch letztlich 2019 der Fall. Und dann fällt die Partei wieder auf ihre Kernwählerschaft zurück. Und das ist der relativ radikalste Teil der Wähler. Und das ist aus Sicht der FPÖ immer eine Situation, wo nichts rechts von mir sein kann.
Und dann versuche ich in Richtung Mitte zu wachsen und versuche dann letztlich Protestwähler anzusprechen, die keine Kernwähler sind, die einfach mich wählen, weil ich nicht die Regierung bin und Konservative, die zwischen einer Partei, die mitte-rechts ist oder gemäßigt rechts ist und weiter rechts ist, zwischen diesen Parteien zu wechseln, (...). Aber ich versuche immer, von dem radikalen Ende heraus in die Mitte zu wachsen, nicht umgekehrt. Warum? Weil am Rand Platz ist. In der Mitte ist es, ist es sehr eng. Und Parteien existieren am besten dort, wo niemand ist.
Inwiefern?
Wenn wir uns das Parteienspektrum ansehen, dann haben wir in allen westlichen Ländern zwei Achsen. Auf der einen Seite haben wir so eine Art wirtschaftliche oder sozioökonomische Achse, da geht es um mehr Staat oder mehr privat. Das ist die klassische Achse, die wir aus dem 20. Jahrhundert kennen. Da gibt es die mitte-rechts-Parteien wie die ÖVP oder die CDU, und die sind Mitte rechts. Da geht es um mehr privat und weniger Staat. Da gibt es die Sozialdemokraten mitte-links. Diese Achse hat aber zunehmend an Bedeutung verloren.
Aber unbesetzt war die identitäre Dimension. Wer sind die Deutschen? Diese Frage war eine Thematik, die die AfD allein bedienen konnte.
Durch die Globalisierung ist eine zweite Achse entstanden, wo es um nicht-materielle, kulturelle Fragen wie Identität, Tradition, (...) um die Idee der Selbstverwirklichung geht. Und da gibt es auf der einen Seite grüne, alternative, liberale Parteien und auf der anderen Seite eben Parteien, die die Tradition, die Nation, das Eigene in den Vordergrund stellen.
Das Thema ist nur, dass auf der linken Seite dieser kulturellen Achse dann Parteien entstanden sind, eben die Grünen, auch NEOS. Aber auf der rechten Seite dieser zweiten Achse war Platz, da gab es nichts, und dort hat sich die FPÖ hinentwickelt. Die FPÖ ist keine postnazistische Partei mehr, die jetzt sich mit Deutschland wiedervereinigen möchte und wo irgendwie blonde Arier in Polen einfallen sollen. Das ist ein Unsinn, wenn man das in den Vordergrund stellt.
Sondern die FPÖ besetzt in Österreich diese Nische der Tradition, der Souveränität des Volkes, eigene Kultur. In Deutschland gab es (dort) keine Partei. Bei den Deutschen, natürlich, in dieser wehrhaften Verfassung hatte der Staat immer danach getrachtet, dass diese Nische, die ja sehr nah in Richtung Nationalsozialismus ging, dass die unbesetzt bleibt. Dadurch ist die AfD entstanden, aber nicht als rechtspopulistische Partei, sondern als skeptische Wirtschaftspartei. Da ging es um die Einführung des Euros und da ging es darum, wieviel Souveränität hat Deutschland in der EU? Und da hat die AfD eine sehr konservative Position vertreten. Aber diese Position war nur bedingt lebensfähig, weil es natürlich auch in der CDU selber wirtschaftsfreundliche Tendenzen gibt.
Aber unbesetzt war die identitäre Dimension. Wer sind die Deutschen? Diese Frage war eine Thematik, die die AfD allein bedienen konnte. Immer wenn eine Partei ein Thema allein bedienen kann, kann eine Partei erfolgreich sein, weil es dort keine Konkurrenz gibt. Und das ist in vielen europäischen Ländern der Fall gewesen und dadurch konnten sich diese Parteien etablieren und und stärker werden.
Ein kleiner Themenwechsel. Aber in Zeiten einer globalen Welt und großer Machtblöcke zu denken, dass Nationalismus ein Erfolgsmodell ist, ist doch eher emotional als rational, oder würden Sie mir da nicht zustimmen, wenn Europa nicht mehr Europa ist, wer ist dann der Handelspartner von den USA oder von China? Es ist doch wichtig, Größe zu haben.
Richtig. Und das ist einerseits eine der Stärken und eine der Schwächen der radikalen Rechten. Ihre Stärke liegt darin, dass sie in der Lage sind, Menschen emotional abzuholen, mit Emotionen abzuholen. Und sie verstehen auch viel besser als etablierte Parteien, dass Menschen nicht nur Gewinnmaximierer sind. Und die Idee, dass Wähler und Wählerinnen Nutzenmaximierer sind und dann quasi Parteien wählen auf Basis, wer bringt mir jetzt persönlich mehr und im Kopf so Taschenrechner haben, die das zusammenzählen.
Das haben sie verstanden, dass das nicht so ist, sondern dass man über soziale Medien Menschen anspricht in ihrer Emotion. Und das können sie auch sehr gut. (Die extrem rechten Parteien) sind in dieser emotionalen Schiene sehr, sehr stark, während etablierte Parteien sehr oft das über die Ratio machen und übersehen, dass Menschen emotional getrieben sind, sich auch fürchten.
Wenn eine Partei wie die FPÖ plakatiert „Festung Österreich“, dann heißt es, da fühlen sich Menschen bedroht von Einwanderung, von radikalen Veränderungen auf der Welt, wo die Welt immer komplexer wird. Und die eine Partei verspricht mir in meinem Gefühl der Ohnmacht, wo ich mich allein gelassen fühle, die spricht das an.
Die Schwächung der EU. Auch da treffen sich die radikalen Rechten.
Auf der anderen Seite ist das auch eine Schwäche der Rechten. Sie tun sich schwer, sich zu einigen. Das heißt, wir sehen es im Europäischen Parlament. Da gibt es ja mehrere, nicht nur unterschiedliche rechte Parteien, sondern die sind auch in unterschiedlichen Fraktionen vorhanden. Und einige sind in gar keiner Fraktion, also beispielsweise die französische Rechte, das Rassemblement National, hat dafür gesorgt, dass die AfD nicht in ihrer Fraktion sitzt.
Sie sind auch unterschiedlich, was die Außenpolitik betrifft. Die Skandinavier wollen mit der FPÖ nichts zu tun haben, weil die FPÖ zu narzisstisch ist und zu russlandfreundlich ist. Also es ist natürlich klar, wenn ich meine Nation über alles stelle und mein Nachbar dasselbe tut, dass ich mir schwer tue, mit diesen Nachbarn zusammenzuarbeiten.
Daher gibt es auch bei den Populisten eine neue Agenda, wo sie sich sehr wohl treffen. Das ist vor allem die Agenda LGBTQ, Transsexualität. Diese kulturellen Fragen, da kann man sich natürlich einigen. Das sehen die radikalen Rechten in den USA, in Österreich, in Italien, in Ungarn genau gleich. Und da gibt es eben Brücken innerhalb Europas, auch die Schwächung der EU. Auch da treffen sich die radikalen Rechten. Aber dennoch: Insgesamt sind sie schwächer als vielleicht andere Parteien, weil sie untereinander zerstritten sind.
Jetzt haben sie mir vorher ein Stichwort geliefert. Und zwar: Warum unterstützt Russland eigentlich rechte Parteien?
Ich vermute, es sind zwei Motive. Russland und auch viele rechte Parteien sind ideologisch gegen die liberale westliche Ordnung positioniert. Das hilft natürlich, Russland einerseits seine eigene Macht zu vergrößern. Also die liberale Ordnung dominiert von den USA und abgesichert auch von einer starken Europäischen Union. Die Spielregeln des internationalen Systems unterstützen. Das lässt für Russland wenig Handlungsspielraum. Russlands imperiale Träume liegen ziemlich auf der Hand. Putin hat das auch relativ offen formuliert.
Gleichzeitig gibt es auch noch eine ideologische Dimension, dass Russland einen illiberale ideologische Position vertritt – was Homosexualität betrifft, was Tradition betrifft, was die russische Blut und Boden Ideologie, die sehr stark an den Faschismus erinnert, betrifft. Und da trifft man sich mit vielen Rechten, auch in Europa. Aber ich meine, dass der strategische Nutzen, hier einfach die westliche Demokratie zu schwächen, von innen heraus und einen hybriden Krieg zu führen, einfach im Vordergrund steht, weil Russland geopolitische Ziele verfolgt.
Ähnliches sehen wir bei rechten oder radikalen linken Parteien, die in erster Linie als Disruptoren auftreten. Denn wenn ich ein System verändern möchte im eigenen Sinn, muss ich das, was bestehen, kippen. Ich muss das irgendwie unterminieren. Und da ist es eigentlich egal, wo ich ansetze. Ob das jetzt beim Handel ist, ob das jetzt bei irgendeinem anderen Programm ist. Letztlich ist das Kippen, das Stören, das Auflösen von Institutionen eine Voraussetzung, damit ich dann was Neues schaffen kann. Und daher treffen sich hier die Interessen, weil beide Seiten das Interesse haben, das bestehende System nach Möglichkeit zu schwächen.
Zurück nach Deutschland. Regierungskrise. Es stehen Neuwahlen an, die Migrationsfrage wurde diskutiert. Geben Sie Prognosen ab, was die Neuwahlen bringen könnten?
Wir sehen zunächst mal, wir nennen Salienz. Salienz bedeutet die Wichtigkeit eines Themas im öffentlichen Diskurs. Immer wenn die Flüchtlingsthematik in den USA eine hohe Salienz hat, also sehr breit diskutiert wird, das kann nach Attentaten passieren, das kann aber auch passieren, wenn eine Partei das Thema ganz oben auf die Agenda setzt oder wenn andere Parteien vermeintlich glauben, dagegen sprechen zu müssen, dass dann auch angefacht wird, dass das immer der radikalen Rechten hilft. Wir sehen zum Beispiel eine Veränderung von vier Prozent zugunsten der AfD. Allein über diese Thematik und dadurch liegt die AfD momentan deutlich über 20 Prozent.
Das Problem bei der Vorhersage in Deutschland ist, dass es auch eine neue Partei auf Bundesebene, die das Bündnis Sahra Wagenknecht ist, die, wo es sich das Bündnis links positioniert, aber ähnliche Wähler auch anspricht. Dann hängt es in Deutschland auch davon ab, welche Parteien dann in den Bundestag kommen. Da scheint die FDP es nicht mehr zu schaffen. Aber es ist unklar. Wir vermuten, dass die CDU als erste durch die Ziellinie gehen wird, aber dann ein ähnliches Problem vorfinden wird wie die ÖVP in Österreich, nämlich dass sie eine Koalition bilden muss. Ob das jetzt eine Zweierkoalition ist, ob sie die überhaupt ausgeht, ob es da eine Dreierkoalition braucht, das auch das wird schwierig werden.
Wenn die radikalen Parteien an Macht gewinnen, verringert sich der politische Raum, innerhalb dessen die gemäßigten Parteien Koalitionen bilden können.
Es ist nicht vorstellbar, dass das die CDU unter Merz dann mit Rot und Grün beispielsweise eine Koalition bilden würde, mit zwei Linksparteien also. Was wir aber in Deutschland sehen wie in Österreich, wenn die radikalen Parteien an Macht gewinnen, verringert sich der Koalitionsraum, der politische Raum, innerhalb dessen die gemäßigten Parteien Koalitionen bilden können. Und es kommt dann zu diesen Zwangskoalitionen von Parteien, die miteinander eigentlich überhaupt nicht können und die unterschiedliche ideologische Positionen vertreten – wie bei der Ampel sehr schön zu sehen war.
Und das führt aber wiederum dazu, dass die Leute enttäuscht sind, weil ja Wähler und Wählerinnen erwarten sich, dass ihre Vorstellungen umgesetzt werden, weil so eine Koalition über die ideologischen Gräben hinweg gewinnt. Ja, dann niemand. Die Linken sind enttäuscht, dass nicht mehr an Veränderung Richtung links geht. Und die Konservativen sind enttäuscht, dass nicht genug in Richtung konservative Politik geht. Und in dieser Enttäuschung werden dann viele zu Nichtwählern oder ziehen sich zurück oder wählen dann gleich radikale Parteien. Und das ist dieser Teufelskreis, aus dem westliche Demokratien momentan nicht herauskommen durch diesen sich verengenden Politikraum in der Mitte.
Ja, Teufelskreis ist auch das Wort, das mir eingefallen ist, wie sie jetzt gesprochen haben. Ich glaube, dass Deutschland und Österreich in einer ähnlichen Position sind. Sie werden das sicher weiter beobachten, und ich bedanke mich, dass Sie Zeit gehabt haben, uns das alles auseinanderzusetzen.
Ich bedanke mich für das Interesse.