Außenpolitik mit Herz für Diktaturen

Die frühe BRD fand ihre ersten Wirtschaftspartner auch in Diktaturen. Was im Kalten Krieg politisch nützlich schien, hat Folgen bis heute. Ein Interview mit dem Historiker Frank Bösch.

Soraya, Kaiserin von Persien, und der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss im Februar 1955 in Bad Godesberg. Das Bild ist Teil eines Interviews mit dem Historiker Frank Bösch über die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1945 bis 1955.
Soraya, Kaiserin von Iran, und der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss im Februar 1955 in Bad Godesberg. Soraya Esfandiary-Bakhtiary, sie starb 2001 in Paris, hatte eine deutsche Mutter, Eva Karl. Die Ehe mit dem iranischen Kaiser Reza Schah wurde 1958 geschieden. © Getty Images

Außen- und wirtschaftspolitisch isoliert, setzte die frühe Bundesrepublik in der Außenpolitik Experten ein, die schon in Nazideutschland Beziehungen zu Diktaturen aufgebaut hatten. In der Stimmung des Kalten Krieges tat dies der Westbindung keinen Abbruch, im Gegenteil. Doch die Deals mit Diktaturen hatten innenpolitisch einen hohen Preis, sagt der Historiker Frank Bösch.

Das Nachkriegsjahrzehnt

Der Pragmaticus: Üblicherweise wird die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als eine mehr oder weniger lineare Geschichte der Westintegration erzählt. Ihr Buch Deals mit Diktaturen blickt nach Osten und Süden und schließt damit eine Forschungslücke. Warum hat sich die historische Forschung so sehr auf den Westen konzentriert?

Frank Bösch: Man muss natürlich sagen, dass die Einbindung in den Westen und die Abgrenzung zum Osten zu Recht betont wurde, ebenso wie Ostpolitik seit den 1970er Jahren, was die politischen Interaktionen anging, aber auch das Handelsvolumen beispielsweise. Gleichzeitig finde ich es bemerkenswert, dass das eine mit dem anderen einherging: Die Westbindung förderte den Austausch mit antikommunistischen Diktaturen. Das wurde im Lauf der Zeit durch Öl und andere Bodenschätze auch zunehmend ökonomisch bedeutsam.

Gleichzeitig rechtfertigte die Abgrenzung von den sozialistischen Staaten in gewisser Weise die enge Kooperation mit nichtsozialistischen Diktaturen. Und das wird, glaube ich, erst jetzt mehr gesehen, weil die derzeitigen Herausforderungen im Umgang mit Russland, mit China, mit dem Iran und dem Aufstieg von Menschenrechten das deutlicher in den Vordergrund rücken.

In vielen Fällen wurde Deutschland der engste wirtschaftliche und teilweise auch politische Partner von Diktaturen. Die Beziehungen wurden lang aufgebaut. 1954 war Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien, der erste Staatsgast. Warum hat man so früh diese Kontakte gesucht?

Es gab vorher schon Besuche von Außenministern, aber Selassie war das erste Staatsoberhaupt. In der Tat musste um Oberhäupter von Äthiopien oder von Iran sogar geworben werden. Das war für mich auch ein überraschender Befund. Die Bundesrepublik war moralisch natürlich diskreditiert. Wenn diese Staatsoberhäupter in die westlichen Demokratien reisten, musste geworben werden, dass sie überhaupt noch einen kurzen Abstecher in Deutschland machten. Es ging daher einerseits um internationale Anerkennung, um eine Rückkehr auf das internationale Parkett.

Deutsche SS-Soldaten in Jugoslawien im April 1941. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die Außenpolitik Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955. Das Interview mit dem Historiker Frank Bösch beleuctet außerdem, wie durch Migration und zivilgesellschaftlichem Einsatz für Menschenrechte die Demokratie in der damaligen BRD gestärkt wurde.
Deutsche SS-Soldaten in Jugoslawien im April 1941. 230 Millionen Menschen in Europa mussten auf dem Höhepunkt der Expansion von NS-Deutschland unter deutscher Besatzung leben. © Getty Images

Andererseits knüpfte die Bundesrepublik an Beziehungen von deutschen Expertinnen und Experten und auch von politischen Beziehungen an, die schon vorher bestanden – beispielsweise nach Nordafrika, Ägypten, Äthiopien, Griechenland, die Türkei. Dass es bei diesen Staaten ausgerechnet klappte, lag daran, dass es diesen älteren, engen Verbindungen gab, die – wie im Fall von Iran – den Nationalsozialismus gut überdauert hatten.

Waren die ersten Jahre eher eine Kontinuität als ein Bruch?

Es war natürlich schon ein Bruch, denn wir haben in den frühen 1950er Jahren eine neuartige Annäherung an die Demokratien im Westen, Stichwort Montanunion, die Annäherung an Frankreich, der Versuch, eine europäische Verteidigungsgemeinschaft zu bauen, und natürlich Adenauers ganz enge Bindung an die USA. Das war schon ein Neuanfang.

Aber gleichzeitig gibt es Annäherungen, die in der Geschichtswissenschaft unsichtbar blieben. Unter den Ländern, mit denen ganz früh diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden ist zum Beispiel Franco-Spanien. Franco in Deutschland zu empfangen – das war undenkbar. Ab 1952 reisten aber Minister nach Spanien – zunächst informell, später auch offiziell. Es ging um Wirtschaftsaustausch, Expertenaustausch, um Kooperationen bei Nuklearprogrammen oder der Bundeswehr. Das wurde bisher in der Forschung nicht wirklich gesehen.

Aber neben der ja oft zweifelhaften Anerkennung: Was war der Motor für diese Kontakte?

Ein wichtiger Grundgedanke war natürlich die antikommunistische Angst vor der Sowjetunion und ihren Verbündeten. Alle diese Staaten hatten eine strategische Rolle, um den befürchteten Angriff der Sowjetunion abzuwehren. Iran lag direkt an der sowjetischen Grenze. Oder wenn zum Beispiel die Sowjetunion Europa überrollt, dann würde die Bundeswehr hinter den Pyrenäen in Franco-Spanien ihre Luftwaffenbasis haben und von dort aus zurückschlagen.

Man ging also dahin, wo einem die Vergangenheit nicht vorgehalten wurde.

Frank Bösch

Relativ früh schon war es eine Welt zwischen Ost und West, und die Bundesrepublik konnte in diesem Spiel zu den Guten gehören. Man suchte Verbündete, auch in Afrika – man fand beispielsweise, der sowjetisch und chinesisch unterstützte Angriff Nordkoreas auf Südkorea habe gezeigt, dass die Sowjetunion in den armen Ländern des globalen Südens expandieren wolle. Diese sicherheitspolitischen Überlegungen führten dazu, dass die Bundesrepublik mit Autokratien kooperierte, wie zum Beispiel eben mit Südkorea, das lange eine Autokratie blieb.

Hjalmar Schacht (ganz links) im November 1936 in Iran. Schacht war NSDAP-Mitglied und in NS-Deutschland Präsident der Reichsbank sowie Reichswirtschaftsminister. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die Außenpolitik Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955. Das Interview mit dem Historiker Frank Bösch beleuctet außerdem, wie durch Migration und zivilgesellschaftlichem Einsatz für Menschenrechte die Demokratie in der damaligen BRD gestärkt wurde.
Hjalmar Schacht (ganz links) im November 1936 in Iran. Schacht war NSDAP-Mitglied und in NS-Deutschland Präsident der Reichsbank sowie Reichswirtschaftsminister. © Getty Images

Der zweite Grund ist: Deutschland hatte starke Handelsbeziehungen mit dem Osten. Das war ein wichtiges Gebiet, das nach dem Krieg wegfiel. Anfang der 1950er Jahre ist die Vorstellung auch bei Ludwig Erhard, dass die ökonomische Zukunft des Außenhandels sehr stark in Lateinamerika und Afrika liege. Und deswegen wurden Länder vor allem in Nordafrika, aber eben auch große Länder in Lateinamerika, die am Anfang noch demokratisch waren, dann später autokratisch wurden, bevorzugt adressiert.

Die Annahme war, dass Länder wie Ägypten oder Iran große Absatzmärkte für Deutschland werden; es war von Anfang an so angelegt, dass die Länder Absatzmärkte und später auch Rohstoffmärkte sind. Die Deutschen, so die Annahme, haben keine Hard Power, sie sind keine Atommacht, aber sie haben Soft Power, das sind deutsche Waren. Sicherheitspolitik und Wirtschaftsinteressen, sind die beiden treibenden Kräfte bei den Kontakten zu den Diktaturen.

Im Buch schreiben Sie, dass dies auch der Bewältigung der NS-Vergangenheit diente. Wie das?

Man könnte die vergangenheitspolitische Komponente auch als einen dritten Motor sehen: Menschen, die in der NSDAP aktiv waren oder vielleicht sogar in der SS Mitglied gewesen waren, konnten in westlichen Demokratien nicht so gut agieren. In den USA, Großbritannien oder den Niederlanden waren sie diskreditiert. Der Nazihintergrund wurde in Syrien, in Ägypten, oder Iran teilweise positiv gesehen. Dort war der Holocaust kein Problem, die Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg wurde insgesamt weniger problematisiert. In diesen Ländern, auch Indonesien beispielsweise, agierten diese Leute als scheinbar unpolitische Experten und werden wertgeschätzt. Man ging also dahin, wo einem die Vergangenheit nicht vorgehalten wurde.

Hello again: Hjalmar Schacht als Wirtschaftsberater 1954 im Iran. Schacht wurde i Nürnbrger Kriegsverbrecher-Prozess freigesprochen und trat in den 1960er Jahren der rechtsextremen Gesellschaft für freie Publizistik bei. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die Außenpolitik Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955. Das Interview mit dem Historiker Frank Bösch beleuctet außerdem, wie durch Migration und zivilgesellschaftlichem Einsatz für Menschenrechte die Demokratie in der damaligen BRD gestärkt wurde.
Hello again: Hjalmar Schacht als Wirtschaftsberater 1954 im Iran. Schacht wurde im Nürnbrger Kriegsverbrecher-Prozess freigesprochen und trat in den 1960er Jahren der rechtsextremen Gesellschaft für freie Publizistik bei. © Getty Images

War man einfach froh, die Nazis loszuwerden oder wollte man von ihren Kontakten profitieren und der Hintergrund war dann nicht so wichtig?

Tatsächlich wurden sie auch aktiv nachgefragt – um Militär aufzubauen oder, wie in Äthiopien, Häfen. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Hjalmar Schacht, der unter Hitler Finanzminister war, eröffnete nach 1945 eine eigene Exportbank und reiste nach Iran, nach Ägypten, nach Indonesien, um dort wirtschaftliche Beratung zu machen, unter anderem für Finanzierungsprojekte. Das war bereits Anfang der 1950er Jahre, also noch bevor es einen diplomatischen Austausch gab. In gewisser Weise fungierten Leute wie Schacht als Ersatzdiplomaten.

Oder nehmen wir mal Beispiel aus Österreich: Hermann Neubacher. Er war von 1938 bis 1940 der Bürgermeister von Wien, ein NS-Funktionsträger und SA-Gruppenführer und 1942 „Sonderbeauftragter“ in Griechenland. Hermann Neubacher ging 1954 nach Addis Abeba, nach Äthiopien, und wurde dort ein wichtiger wirtschaftlicher Berater. Seine Vergangenheit war dort für ihn weniger problematisch. Insofern ergaben sich für Einzelne zweite Karrierechancen.

Wenn ehemalige Nazigrößen so einflussreich sein konnten: Wer hat dann eigentlich diese frühe Außenpolitik gestaltet?

Die Bundesrepublik Deutschland durfte ja erst nach der Revision des Besatzungsstatuts ab 1951 Außenpolitik betreiben. Bis dahin gab eine außenpolitische Stelle im Kanzleramt unter Herbert Blankenhorn, also von Konrad Adenauer selbst. Und Adenauer behielt die Außenpolitik zunächst bei sich, bis es tatsächlich einen richtigen Außenminister gab. Und insofern haben wir einen sehr zögerlichen Beginn der Außenpolitik ab 1951/52, der erst 1954/55 mit dem NATO-Beitritt und der weitgehenden Souveränität der Bundesrepublik an Fahrt gewinnt.

Es gibt also 1955 eine Zäsur. Bis dahin gab es diese Ersatzdiplomaten. Das waren Experten, die in der Welt herumreisten und regelmäßig an das Kanzleramt berichteten. So reiste eine Ärztegruppe 1950 nach Iran. Ähnlich war es auch mit Militärberatern: Sie waren nicht offiziell in den Ländern, aber es waren Kontaktleute, die dann aus Ägypten, Syrien usw. berichteten.

Man kann natürlich auch in gewisser Weise Ähnliches für die sozialistischen Staaten sagen, wo es mit der Ausnahme der Botschaft in Belgrad und dem Besuch Adenauers in Moskau 1955 keine diplomatischen Beziehungen gab. Einzelne Wirtschaftsleute, manchmal Geistliche übernahmen da eine Zusatzfunktion und ermöglichen eine Art Annäherung. Später kamen dann auch einzelne Journalisten.

Wurde so das Fundament gelegt für die enge Verknüpfung von wirtschaftlichen und politischen Interessen?

Das ging mitunter Hand in Hand. Auch wenn Botschaften aufgebaut wurden, wie in Äthiopien oder Franco-Spanien, sind die Deutschen, die dort leben, die eigentlichen Netzwerke, um Kontakte aufzubauen. Es gab oft informelle Treffen, also neben Wirtschaftsdelegationen auch kulturelle Treffen, wie etwa in Franco-Spanien die sogenannte Abendländische Akademie, wo sich Konservative vernetzten.

Eine Schlüsselrolle scheint das Verhältnis zur DDR zu spielen. Auf der einen Seite die Konkurrenz, auf der anderen Seite wird sie zu einem Wirtschaftspartner und Druckmittel insbesondere gegenüber sozialistischen Staaten.

Ja, einerseits wurde die Kooperation mit sozialistischen Staaten abgelehnt, selbst Verhandlungen, wie etwa bei den berühmten Stalin-Noten, weil man diesen Staaten misstraut und eben keine offizielle Kooperation wollte. Mit der DDR gab es durchaus auch einen informellen Austausch, obwohl schon 1952 die innerdeutsche Grenze weitgehend abgeriegelt wurde.

Zugleich gab es immer wieder Versuche, forciert von Ludwig Erhard, den Handel mit der DDR zu fördern. Insbesondere im Eisen- und Stahlbereich gab es tatsächlich einen Handel, und dafür brauchte man quasi-staatliche Stellen. Es wurden Behörden eingesetzt, die eigentlich staatlich waren, ohne dass es einen staatlichen Kontakt gab. Diese Behörden hatten auch so eine Ersatzfunktion, eine Kommunikationsfunktion über die Wirtschaft, um den Transfer von Produkten irgendwie auszuhandeln. Das ging ja nicht ohne Gespräche.

Adenauer verlegte seine Wiedervereinigungspolitik in den globalen Süden

Frank Bösch

Ganz wichtig für die Bundesrepublik war die sogenannte Hallstein-Doktrin, die sich eigentlich erst ab 1955 wirklich entfaltete. Sie besagte, dass die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen mit der DDR aufnimmt und sie sogar abbricht mit Staaten, die die DDR anerkennen. Das zwang viele Systeme in der Welt sich für die wirtschaftlich stärkere und auch größere Bundesrepublik zu entscheiden, auch wenn sie an sich mit dem Sozialismus sympathisierten, beispielsweise Indien, eine im entstehen begriffene Demokratie, oder auch Ägypten, das zunächst sozialistische Elemente aufwies, insbesondere unter Abdel Nasser. Die Länder blieben auf der Seite der Bundesrepublik, weil sie über Kapitalhilfen größere Unterstützung erhielten.

Dieses Sich-entscheiden-müssen im globalen Süden unterstützt die These, dass Adenauer seine Wiedervereinigungspolitik in den globalen Süden verlegte. Adenauer steht für die Westbindung – kein Kontakt zur DDR – aber er betrieb eine Wiedervereinigungspolitik, indem er die DDR unter Druck setzte und indem weltweit Länder sich entscheiden mussten: entweder die DDR oder die Bundesrepublik.

Das steht in ziemlichem Widerspruch zu den Stahl- und den späteren Pipelinegeschäften ab 1958.

Adenauer setzte auf ein Primat des Politischen, weshalb er bei den Pipelinegeschäften schon 1962 die Reißleine zog und das Ganze stoppte, was für die Wirtschaft ein Riesenverlust war. Ludwig Erhard hatte weniger Probleme, den Handel auch mit Diktaturen zu machen, weil er vom Ökonomischen ausgeht. Was für die Wirtschaft gut ist, ist für Deutschland gut, das war seine Leitmaxime. Und das bleibt auch die Leitmagazine in unterschiedlichen Regierungen.

Im bürokratischen Denken wird die Idee vorherrschend, dass vorrangig deutsche Interessen zu fördern sind. Diese deutschen Interessen wurden stark mit dem Export gleichgesetzt, und daher rührt auch diese deutsche Obsession, den Export immer weiter zu steigern, obwohl das wegen der Handelsbilanzdefizite und der währungspolitischen Konsequenzen schon früh auf Kritik stieß. Auf dem Höhepunkt 1986 war Deutschland schließlich das exportstärkste Land der Welt.

Das heißt, Adenauer konnte sich mit seinem Primat des Politischen nicht durchsetzen?

Das Interessante ist eben, dass durch das Politische Grenzen gezogen wurden. Adenauer hat noch rigider gehandelt als etwa die Ampelregierung und Annalena Baerbock, der man vorwarf, wirtschaftliche Interessen zugunsten von Menschenrechten oder ethischen Fragen zu vernachlässigen. Adenauer hat nicht nur den Verkauf von Pipelines in die Sowjetunion aufgrund dieses politischen Primats gestoppt, sondern schon in den 1950er Jahren High Tech-Lieferungen in den Sozialismus untersagt, Waffenlieferungen ohnehin, aber auch Dual Use Güter. Das hat die deutsche Wirtschaft schon stark einschränkt.

Aber es ging Adenauer ja nicht um Menschenrechte?

Hier haben wir ein partikularistisches Verständnis von Menschenrechten, wenn sie unter bestimmten ideologischen Bedingungen missachtet werden, wie eben im Sozialismus und insbesondere der DDR. Bei antikommunistischen Diktaturen wie etwa in Francos Spanien, wo natürlich politische Gegner verhaftet und zum Tode verurteilt und gefoltert wurden, war das nicht so.

Man nahm an, dass bestimmte Staaten nur autoritär geführt werden können.

Franco-Spanien ist ein besonders interessanter Fall, weil es einerseits diese Zurückhaltung gibt. Adenauer wollte immer nach Franco-Spanien reisen, machte es dann aber kurz vor seinem Tod, um seine Memoiren vorzustellen. Die Bundesregierung setzte sich dafür ein, dass Franco-Spanien in die NATO kommt und in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Das wird letztlich zuerst durch Frankreich blockiert und dann durch die anderen Staaten, die Beneluxstaaten und Skandinavien.

Warum wollte Adenauer das unbedingt?

Zu der Idee vom Bollwerk gegen den Kommunismus kam, dass Spanien katholisch geprägt ist. Und zudem war die Annahme, dass bestimmte Staaten „im Süden“ nur autoritär geführt werden können. Dass also in Staaten wie Iran erst einmal eine „harte Hand“ nötig sei um Ordnung und Sicherheit zu schaffen. Mit der Modernisierung, mit dem Wohlstand, mit der Bildung würde dann die Demokratie kommen würde. Es gerieten später die Diktaturen öffentlich in Kritik, wo vorherige Demokratien gestürzt worden waren. Das heißt Länder wie Saudi Arabien wurden weniger kritisiert als Länder wie Griechenland oder Chile, weil die als demokratiefähig angesehen wurden.

Aber die Intention der Verknüpfung von Wirtschafts- und Sicherheitspolitik war nie, letztlich die Demokratie etwa in Staaten wie Iran zu fördern, oder doch?

Demokratie zu fördern war keine Intention, es wurde aber mitgedacht, dass dies als ein Fernziel kommen konnte. Es sollte eher ein Bündnis in beiderseitigem Interesse gefördert werden. Aber ich habe keine Hinweise gefunden, dass beispielsweise Menschenrechtsverletzungen in Iran in der späteren Zeit angesprochen wurden. Es gab ja bis zu seinem Sturz 1953 (durch die Geheimdienste der USA und Großbritanniens – Anmerk.) mit Mohammad Mossadegh ja tatsächlich auch einen gewählten, antiwestlich eingestellten, Premierminister in Iran. Das war eine Entwicklung der Zeit, die viele Iraner bis heute verbittert.

Der Sturz Mossadeghs 1953 ist die Urszene für das negative Eingreifen des Westens. Und dass der Westen eben nicht Demokratie fördert, sondern eher einen autoritären Monarchen einsetzt als einen gewählten Präsidenten, der zum Sozialismus neigt, zeigt die Ambivalenzen von Demokratie. Wichtig ist, dass die Bundesrepublik in dieser frühen Phase im Einklang mit den USA handelte. Das heißt, die USA unterstützten Iran, und somit war es auch für die Bundesrepublik legitim, Iran zu unterstützen.

Sie zeigen in Ihrem Buch, dass die Deals mit Diktaturen auch nach Innen wirkten. Es gab etwa Abschiebungen nach Südkorea auf Wunsch des Regimes; die Bundesregierung ließ den iranischen Geheimdienst gewähren und Schah-kritische Journalisten in Deutschland verhaften lassen; mit der „Lex Soraya“ versuchte das Außenministerium im April 1958 einen Bericht im Stern über eine Trennung von Soraya Pahlavi und dem iranischen Schah Reza Pahlavi zu verbieten, wobei Iran Druck ausübte. Warum hat man das in Kauf genommen?

Es ist eine relativ neue Erkenntnis für die Forschung, dass man das Verhältnis zwischen Demokratie und Diktatur nicht nur so verstehen muss, dass die Demokratie für Menschenrechte in den Diktaturen wirbt, das ist unsere Grundannahme immer, sondern dass die enge Kooperation mit Diktaturen Rückwirkungen auf das eigene Land hat und die eigene Demokratie eben auch gefährden kann. Das sehen wir heute vielleicht besser, wo russische Geheimdienste in europäischen Ländern eingreifen. Aber das gab es eben schon damals. Und es gab und gibt das illegitime Eingreifen, dass Geheimdienste Oppositionelle töten, auch in der Bundesrepublik. Das machte auch die Sowjetunion oder der jugoslawische Geheimdienst, oder eben der südkoreanische Geheimdienst, der Menschen aus Deutschland verschleppte.

Bei Iran ist das Interessante, dass in den 1950er Jahren direkt von den Herrschern Protestschreiben ganz regelmäßig die Bundesrepublik unter Druck setzten und mit Sanktionen und einem Stopp der wirtschaftlichen und sogar politischen Beziehungen drohten, wenn negative Artikel in Zeitungen und Magazinen erschienen. Das heißt, Sanktionen richteten sich nicht nur gegen Diktaturen, sondern sie richten sich gegen die Bundesrepublik aus den Diktaturen.

Der Protest für Demokratie in anderen Ländern ging dann Hand in Hand mit einem Protest für mehr Demokratie in der Bundesrepublik.

Und hier ist auffällig, wie bereitwillig die Regierung Adenauer darauf reagierte, vor allen Dingen seit Ende der 1950er Jahre. Es reichten leicht kritische Andeutungen aus, etwa, dass die Frau des Schahs keine Kinder kriegen könne oder, in einem anderen Fall war es ein Bild mit einem etwas tiefen Dekolleté, das dazu führte, dass Pressegesetze verschärft und Journalisten verfolgt wurden oder dass informell Druck gemacht wurde, indem das Auswärtige Amt, der Justizminister, der Bundespräsident, also von höchster Stelle, Schreiben an diese Journalisten gingen, dass das sofort zu unterbleiben habe. Und das ist natürlich ein Beispiel dafür, wie die Pressefreiheit eingeschränkt wurde.

Ein anderes Beispiel dafür und das geht schon ja beim ersten Besuch so los, ist, dass Listen von Oppositionellen, die immer als Kommunisten bezeichnet werden, verschickt werden und mit der Aufforderung Also schon beim ersten Besuch eben 22 Leute kommen auf eine Liste, die nicht demonstrieren sollen, worauf achtgegeben werden soll, dass sie nicht das Haus verlassen, wenn der Schah da ist und in einzelnen Fällen sogar die Ausweisung verlangt wird, was das Innenministerium auch zusichert. Ich habe jetzt nicht gefunden, ob sie durchgeführt wurde. Aber allein diese Zusicherung der Ausweisung von Oppositionellen vor einem Staatsbesuch, die wahrscheinlich furchtbare Haftstrafen, wenn nicht noch schlimmer, in den Ländern kriegen, das zeigt diese Kooperation mit Diktaturen.

Kann man umgekehrt auch sagen, dass die Oppositionsbewegungen aus den Diktaturen, die in Deutschland waren, eben Iraner, Spanier usw. zur Demokratisierung Deutschlands beigetragen haben? Die Schahbesuche haben ja massiven Widerstand ausgelöst, die Spanier konnten die Gewerkschaften mobilisieren.

Viele Ausländer haben tatsächlich viel riskiert durch ihre Proteste. Gesetze wurden so verschärft, dass auch Ausweisungen legitimiert waren, wenn die Proteste den außenpolitischen Beziehungen schadeten, das Ausländergesetz von 1965 etwa. Aber natürlich wurde dadurch auch eine Gegenbewegung angestoßen. Der Protest für Demokratie in anderen Ländern ging dann Hand in Hand mit einem Protest für mehr Demokratie in der Bundesrepublik. Insofern gibt es Gegenbewegungen.

Hat dies auf die Außenpolitik zurückgewirkt?

Ja, das hatte Folgen. Gegenüber den Ländern, gegen die demonstriert wurde, wurden mitunter Sanktionen durchgeführt, also Kapitalhilfe gestoppt, sich für einzelne Verfolgte eingesetzt, politische Besuche nicht mehr durchgeführt. Das hing jeweils auch mit den Regierungswechseln zusammen, mit der Großen Koalition ab 1966 und ab 1969 mit der sozialliberalen Koalition. Das hat es erleichtert, dass es zu einem Kurswechsel kam.

2. Juni 1967 in Berlin-Schöneberg: Anhänger des iranischen Schah prügeln auf Demonstrierende gegen den Schah ein. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die Außenpolitik Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955. Das Interview mit dem Historiker Frank Bösch beleuctet außerdem, wie durch Migration und zivilgesellschaftlichem Einsatz für Menschenrechte die Demokratie in der damaligen BRD gestärkt wurde.
2. Juni 1967 in Berlin-Schöneberg: Anhänger des iranischen Schah prügeln auf Demonstrierende gegen den Schah ein. © Getty Images

Kamen die Menschenrechte damit von außen in die Außenpolitik der BRD?

Von außen und von innen. Die Menschenrechte kamen von außen, insofern sie von Migranten zum Argument gemacht wurden, aber auch von innen, indem die Linke, die universal argumentierte, dies aufgriff. Organisationen wie Amnesty International, die zuerst eher die DDR im Blick hatten, da auch die ersten Vorsitzenden von AI Deutschland aus der DDR kamen, setzten sich schließlich auch für Verfolgte in anderen Ländern ein. Es gab auch eine zivilgesellschaftliche Hilfe für Verfolgte aus der DDR.

Teilweise wurden diese Organisationen durch den CIA und die Bundesregierung unterstützt, zum Beispiel die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit oder der Kongress für kulturelle Freiheit, wo Intellektuelle sich gegen die sozialistischen Diktaturen einsetzten. Das muss man schon ernst nehmen, auch wenn es nicht die universalen Menschenrechte sind, um die diesen Organisationen ging. Die Auseinandersetzung mit der DDR hat die Zivilgesellschaft geprägt was sich auch in der Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen etwa aus Ungarn 1956 nach der Niederschlagung der Proteste dort oder auch nach dem 17. Juni 1953 in der DDR zeigte. Staat und Zivilgesellschaft sind da im Einklang gegen sozialistische Diktaturen.

Über Frank Bösch

Frank Bösch. Im Interview spricht der Historiker über die Außen- und Wirtschaftspolitik Deutschlands nach 1945 und ihre Folgen.
Frank Bösch © Sebastian Rost

Frank Bösch ist Historiker, Direktor des Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam, Professor für deutsche und europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam und Autor zahlreicher Bücher, darunter Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann und Deals mit Diktaturen.

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